Manchmal Lachs, das wär’s – Pat Christ

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Verar­mung führt zu langen Warte­zei­ten für Verschul­de­te und Schlan­gen vor den Tafeln
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Krisen über Krisen, alles wird teurer, vielen rinnt durch die Finger, was sie hatten, und jetzt hocken sie da ohne Geld. Mit Schul­den. Die wach­sen. Reiner Saleth kennt eine Menge solcher Menschen. Der Sozi­al­päd­ago­ge arbei­tet in der Zentra­len Schuld­ner­be­ra­tung der Evan­ge­li­schen Gesell­schaft Stutt­gart. Menschen, die sich neu an ihn und seine Kolle­gen wenden, müssen aktu­ell zwölf Monate warten, bis der Bera­tungs­pro­zess beginnt. Die vorhan­de­nen Kapa­zi­tä­ten, sagt er, reichen für den stei­gen­den Bedarf nicht mehr aus.
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Viel­leicht probiert man am Anfang, ob man sich von jeman­dem Geld pumpen kann, den man gut kennt. Oder man versucht, zu sparen. Ausga­ben zu begren­zen. Dennoch wächst der Schul­den­berg. Jene Menschen, die sich an Reiner Saleth und seine Kolle­gen wenden, stehen nicht nur mit ein paar hundert Euro in der Kreide. Die Beträ­ge sind in aller Regel fünf­stel­lig. „Zwischen 2020 und 2022 stieg die durch­schnitt­li­che Schul­den­sum­me bei uns von 28.600 auf 30.800 Euro an“, berich­tet der Schuld­ner­be­ra­ter im Gespräch mit der HUMANEN WIRTSCHAFT. Auch die Gläu­bi­ger­zahl erhöh­te sich. Hatten die Verschul­de­ten 2020 erst 14 Gläu­bi­ger, sind es nun etwas mehr als 15.
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Sie kommen nicht gern, geben die meis­ten Betrof­fe­nen zu verste­hen, nur leider geht es nicht anders. Denn die Schul­den gefähr­den irgend­wann die Exis­tenz. Strom oder Gas könn­ten in Kürze abge­stellt werden. Die Miet­fi­nan­zie­rung ist nicht mehr sicher. Nicht selten stehen Verschul­de­te bereits mit einem Bein im Gefäng­nis: Da sie eine Strafe nicht zahlen können, droht eine Ersatz­frei­heits­stra­fe. Solche Notla­gen führen dazu, dass die Betrof­fe­nen über ihren Schat­ten sprin­gen und Hilfe suchen. „Ist die Exis­tenz bedroht, bekommt man bei uns auch schnel­ler einen Bera­tungs­ter­min“, versi­chert Reiner Saleth. Vor allem der Verlust der Wohnung soll unbe­dingt vermie­den werden.
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Für viele Stutt­gar­ter ist die Bera­tungs­stel­le am Wilhelms­platz fußläu­fig zu errei­chen. Menschen in länd­li­chen Räumen haben es meist nicht so leicht. Die nächs­te Bera­tungs­stel­le kann ziem­lich weit weg sein. Und womög­lich sind die Warte­zei­ten dort noch länger. Wie schnell Über­schul­de­te in den Genuss von Bera­tung kommen, ist laut Reiner Saleth „von der Post­leit­zahl abhän­gig“: „Es fehlt eine seriö­se Grund­la­ge für die Finan­zie­rung von Schuld­ner­be­ra­tung in Deutsch­land, und das ist ein Unding.“ Darauf verwies auch die „Arbeits­ge­mein­schaft Schuld­ner­be­ra­tung der Verbän­de“ bei ihrer dies­jäh­ri­gen „Akti­ons­wo­che Schuld­ner­be­ra­tung“ im Juni.
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Völlig verzwei­felt
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Menschen in prekä­ren Lebens­si­tua­tio­nen machen selten durch­weg gute Erfah­run­gen mit ihren Mitmen­schen. Armut stig­ma­ti­siert. Armut grenzt aus. Eben aus diesem Grund ist es für viele so schwer, sich recht­zei­tig Hilfe zu holen. „Die meis­ten, die zu uns kommen, machen viele Jahre lang mit ihren Schul­den herum“, bestä­tigt Reiner Saleth. Viele sehen keiner­lei Auswe­ge mehr aus ihrer finan­zi­el­len Misere. Viele sind verzwei­felt und haben Angst: „Aus diesem Grund sind sie irgend­wann nicht mehr in der Lage, auf Briefe zu reagie­ren.“ Irgend­wann wird die Post nicht mehr aufge­macht: „Zu uns kommen die Leute dann mit einer ganzen Plas­tik­tü­te voll unge­öff­ne­ter Kuverts.“
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Rein theo­re­tisch kann auch jemand, der einen Chef­pos­ten inne­hat­te, durch Schick­sals­schlä­ge in Schul­den stür­zen. Oft jedoch lebten die Betref­fen­den seit jeher prekär. Nicht zuletzt durch stei­gen­de Zins­las­ten gera­ten sie immer tiefer in die Schul­den­spi­ra­le hinein.
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Dass es vor allem Arme belas­tet, dass sie Schul­den mit Zins und Zinses­zin­sen zurück­zah­len müssen, ist Reiner Saleth wohl bewusst. „Menschen mit wenig Geld müssen oft ihr Konto über­zie­hen, wodurch horren­de Zinsen fällig werden“, erklärt er. Das forciert sozia­le Ungerechtigkeit.
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