Freiheit für Assange – Stefan Nold
„Free, free, free! Free Assange!” skandieren wir im rauen Stakkato. Mit etwa 100 Menschen marschieren meine Frau und ich über die Frankfurter Zeil und fordern die Freilassung des Gründers von Wikileaks, Julian Assange. Von der Spitze des etwa 30 Meter langen Zuges hören wir „Free free free!“ Möglichst laut, scharf und knapp wie ein Peitschenhieb kommt unsere Antwort: „Free Assange!“ Mein Nebenmann sagt mir, er bräuchte jetzt dringend ein Hustenbonbon. Auch mein Hals ist schon heiser. Es ist Samstag, 29. Februar 2020, 13:00. Es ist wenig los auf der „Fressgass“, obwohl das Wetter nach dem vorübergehenden Wintereinbruch wieder überraschend warm ist. Irgendwo riecht es nach gegrillten Würstchen. Passanten schauen uns schweigend und regungslos an, ohne die Miene zu verziehen. Blicke treffen sich, prallen aneinander ab. Ich halte ein Schild hoch, dass ich mit einem schwarzen Edding-Stift morgens schnell auf einen DIN A2-Bogen gemalt habe. Es hat einen schwarzen Rand und ist im Stil einer Todesanzeige gehalten. „Assange wird zu Tode gefoltert. Lasst ihn frei! Er ist ein Held der Freiheit“ habe ich auf die Vorderseite geschrieben. Das Wort „Tod“ habe ich weggelassen und durch ein schwarzes Kreuz ersetzt. Das ist etwas kryptisch, vielleicht zu sehr. Auf der Rückseite, steht: „Danke Julian Assange für Deinen mutigen Kampf.“
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Seit Anfang der Woche wird in London über den Antrag der US-Regierung auf Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange verhandelt. Dazu steht im Darmstädter Echo vom 25. Februar: „Die US-Justiz wirft dem gebürtigen Australier vor, der Whistleblowerin Chelsea Manning – damals Bradley Manning – geholfen zu haben, geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan zu veröffentlichen“. Was nicht in diesem und den meisten anderen Artikeln zu diesem Thema steht: Das von Assange veröffentlichte Material dokumentiert Kriegsverbrechen von US Soldaten. Auf der Internet-Seite
https://collateralmurder.wikileaks.org hat Wiklileaks 2010 ein Video hochgeladen, das auf den Aufnahmen der Bordkameras und dem Mitschnitt des Funkverkehrs von zwei US-amerikanischen Apache Kampfhubschraubern basiert. Am Morgen des 12. 7. 2007 hat die Besatzung dieser Hubschrauber in einem Vorort von Bagdad ein Dutzend friedlicher Zivilisten erschossen. Auch zwei Kinder wurden verletzt. Jeder, von dem die US-Soldaten glaubten, er hätte eine Waffe bei sich, wurde erschossen. Das Tragen von Waffen ist im Irak, ebenso wie in den USA, nicht unüblich. Unter den Opfern war der 22-jährige Reuters-Fotoreporter Namir Noor-Eldeen und sein Fahrer Saeed Chmagh, Vater von vier Kindern. Namir kommt aus einer Journalistenfamilie und galt als einer der besten Kriegsfotografen im Irak. Seine Kamera mit Teleobjektiv hielten die US-Soldaten für eine Waffe. Das langte, um ihn zu erschießen. „Ich sehe noch, wie Namir aus dem Reuters-Gelände zu seinem letzten Auftrag aufbricht, seine Kameras über die Schultern geworfen, und mit Saeed scherzend“ wird Steve Crisp, Fotoredakteur von Reuters im Nahen Osten in dem Video von Wikileaks zitiert. Darüber sieht man das Foto von zwei sympathisch dreinschauenden Männern. Das von Wikileaks ins Netz gestellte Video ist 17 Minuten lang. Um einen Eindruck von der Stimmung der Soldaten in den Hubschraubern zu geben, werden im folgenden die wesentlichen Passagen ungekürzt im Originalton wiedergegeben. Zu Beginn schwenkt die Schwarz-Weiß-Kamera über eine fast menschenleere Vorstadtsiedlung. Die flachen, einstöckigen Häuser stehen dicht an dicht. In der Mitte ist ein Fadenkreuz eingeblendet. Dann setzt der Funkverkehr ein: „… Roger received target 15. See all those people standing down there.“ Die Kamera zoomt auf die Mitte einer Straße, wo etwa 12–15 Personen in Zivil zu sehen sind, ganz normale Passanten. In der Einmündung einer kleinen Seitenstraße stehen weitere vier Personen. Soldaten mit Kampfauftrag sehen anders aus. „Stay firm. And open the courtyard. Yeah, roger. I just estimate there’s probably about 20 of them. There’s one, yeah. Oh yeah.