Die Hoffnung für die Zukunft ist die solidarische Ökonomie – Christoph Köhler

Den unend­li­chen Bedürf­nis­sen des Menschen stehen die begrenz­ten Ressour­cen gegen­über. Das zwingt die Menschen zum Wirt­schaf­ten. Ziel des wirt­schaft­li­chen Handelns ist die opti­ma­le Bedürf­nis­be­frie­di­gung des Menschen. So zumin­dest lauten die Darstel­lun­gen fast aller Lehr­bü­cher der Volks­wirt­schafts­leh­re. Doch was, wenn die Bedürf­nis­se nicht unend­lich sind? Was, wenn die Ressour­cen nicht so knapp sind, wie uns immer erzählt wird?
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Aus der Unend­lich­keit der Bedürf­nis­se und der Knapp­heit der Ressour­cen leiten die Volks­wir­te wie selbst­ver­ständ­lich die ande­ren Grund­axio­me des wirt­schaft­li­chen Handelns her: das ökono­mi­sche Prin­zip, die Vortei­le einer möglichst weit­ge­hen­den Arbeits­tei­lung, die Idee des freien Mark­tes, das Geld­sys­tem. Und genau­so zwangs­läu­fig und alter­na­tiv­los gelangt man zu der Form, wie Wirt­schaft heute orga­ni­siert ist: zur Globa­li­sie­rung, zum Kapi­ta­lis­mus, zum Wachs­tum um jeden Preis. Kolla­te­ral­schä­den, wie eine zuneh­men­de Zerstö­rung unse­rer Lebens­grund­la­gen und die zuneh­men­de Ungleich­ver­tei­lung der Reich­tü­mer, werden mehr oder weni­ger billi­gend in Kauf genom­men, eben, weil das System keine wirk­li­chen markt­ver­träg­li­chen Lösun­gen für all die von ihm verur­sach­ten Proble­me anbietet. – - – 

