Finanzierung einer kapitalgedeckten Altersgrundsicherung… – Dirk Löhr
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Die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung kann angesichts der demografischen Entwicklung eine auskömmliche Versorgung im Alter bald nicht mehr sichern. Indem die Bürgerïnnen über eine kapitalgedeckte Alterssicherung am Unternehmensvermögen mittelbar beteiligt werden, könnte die Rentenlücke zumindest teilweise geschlossen werden. Das Unternehmensvermögen sollte bei einem neuen Reformanlauf auch vollständig in die Erbschaftsteuer einbezogen werden; dabei darf aber der Fortbestand der Unternehmen nicht gefährdet werden. Die Erbschaftsteuer auf Unternehmensvermögen könnte dabei als Finanzierungsquelle für eine kapitalgedeckte Altersgrundsicherung dienen.
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Zwei politische „Dauerbaustellen“ sind zu beklagen. Erstens sind die gesetzlichen Renten nicht sicher. Einer Kürzung des Rentenniveaus kann zwar über die Erhöhung der Lebensarbeitszeit oder der Rentenversicherungsbeiträge begegnet werden (Deutsche Bundesbank, 2019). Beides stößt aber irgendwann an die Grenzen der Zumutbarkeit; die noch verbleibenden Spielräume sind gering. Dies gilt auch mit Blick auf eine weitere Stärkung des Bundeszuschusses, der rentenpolitisch mit versicherungsfremden Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung gerechtfertigt wird. Weil die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung ein Altern in Würde absehbar immer weniger garantieren kann, gewinnen kapitalgedeckte Altersvorsorgesysteme in verschiedenen Varianten zunehmend Gewicht in der Reformdiskussion. Ca. 35 Mio. Deutsche leben aber in Haushalten, die ihr monatliches Einkommen komplett für ihren Lebensunterhalt ausgeben und keinen Raum für eine zusätzliche, kapitalgedeckte Absicherung im Alter haben (Fratzscher, 2017).
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Die zweite politische „Dauerbaustelle“ ist die Erbschaft- und Schenkungsteuer. Kernstück der Reformdebatte ist die Verschonung des Unternehmensvermögens (verstanden als inländisches land- und forstwirtschaftliches Vermögen, inländisches Betriebsvermögen und Anteile an Kapitalgesellschaften im Inland oder der EU). Dies befand die Gesetzgebung für nötig, um keine Arbeitsplätze zu gefährden und kleine wie mittlere Unternehmen besser erhalten zu können. Die Steuerausnahme ist immer noch weitgehend gestaltet, auch nachdem sie 2014 vom Bundesverfassungsgericht (1 BvL 21⁄12) als teilweise verfassungswidrig erklärt und daraufhin reformiert wurde. Angesichts des fiskalischen Potenzials (Bach, 2015) dürfte das letzte Wort zur Erbschaft- und Schenkungsteuer mit der jüngsten Reform noch nicht gesprochen sein.
Was aber haben Erbschaft- und Schenkungsteuer einerseits und die Alterssicherungssysteme andererseits miteinander zu tun? Die klassische rechtliche Begründung der Erbschaftsteuer verweist auf die Erfassung der Leistungsfähigkeit. Ökonomisch und sozialpolitisch werden die Begrenzung der Vermögenskonzentration und die Herstellung gleicher Startchancen über die Erbschaftsteuer – in ihrem Charakter als Erbanfallsteuer – als Argument bemüht (Beckert, 2007, 29). Letzteres könnte allerdings nur über die Ausgabenseite geschehen, z. B. über einen „Generationen-Soli“ (Gründinger, 2017). Nachfolgend wird vorgeschlagen, beide „Dauerbaustellen“ im Rahmen einer aufeinander abgestimmten Reform anzugehen. Will man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, wäre jedoch die Übereinstimmung der Ziele zu hinterfragen. Nach Tinbergen (1952) sollten unterschiedliche Ziele mit unabhängigen Instrumenten verfolgt werden. Allerdings haben die Ziele der Erbschaft- und Schenkungssteuer auf den ersten Blick wenig mit der Schließung der Rentenlücke zu tun.
