Krieg und Frieden – Freund und Feind. – Jörg Gude
Es jährt sich die Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages zum einhundertsten Mal. Am 28. Juni 1919 unterzeichnete Deutschland den Vertrag. John Maynard Keynes auf britischer Seite und Carl Melchior auf deutscher Seite waren Mitglied der jeweiligen Verhandlungsdelegation als Finanzbeauftragte. Keynes trat bereits vor Vertragsunterzeichnung an seinem 37. Geburtstag von seiner Funktion zurück. Auch Melchior demissionierte.
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„Krieg und Frieden“ und „Freund und Feind“ sind die Titel zweier Schriften von Keynes – jedenfalls in der deutschen Übersetzung, wie sie im Berenberg Verlag erschienen und von Dorothea Hauser mit einem Vorwort eingeleitet sind. „Krieg und Frieden“ trägt dabei den Untertitel, der in der deutschen Erstausgabe der Titel des Buches war: „Die wirtschaftlichen Folgen des Vertrags von Versailles“. Wenige Jahre später schriebt Keynes über „Die Revision des Friedensvertrages“.
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Neben Gebietsverlusten und Beschränkungen des Militärs sind im Vertrag dem Deutschen Reich 132 Mrd. Goldmark als Reparationsverpflichtung auferlegt worden. Keynes hat in seiner Schrift „Krieg und Frieden“ 40 Mrd. als die Summe bezeichnet, die Deutschland erbringen könnte. In einem Akt der Selbsterniedrigung hat die deutsche Delegation in einem von Dr. Melchior und seinem Bankpartner Warburg ausgearbeiteten Plan den Alliierten die Zahlung von 100 Mrd. Goldmark angeboten. Diese lehnten ab. Die später erfolgten Leistungen Deutschlands blieben weit darunter, was wie ein Treppenwitz der Weltgeschichte anmuten mag.
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Die Erinnerung an die Persönlichkeit von Carl Melchior ist durch John Maynard Keynes und eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin vom 17. 1. bis 30. 3. 2019 wiederbelebt worden. Zu dieser kleinen, aber feinen Ausstellung gibt es einen Katalog, betitelt „Carl Melchior. Jüdischer Vorkämpfer eines europäischen Friedens“ (ebenfalls von Dorothea Hauser konzipiert und getextet). Keynes hat über seine Begegnung mit dem deutschen Widerpart in den Versailler Verhandlungen 1920 in vertrauter Runde im legendären Bloomsbury-Kreis referiert. Er verfügte, dass diese Schrift posthum veröffentlicht werden sollte, was auch geschah („Freund und Feind“).
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Warum fanden Keynes und Melchior aneinander Gefallen? Es war auch, aber nicht nur Männerliebe bei bisexueller Orientierung. Beide heirateten, Keynes eine Ballerina des Bolschoi und Melchior kurz vor seinem Tode eine Französin. Beide waren international orientiert, mit Fragen der Finanzen beschäftigt. Keynes zuvor unter anderem mit der Kriegsfinanzierung befasst und Melchior war Teilhaber des Bankhauses Warburg in Hamburg, später im Auftrag des Deutschen Reiches in vielfältigen Funktionen tätig. Anders als die Politiker oder Militärs in den Verhandlungsdelegationen schauten sie vor allem auf die Zukunft der Völker und Staaten in Hinblick auf die Schaffung einer Friedensordnung, in deren Schatten die Wirtschaft gedeihen und den Bürgern Wohlleben ermöglicht sein sollte. Beide übernahmen zeit ihres Lebens zahlreiche Aufgaben für ihr Land. So befasste sich Melchior mit der Sicherung der Lebensmittelversorgung im und nach dem Krieg und war auf internationalen Konferenzen, im Völkerbund und in der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich führend tätig. Als Jude musste er sich im Jahre 1933 von öffentlichen Ämtern zurückziehen und kümmerte sich zuletzt bis zu seinem Tode Ende des Jahres 1933 um die Belange seiner jüdischen Glaubensgenossen.
