Wogegen ich 2026 nicht mehr kämpfen will
Ein Gruß zum Jahresende
Die Versuchung der Anklage
Seit über zwanzig Jahren schreibe ich über Geldreform. Über Silvio Gesell, über Bodenrecht und darüber, wie eine Wirtschaft aussehen könnte, die nicht auf der systematischen Umverteilung von unten nach oben beruht. In all diesen Jahren habe ich gelernt, was es bedeutet, mit Ideen zu leben, die in der breiten Öffentlichkeit keine Beachtung finden.
Ich kenne das Gefühl, ignoriert zu werden. Ich kenne die Frustration, wenn selbst wohlwollende Journalisten abwinken, sobald sie merken, wohin das Gespräch führt. Ich kenne die Versuchung, daraus eine Geschichte zu machen. „Die da oben wollen nicht, dass diese Ideen gehört werden.” Es gibt Kräfte, die das verhindern.
Und ich habe mich entschieden, diese Geschichte nicht zu erzählen.
Nicht, weil sie ganz falsch wäre. Natürlich gibt es Interessen, die vom Status quo profitieren. Natürlich gibt es Denkverbote, blinde Flecken und Karriererisiken für jene, die bestimmte Fragen stellen. All das existiert. Aber das ist nicht der Grund, warum meine Ideen nicht durchdringen. Der Grund bin ich. Mir ist es noch nicht gelungen, sie so zu formulieren, zu vermitteln und zu veranschaulichen, dass sie sich ausbreiten.
Das ist keine Selbstgeißelung. Es ist eine Befreiung.
Die Macht zurückholen
Wer die Schuld bei anderen sucht, gibt seine Macht ab. Er macht sich von der Hoffnung abhängig, dass sich „die anderen” ändern – die Medien, die Politik, die Eliten. Aber warum sollten sie das tun? Sie funktionieren nach ihrer eigenen Logik. Diese Logik zu beklagen, ist so sinnvoll, wie einem Fluss vorzuwerfen, dass er bergab fließt.
Die interessantere Frage ist: Was kann ich tun? Was können wir hier und jetzt mit den Mitteln, die wir haben, tun?
In alternativen Kreisen beobachte ich oft eine Haltung, die ich zwar verstehen, aber nicht teilen kann: die Identifikation über das Dagegen-Sein. Wir sind alternativ, weil wir gegen den Mainstream sind. Wir sind die Aufgeklärten, weil wir durchschauen, was anderen verborgen bleibt. Wir bilden eine Gegenöffentlichkeit, weil die offizielle Öffentlichkeit versagt.
Diese Haltung hat ihre Berechtigung. Sie hat aber auch ihren Preis.
Der Spiegel
Der Preis ist, dass wir anfangen, eine Art Feindbild zu benötigen. Ohne „die da oben”, ohne „das System”, ohne „den Mainstream” wüssten wir nicht mehr, wer wir sind. Unsere Identität wird reaktiv. Wir definieren uns durch Abgrenzung und verstricken uns damit in genau jene Dynamik, die wir kritisieren.
Denn hier liegt die unbequeme Wahrheit: Alles, was wir kritisieren, ist aus unserer Gesellschaft entstanden. Die Medien, die wir als gleichgeschaltet empfinden, werden von Menschen gemacht, die zur Schule gegangen sind wie wir, die Familien haben wie wir, die morgens aufstehen und versuchen, ihre Arbeit gut zu machen. Die Politiker, die wir verachten, sind keine Invasoren von einem fremden Planeten. Sie sind Ausdruck von etwas, das in uns allen lebt: der Wunsch nach Sicherheit, Anerkennung, Zugehörigkeit und Macht.
Das „System” ist kein Gegenüber. Es ist ein Spiegel.
Vom Kämpfen zum Bauen
Was folgt daraus? Nicht Resignation. Auch nicht die Aufforderung, alles hinzunehmen. Sondern eine Verschiebung des Blicks: weg vom Kampf gegen etwas, hin zum Aufbau von etwas.
Ich bin Herausgeber und Redakteur der „kleinen“ Zeitschrift HUMANE WIRTSCHAFT. Sie beschäftigt sich mit Fragen, die in der ökonomischen Debatte kaum eine Rolle spielen: Wie funktioniert Geld wirklich? Wem gehört der Boden? Wie könnte eine Wirtschaft aussehen, die nicht auf ewigem Wachstum basiert? Wir haben keine große Reichweite. Wir werden nicht zitiert, nicht eingeladen, nicht wahrgenommen.
