Schuldbewirtschaftung – Roland Rottenfußer

Wie wir in Verschul­dung getrie­ben und durch Schuld­ge­füh­le mani­pu­liert werden – - – 

„Schul­den“ und „Schuld“ haben nicht nur den Wort­stamm gemein­sam. Es ist das glei­che Phäno­men, das sich auf ethi­schem und wirt­schaft­li­chem Gebiet zeigt. Wer sich schul­dig fühlt, fühlt sich in beson­de­rem Maße klein. Er ist bereit, fast alles zu tun, was ihn von dem uner­träg­li­chen Schuld­ge­fühl befreit. Somit wird ihm auch die Geld­bör­se locker sitzen, wenn es um Dienst­leis­tun­gen geht, die vermeint­lich seine Schuld redu­zie­ren. Schuld ist also ein Rohstoff, der bewirt­schaf­tet werden kann. In einer auf Verschul­dung und Zinsen basie­ren­den Ökono­mie ist die Schuld­kul­tur, die wir z. B. in Reli­gi­on, Justiz und Fami­li­en­le­ben erken­nen können, gleich­sam auf die mate­ri­el­le Ebene herab­ge­sun­ken. Ökono­misch geht es von vorn­her­ein darum, aus Schuld Geld zu schöp­fen. Zeit, dass wir uns befrei­en und die Tricks der Schuld(en)profiteure zu durch­schau­en lernen.
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Preis­fra­ge: Cars­ten händigt seinem Geschäfts­part­ner Franz 200.000 Euro aus; mit zeit­li­cher Verzö­ge­rung zahlt Franz an Cars­ten 400.000 Euro. Wer von beiden wird als „Geld­ge­ber“ bezeich­net? Hätte Cars­ten eine Bank, so würde wohl ihm der Ehren­ti­tel „Geber“ zuge­spro­chen werden. Ebenso sind Länder, die andere Länder durch zusätz­lich zur Tilgung verlang­te Zinsen ausblu­ten, nach offi­zi­el­ler Sprach­re­ge­lung „Geber­län­der“. Jeder, der einmal ein Haus gebaut hat, weiß, dass er, um es zu finan­zie­ren, den Gegen­wert von mindes­tens einem weite­ren Haus an Zinsen an die Bank bezah­len muss. Vor allem bei Lauf­zei­ten von 20 bis 30 Jahren über­tref­fen die Zins­zah­lun­gen oft die ursprüng­lich geschul­de­te Summe. Wer z. B. vor Beginn der momen­ta­nen Nied­rig­zins­pha­se 200.000 Euro zur Baufi­nan­zie­rung bei einer Bank lieh, musste bei 38 Jahren Lauf­zeit, 4,5 % Nomi­nal­zins und 916 Euro monat­li­chen Raten­zah­lun­gen rund 217.000 Euro an Zinsen berappen.
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In diesem Arti­kel inter­es­siert uns vor allem auch die psychi­sche Dimen­si­on von Geld­schul­den. Sie lässt sich sehr einfach mit einem verwand­ten Begriff benen­nen: Schuld. Von den Kirchen wurden die Gläu­bi­gen mit der Schre­ckens­vi­si­on einer „über­gro­ßen Schuld“ (maxima culpa) bedroht. Einer Schuld, die wegen ihres erdrü­cken­den Umfangs niemals tilg­bar ist – es sei denn durch einen Akt der Gnade. Auf der ökono­mi­schen Ebene entspricht der „untilg­ba­ren Schuld“ die Über­schul­dung. Sie begeg­net uns immer wieder in den Nach­rich­ten, z. B. im Zusam­men­hang mit der Grie­chen­land­kri­se. Leider wird zu selten auf die teil­wei­se viel schlim­me­re Über­schul­dung der Länder des globa­len Südens hinge­wie­sen. Margrit Kenne­dy zitiert in ihrem Buch „Occupy Money“ den nige­ria­ni­schen Präsi­den­ten Obasan­jo: „Wir haben bis 1985 oder 1986 etwa 5 Milli­ar­den Dollar gelie­hen: Bis jetzt haben wir 16 Milli­ar­den Dollar zurück­ge­zahlt. Jetzt wird uns gesagt, dass wir immer noch 28 Milli­ar­den Schul­den haben (…) wegen der Zins­ra­ten der auslän­di­schen Kredit­ge­ber.“ Wer gibt hier eigent­lich, und wer nimmt? Das Verbot der Skla­ve­rei, fest­ge­legt in der Allge­mei­nen Erklä­rung der Menschen­rech­te der UN von 1948, ist damit nichtig.