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Keynes und Melchior sind nicht sehr alt geworden, führten ein unstetes Leben, verausgabten sich, der Welt zugewandt. Sie haben die Unvernunft anderer und stärkerer Kräfte erleben müssen, Melchior die Unvernunft der Alliierten, die Machtergreifung der Nationalsozialisten und die Verfolgung der Juden, Keynes ebenfalls die Unvernunft der Alliierten. Sein revolutionäres Konzept des Bancors, einer internationalen Kunstwährung mit einer Belastung nicht nur der Schuldner‑, sondern auch der Gläubigerstaaten als Grundlage einer Nachkriegsordnung nach dem 2. Weltkrieg hat er in Bretton-Woods nicht durchsetzen können.
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Wir tun heute so, als sei die Globalisierung unserer Zeit oder jüngsten Vergangenheit zuzurechnen, aber übersehen dabei, dass nach der sogenannten Gründerzeit bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges die internationale Verflechtung in Europa, zwischen Europa und Amerika und zwischen den Mutterländern und den Kolonien eine weitreichende war. Darauf wies bereits Keynes hin. Für Keynes gehörte auch Russland – auch nach der Bolschewisierung – zu Europa und war in eine Nachkriegsordnung nach dem 1. Weltkrieg einzubeziehen.
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Was die Reparationen und die Demütigung Deutschlands durch den Versailler Vertrag angeht, so sprach Keynes von einem karthagischen Frieden. Er machte sich ganz praktische Gedanken als Ökonom, was passieren müsste, sollte das Deutsche Reich Reparationen in beträchtlichem Ausmaß aufbringen. Deutschland hätte die Importe zurückfahren und die Exporte beträchtlich steigern müssen. Diese Exportüberschüsse ebenso wie die Importrückgänge des Deutschen Reiches würden aber zu Lasten der Beschäftigung in Frankreich oder England gehen, weshalb das Ganze trotz des Zuflusses von Reparationszahlungen auch dort nachteilig wirken würde.
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In politischer Hinsicht vermisste Keynes eine militärische Beistandsverpflichtung Amerikas zugunsten Frankreichs. Den durchaus verständlichen Sicherheitsbesorgnissen Frankreichs wurde durch Entmilitarisierung, Schwächung und Demütigung Deutschlands nur augenblicklich Rechnung getragen. Hätten die Amerikaner die Sicherheit und Unverletzlichkeit Frankreichs garantiert, hätte sich Hitler später wohl nicht zum Überfall entschlossen. Der Vertrag von Versailles, so wie er abgeschlossen wurde, ist von der Rechten, später von den Nationalsozialisten als „Schanddiktat“ gebrandmarkt worden und hat für deren Propaganda enorme Wirkungen gezeigt. Von Keynes lernen, heißt Frieden stiften und bewahren.
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„Krieg und Frieden“ und „Freund und Feind“ sind die Titel zweier Schriften von Keynes – jedenfalls in der deutschen Übersetzung, wie sie im Berenberg Verlag erschienen und von Dorothea Hauser mit einem Vorwort eingeleitet sind. „Krieg und Frieden“ trägt dabei den Untertitel, der in der deutschen Erstausgabe der Titel des Buches war: „Die wirtschaftlichen Folgen des Vertrags von Versailles“. Wenige Jahre später schriebt Keynes über „Die Revision des Friedensvertrages“.
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Neben Gebietsverlusten und Beschränkungen des Militärs sind im Vertrag dem Deutschen Reich 132 Mrd. Goldmark als Reparationsverpflichtung auferlegt worden. Keynes hat in seiner Schrift „Krieg und Frieden“ 40 Mrd. als die Summe bezeichnet, die Deutschland erbringen könnte. In einem Akt der Selbsterniedrigung hat die deutsche Delegation in einem von Dr. Melchior und seinem Bankpartner Warburg ausgearbeiteten Plan den Alliierten die Zahlung von 100 Mrd. Goldmark angeboten. Diese lehnten ab. Die später erfolgten Leistungen Deutschlands blieben weit darunter, was wie ein Treppenwitz der Weltgeschichte anmuten mag.
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Die Erinnerung an die Persönlichkeit von Carl Melchior ist durch John Maynard Keynes und eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin vom 17. 1. bis 30. 3. 2019 wiederbelebt worden. Zu dieser kleinen, aber feinen Ausstellung gibt es einen Katalog, betitelt „Carl Melchior. Jüdischer Vorkämpfer eines europäischen Friedens“ (ebenfalls von Dorothea Hauser konzipiert und getextet). Keynes hat über seine Begegnung mit dem deutschen Widerpart in den Versailler Verhandlungen 1920 in vertrauter Runde im legendären Bloomsbury-Kreis referiert. Er verfügte, dass diese Schrift posthum veröffentlicht werden sollte, was auch geschah („Freund und Feind“).
