Menschenrechte in „Aldi Süd“ – Pat Christ
Vor zehn Jahren sorgte Hörsaal-Sponsoring für Aufsehen. Heute ist das ganz normal. – - –
Das Licht flackerte, die drehbaren Stühle waren ausgeleiert, die Tische zerkratzt – der Hörsaal Z09 der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt musste vor zehn Jahren dringend renoviert werden. Der Discounter Aldi Süd ermöglichte dies durch eine fünfstellige Spende. Darum heißt der Hörsaal seit dem Wintersemester 2006/2007 auch offiziell „Aldi Süd“. Seinerzeit war die Aufregung um diesen Schritt groß. Heute ist es selbstverständlich, zur Vorlesung in „Aldi Süd“ zu gehen.
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Anfang Oktober 2006 entdeckte Studentin Janina die Umbenennung ihres Hörsaals. Sie lehnte die Maßnahme komplett ab: „Ich will kein Bild vom Unternehmen Aldi im Kopf haben, wenn ich in den Hörsaal gehe.“ Überhaupt, was habe das Unternehmen mit dem Inhalt ihrer Lehrveranstaltungen zu tun? Zwar dürfte ein Unternehmer nach ihrer Ansicht Geld für Sanierungsarbeiten zur Verfügung stellen: „Aber warum genügt als Dank nicht eine kleine Tafel irgendwo im Saal?“ Tom, ihr Kommilitone, ärgerte sich ebenfalls. Auf die Frage, wohin er nach dem Mensaessen gehe, wolle er künftig nicht antworten müssen: „In Aldi-Süd.“
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Gegen eine Spende des Unternehmens hätte auch Tom nichts gehabt. Dass der Discounter aber offenbar auf die Umbenennung des Hörsaals gepocht hatte, störte ihn gewaltig: „Traurig ist, dass die FH da mitgeht“, meinte er. Ähnlich äußerte sich seine Kommilitonin Corinna. Durch die neue Namensgebung würde die Assoziation „billig“ geweckt, fand sie.
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Dass ausgerechnet Aldi den ersten Firmenhörsaal der Würzburger Fachhochschule taufte, kam nicht von ungefähr. Schon lange kooperiert das Unternehmen mit der Hochschule, erklärte der damalige FH-Präsident Heribert Weber der Presse. So war Aldi Süd vor zehn Jahren der größte Anzeigenkunde des zu jener Zeit noch in Papierform veröffentlichten Studienführers.
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Viel zu wenig Staatsmittel
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Der seit langem marode Haupthörsaal der Fachhochschule hätte ohne den Discounter als Sponsor nicht erneuert werden können, da staatliche Sanierungsmittel bei weitem nicht ausreichten, machte Weber damals klar. Der Sponsorenvertrag bescherte der Fachhochschule über fünf Jahre hinweg eine insgesamt fünfstellige Summe. Im Übrigen halte er Aldi für einen „sinnvollen“ Sponsor, so Weber. Verträge mit Beate Uhse hätte er hingegen nicht unterschrieben. Auch politische Institutionen, Kirchen und Religionsgemeinschaften wären als Sponsoren nicht in Frage gekommen, da „wir zur Neutralität verpflichtet sind“.
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Axel Polossek, Geschäftsführer von Aldi Süd in Helmstadt (Kreis Würzburg), betonte damals bei der offiziellen Präsentation des Sponsorings, dass das Unternehmen kein Interesse daran habe, die Studiengänge an der FH zu beeinflussen. Der Sponsorenvertrag hätte für die Fachhochschule darum definitiv „keine inhaltliche Abhängigkeit“ zur Folge. Die Firma wolle „bei den Studenten lediglich das Image von Aldi Süd als Arbeitgeber aufpolieren“.
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Auf der Jagd nach Führungskräften
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Dieses Image sei zu Unrecht negativ, bestätigte damals Professor Ulrich Müller-Steinfahrt, Initiator des Sponsorings. Durch vierwöchige Praktika bei Aldi sollten die Studenten hinter die Kulissen des Unternehmens blicken und Vorurteile abbauen können. Dadurch will sich Aldi Süd bei der Jagd auf potenzielle Führungskräfte unter den FH-Absolventen gegen die bislang für Studenten weit attraktiveren Arbeitgeber Industrie, Banken und Versicherungen durchsetzen.