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Der mora­li­sie­ren­de Begriff Schuld(en) hilft kräf­tig dabei mit, dass sich Menschen das eigent­lich Unzu­mut­ba­re gefal­len lassen: ihre zuneh­men­de Berau­bung und Entrech­tung durch das Kredit­we­sen. In Zeiten von Niedrig‑, Null- oder gar Nega­tiv­zin­sen mag dieses Problem als eines „von gestern“ anmu­ten. Noch immer steigt jedoch die Zahl der über­schul­de­ten Haus­hal­te, stöh­nen Menschen unter Steu­er­schul­den und – da das Kapi­tal zuneh­mend auf den Immo­bi­li­en­markt nach „Anla­ge­mög­lich­kei­ten“ sucht – Miet­schul­den. Das reli­gi­ös verbräm­te Wort „Schuld“ (gleich­be­deu­tend mit Sünde) schwingt in dem Wort „Schul­den“ mit. Aber versu­chen wir das Problem jenseits aller Schuld-und-Sühne-Rheto­rik ganz nüch­tern auf das zu redu­zie­ren, was es ist: Jemand hat eine juris­tisch begründ­ba­re Geld­for­de­rung an Sie – das ist alles. In der Regel werden Sie diese Forde­run­gen wegen der Geset­zes­la­ge erfül­len müssen, ob gerecht oder unge­recht. Sie können sich selbst aber aus dem inne­ren Schul­den­turm befrei­en, indem Sie reali­sie­ren, dass sie in vielen Fällen längst zurück­ge­ge­ben haben, was Sie erhal­ten haben – oder weit­aus mehr. Wer gibt eigent­lich, und wer nimmt? Und wer trägt wirk­lich mora­li­sche Schuld?
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Menschen stöh­nen nicht nur unter indi­vi­du­el­len Schul­den (viele sind davon ja nicht betrof­fe­nen), sondern auch unter der kollek­ti­ven Staats­ver­schul­dung. Diese Schuld trifft uns – wie die von der Kirche kreierte Erbsün­de – ganz unab­hän­gig von unse­rem indi­vi­du­el­len Handeln. Die Babys mit den klaren Unschuld­saugen bekom­men ihren Teil der ererb­ten Schuld schon mit in die Wiege gelegt. Thomas Jeffer­son, einer der Grün­der­vä­ter der USA, sagte:
Diese ganz einfa­che und nach­voll­zieh­ba­re Ethik ist jedoch in unse­rem System längst außer Kraft gesetzt. Wegen des Schul­den­diens­tes sind Regie­run­gen gezwun­gen, lebens­not­wen­di­ge Sozi­al­auf­wen­dun­gen für die Not leiden­de Bevöl­ke­rung zu strei­chen, derzeit z. B. in Grie­chen­land. Der Schwei­zer UN-Beauf­trag­te Jean Zieg­ler sagt deshalb zu Recht: „Wer an Hunger stirbt, stirbt als Opfer eines Mordes. Und der Mörder trägt einen Namen, er heißt: Verschul­dung.“ Das Recht des Gläu­bi­gers auf Rück­zah­lung hat zumin­dest in den ärms­ten Ländern einen höhe­ren Stel­len­wert als das Recht des Indi­vi­du­ums auf ein Exis­tenz­mi­ni­mum. Mehr noch: es steht über dem Recht auf Leben.
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Wer sich schul­dig fühlt, fühlt sich in beson­de­rem Maße klein.
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Er wird bereit sein, fast alles zu tun, was ihn von dem uner­träg­li­chen Schuld­ge­fühl befreit. Somit wird ihm auch die Geld­bör­se locker sitzen, wenn es um Dienst­leis­tun­gen geht, die vermeint­lich seine Schuld redu­zie­ren. Schuld ist also ein Rohstoff, der bewirt­schaf­tet werden kann. Bewirt­schaf­tet wird etwas, wenn es zur Ware gemacht und als finan­zi­el­le Einnah­me­quel­le genutzt wird. Auch der Begriff „Park­raum­be­wirt­schaf­tung“ ist ja bekannt. Wasser ist heut­zu­ta­ge zur Ware gewor­den, Pflan­zen und Tiere sind es und unter bestimm­ten Umstän­den auch Menschen, zumin­dest ihre Körper. Fußball­stars werden von den Clubs verkauft, Verschmut­zungs­rech­te von Unter­neh­men gehan­delt. Ebenso kann man auch Schuld­ge­füh­le bewirt­schaf­ten, also zu Geld machen. 

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