Strahlkraft des Schönen – Editorial 01/2020

In dieser Ausga­be finden Sie den ersten Teil eines Aufsat­zes von Lars Spuy­br­oek, einem Wissen­schaft­ler nieder­län­di­scher Abstam­mung, der in den USA lehrt.
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Ich habe den Text in einem Buch „wieder­ent­deckt“, das ich 2017 am Bücher­tisch einer Veran­stal­tung in Eind­ho­ven kaufte. Es heißt „Giving And Taking – Anti­do­tes to a cultu­re of greed“. Wenn Sie den Essay lesen, werden manche von Ihnen sich die Frage stel­len, wie er in die HUMANE WIRTSCHAFT hinein­passt. Das ist berech­tigt und deshalb möchte ich ein paar meiner Gedan­ken ausführen:
Die Über­set­zungs­ar­beit brach­te mit sich, dass ich tief in die Gedan­ken­gän­ge des Autors eintauch­te. Ich musste einzel­ne Sätze Dutzen­de Male lesen, um die beste Formu­lie­rung zu finden. Ob mir das im Ergeb­nis gelun­gen ist, über­las­se ich Ihrem Urteil und dem von Exper­ten. Bei mir bleibt eine Unsi­cher­heit. Mein Denken wurde durch diesen über­set­zen­den Schaf­fens­pro­zess berei­chert. Er zwang mich zu einer erneu­ten, tiefer­ge­hen­den Befas­sung mit dem Geschrie­be­nen und vermeint­lich Gemein­ten. Gänz­lich anders wie beim „norma­len“ ersten Lesen üblich. Dieses gewis­sen­haf­te Hinse­hen inten­si­vier­te bei mir die bereits vorhan­de­ne posi­ti­ve Wirkung des Inhalts noch weiter.
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Seit Jahren widme ich mich forschen­den Fragen zum Geld­sys­tem und Eigen­tum, samt deren Zusam­men­hän­ge zu Austausch­pro­zes­sen. Dabei stieß ich auch auf die vielen Arbei­ten zur Gaben­öko­no­mie. Ich ergrün­de­te sie mit Hinga­be, ange­trie­ben von einem Gefühl, das Archäo­lo­gen befal­len könnte, wenn sie an Stät­ten graben, wo sie bedeut­sa­me Funde vermu­ten. Über Marcel Mauss, Marshall Sahlins, George Batail­le, Lewis Hyde bis hin zu Kriti­kern, bzw. „Dekon­struk­ti­vis­ten“, wie Jacques Derri­da erforsch­te ich die Gabe. Letz­te­rer redu­ziert wissen­schaft­lich prag­ma­tisch Geben in einen direk­ten Verbund mit Nehmen, wobei bei ihm nicht klar wird, ob er nicht infra­ge stellt, um dem Ange­zwei­fel­ten noch mehr geis­ti­ge Tiefe ange­dei­hen zu lassen. „Aber der offen­kun­di­ge und sicht­li­che seman­ti­sche Wider­spruch zwischen der Gabe und dem Tausch muss proble­ma­ti­siert werden.“
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Dann begeg­ne­te mir noch Georg Simmel, der in seiner „Philo­so­phie des Geldes“ , das „Super­ad­di­t­um“ des Reich­tums ins Spiel brach­te. Demnach genießt der Reiche Vortei­le, die über den Genuss desje­ni­gen hinaus­ge­hen, was er sich für sein Geld beschaf­fen kann. Den Reichen öffnen sich Türen, die den Armen nicht verschlos­sen blei­ben, weil es ihnen an Geld mangelt, sondern, zumal eine Kraft fehlt, die mit dem Reich­tum einher­geht, wie eine schat­ten­haf­te „Gute Fee“. Gegen dieses sofort als nicht fair erschei­nen­de Phäno­men bildet sich beim Gerech­tig­keits­lie­ben­den unver­züg­lich inne­rer Wider­stand. Auch bei mir. Wer weiß, ob Reiche sich weni­ger an ihrem Geld als viel mehr an den Super­ad­di­ti­ven erfreuen?
