Meinung als Ware – Buchbesprechung von Andreas Bangemann

Man ahnte es. Eindeu­ti­ger belegt als in diesem Buch wurde es selten. Wo wirt­schaft­li­che Inter­es­sen domi­nie­ren, wird mit allen Mitteln versucht, das Urteil von Poli­tik und Konsu­men­ten zu beeinflussen.

„Genießt das Leben“, „Wir wollen Euer Bestes“, „Kauft unsere Produk­te!“, lauten die unter­schwel­li­gen Botschaf­ten, für die Massen der Menschen, die dem Rauchen verfal­len sind. Die Tabak­in­dus­trie kämpft seit jeher um ihr Image. Im unter­neh­me­ri­schen Umfeld des blauen Duns­tes trifft man darum auf die größte Erfah­rung im Umgang mit einer kriti­schen Öffentlichkeit.

Die Metho­de, die bis zum heuti­gen Tage erfolg­reich ange­wen­det wird, lautet „Produk­ti­on und Vermark­tung von Zwei­fel“. Wissen­schaft­lich erar­bei­te­ten Erkennt­nis­sen, beispiels­wei­se solchen, wonach Rauchen unge­sund sei, stellt man andere zur Seite, die rela­ti­vie­rend, ablen­kend oder verharm­lo­send wirken.

Wie produ­ziert man derlei Zwei­fel? Mit wissen­schaft­li­cher Exper­ti­se, die unab­hän­gig auftritt und in Wider­spruch zu den uner­wünsch­ten Forschungs­er­geb­nis­sen steht.

Naomi Ores­kes und Erik M. Conway verfass­ten mit ihrem Buch einen Real­wirt­schafts- und Wissen­schafts­thril­ler. In engli­scher Spra­che 2010 erschie­nen, auf Deutsch 2014, hat es nichts an Aktua­li­tät einge­büßt. Das Ergeb­nis ist scho­ckie­rend: Ohne Hemmun­gen verun­glimp­fen Lobby­is­ten seriö­se Forscher mit einer profes­sio­nel­len Kano­na­de media­ler Infor­ma­ti­ons­pro­duk­ti­on, in der Macht und Geld die vernich­ten­de Muni­ti­on sind.

Die verknüpf­ten Struk­tu­ren zwischen Unter­neh­men, Poli­tik und Wissen­schaft sind undurch­dring­bar komplex. Wer in diesem Irrgar­ten den retten­den Ariad­ne­fa­den finden will, muss der Frage nach­ge­hen: „Cui bono?“ (Wem zum Vorteil?) Im Netz­werk wirt­schaft­li­cher Inter­es­sen werden „wissen­schaft­li­che Potem­kin­sche Dörfer“ errich­tet. Deren Betrach­tung führt beim Einzel­nen zu einem urtei­len­den Ergeb­nis. Ob man mit dem Urteil Recht hat, wird man nicht erfah­ren, weil es für Außen­ste­hen­de unmög­lich ist, hinter die Kulis­sen zu sehen.

Genau das haben die Autoren in aufop­fern­der, jahre­lan­ger Klein­ar­beit getan. Akri­bisch sammel­ten sie Bewei­se. Das Mate­ri­al ist eindeu­tig. Am Ende des Buches brin­gen sie eine Gemein­sam­keit der von ihnen unter­such­ten Fälle zum Ausdruck. Das Gefühl der Ratlo­sig­keit bleibt zurück.

Wenn es um Geld geht, werden mit sämt­li­chen Mitteln die eige­nen Inter­es­sen durch die flan­kie­ren­de Produk­ti­on von mani­pu­la­ti­ven Infor­ma­tio­nen ins passen­de Licht gerückt. Beim Wett­be­werb auf dem „Infor­ma­ti­ons­markt“ stehen sich im abstrak­ten Konkur­renz­kampf die unter­schied­li­chen Meinun­gen gegen­über. Den Sieg tragen häufig dieje­ni­gen davon, deren media­ler Einfluss gewal­ti­ger ist. Bei allen im Buch vorge­stell­ten Sach­ver­hal­ten – Tabak­kon­sum, atoma­re Vertei­di­gung, saurer Regen, Ozon­loch und Klima­er­wär­mung – wieder­holt sich die Konfron­ta­ti­on. Auf der einen Seite die mahnen­de wissen­schaft­li­che Studie für den Fall eines Handelns nach dem Motto „Weiter so“, auf der ande­ren die Metho­dik der „Zwei­fels­pro­duk­ti­on“ der Profi­teu­re des Status quo.

