Von links nach rechts, von rechts nach links: So stimmt’s. – Jörg Gude

Versuch einer poli­ti­schen Bewegungslehre.
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Die Behaup­tung, die hier aufge­stellt und durch histo­ri­sche Erfah­run­gen und Beispie­le belegt werden soll, lautet: Partei­en und Regie­run­gen müssen ursprüng­lich linke poli­ti­sche Posi­tio­nen räumen und diese einem Reali­täts­test unter­zie­hen, indem die Bewe­gungs­rich­tung poli­tisch nach rechts verläuft, um anschlie­ßend Erfolg zu haben bei einer Neuori­en­tie­rung nach links. Erfolgt keine Pendel­be­we­gung nach links, so kann und wird lang­fris­tig der poli­ti­sche Erfolg ausblei­ben. Umge­kehrt: Wenn eine anfäng­lich linke Posi­ti­on nicht dem Reali­täts­test auf Mach­bar­keit und Anpas­sung nach rechts unter­zo­gen wird, ist oftmals der Macht­ver­lust die Folge.
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Betrach­ten wir die CDU, eine Neugrün­dung einer bürger­li­chen Partei nach dem 2. Welt­krieg, die teil­wei­se an die Tradi­tio­nen der Zentrums­par­tei anknüpf­te. Das berühm­te, unter heuti­gen Mitglie­dern der Partei eher berüch­tig­te Ahle­ner Programm der Partei, ist für seine linke, fast marxis­ti­sche Posi­ti­on der Verstaat­li­chung der Schwer­indus­trie (Kohle und Stahl) bekannt. Unter den Bundes­kanz­lern Adenau­er und Erhard entwi­ckel­te sich die Regie­rungs­po­li­tik der CDU im Sinne einer Läute­rung durch Regie­rungs­ver­ant­wor­tung und Reali­tä­ten nach rechts, bis sie für Erstar­rung und Konser­va­ti­vis­mus stand, für die Erhard das Bild einer formier­ten Gesell­schaft fand, während in den USA unter John F. Kenne­dy eine Libe­ra­li­sie­rung, Moder­ni­sie­rung und Demo­kra­ti­sie­rung einsetz­te. Die CDU verlor die Macht, weil sie es versäum­te, dem Zeit­geist zu folgen und die Gegen­be­we­gung von rechts nach links auszu­lö­sen. Für die Über­win­dung der ersten großen Rezes­si­on bot sie der SPD die Regie­rungs­be­tei­li­gung in einer großen Koali­ti­on an.
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Betrach­ten wir die SPD. Ursprüng­lich eine linke, fast schon marxis­ti­sche Partei, fand sie in der Weima­rer Repu­blik den Weg nach rechts durch die und während der Über­nah­me der Regie­rungs­ver­ant­wor­tung. Links von ihr beweg­ten sich Kommu­nis­ten und die Abspal­tung der USPD. In der Spät­pha­se der Weima­rer Repu­blik wurde sie in den Augen der Wähler zur Stütze eines immer weiter nach rechts und zum Sozi­al­ab­bau neigen­den Systems (Brünning’sche Notver­ord­nun­gen). Die Präsi­dent­schafts­kan­di­da­tur des grei­sen und rech­ten Kandi­da­ten Hinden­burg (gegen Hitler) unter­stütz­te die Sozi­al­de­mo­kra­tie. Die Gegen­be­we­gung nach links blieb aus oder war dem Wähler nicht ersicht­lich. Aus diesem Grunde mach­ten KPD und auch Natio­nal­so­zia­lis­ten der SPD Wähler strei­tig. Ebenso wenig wie die SPD schaff­te es auch die Zentrums­par­tei, wieder nach links auszuweichen.