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Und in dieser Phase meiner Forschun­gen stieß ich auf Lars Spuy­br­oek. Er ist Archi­tekt und schrieb mir in der Mail, in dem er sein Einver­ständ­nis zur Über­set­zung gab, unter ande­rem den Satz: „Ich denke Ästhe­tik ist die wahre Wissen­schaft vom Wert, nicht Ökono­mie.“ Er zeigt eine Sicht­wei­se auf, und stellt dabei auch histo­ri­sche Verknüp­fun­gen her, die wirt­schaft­li­che Austausch­pro­zes­se in Verbin­dung mit Sachen brin­gen, die auf den ersten Blick nichts mit ökono­mi­schen Trans­ak­tio­nen zu tun haben: mit der Schön­heit, der Anmut und deren Strahl­kraft. Er legt wie ein Bild­hau­er Kontu­ren einer Ökono­mie frei, die einem wie kurze Licht­blit­ze Zukunft verhei­ßen. Und zwar eine, die er verbin­det mit der Vergan­gen­heit und dem Hier und Jetzt. Er entwi­ckelt eine Vorzu­kunft. Er tut das – aus meiner Sicht – auf unwi­der­steh­li­che Weise, sodass man sich instän­dig wünscht: So darf es kommen! Streng­ge­nom­men müsste man bemer­ken „wieder­keh­ren“ , denn gemäß seinen Darle­gun­gen war man schon in Zeiten der alten Römer oder Grie­chen dem Schö­nen zuge­neigt. Es geht nicht um einen vergan­gen­heits­ver­lieb­ten Blick zurück, sondern um Zukunftsgestaltung.
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An dieser Stelle kommen die Geld- und Boden­re­for­men ins Spiel, zu denen Sie, unsere Leser, in dieser Zeit­schrift stets viel Theo­re­ti­sches studie­ren können, aber auch über prak­ti­sche Umset­zun­gen berich­tet wird.
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Marcel Mauss stell­te in seinem Buch „Die Gabe“ im Hinblick auf die Zukunft die Forde­rung auf, es sei „vor allem nötig, ein Mittel zu finden, um die Einkünf­te aus Speku­la­ti­on und Wucher einzu­schrän­ken.“ Darauf konzen­trie­ren wir uns vornehm­lich bei der Arbeit an dieser Zeit­schrift. Um vom Super­ad­di­t­um, das heute ausschließ­lich den Reichen vorbe­hal­ten bleibt, zu einer Welt zu kommen, in der durch­weg alle Betei­lig­ten an der Schön­heit teil­ha­ben, die Austausch­pro­zes­sen inne­woh­nen kann, braucht es einen gang­ba­ren Weg. Dieser beginnt beim Status quo. Ein Geld, das zeit­lich und räum­lich den Dingen ange­passt ist, die man mit ihnen kaufen kann und eine Boden­ord­nung, die Speku­la­ti­on ausschließt, sind refor­me­risch umsetz­bar. Ohne immensen Aufwand. Beides käme einer Befrei­ung gleich, sowohl im Hinblick auf die Zwänge einer kapi­ta­lis­ti­schen Knapp­heits­dik­ta­tur als auch in Bezug auf die den Menschen inne­woh­nen­de Krea­ti­vi­tät und Güte. Wir verei­nen als orga­ni­scher Teil des Univer­sums alle Eigen­schaf­ten in uns. Ich weige­re mich, sie „Gut“ und „Böse“ zu nennen. Worauf ich hinaus­will ist, dass das Erschei­nen mensch­li­cher Verhal­tens­wei­sen maßgeb­lich von den Einflüs­sen des Umfelds, des Milieus abhängt, in dem er lebt, bzw. leben muss. Inso­weit dieses gestalt­bar ist, und im sozia­len Zusam­men­le­ben ist es das, kann es zu Bedin­gun­gen kommen, die dem Entste­hen und Genie­ßen von Schön­heit Raum schaf­fen und dem Zerstö­re­ri­schen die Substanz nehmen, die es zum Gedei­hen braucht. Was aufkei­men kann, ist Schön­heit als Super­ad­di­t­um für alle. 

Das kapi­ta­lis­ti­sche System ist auf Knapp­heit, Kumu­la­ti­on des Reich­tums und Speku­la­ti­on gemünzt. Es erzeugt Gewin­ner und Verlie­rer. Gewon­nen wird auf Kosten der Verlie­rer. Und während am oberen Ende in rätsel­haf­ter Faszi­na­ti­on den Geld­ver­mö­gen­den die roten Teppi­che vor jede Schwel­le gerollt werden, verzwei­felt die Masse in der Bestim­mung der sich neidisch nach mehr Sehnenden.
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Ich glaube ein weite­res Ziel entdeckt zu haben, für das es sich lohnt, die Sporen der Konzep­te für Refor­men von Geld und Boden weiter­hin zu verstreu­en: die Schönheit.
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Herz­lich grüßt Ihr Andre­as Bangemann
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