Elena Schmauß, geb. Waldorf – Nachruf auf eine große Förderin der Freiwirtschaft
kürzlich in eine andere Welt vorangehen. Als wir uns bei einer Tagung „Silvio Gesell und Rudolf Steiner“ des
„Seminars für freiheitliche Ordnung“ in Bad Boll im Oktober 1989 zum ersten Mal begegneten, hatte Elena Schmauß
ihr 75. Lebensjahr bereits überschritten, war aber körperlich und geistig höchst beweglich. Damals lebte sie noch
in Rio de Janeiro/Brasilien und konnte nur selten zu Tagungen nach Deutschland kommen. Das änderte sich im Laufe
der 1990er Jahre mit ihrer Rückkehr nach Deutschland. Fortan nahm sie mehrfach als „Grande Dame“ in Tagungen teil
und erzählte zuweilen auch etwas aus ihrem Leben.
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Schon früh verloren sie und ihre fünf älteren Geschwister ihren Vater, so dass ihre Mutter die schwierigen Zeiten
des Ersten Weltkriegs und der großen Inflation als Alleinerzieherin bewältigen musste. Auch zwei ihrer drei
Brüder starben schon frühzeitig. Eine ihrer älteren Schwestern, die ebenfalls vor einigen Jahren im hohen Alter
von 106 Jahren verstarb, nahm sie schon als 13-jähriges Mädchen mit zu Veranstaltungen der damaligen Jugend‑,
Wandervogel- und Lebensreformbewegung. Mit Begeisterung erzählte Elena Schmauß manchmal, dass sie Silvio Gesell
und dem schweizerischen Lebensreformer Werner Zimmermann 1926 auf einer Jugendtagung in Kassel persönlich
begegnet war. Die zahlreichen Schriften von Zimmermann und auch die des katholischen Theologieprofessors Johannes
Ude, der sich in Österreich für die Friedensbewegung und später in der Antiatombewegung engagierte, hat sie alle
gelesen und sich mehrfach auf den Weg gemacht, wenn Zimmermann und Ude Vorträge in Deutschland hielten.
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Nach ihrer Lehre in einem Reformhaus eröffnete Elena Schmauß 1933 als 20-Jährige ein eigenes Reformhaus in
Leverkusen, das sie in der NS-Zeit selbstständig betreiben konnte, ohne sich NS-Organisationen wie dem BDM
anzuschließen. Eines Tages kaufte der aus München stammende und in Leverkusen bei den Bayer-Werken tätige
Chemiker Otto Schmauß in diesem Reformhaus ein und kam mehrmals wieder, weil er annahm, dass Elenas Geburtsname
Waldorf etwas mit den anthroposophischen Waldorf-Schulen zu tun haben könnte. Er interessierte sich nämlich für
die Waldorf-Pädagogik, für die Ernährungsreform und die Naturheilkunde – und bald auch für die Inhaberin dieses
Reformhauses.
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Nachdem Otto Schmauß für einige Zeit in die USA gegangen war, kam er nach Leverkusen zurück, denn die Zuneigung
der beiden zueinander hatte die Zeit seiner Abwesenheit überdauert. Als der Zweite Weltkrieg begann, brauchte
Otto Schmauß nicht Soldat zu werden, weil er in der ‚kriegswichtigen’ Forschung für die Herstellung von
synthetischem Kautschuk beschäftigt war. 1941 heirateten die beiden.
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Nach dem Krieg konnte Otto Schmauß bei den Bayer-Werken bleiben und, da sich seine Hoffnung zerschlug, in die
Schweiz gehen und als Chemiker bei der Fa. Weleda in der Nähe von Dornach tätig werden zu können, blieben er und
seine Frau Elena in Leverkusen und planten dort ihre Zukunft. 1950 erwarben sie gemäß ihren bodenreformerischen
Überzeugungen ein Erbbaugrundstück von der Stadt und erbauten darauf ein eigenes Haus. Während Bayer die Stadt
zum Verkauf von Grundstücken drängte, wandten sich besonders zwei Abgeordnete der damaligen geld- und
bodenreformisch eingestellten „Radikalsozialen Freiheitspartei“ (der Vorläuferin der „Freisozialen Union“)
vehement gegen solche Verkäufe von städtischem Tafelsilber. Diese beiden Abgeordneten im Stadtparlament
organisierten auch mehrfach Vortragsreisen von Werner Zimmermann und Johannes Ude durch das Ruhrgebiet, bei denen
das Ehepaar Schmauß die Referenten in ihrem Haus beherbergte.
1957 ergab sich eine unerwartete Wende im Leben von Elena und Otto Schmauß. Nachdem sich ihr Kinderwunsch nicht
erfüllte und Otto eine andere Beschäftigung in der Bayer-Niederlassung in Brasilien angeboten wurde, verkauften
sie ihr Haus in Leverkusen, spendeten einen Teil des Verkaufserlöses für die damals gerade im Bau befindliche
„Silvio-Gesell-Tagungsstätte“ zwischen Wuppertal und Neviges und siedelten sich nördlich von Rio de Janeiro in
Teresópolis an – nicht weit entfernt von Petrópolis, wo der Schriftsteller Stefan Zweig im Exil gelebt hatte.
Otto Schmauß konnte sich fortan ganz der Entwicklung von Gerbstoffen für Leder, Leder- und Textilfarben widmen
und seine Versetzung, in die von Bayer ebenfalls betriebene Produktion von Insektiziden und Pestiziden vermeiden.
Er machte Erfindungen und meldete sie als Patente an. So wurden Otto und Elena Schmauß wohlhabend, gehörten zum
gehobenen Bürgertum und verkehrten bald mit Industriellen, Politikern, Ärzten und Künstlern.
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