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Nach dem 2. Welt­krieg begann die SPD wieder weiter links. Der Reali­täts­test war vernich­tend: Mit dem Wahl­kampf­mot­to „Keine Expe­ri­men­te“ gewann Adenau­er für die CDU 1957 die abso­lu­te Mehr­heit in der Bundes­tags­wahl. Mit der großen program­ma­ti­schen Reform der SPD im Godes­ber­ger Programm 1959 wurden marxis­ti­sche Anklän­ge fallen gelas­sen. Die Partei beweg­te sich nach rechts und gewann lang­sam, aber sicher Wähler aus der bürger­li­chen Mitte hinzu. Auch konnte die SPD durch ihre Regie­rungs­be­tei­li­gung in der großen Koali­ti­on ihr Verant­wor­tungs­be­wusst­sein bewei­sen. Mit ihrem Kanz­ler­kan­di­da­ten Willy Brandt zeigte sie deut­lich auf, dass sie bereit und willens war, selbst die Wegstre­cke klar nach links zu gehen. Unsere Bewe­gungs­leh­re findet hier ihre posi­ti­ve Bestätigung.
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Was kam dann? Als Kanz­ler verab­scheu­te Willy Brandt den Reali­täts­test und die Anpas­sung nach rechts. „Die Belast­bar­keit der Wirt­schaft zu testen“, war so ein Satz, der bei den Entschei­dungs­trä­gern der Wirt­schaft nicht so gut ankam. Elf Prozent Lohn­er­hö­hung im Öffent­li­chen Dienst war ein Fakt, der der Wirt­schaft und den Arbeit­ge­bern scha­de­te. Als Kanz­ler ist Brandt dann wohl auf Betrei­ben Wehners und Schmidts zum Rück­tritt gedrängt worden, wahr­schein­lich aus Sorge um die Wirtschaft(spolitik) und nicht wegen der Enttar­nung des DDR-Spions Günther Guil­laume. Willy Brandt hat als Regie­rungs­chef den Reali­täts­check mit einer erfor­der­li­chen Bewe­gung zunächst nach rechts nicht durch­ge­führt, sondern sich ihm verwei­gert. Also so gese­hen, bewahr­hei­tet sich auch hier der Ausgangssatz.
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Sein Nach­fol­ger Helmut Schmidt steht gera­de­zu als Perso­ni­fi­zie­rung für staats­män­ni­schen Realis­mus und unter­zog sich dem Reali­täts­check gera­de­zu bereit­wil­lig. Den Weg später nach Konso­li­die­rung der Macht nach links zu gehen, wollte und vermoch­te er jedoch nicht. „Wer Visio­nen hat, soll zum Arzt gehen“ war ein Schmidt’scher Ausspruch, gerich­tet an den linken Flügel seiner Partei. Die FDP trieb die SPD nach rechts vor sich her, prokla­mier­te mit dem Lamb­s­dorff-Papier eine soge­nann­te „geis­tig-mora­li­sche Wende“ und verhalf der CDU zur Regierungsmacht.
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Die FDP wieder­um, die lange Zeit nicht zu Unrecht als libe­ra­ler Korrek­tur­fak­tor gegen­über CDU oder SPD auftrat, um aus ihrer Sicht Schlim­me­res zu verhin­dern, ging so weit nach rechts, dass sie heute nicht mehr die Kraft und das Perso­nal hat für eine Wende zu einer links­li­be­ra­len Bürger­rechts­par­tei. Ein Ausset­zen aus dem Bundes­tag bei den vorletz­ten Parla­ments­wah­len war die Folge.
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Wir wollen noch einmal zeit­lich zurück­ge­hen und auch Poli­ti­ker und Bewe­gun­gen betrach­ten, die nicht oder nicht unbe­dingt als links einzu­stu­fen sind. Wie steht es mit der NSDAP, dem Namen nach eine auch sozia­lis­ti­sche und Arbei­ter­par­tei? Nach der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Erhe­bung oder völki­schen Revo­lu­ti­on, wie sie von ihren Anhän­gern gese­hen wurde, stand dann die Forde­rung nach einer Links­wen­de, einer Ergän­zung oder Komple­men­tie­rung um eine sozia­le Revo­lu­ti­on im Raum entspre­chend dem ursprüng­li­chen Partei­pro­gramm. Hitler hatte sich dann gegen die Links­wen­de entschie­den und für den Mord an deren Prot­ago­nis­ten (Röhm-Putsch). Die Wirt­schafts- und Aufrüs­tungs­po­li­tik Hitlers ließ dann später nur noch die Entschei­dung offen für Infla­ti­on oder deren Zurück­stau durch Entschei­dung für eine krie­ge­ri­sche Aggres­si­on. Hitler wählte letz­te­re Alternative.
