Ökonomie und Gottesglaube. – Christian Mayer
„Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will, und stets das Gute schafft.“ Wieviel doch in Mephistos Satz aus Goethes Faust steckt, beweist sich dieser Tage an der Realität. Dieses Wechselspiel – das nicht zuletzt auf Hegel zurückgeht –, dass nämlich das Eine stets das Andere mit sich bringt, hat die Wirtschaftswelt erreicht. Wurde vor dem großen Crash 2008 das Hohelied des freien unabhängigen Marktes geradezu besungen, folgt aus dem damaligen Extrem nun ein anderes, entgegengesetztes. Zumindest mit Blick auf den Sachbüchermarkt. Seit der Zusammenbruch von Lehman Brothers die Finanzwelt und damit die gesamte Weltwirtschaft ins Wanken brachte, explodiert das Angebot an kapitalismuskritischen Büchern förmlich. Zwar erscheint es für den Interessierten als Ding der Unmöglichkeit, hier noch den Überblick über Quantität und Qualität zu behalten, geschweige denn all diese Bücher zu lesen; doch vielleicht muss man das auch gar nicht. Denn so vielfältig wie es scheint, ist das Angebot an unterschiedlicher Literatur gar nicht. Hier wird die ungerechte Vermögensverteilung angeprangert, da die zu wenig reglementierte Finanzwelt. Auch die Moral darf auf vielen Seiten donnernd ihre Stimme erheben. Doch hat man ein paar Bücher zu diesem Thema gelesen, erübrigt sich scheinbar der Kauf weiteren Lesestoffs aus dieser Sparte. Neue Argumente, unbekannte Sichtweise finden sich nur noch schwerlich.
Umso erfrischender ist es dann, wenn man auf Jochen Hörischs Traktat „Man muss dran glauben. Die Theologie der Märkte“ stößt. Hörischs Gedanken sind neu und provozierend zugleich. Mit seiner Behauptung, die ökonomische Aufklärung hinke hinter der theologischen zurück, verlässt er die bekannte vielbefahrene Straße systemkritischer Lektüren und fährt – wenn auch noch in dieselbe Richtung – so doch auf einem ungewöhnlichen Weg dem Ziel entgegen.
Aber ein Vergleich zwischen Theologie und Ökonomie! Passt das? Schließlich geht es der Theologie um Glauben, um nicht beweisbare Dinge, während die Ökonomie mit realen, mit wahren Fakten zu tun hat. Doch gerade hier legt Jochen Hörisch den Finger in die Wunde. – Die Ökonomie hat mehr mit unbewiesenen Glaubensätzen zu tun, als ein erster Blick zeigen mag. Und das geht über die historisch interessante Tatsache hinaus, dass der Marktplatz neben einem Tempel, einer Kirche oder Moschee liegt und dass beide – Theologie und Ökonomie – dasselbe Vokabular verwenden. So lässt sich ohne eine konkrete Situation nicht sagen, ob mit Erlös, Kredit, Schuldner, Obolus und Testament nun Teile einer kirchlichen Predigt oder Ausschnitte einer wirtschaftswissenschaftlichen Vorlesung gemeint sind.
Die scheinbare Beziehung ist aber alles andere als auf einvernehmlicher Gegenseitigkeit gegründet. Ökonomen lassen sich ungern vorwerfen, sie würden fragwürdig-unbewiesene Glaubenssätze predigen, während es Geistlichen unangenehm ist, über Bankgeschäfte und Entschädigungszahlungen Auskunft geben zu müssen. Gerade diese Vehemenz, mit der beide Seiten versuchen sich voneinander zu distanzieren, weckt Interesse.
Gläubigen Menschen fällt es leichter, sich schwere Schicksalsschläge oder Naturkatastrophen zu erklären, – auch wenn die Theodizee-Frage die Sache wieder etwas komplizierter macht. Dennoch: Die Leerstelle zwischen dem eigenen Verstehen und dem eigenen Wissen ist geschlossen. Geschlossen durch Gott, an den man glaubt und dessen Absichten des Menschen unbegreiflich sind. Viel und heftig wurde und wird hier debattiert. Der Kampf atheistischer Gegenbewegungen scheint auf Hochtouren zu laufen. Komisch erscheint es dann, wenn ein Glaube an etwas, dass so unfassbar (ja gar ungreifbar) ist wie Gott, kritiklos hingenommen wird. Oder wo ist die Selbstkritik der Neoklassiker, wenn der freie Markt unleugbar dafür sorgt, dass die Schere zwischen Arm und Reich gewaltiger klafft denn je. „Die unsichtbare Hand des Marktes hat es so gewollt.“ Die Verantwortung wird an eine andere, höhere Instanz abgegeben. Interessant, dass diese Hand gerade unsichtbar, also nicht beobachtbar und damit auch kaum beschreibbar ist … wie Gott.
