Wider die Kapitalismuskritik von rechts – Werner Onken

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„Der gesun­de Mensch hält die Welt nicht für einen zoolo­gi­schen Garten, wo die Völker, durch bunte Eisen­stä­be vonein­an­der getrennt, in Einzel­haft leben sollen. Die Kugel, die da im weiten Bogen um die Sonne kreist – das ist des Menschen Heimat. […] Der Erde gegen­über sollen alle Menschen gleich­be­rech­tigt sein, ausnahms­los alle Menschen – ohne Unter­schied der Rasse, der Reli­gi­on, der Bildung und der körper­li­chen Verfas­sung. […] Den Schwar­zen, den Roten, den Gelben, den Weißen, allen ohne Ausnah­me gehört die Erde unge­teilt. […] Jeder soll dort hinzie­hen können, wohin ihn sein Wille, sein Herz oder seine Gesund­heit treibt. Wir alle sind Altange­ses­se­ne dieser Erde.“ – - -
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Silvio Gesell (1920) Die Natür­li­che Wirt­schafts­ord­nung durch Frei­land und Frei­geld (1920), in: ders. Gesam­mel­te Werke Band 11, Lütjen­burg 1991, S. 72, 99 und 229
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Seit dem Zusam­men­bruch des kommu­nis­ti­schen Sowjet­im­pe­ri­ums im Herbst 1989 hat die Linke keine über­zeu­gen­de Alter­na­ti­ve zum finanz­markt­ge­trie­be­nen Kapi­ta­lis­mus mehr vorzu­wei­sen. Mit den Hartz IV-Geset­zen einer rot-grünen Bundes­re­gie­rung kapi­tu­lier­te sie voll­ends vor den bestehen­den Macht­struk­tu­ren, die das Recht und die Demo­kra­tie mehr und mehr aushöh­len. Auch nach dem Beginn der Krise auf den inter­na­tio­na­len Finanz­märk­ten (2008) und der Krise des Euro (2011) setzte sich diese schlei­chen­de Erosi­on der Linken fort. Außer­dem haben Rich­tungs­kämp­fe inner­halb der Partei „Die Linke“ den steti­gen Aufstieg der poli­ti­schen Rech­ten begüns­tigt, insbe­son­de­re den Aufstieg der 2013 gegrün­de­ten Partei „Alter­na­ti­ve für Deutsch­land“ (AfD). Deren anfäng­lich euro-kriti­sche Ausrich­tung ging bald in eine offen rechts­extre­mis­ti­sche Ausrich­tung über. Obwohl der rechts­extre­mis­ti­sche Flügel um Björn Höcke die gesam­te Partei auf seine Linie gebracht hat, wird die AfD bislang vom Verfas­sungs­schutz nur erst als rechts­extre­mis­ti­scher Verdachts­fall einge­stuft. Nach den Erfah­run­gen mit dem fehl­ge­schla­ge­nen Versuch eines NPD-Verbots ist aller­dings unge­wiss, ob die AfD als erwie­sen rechts­extre­mis­ti­sche Partei verbo­ten werden könnte – nicht nur, weil sich rund 20 % schwer­lich verbie­ten lassen, sondern auch, weil die Erfol­ge der AfD sympto­ma­ti­sche Folgen sozia­ler Schief­la­gen in west­li­chen Demo­kra­tien sind, die – wenn sie weiter­be­stehen – andere Formen des Rechts­extre­mis­mus hervor­brin­gen werden.