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Dieser Einwand relativiert sich bei näherem Blick auf das Umverteilungsziel: Der typische Erbe ist 40 bis 65 Jahre alt (Braun, 2011, 725). Der Großteil der Erben gehört damit nicht der jungen Generation an, sondern steht eher mitten im Berufsleben oder geht sogar schon auf den Ruhestand zu. Soweit mit der Erbschaftsteuer eine Angleichung der Vermögensverhältnisse verfolgt wird, kann es damit nicht primär um eine höhere Gleichheit der Startchancen, sondern um mehr Gleichheit im letzten Lebensabschnitt gehen. Große Erbschaften gehen mit höheren Einkommen Hand in Hand. Geringverdiener hingegen erben seltener und weniger. Vermögensschwächere können ihre Altersvorsorge somit kaum auf Erbschaften aufbauen (Braun, 2011, 726). Problematischer als der Reichtum der oberen 10 % dürfte aber sein, dass die unteren 40 % praktisch kein Nettovermögen haben.
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Daher sollte die Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten an den Erträgen des Produktivvermögens ein wesentliches Ziel der Stärkung einer kapitalgedeckten Alters vorsorge sein. Dies gilt in besonderem Maße, wenn eine kapitalgedeckte Alterssicherung durch Steuermittel finanziert wird. Dann sollte sie ohnehin den Charakter einer Altersgrundsicherung haben. Ansonsten würde es sich um eine Subvention bestimmter Beitragszahlergruppen handeln, die ordnungspolitisch kaum vertretbar wäre.
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Soweit die Umverteilungsziele der Erbschaftsteuer und der steuerfinanzierten kapitalgedeckten Altersvorsorge konvergieren, bietet sich eine Verknüpfung an. Dabei könnte das Aufkommen aus einer reformierten Erbschaftsteuer, soweit es auf die Einbeziehung des Unternehmensvermögens entfällt, der Finanzierung einer Altersgrundsicherung dienen. Dies konfligiert auch nicht mit der Tinbergen-Regel.
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Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer
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Die Bemessungsgrundlage der deutschen Erbschaft- und Schenkungsteuer ist wegen vielfacher Vergünstigungen (z. B. für vermietete Grundstücke und selbstgenutzte Familienheime) und allgemeiner Freibeträge sowie der Verschonung des Unternehmensvermögens relativ schmal. Das Spiegelbild der vielfachen Abzüge sind formal hohe Steuersätze von bis zu 50 % (in Steuerklasse III), damit überhaupt nennenswerte Steuereinnahmen erzielt werden können. Obwohl jährlich mehrere hundert Milliarden Euro vererbt werden, handelt es sich bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer mit einem Aufkommen von 8,5 Mrd. Euro (2020) bislang dennoch eher um eine Bagatellsteuer.
Die Verschonung des unternehmerisch gebundenen Vermögens als Dreh- und Angelpunkt der Reformdiskussion wird vor allem mit dem Ziel der Erhaltung der Arbeitsplätze begründet. Houben und Maiterth (2011) kommen allerdings anhand einer Mikrodatensimulation zu dem Ergebnis, dass keine signifikante Gefahr für Unternehmen und Arbeitsplätze aufgrund des Liquiditätsabflusses besteht. Die Analyse bezieht sich jedoch auf die vor der Erbschaftsteuerreform 2011 angewandte Rechtslage. Eine Befragung des ifo Instituts unter deutschen Familienunternehmen 2014 weist hingegen darauf hin, dass 43 % der Familienunternehmen ohne den Verschonungsabschlag ganz oder teilweise hätten verkauft werden müssen (Dorn et al., 2017, 36). Der Wissenschaftliche Beirat beim BMF (2011, 32), der der Verschonung des Unternehmensvermögens kritisch gegenübersteht, gesteht ebenfalls zu, dass die Liquiditätswirkungen der Erbschaft- und Schenkungsteuer in Betracht zu ziehen sind. Er ist aber auch der Auffassung, dass sich diese in Grenzen halten.