Hörisch nimmt den Leser an die Hand und führt ihn durch sprachliche, strukturelle und funktionale Parallelen zwischen Theologie und Ökonomie. Teilweise scheltet man sich selbst, warum man denn das Augenscheinliche nicht selbst erkennen konnte: Wenn Unternehmen Insolvenz anmelden und in Konkurs gehen, dann hört das Unternehmen in kurzer Zeit auf zu existieren, es ist quasi ruiniert. Doch am Tage nach der Auflösung ist alles noch da! Das Grundstück, die Maschinen, die Arbeiter. Im Realen hat sich kaum etwas verändert. Auf symbolischer Ebene dafür umso mehr. Hörisch holt seine Leser auf den Boden der Tatsachen zurück und zeigt ihnen, wie sehr doch das Finanzielle – und damit auch das Abstrakte und Symbolische – Einfluss nimmt auf realwirtschaftliche Sphären. Und es ist gerade dieses Finanzielle (ganz konkret das Geld), das nur dadurch funktionieren kann, dass die Menschen daran glauben. Einen Goldstandard gibt es nicht mehr. Geldscheine sind heute aber trotzdem mehr wert als ihnen laut Materialwert zusteht. Das funktioniert nur, weil die Menschen daran glauben, dass dieses Stück Papier die Verwandlung in etwas Praktisches wie Lebens-mittel oder Kleidung vollziehen kann. Auch in Zukunftsfragen ist Geld auf Glauben angewiesen. Die Menschen müssen glauben, dass ihr Guthaben, ihre Lebensversicherungen und ihre Bausparverträge in später Zukunft mehr wert sind als das Papier auf dem sie gedruckt sind. Ohne Gott- bzw. Geldvertrauen würde dieses Spiel nicht funktionieren.
Hörisch mag wie ein Theologe erscheinen, der seinem Fach mehr Bedeutung erstreiten möchte. Doch weder das eine noch das andere trifft zu. Hörisch ist Literatur- und Medienwissenschaftler und tut in diesem Buch das, was er seit Jahren gelernt hat zu tun. Er beschäftigt sich mit dem „Verstehen“ von Medien. Er nimmt also die Wurzel der Dinge in Augen-schein und untersucht, wie sie sich in der Gesellschaft entwickeln, verhalten und verändern. Damit übernimmt Hörisch die Aufgabe, die im Grunde jedem Studenten, jedem Wissenschaftler, ja jedem, dem es um ein grundlegendes Verständnis eines bestimmten Wissensgebietes geht, zukommen müsste. Nämlich sich nicht nur auf tradierte Lehrmeinungen zu verlassen, sondern aktiv selbst etwas zu analysieren, um sich dann durchdacht eine eigene Meinung bilden zu können.
„Man muss dran glauben“ hat jedoch ein Problem. Anstatt sich alltagssprachlich auch dem gemeinen Laien anzubieten, versperrt es dem Nichtwissenschaftler etwas den Zugang. Von universitärer Warte aus betrachtet mag es richtig sein, da sprachlich genauer definiert, wenn von kognitiver Dissonanz und Transsubstanation gesprochen wird. Doch hätte es das Buch auch verkraftet, wenn es um eine geistige oder innere Spannung und um eine Wesensverwandlung bei der christlichen Kommunion ginge.
Dennoch: Das Werk von Jochen Hörisch ist und bleibt ein lesenswertes Buch. Mit etwas gutem Willen, sich auch durch sprachlich anspruchsvolle Passagen zu arbeiten, hat es viel Neu-es zu erzählen. Am Ende der Lektüre steht die faszinierende Erkenntnis, eine neue und zugleich genauere Beschreibung kennengelernt zu haben, wie wir Menschen versuchen Dinge zu erklären… Unsere Sprache ist hier – wie Hörisch scharfsinnig feststellt – sehr genau. So hat die Volkswirtschaftslehre mehr mit Glauben, mit einer Lehre zu tun hat, als wir für möglich erachtet hätten.
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