“ In dem Wikileaks-Video wird einer der Männer als Saeed identifiziert, der eine Kamera trägt. „Yeah, roger. Hey bushmaster element, copy on the one-six. That’s a weapon. Yeah.“ In einer Gruppe von sechs Leuten, die in einem Abstand von etwa zwei Meter zueinander die Straße entlanglaufen, sieht man einen zweiten Mann mit einer Kamera, der von Wikileaks als Namir identifziert wird. „Hotel two-six; crazyhorse one-eight. Copy on the one-six. Bushmaster Six-Romeo. Roger. Fucking prick. Have individuals with weapons. He’s got a weapon, too. Hotel two-six, crazy horse one-eight. Have 5 to 6 individuals with AK47.“ Auf dem Video sieht man vier Männer mit freien Händen, ohne jegliches Gepäck, ohne Waffen. Dahinter läuft eine Gruppe von weiteren vier Männern, von denen zwei vermutlich ein Gewehr lässig mit dem Gewehrlauf nach unten in der Hand halten. Genau kann man das nicht sehen, die Auflösung des Bildes ist nicht sehr groß. Es scheint sich, wenn überhaupt eher um Jagdgewehre zu handeln als um Kalaschnikows. „Request permission to engage. Roger, that. Uh, we have no personnel east of our position. So you are free to engage. Over. All right, we’ll be engaging.“ Die Gruppe steht jetzt hinter einem LKW-Anhänger, das Blickfeld ist durch ein Gebäude eingeschränkt. „Roger, go ahead. I can’t get them now, because they’re behind that building. Um, hey Bushmaster element… He’s got an RPG. All right, we got a guy with an RPG. I’m gonna fire. Okay. No hold on. Lets come around. Behind buildings right now from our point of view. Okay, we’re gonna come around. Hotel two-Six: have eyes on individual with RPG. Gettting ready to fire. We won’t… Yeah, we had a guy shooting and now he’s behind the building.” Das kann man nicht sehen, zumindest nicht auf diesem Mitschnitt, mit Ausnahme des Funkverkehrs ist auch alles still. „God damn it. Uh, negative, he was, uh, right in front of the Brad. Uh, about there, one o’clock. Haven’t seen anything since then. Just fucking, once you get on them just open them up. All right. I see your element, uh got about four Humvees, uh, out along. You’re clear. All right, firing. Let me know when you’ve got them. Lets shoot.“ Der Hubschrauber kreist, die Gruppe ist jetzt voll im Blickfeld. Die Männer gehen nicht in Deckung. Ganz offensichtlich glauben sie nicht, dass von den Hubschraubern, die unmittelbar über ihnen sind, eine Gefahr für sie ausgehen könnte. Man sieht, wie Saeed telefoniert, man sieht Namir mit seiner Kamera und 5 andere Personen, alle in Zivil. „Light them all up. Come on, fire!“ Dann hört man das Feuer des MGs, sieht wie die Männer zu Boden gehen, Staub wirbelt auf. Ein Mann rennt weg. „Keep shooting, keep shooting.“ Das Maschinengewehrfeuer hält an. Dann geht auch der Fliehende zu Boden. „Keep shooting!“ Man sieht nur Staub. Der Soldat schießt weiter. „Hotel. Bushmaster two-six, bushmaster two-six, we need to move, time now! All right, we just engaged all eight individuals.“ Ein anderer Mann flieht. „Yeah, we see two birds and we’re still fire. Roger. I got them. Two-six, this is two six, we’re mobile. Oops, I’m sorry what was going on? God damn it, Kyle, All right, hahaha, I hit them. All right, you’re clear. All right, I’m just trying to find targets again.“ Die Straße ist jetzt leer. Einige parkende Autos und Kleinlaster sind zu sehen. „Bushmaster six, this is bushmaster two-six. Got a bunch of bodies laying there. All right, we got about, uh, eight individuals. Yeah, we got one guy crawling around down there, but uh, you know, we got, definitely got something. We’re shooting some more. Roger. Hey, you shoot, I’ll talk. Hotel two-six; crazyhorse one-eight. Crazyhorse one-eight; this is hotel two-six. Over. Roger. Currently engaging approximately eight individuals, Uh KIA, uh RPGs and AK-47s.“ Waffen kann ich beim besten Willen nicht erkennen. „Hotel two-six; you need to move to that location once crazyhorse is done and get pictures. Over. Six beacon gaia. Seargant twenty is the location. Hotel two-six, crazyhorse one-eight.