Technischer Fortschritt, Arbeitsfreisetzung … – Ferdinand Wenzlaff
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Den technischen Fortschritt mit dem Ergebnis der Automatisierung von Produktionsprozessen kann man beobachten und erfahren, etwa als gekündigter Produktionsmitarbeiter. Maschinen und Roboter ersetzen die menschliche Arbeit. Öffentlichkeit, Politik und Wirtschaftswissenschaft erklärt sich so die Arbeitslosigkeit – mit der Folge einer Wirtschaftspolitik, die Ungleichheit und Unterbeschäftigung nicht beheben kann. Noch schwieriger erscheint der Fehlschluss, dass sich auf Basis der Freisetzung von Arbeit durch Fortschritt das Paradies einer Gemeinschaft errichten ließe, in welchem wie im Schlaraffenland sich die Güter selbst produzieren und damit Einkommens- und Verteilungsfragen obsolet werden. Dieser durch Marx bekannte und heute z. B. der Grundeinkommensbewegung zugrundeliegende Trugschluss ist daher fatal, weil er die Massen fehlleitet und Irrglauben zementiert, statt emanzipierende Aufklärungsarbeit zu leisten, die dann auch in funktionsfähige Reformvorschläge münden kann.
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Die Vision vom Schlaraffenland
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In Tradition zentraler Vertreter der klassischen politischen Ökonomie schien auch Marx von der Vorstellung einer konsumseitigen Sättigungstendenz auszugehen. Auch wenn heute die meisten Ökonomen eher von prinzipiell grenzenlosen Bedürfnissen ausgehen, bleibt die These der Sättigung präsent (z. B. Zinn, 2015). Den Sättigungszustand kann man sich so vorstellen: Beim stationären Zustand der Klassiker (z. B. John Stuart Mill) fällt die Profitrate auf null, womit auch der Anreiz zur weiteren Kapitalakkumulation verschwindet. Es stellt sich dann quasi ein Tauschsozialismus ein (wie ihn ja insb. Pierre-Joseph Proudhon anstrebte), in welchem sich Arbeitswerte gegen Arbeitswerte tauschen. Dies entspräche auch der Formel „Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“ (z. B. Gerhard Senft).
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Für Marx funktioniert diese Vision so nicht. Denn für ihn ist das Prinzip Markt bzw. Tauschwert untrennbar vom Prinzip Akkumulation bzw. Profit. In anderen Worten: eine Marktwirtschaft ohne Kapitalismus ist im Marxismus nicht denkbar. Marx schien jedoch optimistisch in anderer Hinsicht: Unterstellt man trotz Sättigungstendenz einen weiterlaufenden technischen Fortschritt, fallen die Grenzkosten gegen null. Mit dieser Konvergenz wäre jeder einzelne irgendwann arbeitsfrei. In diesem Schlaraffenland einer kommunistischen Gesellschaft kann dann ganz auf Markt, Tausch, Leistungsprinzip, Geld usw. verzichtet werden:
„Sowie nämlich die Arbeit naturwüchsig verteilt zu werden anfängt, hat Jeder einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muss es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will – während in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ (Marx, 1969, S. 33)
Wenn auch in diesem berühmten Zitat nicht explizit erkennbar, sollte diese „Regelung der Produktion durch die Gesellschaft“ eben durch den technischen Fortschritt möglich werden. Generell ist unstrittig, dass Marx den Kapitalismus als notwendiges Stadium zur Entfaltung der Produktivkräfte und damit als Basis einer kommunistischen Gesellschaft verstand. Die vage Formel der „Regelung der Produktion durch die Gesellschaft“ ließe sich daher überspitzt übersetzen in „Regelung durch die Maschinen, Computer und Robotoren“. Diese These der Freisetzung von Arbeit durch technischen Fortschritt nutzt auch die Grundeinkommensbewegung. Auf das Grundeinkommen kommen wir abschließend zurück und entwickeln zunächst Argumente gegen die fragliche These, wonach die Erwerbsarbeit angeblich ausgehe.