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Auf massive Kritik stieß die Kooperation seinerzeit bei der damaligen Grünen Landtagsabgeordneten Simone Tolle. Sie hatte einst selbst im Hörsaal Z09 studiert. „Ordentliche Rahmenbedingungen sind in Zukunft offenbar davon abhängig, ob es den Universitäten und Fachhochschulen gelingt, Sponsoren zu finden, die die Aufgaben des Staates übernehmen“, kommentierte sie.
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Inzwischen ist es in Würzburg vollkommen normal geworden, dass interne oder externe Veranstaltungen im „Hörsaal Aldi Süd“ stattfinden. So begrüßte der jetzige Präsident Robert Grebner zu Beginn des vergangenen Wintersemesters die Studierenden aus den einzelnen Fakultäten im Aldi-Süd- und im Sparkassen-Hörsaal. Die Würzburger Menschenrechtswoche fand Ende 2016 ebenfalls im „Aldi-Hörsaal“ statt. Auch zum „Gerontologischen Abendkolleg“ strömte das Publikum in diesen Saal hinein.
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Siebter Hörsaal-Sponsor
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Sponsoren wurden inzwischen auch für andere Hörsäle der Fachhochschule an den Standorten Würzburg und Schweinfurt gefunden. So benannte man die Aula am Standort Schweinfurt in „Warema Renkhoff Aula“ um. Anlässlich der Umbenennung informierte die Hochschule in einer Pressemitteilung, dass dies nun die siebte Hörsaal-Sponsoring-Maßnahme gewesen sein. Zu den weiteren Sponsoren zählen am Standort Würzburg inzwischen neben Aldi Süd die Sparkasse und Salt Solutions, am Standort Schweinfurt wurden Hörsäle in Fresenius Medical Care, Else-Kröner sowie Leonie umbenannt.
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Laut Hochschulwatch stammen mittlerweile über 30 Prozent aller von der Würzburger Fachhochschule eingeworbenen Drittmittel in Höhe von insgesamt 2,7 Millionen Euro von der Wirtschaft (letzter Stand 2013). Das ist nicht einmal sonderlich viel. Noch aktiver ist zum Beispiel die Hochschule in Konstanz. Sie schaffte es 2013, fast 1,7 Millionen Euro von der Wirtschaft einzuwerben. Das waren 54 Prozent aller Drittmittel. Zum Vergleich: Die Uni Wuppertal brachte es 2013 auf nur 18 Prozent. Hier gibt es auch (noch) keine gesponserten Hörsäle. Allerdings wird durchaus mit der Wirtschaft kooperiert. Zum Beispiel in Form mehrerer Stiftungsprofessuren.
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Die Volkswagen-Stiftung ermöglichte es beispielsweise 2007, eine Professur für Mathematische und Theoretische Physik einzurichten. Angehende Gesundheitsökonomen werden seitdem von Spezialisten ausgebildet, deren Professuren Akteuren auf dem Gesundheitsmarkt wie dem Helios Klinikum oder dem Sana Klinikum zu verdanken sind. Insgesamt sieben gesundheitsökonomische Professuren wurden inzwischen von Wirtschaftsunternehmen gestiftet.
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Weitere Aldi-Hörsäle
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Aldi wiederum beließ es keineswegs beim Hörsaal-Sponsoring in Würzburg. Im April 2016 wurde der Hörsaal 104 in Gebäude 16 der Hochschule Reutlingen offiziell als „Hörsaal Aldi Süd“ präsentiert. Für eine praxisorientierte Hochschule sei die Zusammenarbeit mit Partnern aus Industrie und Wirtschaft von großer Bedeutung, hieß es bei der Vorstellung der Kooperation. Dazu gehöre auch Hörsaalsponsoring, da dies Unternehmen ermögliche, „das Interesse der Studierenden zu wecken und gleichzeitig zur Förderung der Hochschule beizutragen“.
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An den Hochschulen in Düsseldorf und Kempten gibt es ebenfalls jeweils einen „Hörsaal Aldi Süd“. Kempten hat es geschafft, sich inzwischen 34 Hörsäle sponsern zu lassen. „Hörsaalsponsoring sichert Ihnen eine permanente Präsenz auf dem Campus“, heißt es dazu vom Kemptener „Career Service“. Wie endgültig der Tabubruch ist, zeigt die Werbung der Technischen Hochschule Nürnberg. Hörsaalsponsoring gilt als „Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung“: „Dadurch kann Ihr Unternehmen einen Imagegewinn verzeichnen.“ Unter eben diesem Vorzeichen wird jedes neue Hörsaalsponsoring der Presse präsentiert. Elf Sponsoren sind inzwischen gefunden. …
Das Licht flackerte, die drehbaren Stühle waren ausgeleiert, die Tische zerkratzt – der Hörsaal Z09 der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt musste vor zehn Jahren dringend renoviert werden. Der Discounter Aldi Süd ermöglichte dies durch eine fünfstellige Spende. Darum heißt der Hörsaal seit dem Wintersemester 2006/2007 auch offiziell „Aldi Süd“. Seinerzeit war die Aufregung um diesen Schritt groß. Heute ist es selbstverständlich, zur Vorlesung in „Aldi Süd“ zu gehen.