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Gerechtigkeitserwägungen, Effizienzgesichtspunkte wie fiskalische Aspekte lassen jedenfalls den Wegfall der Verschonungsregelung für Unternehmensvermögen als geboten erscheinen (Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, 2011, 33 – 26): Die Trennlinie zwischen unproduktivem Verwaltungsvermögen und produktivem Betriebsvermögen ist letztlich nicht eindeutig zu ziehen. Dies provoziert wirtschaftlich unsinnige Steuergestaltungen. Durch die unterschiedliche Behandlung von Vermögen werden beispielsweise steuerlich motivierte Vermögensumschichtungen sowie Umstrukturierungen von Rechtsform und Gesellschafterkreis angereizt. Andererseits werden sinnvolle Unternehmensumstrukturierungen verhindert. Es besteht auch die Gefahr, dass familieninterne Nachfolgeregelungen gewählt werden, obwohl qualifiziertere firmenexterne Übernehmer zur Verfügung stünden – z. B. im Rahmen eines Management Buy Out. Die Verschonungsregelung kann daher dem Ziel der Sicherung der Arbeitsplätze sogar entgegenlaufen. Insbesondere im Kontext mit relativ hohen Steuersätzen erzeugt die Verschonungsregelung damit steuerliche Zusatzlasten; die betreffenden Effizienzverluste steigen näherungsweise quadratisch mit dem Steuersatz (Scherf, 2015).
Dennoch: Angesichts des breiten Spektrums an Beurteilungen der Verschonung des Unternehmensvermögens dürfte allein die Vorsicht der Gesetzgebung gebieten, bei einer Ablösung der Regelung für einen tragfähigen Ersatz zu sorgen. Erforderlich ist dabei die Einbettung in eine systematische Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Ziel muss neben der Abschaffung der Verschonung für Unternehmensvermögen (insbesondere §§ 13a und 13b ErbStG) auch der Abbau weiterer Steuervergünstigungen (z. B. § 13 c und in § 16 ErbStG) möglichst ohne eine deutliche Erhöhung der Steuersätze sein, um die Zusatzlasten der Besteuerung zu minimieren.
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Über die Höhe der Freibeträge lässt sich insbesondere die Verteilung der Steuerlast steuern: Je höher diese im Durchschnitt ausfallen, umso mehr wird die Last hin zu den großen Vermögenserben verschoben. Über den Steuersatz kann vor allem auf das Steuervolumen eingewirkt werden. Um eine Besteuerung des Unternehmensvermögens für eine Stärkung der kapitalgedeckten Altersvorsorge nutzbar zu machen, muss das Steueraufkommen gegenüber dem Status quo ansteigen. Steuersatz und Freibetrag wären dabei so zu setzen, dass
das Aufkommen aus der Besteuerung des Nicht-Unternehmensvermögens ungefähr demjenigen vor Umstellung entspricht – es müsste den Ländern als Ertragsberechtigten in unveränderter Höhe zufließen, um sie durch die Reform nicht schlechter zu stellen;
das Aufkommen aus der Einbeziehung des Unternehmensvermögens in die Erbschaftsteuer der Finanzierung der kapitalgedeckten Altersvorsorge dienen kann;
die Unternehmenserben dennoch eine ähnliche Liquiditätsbelastung wie vor der Reform haben.
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Insbesondere angesichts der letztgenannten Anforderung klingt dies zunächst wie die berühmte Quadratur des Kreises. Dennoch ist eine Auflösung der Zielkonflikte möglich. Die Begrenzung der Liquiditätsbelastung der Unternehmenserben kann trotz vollständiger Einbeziehung in die Erbschaftsteuer über großzügige Stundungsmodalitäten geschehen, was auch den Vorstellungen des Wissenschaftlichen Beirats beim BMF entspricht. Vorliegend aber noch weitergegangen:
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Nach wie vor sollte die Sofortzahlung der Steuer möglich sein. Für Unternehmensvermögen (eventuell auch für vermietete Immobilien) sollte jedoch an die Erben das Angebot gemacht werden, die Zahlung der Steuerlast im Rahmen eines langfristigen partiarischen Tilgungsdarlehens zu strecken (Bach, 2015, 506). Die Laufzeit könnte 33 Jahre betragen – dies ist ungefähr die Dauer einer Generation. Die jährliche Tilgung betrüge demnach 3 Prozentpunkte der Steuerschuld. Hinzu käme ein Anteil am laufenden Gewinn, der an den Fiskus abzuführen wäre. Möglich wäre eine Orientierung am Gewinn vor Ertragssteuern und unter Herausrechnung von Sonderabschreibungen etc., um Steuergestaltungen zu vermeiden. Läge z. B. der Steuersatz bei 25 % und der erworbene Anteil des steuerpflichtigen Erben bei 20 %, so wäre zu Beginn 25 % x 20 % = 5,0 % des jährlichen Unternehmensgewinns vor Ertragsteuern zusätzlich zur Tilgung von 3,0 % der Steuerschuld pro Jahr abzuführen. Der Sinn einer Gewinnbeteiligung des Fiskus liegt einerseits darin, dass insoweit für den Erben in ertragsschwachen Jahren das Leverage-Risiko begrenzt werden kann. Auch werden Fehlbewertungen des Unternehmensvermögens zum Zeitpunkt des Vermögensübergangs korrigiert. Schließlich partizipiert der Fiskus von ertragsstarken Jahren ähnlich wie bei einer Beteiligung – und zwar unabhängig davon, ob die Gewinne des Unternehmens thesauriert oder ausgeschüttet werden. Das partiarische Darlehen des Staates sollte nachrangig gewährt werden, um die Kreditfähigkeit der Steuerschuldnerïnnen nicht zu belasten (Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, 2011, 38). Der Vorschlag bedürfte einer beihilferechtlichen Prüfung. Weder Tilgungs- noch Zinsanteil wären von den Steuerpflichtigen als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbar, da es sich nach wie vor um eine Nebenleistung zu einer Personensteuer handelt (§ 12 Nr. 3 EStG, § 3 Abs. 4 AO). Im Ergebnis würde also regelmäßig nicht der gesamte Steueranspruch sofort beglichen, sondern nur der Teil auf das Erbe, der nicht auf das Unternehmensvermögen entfällt.
Diese Stundungsregelung sollte in eine umfassende Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer eingebettet werden. Ziel ist die weitgehende Abschaffung der doppelten Progression, die derzeit durch hohe Freibeträge und Steuersätze bewirkt wird. Diesbezaüglich bietet sich eine Flat-Rate-Erbschaftsteuer an – mit demselben Steuersatz für sämtliche Erwerbe (Beznoska und Hentze, 2021). Damit die Länder trotz kompletter Stundung der Steuer auf Unternehmenserwerbe dieselben Steuereinnahmen wie bisher haben, müsste der Steuersatz gegenüber dem heute geltenden durchschnittlichen Steuersatz (ca. 18 %) gegebenenfalls mäßig erhöht werden (z. B. auf 25 %). Wie weit die Erhöhung ausfallen muss, hängt von den Abzügen ab.
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Die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung kann angesichts der demografischen Entwicklung eine auskömmliche Versorgung im Alter bald nicht mehr sichern. Indem die Bürgerïnnen über eine kapitalgedeckte Alterssicherung am Unternehmensvermögen mittelbar beteiligt werden, könnte die Rentenlücke zumindest teilweise geschlossen werden. Das Unternehmensvermögen sollte bei einem neuen Reformanlauf auch vollständig in die Erbschaftsteuer einbezogen werden; dabei darf aber der Fortbestand der Unternehmen nicht gefährdet werden. Die Erbschaftsteuer auf Unternehmensvermögen könnte dabei als Finanzierungsquelle für eine kapitalgedeckte Altersgrundsicherung dienen.
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Zwei politische „Dauerbaustellen“ sind zu beklagen. Erstens sind die gesetzlichen Renten nicht sicher. Einer Kürzung des Rentenniveaus kann zwar über die Erhöhung der Lebensarbeitszeit oder der Rentenversicherungsbeiträge begegnet werden (Deutsche Bundesbank, 2019). Beides stößt aber irgendwann an die Grenzen der Zumutbarkeit; die noch verbleibenden Spielräume sind gering. Dies gilt auch mit Blick auf eine weitere Stärkung des Bundeszuschusses, der rentenpolitisch mit versicherungsfremden Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung gerechtfertigt wird. Weil die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung ein Altern in Würde absehbar immer weniger garantieren kann, gewinnen kapitalgedeckte Altersvorsorgesysteme in verschiedenen Varianten zunehmend Gewicht in der Reformdiskussion. Ca. 35 Mio. Deutsche leben aber in Haushalten, die ihr monatliches Einkommen komplett für ihren Lebensunterhalt ausgeben und keinen Raum für eine zusätzliche, kapitalgedeckte Absicherung im Alter haben (Fratzscher, 2017).