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Gegen­wär­tig wird in den Krei­sen der bürger­li­chen, staats­tra­gen­den Partei­en, in den Wissen­schaf­ten und in der Zivil­ge­sell­schaft viel über mögli­che Ursa­chen des besorg­nis­er­re­gen­den Aufstiegs der AfD disku­tiert. Sowohl die Partei­en der rot-gelb-grünen Regie­rungs­ko­ali­ti­on als auch die Oppo­si­ti­ons­par­tei­en CDU und CSU über­bie­ten sich in Absichts­er­klä­run­gen, die AfD und den Rechts­extre­mis­mus bekämp­fen zu wollen. Aber zugleich lassen sie die extre­me Spal­tung der Gesell­schaft in super­rei­che, reiche, mitt­le­re und ärmere Schich­ten als Nähr­bo­den des Rechts­extre­mis­mus bestehen und verschlie­ßen weiter­hin ihre Augen vor dieser Haupt­ur­sa­che der beängs­ti­gend zuneh­men­den rechts­extre­mis­ti­schen Desori­en­tie­run­gen von immer mehr Menschen. Dabei wäre es seit dem Ende des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Zivi­li­sa­ti­ons­bruchs die Aufga­be aller ‚staats­tra­gen­den‘ Partei­en gewe­sen, diese sozia­le Zerklüf­tung der Gesell­schaft zu über­win­den. Jedoch sind sie alle dieser zentra­len Aufga­be ausge­wi­chen. Statt­des­sen haben sie während der vergan­ge­nen Jahr­zehn­te der neoli­be­ra­len Globa­li­sie­rung des Kapi­ta­lis­mus dem Druck wirt­schaft­li­cher Inter­es­sen nach­ge­ge­ben und zusätz­li­che Türen für eine Dere­gu­lie­rung, Priva­ti­sie­rung und Libe­ra­li­sie­rung geöff­net. Als weite­re Ursa­chen des beson­ders in Ostdeutsch­land zu beob­ach­ten­den Aufstiegs der AfD kamen die von Macht­in­ter­es­sen west­li­cher Konzer­ne gelei­te­te Form der deut­schen Wieder­ver­ei­ni­gung hinzu und ab 2015 in ganz Deutsch­land und in ande­ren euro­päi­schen Ländern die Zuwan­de­rung von geflüch­te­ten Menschen aus außer­eu­ro­päi­schen Kriegs- und Krisengebieten.
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Bislang fehlt in Deutsch­land und Europa nicht nur der poli­ti­sche Wille zu einer selbst­kri­ti­schen Ausein­an­der­set­zung mit der sozia­len Spal­tung der (Welt-)Gesellschaft, sondern es fehlt auch an einer brei­ten Ausein­an­der­set­zung mit rechts­extre­mis­ti­schen Ideo­lo­gien, die über ein bloßes Bekla­gen von deren Paro­len, Verschwö­rungs­phan­ta­sien und Schand­ta­ten hinaus­geht. Europa zudem aus Angst vor einer noch stär­ke­ren Zunah­me des Rechts­extre­mis­mus mit einem sog. Asyl­kom­pro­miss gegen den Rest der Welt abzu­schot­ten (und zugleich Fach­kräf­te aus ande­ren Ländern gezielt anzu­wer­ben) ist jedoch zynisch, so lange es keine ernst­haf­te Bereit­schaft gibt, auf eigene Privi­le­gi­en im inter­na­tio­na­len Handel zu verzich­ten und Grund­la­gen für eine gerech­te Welt­wirt­schafts­ord­nung zu schaffen.