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Schau­en wir zurück auf Bismarck, mitnich­ten ein Linker. Er wirkte repres­siv gegen die Katho­li­sche Kirche im soge­nann­ten Kultur­kampf und mit den Sozia­lis­ten­ge­set­zen gegen die Sozi­al­de­mo­kra­tie. Bis heute Geltung und Aner­ken­nung gefun­den hat er mit der Einfüh­rung der Sozi­al­ver­si­che­rung im Deut­schen Reich, mag er sie auch als Instru­ment gegen die Bestre­bun­gen der Sozi­al­de­mo­kra­tie gedacht und einge­setzt haben. Diese Links­wen­de bleibt neben einer gemä­ßig­ten Außen­po­li­tik in guter geschicht­li­cher Erinnerung.
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Betrach­ten wir Wins­ton Chur­chill, ohne dessen Willens­kraft die Englän­der den 2. Welt­krieg nicht durch­ge­stan­den hätten. 1940 versprach er seinen Bürgern „nichts als Blut, Schweiß und Tränen.“ Die Unter­haus­wah­len vom Juli 1945 gewann jedoch nicht der erfolg­rei­che Kriegs-Premier Chur­chill, sondern der vergleichs­wei­se blasse Clement Attlee von der Labour Party. Die Wähler woll­ten Licht am Ende des Tunnels der Anstren­gun­gen sehen und nicht die Fort­set­zung der im Grunde bereits verlo­re­nen Groß­macht­stel­lung Britan­ni­ens. Chur­chill hatte eine Links­wen­de vermie­den und wurde darum abge­wählt. Für den ange­jahr­ten Chur­chill war dies aber nicht das Ende seiner poli­ti­schen Karrie­re. Laut Wiki­pe­dia erran­gen die Konser­va­ti­ven mit ihm „im Okto­ber 1951 einen knap­pen Wahl­sieg, weil er dies­mal die Wahl­kampf­the­men der Labour Party über­nom­men und den Briten die Fort­füh­rung des staat­li­chen Wohnungs­bau­pro­gramms verspro­chen hatte.“ Reali­täts­test bestan­den. Zuvor einmal erfolg­los ohne Links­wen­de und dann einmal erfolg­reich mit Linkswende.
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Gerhard Schrö­der, der sich selbst gerne als „Genos­se der Bosse“ sah, hat mit der Agenda 2010 und den Hartz-Refor­men bis heute den linken Marken­kern der SPD nach­hal­tig beschä­digt. Der Wähler dankt dies heute mit Wahl­er­geb­nis­sen in der Nähe von unter 20 % in Umfra­gen für die SPD. Da wird es schon schwie­rig, glaub­wür­dig einen eige­nen Kanz­ler­kan­di­da­ten zu posi­tio­nie­ren, um nicht von vorn­her­ein als Bewer­ber um die Juni­or­part­ner­schaft einer GroKo wahr­ge­nom­men zu werden.
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Ande­rer­seits ist die CDU unter Angela Merkel so weit in die Mitte und nach links gerückt, dass auch große Teile der CDU (und CSU) ihre eige­nen Posi­tio­nen aufge­ge­ben oder als unter­mi­niert erach­ten. Das Anse­hen der Kanz­le­rin und der Erfolg der Stra­te­gie der asym­me­tri­schen Mobi­li­sie­rung in den Wahl­kämp­fen ersti­cken eine Rebel­li­on von rechts in den eige­nen Reihen bislang noch im Keim.
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So gese­hen erscheint es schwie­rig für die SPD, in der GroKo jetzt den Reali­täts­test mit einer Bewe­gung nach Mitte-rechts auszu­hal­ten (statt nach links auszu­sche­ren) und für die CDU, den Mitte-links-Kurs beizu­be­hal­ten, um sich Wähler­schich­ten zu erschließen.