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Die zweite politische „Dauerbaustelle“ ist die Erbschaft- und Schenkungsteuer. Kernstück der Reformdebatte ist die Verschonung des Unternehmensvermögens (verstanden als inländisches land- und forstwirtschaftliches Vermögen, inländisches Betriebsvermögen und Anteile an Kapitalgesellschaften im Inland oder der EU). Dies befand die Gesetzgebung für nötig, um keine Arbeitsplätze zu gefährden und kleine wie mittlere Unternehmen besser erhalten zu können. Die Steuerausnahme ist immer noch weitgehend gestaltet, auch nachdem sie 2014 vom Bundesverfassungsgericht (1 BvL 21⁄12) als teilweise verfassungswidrig erklärt und daraufhin reformiert wurde. Angesichts des fiskalischen Potenzials (Bach, 2015) dürfte das letzte Wort zur Erbschaft- und Schenkungsteuer mit der jüngsten Reform noch nicht gesprochen sein.
Was aber haben Erbschaft- und Schenkungsteuer einerseits und die Alterssicherungssysteme andererseits miteinander zu tun? Die klassische rechtliche Begründung der Erbschaftsteuer verweist auf die Erfassung der Leistungsfähigkeit. Ökonomisch und sozialpolitisch werden die Begrenzung der Vermögenskonzentration und die Herstellung gleicher Startchancen über die Erbschaftsteuer – in ihrem Charakter als Erbanfallsteuer – als Argument bemüht (Beckert, 2007, 29). Letzteres könnte allerdings nur über die Ausgabenseite geschehen, z. B. über einen „Generationen-Soli“ (Gründinger, 2017). Nachfolgend wird vorgeschlagen, beide „Dauerbaustellen“ im Rahmen einer aufeinander abgestimmten Reform anzugehen. Will man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, wäre jedoch die Übereinstimmung der Ziele zu hinterfragen. Nach Tinbergen (1952) sollten unterschiedliche Ziele mit unabhängigen Instrumenten verfolgt werden. Allerdings haben die Ziele der Erbschaft- und Schenkungssteuer auf den ersten Blick wenig mit der Schließung der Rentenlücke zu tun.
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Dieser Einwand relativiert sich bei näherem Blick auf das Umverteilungsziel: Der typische Erbe ist 40 bis 65 Jahre alt (Braun, 2011, 725). Der Großteil der Erben gehört damit nicht der jungen Generation an, sondern steht eher mitten im Berufsleben oder geht sogar schon auf den Ruhestand zu. Soweit mit der Erbschaftsteuer eine Angleichung der Vermögensverhältnisse verfolgt wird, kann es damit nicht primär um eine höhere Gleichheit der Startchancen, sondern um mehr Gleichheit im letzten Lebensabschnitt gehen. Große Erbschaften gehen mit höheren Einkommen Hand in Hand. Geringverdiener hingegen erben seltener und weniger. Vermögensschwächere können ihre Altersvorsorge somit kaum auf Erbschaften aufbauen (Braun, 2011, 726). Problematischer als der Reichtum der oberen 10 % dürfte aber sein, dass die unteren 40 % praktisch kein Nettovermögen haben.
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Daher sollte die Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten an den Erträgen des Produktivvermögens ein wesentliches Ziel der Stärkung einer kapitalgedeckten Alters vorsorge sein. Dies gilt in besonderem Maße, wenn eine kapitalgedeckte Alterssicherung durch Steuermittel finanziert wird. Dann sollte sie ohnehin den Charakter einer Altersgrundsicherung haben. Ansonsten würde es sich um eine Subvention bestimmter Beitragszahlergruppen handeln, die ordnungspolitisch kaum vertretbar wäre.
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Soweit die Umverteilungsziele der Erbschaftsteuer und der steuerfinanzierten kapitalgedeckten Altersvorsorge konvergieren, bietet sich eine Verknüpfung an. Dabei könnte das Aufkommen aus einer reformierten Erbschaftsteuer, soweit es auf die Einbeziehung des Unternehmensvermögens entfällt, der Finanzierung einer Altersgrundsicherung dienen. Dies konfligiert auch nicht mit der Tinbergen-Regel.
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Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer
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Die Bemessungsgrundlage der deutschen Erbschaft- und Schenkungsteuer ist wegen vielfacher Vergünstigungen (z. B. für vermietete Grundstücke und selbstgenutzte Familienheime) und allgemeiner Freibeträge sowie der Verschonung des Unternehmensvermögens relativ schmal. Das Spiegelbild der vielfachen Abzüge sind formal hohe Steuersätze von bis zu 50 % (in Steuerklasse III), damit überhaupt nennenswerte Steuereinnahmen erzielt werden können. Obwohl jährlich mehrere hundert Milliarden Euro vererbt werden, handelt es sich bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer mit einem Aufkommen von 8,5 Mrd. Euro (2020) bislang dennoch eher um eine Bagatellsteuer.