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Technischer Fortschritt und Arbeitsfreisetzung – Vorüberlegungen
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Zunächst erscheint der unterstellte Zusammenhang der Theoretikerinnen und Theoretiker vom „Ende der Arbeit“ (z. B. Jeremy Rifkin) unüberwindbar: Die Maschinen bzw. Roboter übernehmen Produktionsschritte, sodass die menschliche Arbeit ersetzt und alle ersetzten Arbeitskräfte arbeitslos werden. Ähnlich herrscht ja auch die Vorstellung, Staatsschulden steigen allein durch Staatsausgaben und lassen sich entsprechend ceteris paribus einfach durch Ausgabenkürzungen beherrschen, als ob der Gesamteinkommenskreislauf von Staatsausgaben nicht betroffen wäre (Wenzlaff, 2011). Soweit der einzelwirtschaftliche Blick.
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Volkswirtschaftliches Kreislaufdenken darf jedoch nicht so leicht in die Falle gehen. Technologischer Fortschritt ist Ergebnis des Strebens nach Gewinn bzw. Kostensenkungen. Typischerweise sinkt damit der Anteil am „variablen Kapitel“ (Löhnen) im Vergleich zum „konstanten Kapital“ (Abschreibungen von Maschinen, aber auch die Zinsen für das eingesetzte Kapital). Wie Marx korrekt erkannte, ist ein Produktionsmittel nur „tote Arbeit“ und der Kapitalcharakter hängt dem Produktionsmittel an sich nicht an, sondern konstituiert sich durch eine Verwertungsbeziehung. Ohne diese Verwertungsbeziehung verliert das Produktionsmittel seinen Kapitalcharakter und mit der Zeit auch seinen Wert (dies erkannte deutlich Silvio Gesell).
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Eine Maschine, die in Sektor C als Kapital dient und in diesem Sektor C Arbeit verdrängt, hat den Sektor B als Produkt verlassen – muss also in Sektor B mittels Arbeit produziert werden. Im Sektor B wird eine Produktionsstätte benötigt, die Sektor A herstellt. Sektor A produziert Produktionshallen als Produkt, die dann als Kapital im Sektor B verwertet werden müssen. Wie lang man die Kette auch weiterspinnt, die Maschinen fallen nicht vom Himmel, sondern müssen entwickelt, gebaut und gewartet werden. Automatisierung impliziert zunächst eine Verschiebung der Arbeit, typischerweise von niedrig qualifizierter hin zu hoch qualifizierter Arbeit. Eine jüngste OECD-Studie zeigt ein noch differenzierteres Bild: teilt man die Jobs in drei Qualifikationssegmente, werden die Beschäftigten aus dem mittleren in das hochqualifizierte sowie in das niedrigqualifizierte Segment verdrängt (OECD, 2017). Dies erklärt sich auch dadurch, dass sich bestimmte Dienstleistungen doch schwer automatisieren lassen oder es sich noch nicht rechnet.
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Damit soll aber keinesfalls argumentiert werden, dass der technische Fortschritt nicht arbeitssparend sei. Selbstverständlich ist er das – doch erklärt er deswegen Arbeitslosigkeit?
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Technischer Fortschritt und seine Effekte
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Findet in einer Branche technischer Fortschritt statt, wird sich typischerweise vorgestellt, dass Arbeitskräfte entlassen werden und bei konstant gehaltenen Variablen Produktionsmenge, Löhnen sowie Preisen die Unternehmensgewinne entsprechend ansteigen. Nehmen wir an, es wäre so, dann steigen die Einkommen der Unternehmer, Kapitalisten, Aktionäre. Wie auch immer man sich das genau vorstellt: Irgendwo müssen die Einkommen steigen. Mit diesen Einkommen kann nun aber mehr des Produktes der Branche oder auch einer anderen Branche gekauft werden – damit werden die zunächst freigesetzten Arbeitskräfte wieder in den Kreislauf hereingezogen. Unter Wettbewerbsbedingungen werden die Konkurrenten mit der Technik nachziehen und der Kampf um Marktanteile führt zu Preissenkungen, solange die Mindestrendite erreicht bleibt. Auch kapitalseitig würden die Anleger in die Unternehmen bzw. Branchen mit überdurchschnittlichen Renditen strömen und die Renditen auf das Marktniveau drücken. Insofern kein Monopol besteht, ist es nicht möglich, dass der technische Fortschritt systematisch-langfristige Extra-Einkommen generiert. Extra-Profite bzw. Pionierrenten sind nur temporäre Einkommen, können aber durch Patent- und Schutzrechte verstetigt werden, womit der Marktprozess gestört wird (z. B. Löhr, 2013).
