Was sind die richtigen Werte? – Pat Christ
Forschungsprojekt „Demokratisierung von Geld und Kredit“ befindet sich im Endspurt
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Wenn Isabel Feichtner auf die letzten drei Jahre zurückblickt, ist sie zufrieden. Viele neue Erkenntnisse konnten in dem von ihr geleiteten Forschungsprojekt „Demokratisierung von Geld und Kredit“ an der Uni Würzburg gewonnen werden. Natürlich wird es, läuft die Förderphase in einem Jahr aus, noch tausend offene Fragen geben. Aber das ist ja bei Forschungsprojekten immer so. Die Kernfrage, wie Geld demokratisiert werden kann, wird weiterhin wichtig bleiben. In Zeiten der Pandemie gewinnt sie noch einmal an Brisanz.
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Dies deshalb, weil sich das Wohlstandsgefälle durch die Corona-Krise vergrößert. Die Superreichen sollen ihr Vermögen seit Ausbruch der Pandemie um mehr als 50 Prozent gesteigert haben. Doch es gibt auch Gegenbewegungen, sagt Feichtner, die der Frage nach der Demokratisierung von Geld zusammen mit „Chiemgauer“-Initiator Christian Gelleri nachgeht: „In der Pandemie wurden viele Gutscheinsysteme initiiert.“ Kommunen versuchten, durch die Ausgabe von Gutscheinen, die in Restaurants oder Geschäften eingelöst werden können, die lokale Wirtschaft am Laufen zu halten: „Um zu verhindern, dass nur Onlinehändler wie Amazon von der Krise profitieren.“
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Große Fragen müssen wir immer von verschiedenen Seiten in Angriff nehmen. Das betrifft nicht zuletzt die Riesenfrage danach, wie wir Gelder gestalten können, die demokratisch oder zumindest demokratischer sind. Wie komplex das Thema „Geld“ ist, sei ihr in den letzten drei Jahren erst so richtig klargeworden, bekennt Feichtner. „Geld“, das ist beileibe nicht nur ein ökonomisches Thema. Ohne juristische Expertise wären viele der relevantesten Fragen nicht lösbar. So müssen sich Menschen, die eine Komplementärwährung einführen wollen, entscheiden, welche rechtliche Form ihre Initiative haben soll. Soll es ein Verein sein? Oder eine Genossenschaft?
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Die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, statt Geld an die Armen zu verteilen, ein Geldsystem zu schaffen, das Armut besser verhindern kann als unsere gegenwärtige Geldordnung, die Reiche zwangsläufig reicher macht, ruft die Pädagogik auf den Plan. „Geld ist etwas Kompliziertes, es ist eine Blackbox, in die man erst mal hineinschauen muss“, so Feichtner. Bis heute denken die wenigsten Menschen darüber nach, wie es eigentlich sein kann, dass jene, die viel Geld haben, immer mehr Geld bekommen, selbst wenn sie kaum einen Finger krumm machen – weil es Zinsen, Mieten und Renditen gibt. Wie Geld funktioniert, muss mit pädagogischem Geschick erläutert werden.
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Sehr starke Gegenkräfte
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Demokratisches Gelddesign ist nicht zuletzt deshalb eine alles andere als banale Sache, weil sich die Reichen nicht ohne weiteres die Butter vom Brot nehmen lassen werden. Womit wir bei der Psychologie sind: Wie damit umgehen, dass, so Isabel Feichtner, „die Kräfte des Kapitalismus sehr stark“ sind? Für die Juristin bedeutet dies, dass sich Menschen, die ein demokratischeres Geldsystem haben wollen, stärker mit Initiativen vernetzen müssen, in denen das Thema „Demokratie“ ebenfalls eine große Rolle spielt. Sie und Christian Gelleri kooperieren zum Beispiel mit dem Landesverband Sachsen-Anhalt des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
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Denkt man tiefer darüber nach, ist es eine Ungeheuerlichkeit, wie wir unser Geld „designt“ haben: Es kann nicht gutgehen, wenn Geld und damit Macht ständig nach oben verteilt wird. Isabel Feichtner allerdings sieht die Lösung nicht allein in einem „Fließenden Geld“. Nach ihrer Auffassung muss dringend darüber hinausgedacht werden. Auch sie findet es zwar nicht gut, dass Menschen oder Institutionen leistungslos immer mehr Geld bekommen. Aber das dürfe umgekehrt nicht heißen, dass es prinzipiell richtig sei, Geld zu erhalten, wenn „Wert geschöpft“ wird. Für die Juristin wäre es essenziell, einmal grundlegend nach „Werten“ zu fragen.
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Stellt ein Bäcker ein Croissant her und verkauft es am Morgen an einen Menschen, der noch nicht gefrühstückt hat, ist das sicher „wert-voll“. Backt er jeden Tag viel zu viele Croissants, in der Hoffnung, dass heute mehr Menschen als gestern seine Backwaren kaufen, ist das nicht mehr allzu wert-bewusst: Das, was er zu viel gebacken hat, muss er wegschmeißen. Und womit backt er eigentlich? Mit dreifach gedüngtem Eliteweizen oder Bio-Mehl? Wie entlohnt er seine Beschäftigten? Wie geht er als Chef mit ihnen um? Auf Augenhöhe? Oder autokratisch? Mit welcher Energie produziert er? Nutzt er Öko-Strom? Oder bezieht er „schmutzige“ Energie vom billigsten Anbieter?