Die Verschonung des unternehmerisch gebundenen Vermögens als Dreh- und Angelpunkt der Reformdiskussion wird vor allem mit dem Ziel der Erhaltung der Arbeitsplätze begründet. Houben und Maiterth (2011) kommen allerdings anhand einer Mikrodatensimulation zu dem Ergebnis, dass keine signifikante Gefahr für Unternehmen und Arbeitsplätze aufgrund des Liquiditätsabflusses besteht. Die Analyse bezieht sich jedoch auf die vor der Erbschaftsteuerreform 2011 angewandte Rechtslage. Eine Befragung des ifo Instituts unter deutschen Familienunternehmen 2014 weist hingegen darauf hin, dass 43 % der Familienunternehmen ohne den Verschonungsabschlag ganz oder teilweise hätten verkauft werden müssen (Dorn et al., 2017, 36). Der Wissenschaftliche Beirat beim BMF (2011, 32), der der Verschonung des Unternehmensvermögens kritisch gegenübersteht, gesteht ebenfalls zu, dass die Liquiditätswirkungen der Erbschaft- und Schenkungsteuer in Betracht zu ziehen sind. Er ist aber auch der Auffassung, dass sich diese in Grenzen halten.
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Gerechtigkeitserwägungen, Effizienzgesichtspunkte wie fiskalische Aspekte lassen jedenfalls den Wegfall der Verschonungsregelung für Unternehmensvermögen als geboten erscheinen (Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, 2011, 33 – 26): Die Trennlinie zwischen unproduktivem Verwaltungsvermögen und produktivem Betriebsvermögen ist letztlich nicht eindeutig zu ziehen. Dies provoziert wirtschaftlich unsinnige Steuergestaltungen. Durch die unterschiedliche Behandlung von Vermögen werden beispielsweise steuerlich motivierte Vermögensumschichtungen sowie Umstrukturierungen von Rechtsform und Gesellschafterkreis angereizt. Andererseits werden sinnvolle Unternehmensumstrukturierungen verhindert. Es besteht auch die Gefahr, dass familieninterne Nachfolgeregelungen gewählt werden, obwohl qualifiziertere firmenexterne Übernehmer zur Verfügung stünden – z. B. im Rahmen eines Management Buy Out. Die Verschonungsregelung kann daher dem Ziel der Sicherung der Arbeitsplätze sogar entgegenlaufen. Insbesondere im Kontext mit relativ hohen Steuersätzen erzeugt die Verschonungsregelung damit steuerliche Zusatzlasten; die betreffenden Effizienzverluste steigen näherungsweise quadratisch mit dem Steuersatz (Scherf, 2015).
Dennoch: Angesichts des breiten Spektrums an Beurteilungen der Verschonung des Unternehmensvermögens dürfte allein die Vorsicht der Gesetzgebung gebieten, bei einer Ablösung der Regelung für einen tragfähigen Ersatz zu sorgen. Erforderlich ist dabei die Einbettung in eine systematische Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Ziel muss neben der Abschaffung der Verschonung für Unternehmensvermögen (insbesondere §§ 13a und 13b ErbStG) auch der Abbau weiterer Steuervergünstigungen (z. B. § 13 c und in § 16 ErbStG) möglichst ohne eine deutliche Erhöhung der Steuersätze sein, um die Zusatzlasten der Besteuerung zu minimieren.
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Über die Höhe der Freibeträge lässt sich insbesondere die Verteilung der Steuerlast steuern: Je höher diese im Durchschnitt ausfallen, umso mehr wird die Last hin zu den großen Vermögenserben verschoben. Über den Steuersatz kann vor allem auf das Steuervolumen eingewirkt werden. Um eine Besteuerung des Unternehmensvermögens für eine Stärkung der kapitalgedeckten Altersvorsorge nutzbar zu machen, muss das Steueraufkommen gegenüber dem Status quo ansteigen. Steuersatz und Freibetrag wären dabei so zu setzen, dass
das Aufkommen aus der Besteuerung des Nicht-Unternehmensvermögens ungefähr demjenigen vor Umstellung entspricht – es müsste den Ländern als Ertragsberechtigten in unveränderter Höhe zufließen, um sie durch die Reform nicht schlechter zu stellen;
das Aufkommen aus der Einbeziehung des Unternehmensvermögens in die Erbschaftsteuer der Finanzierung der kapitalgedeckten Altersvorsorge dienen kann;
die Unternehmenserben dennoch eine ähnliche Liquiditätsbelastung wie vor der Reform haben.
