Fixiert auf Vor­ga­ben – Pat Christ

In welcher Weise Ziel­ver­ein­ba­run­gen zur Enthu­ma­ni­sie­rung der Wirt­schaft beitragen
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Wann ist eine medi­zi­ni­sche Behand­lung sinn­voll? Wann nicht? Das, sollte man meinen, hängt davon ab, in welchem Maße ein Pati­ent nach Einschät­zung einer Ärztin davon profi­tiert. Doch das ist zu kurz gedacht. Boni und Ziel­ver­ein­ba­run­gen verlei­ten entge­gen dem ärzt­li­chen Berufs­ethos dazu, Eingrif­fe anzu­ord­nen, deren Nutzen zwei­fel­haft ist. Die Kopp­lung vieler Chef­arzt­ge­häl­ter an die Fall­zah­len ihrer Statio­nen scheint denn auch ein Grund dafür zu sein, dass die Zahl der chir­ur­gi­schen Eingrif­fe stark gestie­gen ist.
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Ziel­ver­ein­ba­run­gen gelten als Chance, die Arbeits­be­din­gun­gen posi­tiv zu gestal­ten. Das Mitein­an­der zwischen Vorge­setz­ten und Unter­ge­ge­be­nen kann dadurch einen part­ner­schaft­li­chen Charak­ter bekom­men. Doch die Risi­ken sind gleich­zei­tig enorm. So gefähr­den Ziel­ver­ein­ba­run­gen für Chef­ärz­te zum Beispiel die medi­zi­ni­sche Unab­hän­gig­keit, warnt Wirt­schafts­me­dia­tor Tobias Scholl-Eick­mann. Er befür­wor­tet vor diesem Hinter­grund den Passus zu den Ziel­ver­ein­ba­run­gen im 2013 in Kraft getre­te­nen „Gesetz zur Weiter­ent­wick­lung der Krebs­früh­erken­nung und zur Quali­täts­si­che­rung durch klini­sche Krebsregister“.
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Das Gesetz entspringt der Einsicht, dass Ziel­ver­ein­ba­run­gen stark unter Druck setzen können. In Para­graf 136a, in dem es um die Förde­rung der Quali­tät durch die Deut­sche Kran­ken­haus­ge­sell­schaft geht, wird eben jene Gesell­schaft aufge­for­dert, gegen Ziel­ver­ein­ba­run­gen vorzu­ge­hen. Wört­lich heißt es: „Sie hat in ihren Bera­tungs- und Formu­lie­rungs­hil­fen für Verträ­ge der Kran­ken­häu­ser mit leiten­den Ärzten bis spätes­tens zum 30. April 2013 im Einver­neh­men mit der Bundes­ärz­te­kam­mer Empfeh­lun­gen abzu­ge­ben, die sicher­stel­len, dass Ziel­ver­ein­ba­run­gen, die auf finan­zi­el­le Anrei­ze bei einzel­nen Leis­tun­gen abstel­len, ausge­schlos­sen sind.“
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Die Empfeh­lun­gen sollen die Unab­hän­gig­keit medi­zi­ni­scher Entschei­dun­gen sichern. Bei der Kran­ken­haus­ge­sell­schaft stieß diese Vorga­be auf Empö­rung. Kran­ken­häu­sern und deren Ärzten zu unter­stel­len, „Ziel­ver­ein­ba­run­gen führ­ten zur vermehr­ten Erbrin­gung medi­zi­nisch nicht indi­zier­ter Leis­tun­gen, ist nicht gerecht­fer­tigt“, hieß es in einer Stel­lung­nah­me vom Januar 2013. Für die Annah­me von syste­mi­schen Fehl­an­rei­zen gebe es „keine gefes­tig­ten Erkennt­nis­se oder Beweise“.
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1.500 Euro pro trans­plan­tier­ter Leber
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In welchem Maße es durch Boni zu Fehl­an­rei­zen und fata­len Fehl­trit­ten kommt, wurde aller­dings im Sommer 2012 durch den „Göttin­ger Trans­plan­ta­ti­ons­skan­dal“ offen­bar. Der dama­li­ge Leiter der Trans­plan­ta­ti­ons­chir­ur­gie am Uni-Klini­kum Göttin­gen soll in 25 Fällen Kran­ken­ak­ten gefälscht haben, damit Pati­en­ten schnel­ler ein Spen­der­or­gan beka­men. Für jede trans­plan­tier­te Leber soll es einen Bonus in Höhe von 1.500 Euro gege­ben habe. Rasch weite­te sich der Skan­dal aus. Am Regens­bur­ger Unikli­ni­kum, wo der Arzt zuvor gear­bei­tet hatte, tauch­te plötz­lich in 23 Fällen der Verdacht auf Mani­pu­la­tio­nen von Kran­ken­da­ten bei Leber­trans­plan­ta­tio­nen auf.
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Das Gesetz zur Weiter­ent­wick­lung der Krebs­früh­erken­nung schloss im Übri­gen keines­wegs aus, dass Chef­ärz­te per Ziel­ver­ein­ba­rung zusätz­li­ches Geld als Bonus beka­men. Auswer­tun­gen von Arbeits­ver­trä­gen zeig­ten laut dem Berufs­ver­band der Deut­schen Chir­ur­gen, dass viele Kran­ken­haus­trä­ger weiter­hin Verträ­ge aufsetz­ten, die den Empfeh­lun­gen der Kran­ken­haus­ge­sell­schaft nicht gerecht wurden. Darauf­hin wurden die Empfeh­lun­gen über­ar­bei­tet. Künf­tig sollen demnach auch keine Ziel­ver­ein­ba­run­gen mehr geschlos­sen werden, die sich auf „Leis­tungs­kom­ple­xe“, „Leis­tungs­ag­gre­ga­tio­nen“ oder „Case-Mix-Volu­mi­na“ (Erlös­vo­lu­men der Kran­ken­häu­ser) erstrecken.
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Dass es in vielen Häusern immer noch Ziel­ver­ein­ba­run­gen gibt, liegt daran, dass es sich eben um eine „Empfeh­lung“ der Deut­schen Kran­ken­haus­ge­sell­schaft handelt. Ein Verbot, Ziele zu verein­ba­ren, gibt es nicht. Die Empfeh­lung wieder­um wird oft igno­riert, geht aus einer Umfra­ge hervor, an der sich im Rahmen der „Kran­ken­haus-Control­ling-Studie 2014“ insge­samt 145 Kran­ken­häu­ser (und damit sieben Prozent aller deut­schen Klini­ken) betei­lig­ten. Auf der Ebene der Fach­ab­tei­lun­gen setzen demnach 72 Prozent der öffent­li­chen, 56 Prozent der priva­ten und 42 Prozent der frei­ge­mein­nüt­zi­gen Kran­ken­haus­trä­ger Ziel­ver­ein­ba­run­gen mit varia­bler Vergü­tung ein. 

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