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Unter Wettbewerbsbedingungen sinken also die Kosten der Produkte. Dies bedeutet wiederum, dass alle Konsumenten dieses Produktes einen geringeren Teil Ihres Einkommens für das Produkt aufwenden müssen und somit einen Einkommenszuwachs haben. Mit diesem Einkommenszuwachs kann nun mehr desjenigen Gutes oder mehr von anderen Gütern gekauft werden. In beiden Fällen werden die freigesetzten Arbeitskräfte wieder in den Arbeitsprozess hereingezogen, typischerweise muss die Branche gewechselt und sich dabei umgeschult werden. Systematische Arbeitslosigkeit ist jedoch ein unmögliches Resultat.
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Es gibt auch noch folgende Möglichkeit: Nehmen wir an, dass eine Arbeitskraft aus Branche A den Einkommenszuwachs aufgrund des Produktivitätsfortschritts in Branche B nicht in einen erhöhten Konsum von Produkt a und/oder b umsetzen will, sondern den Konsum konstant hält und stattdessen seine Arbeitszeit senkt. Da sich die Nachfrage nach Produkt a nicht verändert hat, entsteht in Branche A eine Arbeitskraftnachfrage, um die Arbeitszeitsenkung zu kompensieren. Damit wird die freigesetzte Arbeitskraft aus Branche B in die Branche A gezogen. Wie man es auch fasst, der technische Fortschritt setzt bezogen auf den Gesamtkreislauf keine Arbeit frei und kann Arbeitslosigkeit nicht erklären. Um diese Gedankengänge zumindest für zahlenaffine Leser zu illustrieren, sind alle möglichen Effekte des technischen Fortschritts modellhaft auf den folgenden zwei Seiten (siehe blaue Rahmen) durchgespielt.
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Bemerkenswerterweise schwappt der Produktivitätsfortschritt einer Branche immer auch auf die anderen Branchen über, sodass vom Fortschritt in einer einzelnen Branche mittelfristig alle profitieren. Dies geschieht über den relativen Preismechanismus. Denn insofern ich als Arbeitskraft der Branche B auch das Gut a konsumiere, profitiere ich vom Fortschritt in Branche A anhand der fallenden Preise des Gutes a. Falls mir jetzt jemand entgegnen möchte, dass die Preise von Smartphones oder Laptops doch nicht fallen, ist darauf hinzuweisen, dass die steigende Qualität bzw. Leistung der Produkte natürlich gegengerechnet werden muss. Zudem fallen auch stabile nominale Preise real, wenn sich die nominalen Einkommen (z. B. aufgrund von Tarifsteigerungen) erhöhen. Auch der Joker, dass Unternehmen die Gewinne wie auch immer absichern würden, hat ja, wie oben schon angedeutet auch, nichts mit technischem Fortschritt zu tun, sondern adressiert wieder nur Fragen der Schutzrechtregelung und Wettbewerbskontrolle oder auch psychologische Faktoren der Rentenabschöpfung durch Marken. All dies geschieht auch ohne technischen Fortschritt.
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Wie erklärt sich dann die Arbeitslosigkeit?
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Technischer Fortschritt kann also den Konsum erhöhen bzw. dessen Struktur verändern, was dann auch mit sektoralem Wandel sowie einem Wandel der Arbeitswelt einhergehen muss. Ebenso kann inter- oder intrasektoral die Arbeitszeit gesenkt werden.
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Wie erklärt sich aber nun die Arbeitslosigkeit? Bisher haben wir mit dem vereinfachten Modell einer Tauschwirtschaft gearbeitet, in welcher das Say’sche Gesetz gilt und nie weniger verbraucht als produziert werden kann bzw. nie weniger nachgefragt als angeboten werden kann, weil eben das Angebot durch die eigene Nachfrage determiniert ist. Dies war zweckdienlich und völlig legitim, um die ganz unmittelbaren Effekte des technischen Fortschritts zu untersuchen und die These zu widerlegen, dass der technische Fortschritt Arbeitslosigkeit erkläre.
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