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Anfang Oktober 2006 entdeckte Studentin Janina die Umbenennung ihres Hörsaals. Sie lehnte die Maßnahme komplett ab: „Ich will kein Bild vom Unternehmen Aldi im Kopf haben, wenn ich in den Hörsaal gehe.“ Überhaupt, was habe das Unternehmen mit dem Inhalt ihrer Lehrveranstaltungen zu tun? Zwar dürfte ein Unternehmer nach ihrer Ansicht Geld für Sanierungsarbeiten zur Verfügung stellen: „Aber warum genügt als Dank nicht eine kleine Tafel irgendwo im Saal?“ Tom, ihr Kommilitone, ärgerte sich ebenfalls. Auf die Frage, wohin er nach dem Mensaessen gehe, wolle er künftig nicht antworten müssen: „In Aldi-Süd.“
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Gegen eine Spende des Unternehmens hätte auch Tom nichts gehabt. Dass der Discounter aber offenbar auf die Umbenennung des Hörsaals gepocht hatte, störte ihn gewaltig: „Traurig ist, dass die FH da mitgeht“, meinte er. Ähnlich äußerte sich seine Kommilitonin Corinna. Durch die neue Namensgebung würde die Assoziation „billig“ geweckt, fand sie.
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Dass ausgerechnet Aldi den ersten Firmenhörsaal der Würzburger Fachhochschule taufte, kam nicht von ungefähr. Schon lange kooperiert das Unternehmen mit der Hochschule, erklärte der damalige FH-Präsident Heribert Weber der Presse. So war Aldi Süd vor zehn Jahren der größte Anzeigenkunde des zu jener Zeit noch in Papierform veröffentlichten Studienführers.
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Viel zu wenig Staatsmittel
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Der seit langem marode Haupthörsaal der Fachhochschule hätte ohne den Discounter als Sponsor nicht erneuert werden können, da staatliche Sanierungsmittel bei weitem nicht ausreichten, machte Weber damals klar. Der Sponsorenvertrag bescherte der Fachhochschule über fünf Jahre hinweg eine insgesamt fünfstellige Summe. Im Übrigen halte er Aldi für einen „sinnvollen“ Sponsor, so Weber. Verträge mit Beate Uhse hätte er hingegen nicht unterschrieben. Auch politische Institutionen, Kirchen und Religionsgemeinschaften wären als Sponsoren nicht in Frage gekommen, da „wir zur Neutralität verpflichtet sind“.
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Axel Polossek, Geschäftsführer von Aldi Süd in Helmstadt (Kreis Würzburg), betonte damals bei der offiziellen Präsentation des Sponsorings, dass das Unternehmen kein Interesse daran habe, die Studiengänge an der FH zu beeinflussen. Der Sponsorenvertrag hätte für die Fachhochschule darum definitiv „keine inhaltliche Abhängigkeit“ zur Folge. Die Firma wolle „bei den Studenten lediglich das Image von Aldi Süd als Arbeitgeber aufpolieren“.
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Auf der Jagd nach Führungskräften
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Dieses Image sei zu Unrecht negativ, bestätigte damals Professor Ulrich Müller-Steinfahrt, Initiator des Sponsorings. Durch vierwöchige Praktika bei Aldi sollten die Studenten hinter die Kulissen des Unternehmens blicken und Vorurteile abbauen können. Dadurch will sich Aldi Süd bei der Jagd auf potenzielle Führungskräfte unter den FH-Absolventen gegen die bislang für Studenten weit attraktiveren Arbeitgeber Industrie, Banken und Versicherungen durchsetzen.
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Auf massive Kritik stieß die Kooperation seinerzeit bei der damaligen Grünen Landtagsabgeordneten Simone Tolle. Sie hatte einst selbst im Hörsaal Z09 studiert. „Ordentliche Rahmenbedingungen sind in Zukunft offenbar davon abhängig, ob es den Universitäten und Fachhochschulen gelingt, Sponsoren zu finden, die die Aufgaben des Staates übernehmen“, kommentierte sie.
