Was uns unterscheidet, bringt uns zusammen – Andreas Bangemann
Barcelona ist wehrhaft gegen Unterdrückung und Vereinnahmung. Unter anderem führt das zu der immer von Neuem gestellten Forderung nach Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien. Die Geschichte des spanischen Anarchosyndikalismus ist mit der katalonischen Hauptstadt verbunden. Gab es zu Zeiten des spanischen Bürgerkriegs noch konkrete Feinde, die es zu bekämpfen galt, so sind es heute eher die bürokratischen und systembedingten Repressalien, denen die Bewohner der Stadt und des Umlands ausgeliefert sind und wogegen sie Widerstand leisten.
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Systemveränderung auf ganz speziellem Gebiet stand im Mittelpunkt des 4. Internationalen Kongresses der Komplementär- und Sozialwährungen von 10. bis 14. Mai 2017. Eine passende Wahl des Veranstaltungsorts, was im Laufe des fünftägigen Kongresses auch an der regen Teilnahme vieler katalanischer Initiativen deutlich wurde. Komplementärwährungs-Aktivisten anderer spanischer Regionen nutzten ebenfalls die Chance, an diesem im Zwei-Jahres-Rhythmus jeweils an wechselnden Orten stattfindenden Tagung teilzuhaben.
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Eine die Menschen einende Idee lässt Ländergrenzen verschwinden. Kein Kontinent, der nicht mit Vortragenden oder Teilnehmern vertreten war. Die Idee, in Währungsfragen Handlungsfähigkeit direkt in die Hände der Bürger zu legen, scheint nicht mehr totzukriegen. Das Selbstbewusstsein all jener ist gewachsen, die zum Teil seit Jahrzehnten erfolgreich Projekte gestalten und neue konzipieren. Die Fülle vorhandener komplementärer Währungen entsprach der Variationsbreite der Kulturen und Lebensumstände der vertretenen Regionen. Die spanische Metropole am Mittelmeer war fünf Tage lang Schmelztiegel vieler kreativer Initiativen und entließ am Ende die Teilnehmer euphorisiert und motiviert in ihr regionales Umfeld in alle Ecken der Welt zurück.
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Den Rahmen setzte Daniel Jover, Lehrer und Sozialunternehmer, mit einem eindrucksvollen Eröffnungsvortrag („Keynote“). Der Humanismus gehöre im philosophischen Sinne „geerdet“ und auf seine Herkunft, den „Humus“ zurückgeführt. Der Nährboden der Menschlichkeit liege im uns alle verbindenden Boden. Im Bewusstsein dieses gemeinsamen Grundes können soziales und solidarisches Wirtschaften neu erdacht werden, denn wahre Transformation gäbe es nur, wenn sich das Soziale verändert. „Wir kommen alleine auf die Welt und sterben alleine, dazwischen liegt die große Hoffnung des Gemeinschaftlichen.“ Wenn es aussichtslos erscheint, das Geldwesen zu reformieren, seien wir verpflichtet, dieser Unmöglichkeit die Machbarkeit entgegenzustellen. Jover erteilte dem Fatalismus unserer Tage eine klare Absage. Das Schwarz-weiß-Denken spaltet die Gesellschaft und im Schlepptau von Extremismus und Populismus stellt sich eine Weltuntergangsstimmung ein, die zu nichts Gutem führe. Den Begriff „Antifatalismus“ setzte er in Bezug zum notwendigen Aufkeimen menschlicher Sehnsucht nach Zusammenwirken. Indem wir uns mit anderen verbinden, entfalteten sich wünschenswerte Wirkungen:
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Eine Beziehung zum Thema Zeit mit der Erfahrung von Ruhe statt Hast.
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Solidarität zu den Mitmenschen
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Die Verbundenheit zum gemeinsamen Planeten, der ein „Weniger ist mehr“ als erstrebenswert erscheinen lässt.
Eine intensivere Beziehung zu unserer Spiritualität, aus der wir Frieden und menschliche Güte schöpfen.
Der Geist, den Daniel Jover den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu Beginn auf die Reise des Kongresses mitgab, war in den Aktivitäten der fünf Tage spürbar. Das thematische Spektrum der unzähligen Initiativen im Hinblick auf Währungsfragen, zum Thema Eigentum oder zur Digitalisierung aller Lebensbereiche war breit gefächert. Überwältigt davon, hätte man glauben können, man sei bei diesem Kongress auf einem fernen Planeten in weiter Zukunft gelandet, auf dem es bereits Dinge gibt, die hier auf der Erde noch undenkbar sind. In Barcelona traten keine Utopisten auf, die von abstrakten Ideen fabulierten, sondern aktive Persönlichkeiten, die längst ihre Visionen zu anschaulichen Projekten verwandelten. Deren Zukunftsperspektive sind – gemäß Daniel Jover – nicht enden wollende Prozesse von Kooperation und Zusammenarbeit, die zu nachhaltiger Transformation von Ökonomie führen und in der Folge menschliche Existenzängste überwinden können.
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