Warum es keinen optimalen CO2-Preis gibt – Karl-Martin Hentschelt

…und die Idee vom Zerti­fi­kats­han­del Unsinn ist
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Wenn man vorhat, die Treib­haus­ga­se in zehn Jahren zu halbie­ren, dann ist ein Zerti­fi­kats­han­del oder ein stetig wach­sen­der CO2-Preis eine gute Idee. Das haben viele Ökonom*innen anschei­nend bewiesen.
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Die meis­ten Volkswirt*innen geben dabei dem Zerti­fi­kats­han­del den Vortritt, denn dann bildet sich jeweils der opti­ma­le Preis aus. Jedes Jahr steigt der Preis und die Zahl der Zerti­fi­ka­te nimmt um ein Zehn­tel ab, bis der Preis erreicht ist, bei dem es für die Emit­ten­ten von 50 % der Treib­haus­ga­se billi­ger ist, die Emis­sio­nen einzu­stel­len als weiter­zu­ma­chen. Soweit so gut.
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Die Sache hat aber einen Haken: Niemand weiß, wo dieser Preis liegt. Und deswe­gen halten sich viele mit der Umstel­lung ihrer Produk­ti­on zurück. Sie wollen nicht inves­tie­ren und dann fest­stel­len, dass ihre Konkur­ren­ten mit der alten Tech­no­lo­gie weiter produ­zie­ren und die Zerti­fi­ka­te kaufen. Und was passiert dann?
Dann werden die Zerti­fi­ka­te knapp und der Preis steigt rapide an. Dann legen viele los und der Preis sackt wieder ab. Die Folge: Der Preis schwankt, die Inves­to­ren sind unsi­cher, die Banken finan­zie­ren nicht gerne unsi­che­re Geschäf­te und am Schluss vertrau­en alle darauf, dass die Regie­rung es nicht zum Crash kommen lässt und die Frist verlängert.
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Wegen dieses Dilem­mas schla­gen andere prak­ti­scher denken­de (soge­nann­te hete­ro­do­xe) Ökono­men feste CO2-Preise vor, die nur vorsich­tig auf Grund einer jähr­li­chen Evalua­ti­on etwas nach oben oder unten justiert werden. Der Vorteil: Jede*r weiß unge­fähr, worauf sie oder er sich einlässt. Man kann gut kalku­lie­ren, die Banken berech­nen die Rendi­te und geben Kredi­te. Es läuft alles viel schneller.
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Der Praxis­test dafür war das Ener­gie­ein­spei­se­ge­setz. Nur gab es da zwar keine Preise zu zahlen sondern garan­tier­te Abnah­me­prei­se. Aber im Prin­zip war es das glei­che. Da jede*r das Geschäft auf 20 Jahre sicher berech­nen konnte, inves­tier­te jede*r, die/der Geld hatte, die Banken gaben gerne Kredi­te und der Ausbau der Erneu­er­ba­ren über­traf alle Erwar­tun­gen. Und es gab noch einen Effekt: Da die Risi­ken gering waren, waren auch die Bank­zin­sen gering und die Kalku­la­ti­on knapp – ergo waren die Inves­ti­tio­nen güns­ti­ger, als sie bei unsi­che­ren Zerti­fi­ka­ten gewe­sen wären.
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Ist das also die opti­ma­le Methode?
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Nein – denn die Voraus­set­zung für unsere polit-ökono­mie-theo­re­ti­sche Aufga­be war falsch. Es geht nämlich gar nicht darum, die Emis­sio­nen in 10 Jahren zu halbie­ren. Viel­mehr geht es darum, die Emis­sio­nen so schnell wie möglich auf Null zu brin­gen. Nein – auch das ist nicht korrekt: Es geht darum, das für die Treib­haus­gas­emis­sio­nen so gering wie möglich zu machen – also das Mini­mum des Inte­grals über die rest­li­chen Treib­haus­gas­emis­sio­nen zu finden.
