Wie reguliert man den Finanzmarkt?
Euroland brennt und die Feuerwehrleute rennen planlos durcheinander.
Spätestens mit Ausbruch der Krise im Jahre 2008 begann die Diskussion um eine strengere Reglementierung des Kapitalmarktes. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, welche politische Macht dieser Markt ausübt.
Und die Politik ist in Ohnmacht erstarrt. Ihre Handlungen sind Reaktionen auf die Aktivitäten der neuen „Machthaber“. Zu Aktion und gezieltem Handeln ist die Politik im Hinblick auf den Finanzmarkt nicht mehr in der Lage. Keiner hat den Überblick. Von strategischem Weitblick wollen wir gar nicht erst reden. Man beschließt Maßnahmen und wartet, ob der Finanzmarkt den politischen Handlungen Vertrauen schenkt.
Geradezu putzig erscheint die Drohung einer Finanztransaktionssteuer in Höhe von sage und schreibe 0,5%. Diese quasi über eine garantiert für keinen Banker schlaflose Nacht in die Preise der Transaktionen einfließende Steuer würde die Tätigkeiten der Börsianer nicht eine Sekunde ins Stocken bringen. Der Kaufmann nimmt die Steuer zur Kenntnis und erhöht den Verkaufspreis. Wo liegt das Problem? Man könnte ja den Finanzakrobaten auch ein paar ihrer „Spielzeuge“ wegnehmen, wie zum Beispiel die besonders dreisten Casinowetten? Oder Sondersteuern auf Bankerboni oder Gewinnen ankündigen. Das mutet dann an, wie die alljährlich zur Reisezeit ausgesprochenen Drohungen gegen die Ölmultis, wenn diese, wie immer vor den Ferien, übermäßig an der Preisschraube drehen.
Nichts als blinder, populistischer Aktionismus. Valium für das Wahlvolk.
Wäre es nicht angebracht, einmal die Ursachen für die Macht des Finanzmarktes zu ergründen? Die Banker und Spekulanten haben doch nicht schon immer ihre heutige Macht gehabt. Wer oder was hat sie ihnen verliehen?
Waren die Politiker der Nachkriegszeit einfach besser und haben die Spekulanten im Griff gehabt? Gab es bessere Gesetze, die nach und nach abgeschafft wurden? Im Zuge der zunehmenden Globalisierung wurde garantiert das eine oder andere Gesetzeskorsett abgelegt, aber langte das für die heute sichtbaren Ungleichgewichte? Jedem Unternehmer steht es frei im Rahmen der Gesetze nach Belieben Produkte und Leistungen zu entwickeln, sie an den Markt zu bringen und damit möglichst viel Geld zu verdienen. Das traf auch zu allen Zeiten und bis heute auf den Finanzmarkt zu. Der in jüngerer Vergangenheit geradezu explodierenden Kreativität hinsichtlich der Erfindung immer komplexerer, in gewisser Weise fraktal zu nennender Werkstücke des Geistes (ich weigere mich Finanzpapiere „Produkte“ zu nennen) muss doch eine enorm motivierende Ursache haben?
Wenn ein namhafter und Vertrauen erweckender Marktteilnehmer ein schönes Bild druckt, auf dem 35,-€ zu sehen sind und dieses für 40,-€ am Kapitalmarkt verkauft, dann mag das „normalen“ Konsumenten befremdlich erscheinen. Am Kapitalmarkt geht es da erst richtig los. Das Bild wird am Markt gelistet. Der Eigentümer sieht ein großes Potential in dem Bild, zumal er einen Freund hat, der prima Farbkopien herstellen kann. Die Nachfrage nach dem Bild treibt den Preis an der Börse in die Höhe. Der Eigentümer des Bildes verkauft an Tausende von Interessenten Kauf- und Verkaufsoptionen des Bildes zu bestimmten Preisen an bestimmten Terminen. Sollte tatsächlich einer dann ein Bild zu bekommen haben, würde er mit seinem Freund telefonieren. Das sind ganz normale Börsengeschäfte, die es in ähnlicher Form schon immer gab.