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Was ist wirklich sinnvoll?
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Beim Wort „Wertschöpfung“ wird noch viel zu viel unter den Teppich gekehrt, findet Isabel Feichtner: „Es stellt sich die Frage, was eigentlich die richtigen Werte sind.“ Das, was in der Realwirtschaft passiert, sei sehr oft ausbeuterisch. In Bezug auf Menschen. Ressourcen. Die Natur. Das Thema „Demokratisierung von Geld“ ist für Feichtner inzwischen nicht mehr losgelöst zu sehen vom Thema „Demokratisierung von Wirtschaft“. Was für die Juraprofessorin allerdings weit über betriebliche Mitbestimmung hinausgeht. Letztlich müsste die eigentliche Frage lauten: Was ist auf Basis eines Wertesystems wirklich sinnvoll? Und nach welchen Maßstäben und Methoden legen wir Werte fest?
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Auch wenn das Forschungsprojekt im Sommer 2022 unter Dach und Fach gebracht sein wird, muss es mit diesen Fragen dringend weitergehen. Was allerdings eine höchst ambitionierte Sache ist. „Um kollektiv herauszufinden, welche Wertschöpfung wirklich sinnvoll ist, müssen wir in einen demokratischen Prozess eintreten“, sagt die Völkerrechtlerin, die sich seit Jahren mit der Ausbeutung von Rohstoffen im Weltraum und in der Tiefsee befasst. Dies wiederum wirft die Frage auf: Sind wir als Gesellschaft in Deutschland überhaupt, sind wir schon oder sind wir noch fähig, in einen solchen, komplizierten Aushandlungsprozess einzusteigen?
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Allein, dass eine Professorin eine so große Sympathie für den Gedanken „Demokratie“ hat, und dass sie diesen Gedanken tatsächlich praktiziert, ist alles andere als gewöhnlich. Hochschulen sind hierarchische Systeme. Ein extremes Hierarchiegefälle existiert vor allem zwischen Lehrstuhlinhabern und Lehrstuhlinhaberinnen sowie allen, die von diesen Personen abhängig sind – Mitarbeiter wie Studierende. „Nirgendwo sonst ist die Hierarchiestruktur zwischen Professor*innen und deren Mitarbeiter*innen so groß wie an deutschen Hochschulen“, heiß es in einem Papier des Bundesvorstands der Juso-Hochschulgruppen. Darin wird die Abschaffung des Lehrstuhlprinzips gefordert.
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Wie wir miteinander umgehen
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Isabel Feichtner packt nicht nur mit dem Thema „Geld“ ein heißes Eisen an. Sie fragt und sie bohrt tiefer. Am Ende stellt sich für sie die Frage, wie wir Menschen miteinander umgehen. Ob wir im Sinne der Demokratie fähig und willens sind, den Dialog zu suchen, um Wege zu finden, wie wir alle in einer nicht-ausbeuterischen Weise zusammenleben können. Oder ob wir weiter auf Ausbeutung, Hierarchie und Konkurrenz setzen wollen. Möge der Überlegene gewinnen. In einer „Law Clinic“ versucht die Professorin, wegzukommen von Hierarchie und Überlegenheit. Hin zum gemeinsamen Nachdenken, Tun und Gestalten mit jungen Menschen, die in Würzburg studieren.
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In der „Law Clinic“ steht das Räderwerk der Hochschule für einen Moment still. Studierende, Lehrende, Praktikerinnen und Praktiker stehen sich nicht gegenüber. Sie sitzen in einem Boot, das mutig ins Offene steuert. Klar ist: Alle wollen weg von jenem Prinzip, das die Maximierung von Gütern und Profiten vorsieht. Alle wollen mehr Nachhaltigkeit. Und mehr Menschenfreundlichkeit. Inwieweit eine „Klimawährung“ zur Lösung der Probleme beitragen könnte, wird aktuell in der „Law Clinic“ auf Augenhöhe diskutiert. Teilnehmen können alle Studentinnen und Studenten unabhängig von der Fachrichtung vom ersten Semester an.
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Ganz egal, wie gut man mit der konkreten Arbeit vom Fleck kommt: „Wenn man die „Law Clinic“ erlebt hat, hat man was gelernt“, betont Isabel Feichtner. Nämlich, dass es gut und wichtig ist, so zusammenzuleben und so zusammenzuarbeiten, wie es zum Beispiel die Commons-Bewegung, mit der Feichtner sympathisiert, vormacht. Schon im Herbst 2019 hatte die Juristin Commonstheoretikerin Silke Helfrich zu einem Workshop eingeladen. Der Hamburger Anwalt Johann Steudle, der zu Fragen des transformativen Wirtschaftsrechts forscht, referierte damals über die Bedeutung des Commoning für das Recht, für Juristinnen und Juristen.
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