Spekulanten sind auch nur Menschen
Die Zeter-und-Mordio-Rufe gegen die Spekulanten oder den Finanzmarkt als Ganzes sind laut, aber sinnlos.
Die Geschwätzigkeit medialer Omnipräsenz in Bezug auf die Geschehnisse ist in Wahrheit Sprachlosigkeit. Mit zahllosen Worten und Vorwürfen an Menschen und Einrichtungen, die eigentlich nur ihren Job machen, übertünchen Politik und Medien ihre Ohnmacht. Wir – als die Konsumenten dieser geschwätzigen Sprachlosigkeit – stimmen ein in diese laute Stille.
Zu deren Überwindung müssten wir, vor allem aber die Medien, in die Details des Erkennbaren eintauchen und durch die Analyse der Wirkungsweisen zu neuen Erkenntnissen kommen. Nur auf diesem Wege würden sie – die Medien – und auch wir unsere Sprache wieder finden.
Wer würde sich mit 10,- Euro in der Tasche an einen Pokertisch setzen, wenn er es mit einem Gegner zu tun hat, der mehrere Tausend als Einsatz mitbringt? Das ist in etwa das Verhältnis, in das man das jetzt verabschiedete Rettungspaket von 750 Milliarden Euro zur „Spielmasse“ des Kapitalmarktes setzen muss. An einem einzigen Handelstag werden mehr als 4 Billionen US-Dollar am internationalen Kapitalmarkt umgesetzt. (1.408 Billionen im Jahr 2005 laut OECD-Statistik zitiert von der Bundeszentrale für politische Bildung (PDF-Datei))
Die Spekulanten als Menschen haben sich in den letzten 30 Jahren nicht verändert. Sie haben durch die Technik bessere Werkzeuge für ihre Aktivitäten bekommen, das steht außer Zweifel. Doch ihre Motivation ist immer schon die gleiche: sie möchten möglichst schnell viel Geld verdienen. Während sie es aber vor 30 Jahren noch mit einer harten Konkurrenz um das Anlagekapital zu tun hatten, stellt sich diese Situation heute ganz anders dar. Vor 30 Jahren floss das Ersparte nahezu ganz über Kredite wieder direkt in die reale Wirtschaft. Das war ein durchaus „gesunder“ Vorgang, wenngleich der wesentliche Systemfehler schon von Beginn an da war. Der Finanzmarkt und seine spekulativen Geschäfte glichen Risiken aus, die bei internationalen Geschäften eintraten und organisierten den Handel mit Aktien. Zwar hat sich daran bis heute nichts wesentliches geändert, aber eines ganz entscheidend: die zur Verfügung stehende „Spielmasse“. Laut der oben genannten OECD-Statistik haben sich die von institutionellen Investoren verwalteten Vermögen seit 1980 von 3 Billionen US-Dollar auf 55 Billionen US-Dollar 2005 nahezu verzwanzigfacht (Es handelt sich dabei um die europäischen Billionen und nicht etwa um die „US-Billions“, welche nur Milliarden wären).
Diese Entwicklung steht in keinem Verhältnis zu den gleichzeitig ablaufenden in anderen Bereichen der Wirtschaft.
Wäre das nicht der richtige Einstieg in ein zu untersuchendes Detail?
Der schleichende Verlust des Primats der Politik über den Finanzmarkt geht mit der Zunahme des Kapitals einher, das in ihn hinein geflossen ist. Je mehr Kapital im Finanzmarkt, desto weniger politischer Einfluss. Eine im Grunde einfache Formel. Oder eben nicht, wenn man sie nicht im Blick hat.
Medien und Politik fokussieren auf Vorgänge, die eigentlich nur schleichend gewachsene Symptome sind. Dabei müssen zwangsläufig Lösungsideen herauskommen, wie die derzeit diskutierten:
Anprangern von Gier und Korruption.
Forderung nach Ethik in der Wirtschaft.
Wegsteuern von Gewinnen
Einführung einer Finanztransaktionssteuer
Verbot bestimmter „Finanzmarktprodukte“ usw.
Jeder Punkt davon ist wichtig und muss in Zukunftsplanungen seinen Platz finden. Doch nichts davon – auch nicht alles zusammen – hilft uns hinsichtlich der Ursache der derzeitigen Bedrohungslage.
Dazu müssten drei Fragen beantwortet und die Erkenntnisse daraus umgesetzt werden:
1. Wie kam es zu den immensen Kapitalansammlungen, die explosionsartig den Finanzmarkt innerhalb weniger Jahre so mächtig gemacht haben?
2. Wie führt man die Rolle dieses Finanzmarktes wieder auf ein Maß zurück, das in einem gesunden Verhältnis zur Realwirtschaft steht und die Forderung nach dem Primat der Politik erfüllt?
3. Wie erhält man das Gleichgewicht von realwirtschaftlichen Anforderungen und nach Macht strebenden Finanzmarktakteuren nachhaltig in einem das Gesamtsystem förderlichen Gleichgewicht?
Zur Beantwortung dieser Fragen, braucht es Kategorien des Denkens, welche auch das bestehende System verlassen. Es braucht aber auch den politischen Willen, fundamentale wirtschaftliche Ordnungsprinzipien ganz neu zu gestalten.
Aktuelle Kommentare