Nicht ganz so neu mag die Möglichkeit sein, dass ein Dritter eine Versicherung zum Kauf anbietet, die das Bild im Brandfalle versichert. Schließlich könnte die starke Sonne im Hintergrund ja das Bild in Flammen aufgehen lassen. Der Eigentümer des Bildes kauft die Versicherung, genau so, wie die vielen Käufer der Optionen auf das Bild, denn es liegen gute Gewinne in der Luft. Schon treten Marktteilnehmer hinzu, die Wetten anbieten, wonach das Bild durch die Sonne auf jeden Fall verbrannt werden wird. Andere wetten dagegen. Die Preise am Versicherungsmarkt spielen verrückt. Ein Marktteilnehmer lanciert die Meldung, dass die im Bild zu sehende Sonne niemals die Kraft entwickeln könne, dass sie das Bild entzünden kann. Der Versicherungsmarkt beruhigt sich wieder. Neue Versicherungen für die Wettteilnehmer gegen einen möglichen Verlust der Wette werden am Markt platziert…
Das Bild, auf dem 35,-€ zu sehen sind, wurde zum Milliardengeschäft, obwohl das Geld längst für ein Paar Schuhe aus chinesischer Herstellung ausgegeben wurde.
Dieses Treiben wurde weder durch die Veränderung vorher da gewesener Gesetze ermöglicht, noch durch geheime Mächte. Dieses Treiben wurde möglich, weil es möglich ist. Wenn etwas möglich ist und jemand denkt darüber nach, dann geschieht es auch.
Will man an diesem Punkt nicht verzweifelt aufgeben, könnte man noch fragen:
„Wie war es möglich?“
Es war möglich, weil die Geldvermögen in den letzten Jahren geradezu explodiert sind. Das anfänglich so schleichend daher kommende Wachstum einer Exponentialfunktion, wie es uns in der Schule am Beispiel eines Seerosenteiches anschaulich gemacht wurde, entfaltet ein geradezu überwältigende Entwicklung. Doch was geschieht, wenn die Größe, welche der exponentiell wachsenden die Nahrung liefern muss, selbst nicht in der Lage ist exponentiell zu wachsen?
Was, wenn sie den Gesetzen der Natur unterworfen ist, die eine negative Rückkopplung für alle Wachstumsprozesse kennt? Das Geldvermögen schafft sich eine eigene Welt, in der es diese hinderliche Rückkopplung nicht zu geben scheint! In dem Maße, in dem die Realwirtschaft die mit mathematischer Genauigkeit wachsenden Geldvermögen selbst aufgrund eingeschränkter Wachstumsfähigkeit nicht mehr brauchen kann, wandern diese in den Kapitalmarkt. In Zeiten des Wirtschaftswunders und noch einige Zeit danach, brauchte man alles Ersparte, um den Motor der Wirtschaft am Laufen zu halten. Spätestens zu Beginn der achtziger Jahre änderte sich das. Bis zum heutigen Tage sind Geldvermögen und Schulden 6‑mal schneller gewachsen als die Leistung aus der heraus diese Größen bedient werden müssen. Mit der Auseinanderentwicklung der Größen BIP und Geldvermögen ist die Macht des Finanzmarktes unerbittlich gewachsen. Die Macht des Marktes und die Ohnmacht der Politik sind das Produkt einer Entwicklung, die auf einfachen mathematischen Gesetzen beruht. Hört sich banal an, ist aber offenbar so. Niemals war das Volumen dieses Marktes auch nur annähernd vergleichbar groß. Und wo Massen von Geld sind, da ist die Macht.
Zumindest so lange, wie Geld, Zins und Zinseszins die alles bestimmenden Größen in der Wirtschaft sind.
Fazit
Die Ursache der heute spürbaren Auswirkungen der Krise ist auf die Geldvermögens- und Schuldenexplosion zurückzuführen. Diese Explosion wiederum ist das Ergebnis des Zinseszinseffektes. Dass er in einem Bereich seine Wirkung entfalten konnte, der eigentlich von den naturbezogenen physikalischen Gesetzen bestimmt sein müsste, hängt mit der durch Menschen installierten Geldordnung zusammen. Eine Geldordnung, der die negative Rückkopplung fehlt. Jenes der Natur allen Wachstumsprozessen zugrunde liegende Prinzip.
Wir können alle nur erdenklichen und gutgemeinten Ideen für eine Regulierung innerhalb des Systems in Angriff nehmen. Doch wir werden den Kern des Problems nicht in den Griff bekommen, wenn wir die Geldordnung als Ganzes nicht neu konzipieren.
Das ist auch die einzige Chance für die Politik, wieder das Primat über die Finanzmärkte zurückzugewinnen und ihnen eine dienende Rolle zuzuweisen. Ordnungsfragen sind die vornehmsten Aufgaben der Politik.
Wir brauchen eine Geldordnung mit negativer Rückkopplung.
Nachhaltigkeit auf allen wissenschaftlichen Gebieten und vor allem im Hinblick auf Maßnahmen für die Umwelt ist nutzlos in einer Welt, die sich den Gesetzen einer fehlerhaften Geldordnung unterwirft.
Alle Bilder Copyright Martin Bangemann
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