Die Masche ist fort­lau­fend gleich:
„Anfangs behaup­te­ten sie, es gebe sie (die Klima­er­wär­mung) nicht, später sollte es sich nur um natür­li­che Schwan­kun­gen handeln. Schließ­lich sagten sie, auch wenn es die Klima­er­wär­mung gäbe, sie sei nicht so schlimm und man könne sich ihr einfach anpas­sen. Fall auf Fall vernein­ten sie stand­haft den wissen­schaft­li­chen Konsens – auch wenn sie damit allei­ne standen.“

Naomi Ores­kes benennt die wesent­lichs­te Gemein­sam­keit der erschüt­tern­den Tatsa­chen der aufwen­di­gen Arbei­ten: das Wirt­schafts­sys­tem. Tragi­scher­wei­se wenden die Autoren in diesem Punkt nicht die glei­che Akri­bie auf, wie für die Gesamt­re­cher­che. Ein Kapi­tel, das der Unter­schei­dung von Markt­wirt­schaft und Kapi­ta­lis­mus gewid­met worden wäre, hätte dem Buch gut getan. Die Schlüs­se aus den gewon­ne­nen Erkennt­nis­sen, hätten eine andere Note bekom­men. Statt­des­sen tappen die Verfas­ser bei ihrer Einschät­zung in die Falle der Neoli­be­ra­len. Sie lassen sich auf ein von den Kapi­ta­lis­mus-Exper­ten stets glatt gehal­te­nes Parkett des poli­ti­schen Tanzes zerren. Dort dreht man sich nach dem Lied „Wie viel Staat darf es denn sein?“ im Kreis. Der Stoß ins Horn für mehr staat­li­che Regu­lie­rung läutet die nächs­te Runde jenes Spiels ein, das für die Themen im Buch so bravou­rös aufge­deckt wurde.

In den USA, aber auch in Europa, ist weni­ger Staat zuguns­ten indi­vi­du­el­ler Frei­heit nach wie vor das poli­ti­sche Gebot der Stunde. Dadurch haben Meinungs­pro­du­zen­ten im Kampf gegen staat­li­chen Inter­ven­tio­nis­mus quasi ein »Heim­spiel«. Mit dem „Schreck­ge­spenst der ausufern­den Regie­rungs­kon­trol­le“ liefern die Autoren genau das Argu­ment, das es braucht, um die Kapi­tal­in­ter­es­sen weiter­hin vor die drin­gend erfor­der­li­chen Erneue­run­gen zu stel­len. Selbst Umwelt­ak­ti­vis­ten sind frei­heits­lie­bend. »Big Brot­her« ist den aller­meis­ten suspekt.

Man hätte diesem Buch ein ande­res Schluss­ka­pi­tel gewünscht. Eines, das mit einer über­ra­schen­den, krea­ti­ven Lösung aufwar­tet. Diese kleine Schwä­che kann man nach­se­hen. Lässt man Gus Seth, Mitglied des Ausschus­ses zur Umwelt­qua­li­tät unter Präsi­dent Jimmy Carter, das Schluss­wort setzen, dessen Folge­rung „… nach einer langen Suche und beträcht­li­chem Zögern ist, dass die meis­ten Umwelt­ver­schlech­te­run­gen ein Ergeb­nis des syste­ma­ti­schen Versa­gens des Kapi­ta­lis­mus sind, wie wir ihn heute erle­ben, und dass lang­an­hal­ten­de Lösun­gen eine Verän­de­rung der Grund­zü­ge dieses gegen­wär­ti­gen Kapi­ta­lis­mus anstre­ben müssen“ böte dies genau die Vorla­ge, welche Lösun­gen von krea­ti­ven Köpfen in den welt­weit unzäh­li­gen Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen, entste­hen lassen könnte. Das Buch verdient viele Leser. Es deckt in glaub­haf­ter Genau­ig­keit auf, zu welchen Meis­ter­leis­tun­gen Menschen fähig sind, wenn es gilt Pfrün­de zu vertei­di­gen, die sie nicht verdient haben, oder deren Gewinn nur zum Preis des Scha­dens Drit­ter zu erlan­gen ist. 

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