Zins im Fluss gehalten – - – 

Das alles stützt sich auf das Menschen­bild vom homo oeco­no­mic­us, dem Menschen, der egois­tisch, ratio­nal handelnd und nur auf seinen eige­nen Vorteil bedacht ist. Den Wirt­schafts­wis­sen­schaft­lern ist es kaum wert, die Grund­axio­me ihres Wirt­schafts­mo­dells zu begrün­den. Denn sollte das Menschen­bild des nur auf seinen eige­nen Vorteil bedach­ten Menschen nicht stim­men, soll­ten die mate­ri­el­len Bedürf­nis­se des Menschen nicht unend­lich sein, soll­ten die Ressour­cen nicht derart knapp sein, wie uns die Wirt­schafts­theo­re­ti­ker weis machen wollen, dann würde die nicht zukunfts­fä­hi­ge Wirt­schaft, wie wir sie heute erle­ben, ihrer Grund­la­gen entbeh­ren. All der Aufwand, dieses System entge­gen den Inter­es­sen fast der gesam­ten Mensch­heit künst­lich aufrecht zu erhal­ten, wäre unnötig.
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In den Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten werden Bedürf­nis­se als Wunsch defi­niert, einen empfun­de­nen Mangel zu behe­ben. „Natur­ge­mäß hat jeder Mensch eine unend­li­che Anzahl an verschie­de­nen Bedürf­nis­sen“, behaup­ten volks­wirt­schaft­li­che Lehr­bü­cher. Für jedes gestill­te Bedürf­nis tauche ein neues Bedürf­nis auf, das der Mensch mit seinen begrenz­ten Mitteln zu befrie­di­gen sucht. Die Autoren blei­ben aber eine Begrün­dung dieser Ansicht schuldig.
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Geschickt wird die Grenze zwischen mate­ri­el­len und imma­te­ri­el­len Bedürf­nis­sen verwischt. Klar sind die Bedürf­nis­se nach Aner­ken­nung, nach Frie­den, nach Frei­heit, nach Selbst­ver­wirk­li­chung kaum zu stil­len. Aber über­se­hen wird, dass die sozia­len Bedürf­nis­se, Indi­vi­du­al­be­dürf­nis­se und Bedürf­nis­se nach Ich-Findung und Selbst­ver­wirk­li­chung stark imma­te­ri­el­len Charak­ter haben. Durch Werbung wird uns sugge­riert wir könn­ten unsere imma­te­ri­el­len Bedürf­nis­se durch mate­ri­el­le Güter oder Dienst­leis­tungs­pro­duk­te befrie­di­gen. Es wird uns in der Werbung nicht ein Auto verkauft, sondern Frei­heit, es wird nicht ein Klei­dungs­stück ange­bo­ten, sondern Aner­ken­nung, nicht Versi­che­run­gen werden ange­prie­sen, sondern das Gefühl von Sicher­heit. Wir kaufen Güter und Dienst­leis­tun­gen, um imma­te­ri­el­le Bedürf­nis­se zu befrie­di­gen. Und dies gelingt uns damit nur sehr bedingt und zeit­lich beschränkt. Deshalb brau­chen wir mehr davon, weil uns weiter­hin vorge­gau­kelt wird, durch mehr mate­ri­el­len Konsum eine Bedürf­nis­be­frie­di­gung errei­chen zu können. Sinn­vol­ler wäre jedoch, sich mit dem eigent­li­chen Bedürf­nis ausein­an­der zu setzen, anstatt sich ein Leben lang unter Konsum­dro­gen zu setzen.
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Und noch eins wird uns verschwie­gen. Der empfun­de­ne Mangel ist nicht der tatsäch­li­che Mangel. Wird uns durch Werbung und unser sozia­les, durch Konsum gepräg­tes Umfeld sugge­riert, uns fehle es an mate­ri­el­len Gütern, dann werden Bedürf­nis­se erzeugt, die nicht einem tatsäch­li­chen Mangel entspre­chen. Würden wir umge­kehrt durch Bildung und eine verän­der­te Sozia­li­sa­ti­on dahin­ge­hend geprägt, uns auf das Wesent­li­che zu beschrän­ken, würden unsere Bedürf­nis­se selbst nach wirt­schaft­li­cher Defi­ni­ti­on schnell endlich.
Der Wachs­tums­kri­ti­ker Prof. Dr. Nico Paech vertritt darüber hinaus die Posi­ti­on, dass dem Menschen schlicht­weg die Zeit fehlt, um die mate­ri­ell erwor­be­nen Güter zur Befrie­di­gung seiner Bedürf­nis­se zu verwen­den. Klar, solan­ge die Grund­be­dürf­nis­se nach Essen, Trin­ken, Wohnen, Klei­dung oder die Sicher­heits­be­dürf­nis­se nach Schutz und Wärme nicht erfüllt sind, werden für jedes erfüll­te Bedürf­nis neue mate­ri­el­le Bedürf­nis­se entste­hen. Aber bei Errei­chen eines gewis­sen Wohl­stands führt mehr mate­ri­el­ler Reich­tum nicht zu mehr Zufrie­den­heit. Die mate­ri­el­len Bedürf­nis­se sind – entge­gen der Sicht­wei­se der Ökono­men – endlich, wenn sie nicht von außen getrig­gert werden.
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Die Fokus­sie­rung unse­rer heuti­gen Volks­wirt­schaft auf die vermeint­li­che Bedürf­nis­be­frie­di­gung entspringt einer sehr mecha­nis­ti­schen Sicht­wei­se auf den Menschen. Denn alle ande­ren Aspek­te, die zur Zufrie­den­heit des Menschen beitra­gen, wie Sinn der Arbeit, Empa­thie für den Mitmen­schen, gesun­des Arbeits- und Lebens­um­feld werden aus wirt­schaft­li­chen Über­le­gun­gen voll­kom­men heraus­ge­hal­ten. Das Leben der Menschen wird in atomis­ti­scher Manier in verschie­de­ne Berei­che aufge­glie­dert, für die jeweils eigene Zustän­dig­kei­ten exis­tie­ren sollen: Für die opti­ma­le Bedürf­nis­be­frie­di­gung durch Konsum ist die Wirt­schaft zustän­dig, das Zwischen­mensch­li­che passiert in der Frei­zeit, die Sinn­erfül­lung bleibt bei den Meis­ten ganz auf der Stre­cke. Damit der Mensch sich dieses Mangels nicht bewusst wird, hat er jede Menge Möglich­kei­ten der Ablen­kung und Zerstreu­ung. Der Mensch hat aber nicht nur Bedürf­nis­se als Konsu­ment, sondern auch als Arbei­ten­der und als Mensch, der in eine gesun­de Umwelt und ein sozia­les Mitein­an­der einge­bun­den sein will. Diese Aspek­te des Wohl­stan­des werden von dem wenig ganz­heit­li­chen Ansatz unse­rer Wirt­schaft nicht nur igno­riert, sondern durch seine einsei­ti­ge Ausrich­tung unter­lau­fen und zerstört. Dass Psycho­phar­ma­ka zu den meist verschrie­be­nen Medi­ka­men­ten gehö­ren – Tendenz stei­gend –, dass ein zuneh­men­der Bedarf an Psycho­the­ra­pien, Esote­rik, Well­ness konsu­miert wird, ist Ausdruck der Sinn­ent­lee­rung, die durch die ausschließ­lich auf Konsum ausge­rich­te­te Wirt­schafts­wei­se maßgeb­lich verur­sacht wird.
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Erken­nen wir als Gesell­schaft, dass ein Mehr an Konsum nicht zu mehr Glück beiträgt, dann werden uns die Schrit­te in eine Post­wachs­tums­öko­no­mie, wie sie Prof. Nico Paech vorschlägt, nicht schwer­fal­len. Bewusst konsu­mie­ren, statt auf Quan­ti­tät zu setzen schafft eine Entrüm­pe­lung des Lebens und können als mehr Lebens­qua­li­tät erlebt werden. Damit ist die Basis geschaf­fen, in der das wirt­schaft­li­che Leben auf Suffi­zi­enz, Selbst­ver­sor­gung und Regio­na­li­tät aufge­baut wird. Die Bemes­sung von Wohl­stand mit einer neuen Bezugs­grö­ße Brut­to­na­tio­nal­glück nach dem Vorbild von Bhutan, anstatt der nicht sehr aussa­ge­kräf­ti­gen Bezif­fe­rung des Reich­tums mit dem Brut­to­in­lands­pro­dukt wäre sehr hilf­reich, um einen neuen Blick­win­kel auf die wahre Prospe­ri­tät einer Gesell­schaft zu gewin­nen. Die Idee der Post­wachs­tums­öko­no­mie hat seinen beson­de­ren Charme, weil jeder einzel­ne durch sein eige­nes Verhal­ten schon jetzt zum Beginn des Wandels beitra­gen kann, und man nicht auf eine Verän­de­rung von oben warten muss. Eine zuneh­men­de Ände­rung des Verhal­tens in Sachen Bedürf­nis­be­frie­di­gung würde gleich­zei­tig der heuti­gen Wirt­schafts­wei­se die Grund­la­ge entziehen. 

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