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Solche Versäum­nis­se gibt es nicht nur bei den Partei­en der ‚bürger­li­chen Mitte‘, bei den Wissen­schaf­ten und bei der Zivil­ge­sell­schaft. Auch klei­ne­re sozia­le und ökolo­gi­sche Bewe­gun­gen wie die kapi­ta­lis­mus­kri­ti­sche Geld- und Boden­re­form­be­we­gung mit ihrem Ziel einer „Markt­wirt­schaft ohne Kapi­ta­lis­mus“ müssen wach­sam sein und zur kriti­schen Ausein­an­der­set­zung mit dem Rechts­extre­mis­mus und dessen theo­rie­lo­ser Kapi­ta­lis­mus­kri­tik beitra­gen – nicht zuletzt, weil die Prot­ago­nis­ten einer Kapi­ta­lis­mus­kri­tik von rechts sich in Erman­ge­lung eige­ner fundier­ter Ideen nicht scheu­en, einzel­ne Begrif­fe oder Theo­rie­bau­stei­ne von linken und links­li­be­ra­len sozia­len Bewe­gun­gen zu über­neh­men und sie mit ihren dump­fen völkisch-rassis­ti­schen Ideo­lo­gien zu verschmel­zen. Deshalb soll nach­fol­gend aus der Sicht der Geld- und Boden­re­form­be­we­gung zwei­er­lei gezeigt werden:
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dass ihr Ziel einer „Markt­wirt­schaft ohne Kapi­ta­lis­mus“ zum einen unver­ein­bar ist mit der Kapi­ta­lis­mus­kri­tik von rechts, die bei genaue­rem Hinse­hen gar keine Einsicht in die unge­rech­ten Struk­tu­ren des Kapi­ta­lis­mus hat und die auch keine über den Kapi­ta­lis­mus hinaus­wei­sen­de Zukunfts­per­spek­ti­ve aufzu­wei­sen hat,
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und dass es zum ande­ren ein vorei­li­ger Fehl­schluss von Links­li­be­ra­len und Linken wäre, die Unter­schei­dung von Markt­wirt­schaft und Kapi­ta­lis­mus als falsch zu verwer­fen, weil sie von der Kapi­ta­lis­mus­kri­tik von rechts ober­fläch­lich adap­tiert wird. Diese Unter­schei­dung ist defi­ni­tiv kein origi­nä­res Denk­mus­ter der Kapi­ta­lis­mus­kri­tik von rechts, sondern ein zentra­ler Ausgangs­punkt für einen libe­ra­len und libe­ral­so­zia­lis­ti­schen Ausweg aus dem Kapitalismus.
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Verein­nah­mun­gen von rechts
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Verein­nahmt wurde beispiels­wei­se der Begriff „Der dritte Weg“. Nach 1945 war er zunächst eine Bezeich­nung für gesamt­deut­sche Neutra­li­täts­be­stre­bun­gen. Später stand er für die Vorstel­lun­gen des tsche­cho­slo­wa­ki­schen Refor­mers Ota Šik und des briti­schen Sozi­al­phi­lo­so­phen Antho­ny Giddens und er wurde auch von Geld- und Boden­re­for­mern für ihr Modell einer „Markt­wirt­schaft ohne Kapi­ta­lis­mus“ verwen­det. Diesen Begriff über­nahm die 2014 gegrün­de­te neona­zis­ti­sche Partei „Der III. Weg“ als Partei­na­men. In Anknüp­fun­gen an die „Konser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on“ der 1920er Jahre und an die NS-Ideo­lo­gie will diese Partei dem Kapi­ta­lis­mus und Kommu­nis­mus einen natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren „Deut­schen Sozia­lis­mus“ als drit­ten Weg entge­gen­stel­len. Mögli­cher­wei­se gab sie sich diesen Namen, weil sie mit dem besser zu ihr passen­den „Das Dritte Reich“ nicht hätte öffent­lich in Erschei­nung treten können.
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Ein ande­res Beispiel für solche Über­nah­men und Umdeu­tun­gen von Begrif­fen und Theo­rie­bau­stei­nen ist die Forde­rung des abstru­sen Reichs­bür­ger-nahen „König­reichs Deutsch­land“, eine „Basis­de­mo­kra­tie in Verbin­dung mit einer Räte­re­pu­blik und einem reprä­sen­ta­ti­ven König“ zu schaf­fen. In einem „ersten wirk­li­chen Gemein­wohl­staat“ solle ein „zins- und schul­den­frei­es Geld­we­sen“ einge­führt werden. So werden Basis­de­mo­kra­tie und Räte­re­pu­blik, Kritik am Geld und Zins sowie ein gemein­wohl­ori­en­tier­tes Staats­we­sen in der Hexen­kü­che des Rechts­extre­mis­mus in eine braune Suppe eingerührt.
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