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Ist das nicht dasselbe?
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Nein: Mathe­ma­tisch ist das eine ganz andere Aufga­be. Nun kommt es darauf, in jedem Sektor und in jedem Indus­trie­zweig den opti­ma­len Preis zu gestal­ten. Und der ist in jedem Sektor anders. Am schnells­ten und kosten­güns­tigs­ten geht es nämlich dann, wenn jeder Sektor genau den Preis zahlen muss, so dass es für ihn billi­ger ist umzu­stel­len als weiter zu machen. Denn dann lohnt es sich, so schnell wie irgend möglich umzustellen.
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Dieser Preis ist aber extrem unterschiedlich.
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Für den Ausstieg aus der Stein­koh­le reicht – wie wir dieses Jahr gelernt haben – ein Preis von 27 Euro/Tonne im ETS – dann sind die Grenz­kos­ten erreicht und es wird abgeschaltet.
Für den Ausstieg aus dem fossi­len Auto braucht es nur noch eine Anschub­fi­nan­zie­rung von im Schnitt 10.000 Euro wie in Norwe­gen und ein paar Privi­le­gi­en, schon geht es los. Und wenn 2025 VW 40 Model­le auf den Markt bringt mit 500 km Reich­wei­te mit voller Batte­rie – und diese Autos sind billi­ger als Fossi­le, dann ist das E‑Auto ein Selbst­läu­fer. Der notwen­di­ge CO2-Preis für E‑PKWs sinkt dann auf Null.
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Für die Umstel­lung der Land­wirt­schaft dage­gen schätzt man den CO2-Preis auf über 500 Euro und mehr, selbst dann wird noch jemand Rind­fleisch oder Käse essen und Rinder werden Methan pupsen.
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Noch etwas muss bedacht werden: Wenn der Preis lang­sam ansteigt, dann wartet jede Bran­che darauf, bis der CO2-Preis ihre Grenz­kos­ten erreicht hat. Dann legt sie los. Da wir ja nicht die gesam­te Indus­trie auf einmal ruinie­ren wollen, denn die brau­chen ja einige Jahre zur Umstel­lung, kann der Preis nur lang­sam stei­gen, ohne zu viel Scha­den anzu­rich­ten. Dann können aber die teure­ren Bran­chen wie die Grund­stoff­che­mie und die Produk­ti­on von Kero­sin für Flug­ben­zin erst mal noch 20 Jahre warten, bis sie dran sind. So lange ist es für sie billi­ger, erst mal weiter zu machen.
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Was also ist die Lösung der Gleichung?
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Nun: Der Staat bietet jeder Firma, die so hohe Inves­ti­ti­ons­kos­ten hat, dass der Preis voraus­sicht­lich nach der Umstel­lung höher ist als der Markt­preis, eine Wette über 20 Jahre an. Sie garan­tiert der Firma, dass sie nach der Umstel­lung einen Gewinn von zum Beispiel 5 % macht. Natür­lich klingt das kompli­ziert. Aber all die Daten werden schon heute bei der Steu­er­ab­rech­nung vorgelegt.
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Die Sache wird sogar viel einfa­cher als befürch­tet: Für die meis­ten Berei­che der Verbrauchs­gü­ter­in­dus­trie reicht bereits ein mode­ra­ter CO2-Preis, damit sie umstel­len. Ihre Emis­sio­nen sind sowie­so rela­tiv gering und die Vermei­dungs­kos­ten auch. Die Umstel­lung auf Wind­ener­gie ist schon in den meis­ten Ländern der Welt ein Plus­ge­schäft. Tatsäch­lich zeigt die Analy­se, dass es nur etwa ein Dutzend große Übel­tä­ter gibt, deren Umstel­lung teuer wird (Stahl, Zement, Grund­stoff­che­mie, Herstel­lung synthe­ti­schen E‑Brennstoffe wie E‑Kerosin, E‑Diesel für Flug­zeu­ge und Schif­fe, E‑Methan als Rohstoff für die Chemie, dazu kommt die Sanie­rung der Häuser, der Ausbau der Bahn, die Ober­lei­tung für LKWs auf Auto­bah­nen, die Kompen­sa­ti­on der Rest­emis­sio­nen durch Auffors­tung – ggf. in Russ­land usw.) und dann noch ein paar kleine Bran­chen. Die meis­ten Produk­te wie Kühl­mit­tel, Plas­tik­tü­ten usw. sind sowie­so leicht zu erset­zen. Die Sache ist also über­schau­bar. Die meis­ten stei­gen aufgrund des schnell wach­sen­den CO2-Prei­ses von allei­ne schnell um auf CO2-Neutra­li­tät um.
