Wenn Kreise Kreise ziehen – Daniela Saleth
Es ist Sonntag, der 27. Juli. Die Wuppertaler Freilichtbühne liegt mit ihrem charmanten Baustellencharakter nach aufregenden vierzehn Tagen unter einem typisch bergischen Regenhimmel wieder ruhig da, während nebenan die „Silvio-Gesell-Tagungsstätte“ noch zu vibrieren scheint von all den Begegnungen, dem Gelächter und der Musik, die sie Tags zuvor beim großen Abschiedsabend durchdrangen. Drum herum schüttelt wie eh und je der Wald fröhlich und unbekümmert seine Blätter, jetzt allerdings auch auf das Mandala-Dach einer kleinen Strohballen-Rotunde und auf eine fast fertige Lehmziegelpresse. Über das Gelände wuseln vereinzelt Menschen im Alter zwischen 7 und über 60 Jahren – teilweise mit Babys auf den Armen –, die noch einmal kräftig mit anpacken: Schilder müssen eingesammelt werden, gerettete Lebensmittel von Foodsharing, die übriggeblieben sind, werden „fairteilt“, die provisorische Duschkabine in Nachbars Garten, wo der Familienzeltplatz während des Sommercamps war, wird abgebaut und letzte Zelte eingepackt. Jeder hilft jedem und steht bei, wo er kann. Von Anfang an beruhten die Planung und Umsetzung des Sommercamps auf dieser Art des gemeinsamen Arbeitens und Anpackens. Von Anfang an war es ein Schiff, das nicht nur einen, sondern viele Kapitäne und Ruderer brauchte. Sei es bei der Erstellung der Workshop-Inhalte, bei der finanziellen Verwirklichung, beim Auf- und Abbau, bei der Gestaltung der gemeinsamen Abende, bei der Beschaffung von Materialien und Essen und besonders bei der tatsächlichen Durchführung des Sommercamps. Das Orga-Team rund um Holger Kreft und Andreas Bangemann setzte von Anfang an auf Schwarmintelligenz und das richtige Maß an Struktur und Freiheit. „Das zu erleben und ein Teil dieser strukturiert und gleichzeitig frei chaotischen, also organischen Lebensform zu sein, hat mein Leben sehr bereichert und trägt dazu bei, dass ich meinen Alltag nun tatsächlich mit neuen Augen, Ohren und neuem Gespür erfahre“, sagt Henry Hovannesjan aus Berlin, einer der vielen Workshop-Anbieter, und fügt hinzu: „Was in mir am meisten ‚nachklingt‘ ist die bedingungslose Bereitschaft zu lernen, zu teilen und gemeinsam zu sein!“
Diese bedingungslose Bereitschaft legten, um nur einige wenige zu nennen, z.B. „Workawayer“ aus England, Litauen, Irland und England an den Tag, darüber hinaus Christoph Vallen mit seinen „Freebirds“, die Foodsaver Wuppertals und der Demeter-Biohof „Örkhof“ aus dem Windrather Tal. „Workaway.info“ ist eine Plattform im Internet, auf der Projekte weltweit nach motivierten Unterstützern suchen, bzw. vice versa interessierte Menschen das für sie richtige Projekt finden können. Was die „Workawayer“ im Gegenzug erhalten, ist kostenlose Verpflegung und Unterkunft und frei vermitteltes praktisches Wissen. Die Workawayer des Sommercamps 2015 konnten am Ende ihrer Zeit in Wuppertal auf eine Vielzahl verrichteter Dinge blicken, seien es die vielen selbst kreierten bunten Schildchen und ein Foodsharing-Banner, ein angelegter Panorama-Zeltplatz mit Blick übers Feld auf das Bergische Land, angelegte Waldwege zur Rotunde oder drei fertige Komposttoiletten. Darüber hinaus brachten sie sich selbst ein, indem Oscar aus England z. B. einen Workshop zum Thema „Democratic Schools“ und Franzi aus Irland Acrobatic Yoga zum Mitmachen anbot.
Christoph Vallen hingegen sorgte mit seinem Engagement für Seelennahrung und wunderbare musikalische und künstlerische Momente. Mit seinen Musiker-Freunden von „Free Like Me“ aus Venezuela und Australien und „Pasaje“ aus Argentinien gelangen intensive Begegnungen unter dem Sternenhimmel, wild tanzend um ein Lagerfeuer und laut im Kreis gemeinsam singend, aber auch still genießend und staunend im Gabriele-Frenking-Saal. Denn Christoph hat es sich unter dem Namen „Freebirds“ zur Berufung gemacht, die richtigen Menschen am richtigen Ort zur richtigen Zeit zusammen zu bringen, um magische Ubuntu-Momente zu kreieren, bei denen „jeder alles gibt, damit am Ende alle alles haben“.
Foodsharing Wuppertal steuerte seinen Teil bei, indem alle zwei bis drei Tage gerettete Lebensmittel aus verschiedenen Supermärkten Wuppertals von den Foodsavern zum Sommercamp gebracht wurden; da gab es Berge an Brot (für den fast schon zum Kult gewordenen Brotsalat, einen Salat aus hauptsächlich würzig gebratenen, großen Brotcroutons), viel Obst, Gemüse und Salat, palettenweise Pudding (den konnten manche am Ende fast schon nicht mehr sehen), Aufstriche, Milch, Sahne und so weiter und so fort. Gekocht wurde mittags allerdings vornehmlich vegan und nur selten zusätzlich vegetarisch. Beim Frühstück und Abendbrot konnte man dann frei wählen und für sich selbst entscheiden, ob man den Pudding oder doch den frischen Obstsalat essen wollte.
Manuel Hartmann, leitender Gärtner am idyllischen Örkhof im Windrather Tal, erlaubte den Sommercampern an einem Tag, bei ihnen auf dem Hof ihr eigenes Obst und Gemüse für den Tag zu ernten und schenkte dazu noch sechs Kilogramm selbst angebautes Bio-Getreide. Das war eine besonders schöne Gabe, da dadurch die gesündere und nachhaltige Alternative zur vorherrschenden Lebensmittelindustrie aufgezeigt werden konnte. Die schwindelerregenden Ausmaße der globalen Wirtschaftsmisere kann Foodsharing nämlich nur als Symtpom und nicht an der Wurzel bekämpfen und ist somit keine Lösung, sondern ein zwar sinnvoller, aber doch auch trauriger Nebeneffekt. Sommercamp-Teilnehmerin und Gesundheitsberaterin Gudrun Bernhardt jedenfalls freute sich sehr über das Geschenk, da sie nun auf Eigeninitiative hin jeden Morgen für die Sommercamper einen Frischkornbrei nach dem Rezept von Dr. Bruker mit keimfähigem Bio-Getreide und frischem Obst zubereiteten konnte.
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