Und trotzdem: Wir bauen etwas auf. Wir formulieren Ideen, entwickeln Argumente und führen Gespräche. Wir tun das nicht gegen jemanden, sondern für etwas. Dieser Unterschied mag subtil erscheinen, aber er verändert alles.
Wenn ich für etwas arbeite, brauche ich keinen Feind. Ich brauche Klarheit darüber, was ich will. Ich brauche Geduld, denn Veränderung braucht Zeit. Ich brauche Verbündete, keine Gegner. Und ich muss bereit sein, mich selbst zu verändern, wenn ich merke, dass meine Ideen nicht wirken.
Was alternative Medien sein könnten
Alternative Medien erfüllen eine wichtige Funktion. Sie bieten Raum für Stimmen, die anderswo nicht gehört werden. Sie stellen Fragen, die anderswo nicht gestellt werden. Sie halten Möglichkeiten offen, die anderswo verschlossen sind.
Doch diese Funktion erfüllen sie nur, wenn sie mehr sind als ein Negativ des Mainstreams. Wenn sie nicht nur aufzeigen, was falsch läuft, sondern auch alternative Möglichkeiten aufzeigen. Wenn sie nicht nur kritisieren, sondern auch inspirieren.
Die Welt braucht keine weiteren Ankläger. Sie braucht Architekten.
Der Einwand
Ich weiß, dass diese Worte bei manchen auf Widerstand stoßen werden. „Du verharmlost die Machtverhältnisse“, werden einige sagen. „Du spielst dem System in die Hände“, werden andere sagen. „Du bist naiv.“
Vielleicht. Aber ich habe Jahrzehnte damit verbracht, Gegenkräfte zu analysieren, Manipulationen aufzudecken und Strukturen zu kritisieren. Das hat mich müde gemacht. Nicht, weil die Analysen falsch waren, sondern weil sie allein nichts verändern.
Was mich heute antreibt, ist die Frage, was ich mit meiner begrenzten Zeit, Energie und Mitteln aufbauen kann. Nicht, um gegen die Welt, wie sie ist, zu kämpfen, sondern, um einen Beitrag zu der Welt, wie sie sein könnte, zu leisten.
Das ist keine Kapitulation. Es ist eine Entscheidung darüber, wohin meine Kraft fließen soll.
Dank und Ausblick
Kritik ist nicht überflüssig. Sie ist wichtig. Doch Kritik kann nur der Anfang sein, nicht das Ende.
Wir, die wir uns als Alternative verstehen, haben die Wahl: Wollen wir ewige Kritiker bleiben, die das Bestehende anklagen? Oder wollen wir Baumeister werden, die etwas Neues errichten?
Beides ist legitim. Aber nur eines führt weiter.
Ich lade nicht dazu ein, die Gegnerschaft aufzugeben. Ich lade dazu ein, sie zu überwinden. Nicht die anderen, sondern das Umfeld zu verändern, in dem wir alle denken und handeln. Jedem soll die Chance gegeben werden, sich neu zu orientieren – ohne Zwang, ohne Anklage, ohne moralische Überlegenheit.
Dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, diesen Weg seit Jahren mit uns gehen, ist keine Selbstverständlichkeit. Sie halten eine Zeitschrift am Leben, die unbequeme Fragen stellt und Antworten sucht, wo andere längst aufgehört haben zu suchen. Dafür danke ich Ihnen – nicht nur heute, zum Jahresende, sondern für jeden Monat, in dem Sie uns Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Vertrauen schenken.
Das neue Jahr wird nicht einfacher werden als das vergangene. Aber es wird Möglichkeiten bereithalten – für jeden von uns. Die Frage ist nicht, ob sich die Welt verändert. Sie verändert sich ohnehin, in jedem Augenblick. Die Frage ist, ob wir an dieser Veränderung mitwirken wollen – jeder an seinem Ort und mit seinen Mitteln.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen friedvolle Feiertage und ein Jahr 2026, in dem wir gemeinsam weiterbauen: an den Ideen, an den Gesprächen und an der Hoffnung, dass eine humanere Wirtschaft möglich ist.
Ihr Andreas Bangemann



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