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Inzwischen ist es in Würzburg vollkommen normal geworden, dass interne oder externe Veranstaltungen im „Hörsaal Aldi Süd“ stattfinden. So begrüßte der jetzige Präsident Robert Grebner zu Beginn des vergangenen Wintersemesters die Studierenden aus den einzelnen Fakultäten im Aldi-Süd- und im Sparkassen-Hörsaal. Die Würzburger Menschenrechtswoche fand Ende 2016 ebenfalls im „Aldi-Hörsaal“ statt. Auch zum „Gerontologischen Abendkolleg“ strömte das Publikum in diesen Saal hinein.
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Siebter Hörsaal-Sponsor
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Sponsoren wurden inzwischen auch für andere Hörsäle der Fachhochschule an den Standorten Würzburg und Schweinfurt gefunden. So benannte man die Aula am Standort Schweinfurt in „Warema Renkhoff Aula“ um. Anlässlich der Umbenennung informierte die Hochschule in einer Pressemitteilung, dass dies nun die siebte Hörsaal-Sponsoring-Maßnahme gewesen sein. Zu den weiteren Sponsoren zählen am Standort Würzburg inzwischen neben Aldi Süd die Sparkasse und Salt Solutions, am Standort Schweinfurt wurden Hörsäle in Fresenius Medical Care, Else-Kröner sowie Leonie umbenannt.
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Laut Hochschulwatch stammen mittlerweile über 30 Prozent aller von der Würzburger Fachhochschule eingeworbenen Drittmittel in Höhe von insgesamt 2,7 Millionen Euro von der Wirtschaft (letzter Stand 2013). Das ist nicht einmal sonderlich viel. Noch aktiver ist zum Beispiel die Hochschule in Konstanz. Sie schaffte es 2013, fast 1,7 Millionen Euro von der Wirtschaft einzuwerben. Das waren 54 Prozent aller Drittmittel. Zum Vergleich: Die Uni Wuppertal brachte es 2013 auf nur 18 Prozent. Hier gibt es auch (noch) keine gesponserten Hörsäle. Allerdings wird durchaus mit der Wirtschaft kooperiert. Zum Beispiel in Form mehrerer Stiftungsprofessuren.
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Die Volkswagen-Stiftung ermöglichte es beispielsweise 2007, eine Professur für Mathematische und Theoretische Physik einzurichten. Angehende Gesundheitsökonomen werden seitdem von Spezialisten ausgebildet, deren Professuren Akteuren auf dem Gesundheitsmarkt wie dem Helios Klinikum oder dem Sana Klinikum zu verdanken sind. Insgesamt sieben gesundheitsökonomische Professuren wurden inzwischen von Wirtschaftsunternehmen gestiftet.
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Weitere Aldi-Hörsäle
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Aldi wiederum beließ es keineswegs beim Hörsaal-Sponsoring in Würzburg. Im April 2016 wurde der Hörsaal 104 in Gebäude 16 der Hochschule Reutlingen offiziell als „Hörsaal Aldi Süd“ präsentiert. Für eine praxisorientierte Hochschule sei die Zusammenarbeit mit Partnern aus Industrie und Wirtschaft von großer Bedeutung, hieß es bei der Vorstellung der Kooperation. Dazu gehöre auch Hörsaalsponsoring, da dies Unternehmen ermögliche, „das Interesse der Studierenden zu wecken und gleichzeitig zur Förderung der Hochschule beizutragen“.
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An den Hochschulen in Düsseldorf und Kempten gibt es ebenfalls jeweils einen „Hörsaal Aldi Süd“. Kempten hat es geschafft, sich inzwischen 34 Hörsäle sponsern zu lassen. „Hörsaalsponsoring sichert Ihnen eine permanente Präsenz auf dem Campus“, heißt es dazu vom Kemptener „Career Service“. Wie endgültig der Tabubruch ist, zeigt die Werbung der Technischen Hochschule Nürnberg. Hörsaalsponsoring gilt als „Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung“: „Dadurch kann Ihr Unternehmen einen Imagegewinn verzeichnen.“ Unter eben diesem Vorzeichen wird jedes neue Hörsaalsponsoring der Presse präsentiert. Elf Sponsoren sind inzwischen gefunden. …
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