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Warum fanden Keynes und Melchior aneinander Gefallen? Es war auch, aber nicht nur Männerliebe bei bisexueller Orientierung. Beide heirateten, Keynes eine Ballerina des Bolschoi und Melchior kurz vor seinem Tode eine Französin. Beide waren international orientiert, mit Fragen der Finanzen beschäftigt. Keynes zuvor unter anderem mit der Kriegsfinanzierung befasst und Melchior war Teilhaber des Bankhauses Warburg in Hamburg, später im Auftrag des Deutschen Reiches in vielfältigen Funktionen tätig. Anders als die Politiker oder Militärs in den Verhandlungsdelegationen schauten sie vor allem auf die Zukunft der Völker und Staaten in Hinblick auf die Schaffung einer Friedensordnung, in deren Schatten die Wirtschaft gedeihen und den Bürgern Wohlleben ermöglicht sein sollte. Beide übernahmen zeit ihres Lebens zahlreiche Aufgaben für ihr Land. So befasste sich Melchior mit der Sicherung der Lebensmittelversorgung im und nach dem Krieg und war auf internationalen Konferenzen, im Völkerbund und in der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich führend tätig. Als Jude musste er sich im Jahre 1933 von öffentlichen Ämtern zurückziehen und kümmerte sich zuletzt bis zu seinem Tode Ende des Jahres 1933 um die Belange seiner jüdischen Glaubensgenossen.
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Keynes und Melchior sind nicht sehr alt geworden, führten ein unstetes Leben, verausgabten sich, der Welt zugewandt. Sie haben die Unvernunft anderer und stärkerer Kräfte erleben müssen, Melchior die Unvernunft der Alliierten, die Machtergreifung der Nationalsozialisten und die Verfolgung der Juden, Keynes ebenfalls die Unvernunft der Alliierten. Sein revolutionäres Konzept des Bancors, einer internationalen Kunstwährung mit einer Belastung nicht nur der Schuldner‑, sondern auch der Gläubigerstaaten als Grundlage einer Nachkriegsordnung nach dem 2. Weltkrieg hat er in Bretton-Woods nicht durchsetzen können.
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Wir tun heute so, als sei die Globalisierung unserer Zeit oder jüngsten Vergangenheit zuzurechnen, aber übersehen dabei, dass nach der sogenannten Gründerzeit bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges die internationale Verflechtung in Europa, zwischen Europa und Amerika und zwischen den Mutterländern und den Kolonien eine weitreichende war. Darauf wies bereits Keynes hin. Für Keynes gehörte auch Russland – auch nach der Bolschewisierung – zu Europa und war in eine Nachkriegsordnung nach dem 1. Weltkrieg einzubeziehen.
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Was die Reparationen und die Demütigung Deutschlands durch den Versailler Vertrag angeht, so sprach Keynes von einem karthagischen Frieden. Er machte sich ganz praktische Gedanken als Ökonom, was passieren müsste, sollte das Deutsche Reich Reparationen in beträchtlichem Ausmaß aufbringen. Deutschland hätte die Importe zurückfahren und die Exporte beträchtlich steigern müssen. Diese Exportüberschüsse ebenso wie die Importrückgänge des Deutschen Reiches würden aber zu Lasten der Beschäftigung in Frankreich oder England gehen, weshalb das Ganze trotz des Zuflusses von Reparationszahlungen auch dort nachteilig wirken würde.
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In politischer Hinsicht vermisste Keynes eine militärische Beistandsverpflichtung Amerikas zugunsten Frankreichs. Den durchaus verständlichen Sicherheitsbesorgnissen Frankreichs wurde durch Entmilitarisierung, Schwächung und Demütigung Deutschlands nur augenblicklich Rechnung getragen. Hätten die Amerikaner die Sicherheit und Unverletzlichkeit Frankreichs garantiert, hätte sich Hitler später wohl nicht zum Überfall entschlossen. Der Vertrag von Versailles, so wie er abgeschlossen wurde, ist von der Rechten, später von den Nationalsozialisten als „Schanddiktat“ gebrandmarkt worden und hat für deren Propaganda enorme Wirkungen gezeigt. Von Keynes lernen, heißt Frieden stiften und bewahren.
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