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Insbesondere angesichts der letztgenannten Anforderung klingt dies zunächst wie die berühmte Quadratur des Kreises. Dennoch ist eine Auflösung der Zielkonflikte möglich. Die Begrenzung der Liquiditätsbelastung der Unternehmenserben kann trotz vollständiger Einbeziehung in die Erbschaftsteuer über großzügige Stundungsmodalitäten geschehen, was auch den Vorstellungen des Wissenschaftlichen Beirats beim BMF entspricht. Vorliegend aber noch weitergegangen:
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Nach wie vor sollte die Sofortzahlung der Steuer möglich sein. Für Unternehmensvermögen (eventuell auch für vermietete Immobilien) sollte jedoch an die Erben das Angebot gemacht werden, die Zahlung der Steuerlast im Rahmen eines langfristigen partiarischen Tilgungsdarlehens zu strecken (Bach, 2015, 506). Die Laufzeit könnte 33 Jahre betragen – dies ist ungefähr die Dauer einer Generation. Die jährliche Tilgung betrüge demnach 3 Prozentpunkte der Steuerschuld. Hinzu käme ein Anteil am laufenden Gewinn, der an den Fiskus abzuführen wäre. Möglich wäre eine Orientierung am Gewinn vor Ertragssteuern und unter Herausrechnung von Sonderabschreibungen etc., um Steuergestaltungen zu vermeiden. Läge z. B. der Steuersatz bei 25 % und der erworbene Anteil des steuerpflichtigen Erben bei 20 %, so wäre zu Beginn 25 % x 20 % = 5,0 % des jährlichen Unternehmensgewinns vor Ertragsteuern zusätzlich zur Tilgung von 3,0 % der Steuerschuld pro Jahr abzuführen. Der Sinn einer Gewinnbeteiligung des Fiskus liegt einerseits darin, dass insoweit für den Erben in ertragsschwachen Jahren das Leverage-Risiko begrenzt werden kann. Auch werden Fehlbewertungen des Unternehmensvermögens zum Zeitpunkt des Vermögensübergangs korrigiert. Schließlich partizipiert der Fiskus von ertragsstarken Jahren ähnlich wie bei einer Beteiligung – und zwar unabhängig davon, ob die Gewinne des Unternehmens thesauriert oder ausgeschüttet werden. Das partiarische Darlehen des Staates sollte nachrangig gewährt werden, um die Kreditfähigkeit der Steuerschuldnerïnnen nicht zu belasten (Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, 2011, 38). Der Vorschlag bedürfte einer beihilferechtlichen Prüfung. Weder Tilgungs- noch Zinsanteil wären von den Steuerpflichtigen als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbar, da es sich nach wie vor um eine Nebenleistung zu einer Personensteuer handelt (§ 12 Nr. 3 EStG, § 3 Abs. 4 AO). Im Ergebnis würde also regelmäßig nicht der gesamte Steueranspruch sofort beglichen, sondern nur der Teil auf das Erbe, der nicht auf das Unternehmensvermögen entfällt.
Diese Stundungsregelung sollte in eine umfassende Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer eingebettet werden. Ziel ist die weitgehende Abschaffung der doppelten Progression, die derzeit durch hohe Freibeträge und Steuersätze bewirkt wird. Diesbezaüglich bietet sich eine Flat-Rate-Erbschaftsteuer an – mit demselben Steuersatz für sämtliche Erwerbe (Beznoska und Hentze, 2021). Damit die Länder trotz kompletter Stundung der Steuer auf Unternehmenserwerbe dieselben Steuereinnahmen wie bisher haben, müsste der Steuersatz gegenüber dem heute geltenden durchschnittlichen Steuersatz (ca. 18 %) gegebenenfalls mäßig erhöht werden (z. B. auf 25 %). Wie weit die Erhöhung ausfallen muss, hängt von den Abzügen ab.
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