“ Die ermordeten Zivilisten sind jetzt voll im Bild, ein Haufen lebloser Körper vor einem Gebäude. „Oh yeah, look at those dead bastards. Nice. Two-six, crazyhorse one-eight. Nice. Good shooting! Thank you!“ 3 Minuten später: „Yeah Bushmaster, we have a van that’s approaching and picking up the bodies. Where is that van at? Right down there by the bodies.“ Ein schwarzer Minivan kommt ins Bild. „Bushmaster, crazyhorse. We have individuals going to the scene, looks like possibly picking up bodies and weapons. Let me engage. Can I shoot? Roger. Break.“ Zwei weiß gekleidete Männer springen aus dem Van. Einer öffnet die Seitentür. „Crazyhorse one-eight, request permission to engage.“ Zwei Männer beugen sich über einen am Boden liegenden Körper. „Picking up the wounded? Yeah, we’re trying to get permission to engage. Come on, let us shoot. Bushmaster; crazyhorse one-eight. They’re taking him.“
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Die zwei Männer haben den leblosen Körper gefasst und tragen ihn um die Frontseite des Van herum zu der geöffneten Seitentür. „Bushmaster; crazyhorse one eight. This is bushmaster seven. Go ahead, Roger. We have a black SUV Bongo truck picking up the bodies. Request permission to engage. Fuck.“ Das Fahrzeug, mit dem der Tote geborgen wird, ist kein SUV-Truck, sondern ein schwarzer Minivan, vermutlich ein Mitsubishi. „This is bushmaster seven, roger. This is bushmaster seven, roger. Engage.“ Der geborgene Leichnam liegt mittlerweile im Van, zwei Helfer sind noch auf der Beifahrerseite des Fahrzeugs, das Fahrzeug fährt bereits an. „One-eight engage. Clear. Come on!“ Das Maschinengewehrfeuer setzt ein. Staub wirbelt auf. Die beiden Helfer rennen in Deckung in der Nähe der Häuserfassade. „Clear. Clear. We’re engaging.“ Man sieht wieder Staub, hört das Ratatatata des Maschinengewehrs, vermutlich aus dem zweiten Helikopter. „Coming around. Clear. Roger. Clear. I hear them. I lost them in the dust. I got them.“ Der Minivan ist in eine schwarze Staubwolke gehüllt. „I’m firing. This is bushmaster forty. Got any BDA on that truck? Over. You’re clear. This is crazyhorse. Stand by. I can’t shoot for some reason. Go ahead. I think the van is disabled. Go ahead and shoot it. I got an azimuth limit for some reason.“ Kurz danach hört man wieder das Maschinengewehrfeuer. „Go left“ Ratatatata. „Clear left“ Ratatatata. Stille. Staub. Der Hubschrauber kreist. „All right, Bushmaster, crazyhorse one-eight. A vehicle appears to be disabled. There were approximately four to five individuals in vehicle moving bodies.“ Die Besatzung des einen Hubschraubers nimmt Kontakt mit den US-Bodentruppen auf: „Your lead Bradley should take the next right. That’s cruising east down the road. No more shooting… You should have a van in the middle of the road with about twelve to fifteen bodies.“ Man sieht den Van jetzt von vorne, die Windschutzscheibe ist geborsten. „Oh yeah, look at that. Right through the windshield. Ha ha! All right. There were approximately four to five individuals in that truck, so I’m counting about twelve to fifteen. I would say that’s a fairly accurate assessment so far. Roger that.“ In dem Van finden die Bodentruppen, die wenige Minuten später eintreffen, zwei verletzte Kinder. Der Soldat, der sie findet, möchte sie zur Behandlung in die nahegelegene US Basis Rustamiyah bringen: „Hey, I need to get the Brads to drop rads. I got a wounded girl we need to take to Rustamiyah“ Aber der Befehlshaber ordnet an, sie der irakischen Polizei zu übergeben, die sie dann in ein irakisches Krankenhaus bringen soll: „Roger, that’s a negative on the evac of the two civilian kids to rusty, they’re going to have the Ips (iraqui police) link up. They can put us over here. Break. Ips will take them up to a local hospital over. Copy over. Roger that. Well it’s their fault for bringing their kids into a battle. That’s right.”
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