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Der Einzug der AfD in Bundes­tag und Land­ta­ge ändert ernst­haft an der Grund­po­si­ti­on nichts. Die CDU tat gut daran, gegen­wär­tig einer Koali­ti­on oder Duldung durch die AfD aus dem Wege zu gehen. Dies dient übri­gens auch der AfD selbst, die erst noch bewei­sen kann und muss, dass sie parla­men­ta­risch arbeits­fä­hig ist und sich nicht selber zerlegt. Mit der Etablie­rung der AfD als Partei, die auch rechts von der CDU wird es rech­ne­risch für die SPD annä­hernd unmög­lich, ein rot-rot-grünes Bünd­nis auch nur rech­ne­risch darstel­len zu können. Davon profi­tiert die CDU, auch wenn sie Wähler am rech­ten Rand verliert.
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Bisher noch kein Wort verlo­ren ist darüber, was links oder rechts als Poli­tik einzu­ord­nen ist. In der ökono­mi­schen Theo­rie der Poli­tik domi­niert das Medi­an­wäh­ler-Modell, das von einer Gauß’schen Normal­ver­tei­lung der Wähler ausgeht. Der Wähler in der Mitte, der Median-Wähler entschei­det die Wahl entspre­chend der Nähe der Partei­en zu seiner eige­nen Posi­ti­on. Im Falle von zwei großen Partei­en wie in den USA oder lange Zeit in Groß­bri­tan­ni­en oder zwei poli­ti­schen Lagern gewinnt die Wahl, wer am nächs­ten sich dem Medi­an­wäh­ler annä­hert. Das Links-Rechts-Schema kann sich orien­tie­ren an der Frage staat­li­cher Eingrif­fe in die Einkom­mens- und Vermö­gens­ver­tei­lung. Wer dazu als Wähler eine eindeu­ti­ge Meinung hat, also poli­tisch mehr an den Rändern der Vertei­lung selber veror­tet ist, ist eher Mitglied einer Partei als jemand, der weni­ger dezi­diert diese Frage betrach­tet. Die List der Demo­kra­tie ist nun die, dass nicht wie zu erwar­ten die leich­ter links oder rechts in dieser Frage Orga­ni­sier­ten nach ihrem Gusto bestim­men, sondern die Partei die Ober­hand gewinnt, die dem oder den Wählern in der Mitte am genehms­ten erscheint.
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Von links nach rechts, von rechts nach links: So stimmt’s. Soll heißen, so ist die Bewe­gungs­rich­tung rich­tig und so kommen Stim­men für die Partei­en zusam­men. Genü­gend zeit­ge­schicht­li­che Evidenz ist zusam­men­ge­tra­gen worden. Was bedeu­tet das für die Partei­en oder Part­ner in der GroKo? Es wäre falsch, früh­zei­tig in die je eigene Denk­rich­tung über­zu­wech­seln, also für die CDU nach rechts und die SPD nach links auszu­sche­ren. Wie in der ersten GroKo 1969 im Wahl­kampf ein lebhaf­ter Disput über die Frage der Aufwer­tung der DM zwischen Finanz­mi­nis­ter Franz-Josef Strauß (CSU; dage­gen) und Wirt­schafts­mi­nis­ter Karl Schil­ler (SPD; dafür) statt­fand, so soll­ten die Koali­ti­ons­part­ner Sach­fra­gen in der Endpha­se der Legis­la­tur­pe­ri­ode kontro­vers beset­zen und sach­lich um die besse­ren Lösun­gen ringen. Vorab müssen die CDU und die SPD sich dem Reali­täts­test stel­len, um dann im späte­ren Wahl­kampf eine vergleichs­wei­se Mitte-links-Posi­ti­on einzu­neh­men, etwa, dass der Markt allei­ne für viele Proble­me und Bedürf­nis­se der Menschen keine abschlie­ßen­de Rege­lung bereitstellt.
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Nach­wort: Die Stim­men­ver­lus­te 2017 für CDU und SPD bei der Bundes­tags­wahl sind darauf zurück­zu­füh­ren, dass diese Partei­en in der Flücht­lings­fra­ge den Reali­täts­test als Bewe­gung hin zu rech­ten Posi­tio­nen verwei­gert haben. Sowohl CDU als auch SPD haben im wirt­schaft­li­chen und sozia­len Bereich so gehan­delt, wie es die hier vorge­stell­te Theo­rie nahe­legt. – - –
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