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Nur die, die ein Problem haben, melden sich. Die Agora Ener­gie­wen­de hat dafür bereits so ein System für die Indus­trie vorge­schla­gen: Sie nennt es CfD – Carbon Contract for Diffe­rence. Es ist eine Wette.
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Beispiel: Die Thys­sen AG will ein Stahl­werk umstel­len auf treib­haus­gas­neu­tra­le Stahl­pro­duk­ti­on mit Wasser­stoff-Reduk­ti­on und Elek­tro­schmel­ze. Die Pläne sind fertig und liegen vor. Thys­sen macht einen Vertrag mit dem Staat. Thys­sen baut das neue emis­si­ons­freie Stahl­werk. Dann bekommt Thys­sen die Diffe­renz zwischen den Produk­ti­ons­kos­ten einschließ­lich der Abschrei­bung und dem aktu­el­len Markt­preis einschließ­lich dem aktu­el­len CO2-Preis plus eine Gewinn­mar­ge, die um so höher ist, je gerin­ger die Inves­ti­ti­ons­kos­ten sind, ersetzt. Wenn aber der Preis pro Tonne in Europa über dem Produk­ti­ons­preis einschließ­lich Abschrei­bung liegt, dann zahlt Thys­sen an den Staat die Diffe­renz zurück. Dann hat Thys­sen die Wette verlo­ren. Aber dafür riskiert der Konzern nicht den Verlust, wenn der Markt­preis nied­rig bleibt.
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Und damit keine Billig­im­por­te ohne CO2-Abgabe das Geschäft stören: Auf alle Impor­te von Stahl, Eisen und Produk­te aus Stahl und Eisen (Autos, Wasch­ma­schi­nen) wird eine Import­ab­ga­be in Höhe des CO2-Prei­ses erho­ben. Das funk­tio­niert wie heute bei der Mehr­wert­steu­er. Für jeden Export wird der CO2-Preis gutge­schrie­ben, so dass das impor­tie­ren­de Land auf den Stahl die heimi­sche CO2-Abgabe erhe­ben kann.
Dazu eine fikti­ve Rech­nung: Eine Tonne Stahl herzu­stel­len koste künf­tig 600 Euro varia­ble Kosten + 100 Euro Abschrei­bung für das Stahl­werk. Der Markt­preis liege bei 500 Euro + 100 Euro CO2-Preis. Also bekommt Thys­sen vom Staat 100 Euro + eine ausge­han­del­te Gewinn­mar­ge pro Tonne dazu.
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Zwei Jahre später bleibt der Produk­ti­ons­preis unver­än­dert und der Markt­preis liegt bei 600 Euro und der CO2-Preis liegt bei 200 Euro. Dann muss Thys­sen für jede Tonne 100 Euro an den Staat zurückzahlen.
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Die Wette läuft über 20 Jahre. Je schnel­ler Thys­sen baut, desto eher ein Gewinn. Je billi­ger Thys­sen baut, desto höher seine Marge.
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Ergeb­nis: Jede Bran­che wird so schnell wie möglich CO2-frei. Der CO2-Preis kann durch den Staat so justiert werden, dass er die Ausga­ben deckt. Also ein Win-Win-Spiel.
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