Eine kurze Geschichte der Arbeitsteilung – Siegfried Wendt
Kommentar zum Titel: Das Attribut „kurz“ im Titel dieses Aufsatzes ist nicht zeitlich zu verstehen, denn der Aufsatz behandelt die Zeit von der Entstehung des homo sapiens bis heute. Vielmehr betrifft dieses Attribut die Länge des Aufsatzes, der tatsächlich nur wenige Seiten lang ist. Es ist umso erstaunlicher, dass sich auf wenigen Seiten viel Interessantes über die Konsequenzen der Arbeitsteilung sagen lässt.
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Die Entstehung der Arbeitsteilung
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In der biblischen Schöpfungsgeschichte gibt es anfänglich noch keinen Grund für eine Arbeitsteilung, wie sie im vorliegenden Aufsatz gemeint ist. Zwar wird allein schon durch die Geschlechtertrennung eine gewisse Arbeitsteilung eingeführt, denn nur die Frauen gebären und säugen die Kinder und sind in dieser Zeit nicht in der Lage, zu jagen und Höhlen zu bauen. Dass Arbeit geleistet werden muss, steht allerdings schon im 19. Vers von 1. Mose 3: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.“ Die Idee der unterschiedlichen Berufe zeigt sich dann aber auch schon bald, wenn gleich am Anfang des 4. Kapitels im 1. Buch Mose berichtet wird, dass Abel ein Schäfer war und Kain ein Ackerbauer.
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Was für die Autoren des Schöpfungsberichts offenbar kein Problem war, was aber im Laufe der Zeit zunehmend zum schwerwiegenden Problem wurde, ist die Frage nach dem Eigentum an Grundstücken. Sowohl Abel als auch Kain benötigten Grundstücke für ihre Arbeit. Aber da damals Grundstücke in Hülle und Fülle vorhanden waren, konnte niemand vorhersehen, dass man eines Tages Regeln erfinden müsste, wie der Streit um die Nutzung von Grundstücken vermieden oder friedlich entschieden werden kann.
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Die Entstehung speziellerer Berufe ist zwar nicht mehr in der Bibel beschrieben, aber sie liegt eigentlich auf der Hand: Man braucht Bäcker, Metzger, Töpfer, Maurer, Zimmerleute und Gerber zur Erzeugung der elementaren Produkte für die Zwecke Nahrung, Kleidung und Wohnen. Mit jedem dieser Berufe ist zwar ein spezielles Knowhow verbunden, aber Verständnisprobleme gibt es damit nicht. Dies änderte sich drastisch mit dem Aufkommen von Kompositionsprodukten, deren Aufbau nur noch anhand von Kompositionsbildern verstanden werden kann. Das Prinzip der Produktkomposition ist in Abbildung 1 veranschaulicht.
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Die ersten Kompositionsprodukte dienten der Unterstützung der Produzenten elementarer Produkte. So kam es zu Pflügen, Eggen und Ochsen- oder Eselskarren. Diese Systeme waren noch so einfach, dass zu ihrer Herstellung keine Arbeitsteilung erforderlich war. Einzelne Menschen konnten sich das Knowhow verschaffen, das es ihnen ermöglichte, diese Systeme zu bauen. In meiner Kindheit gab es solche Handwerker noch; ihre Berufsbezeichnung war „Wagner“.
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Ungefähr ab dem Jahre 1800 kam es zu einer fast explosionsartigen Zunahme naturwissenschaftlicher Erkenntnisse – die erste Dampfmaschine wurde gebaut und der Zusammenhang zwischen Elektrizität und Magnetismus wurde erkannt. Dies brachte die Menschheit schließlich in die Lage, immer kompliziertere Kompositionsprodukte zu entwerfen; willkürlich herausgegriffene Beispiele hierfür sind Dampflokomotiven, Flugzeuge, Kühlschränke und Computer. Für deren Herstellung musste eine hochgradige Arbeitsteilung organisiert werden. Diese Arbeitsteilung äußerte sich auch deutlich sichtbar in der Gründung industrieller Unternehmen wie Stahlwerke, Fabriken des Maschinenbaus, Firmen für elektrotechnische oder chemische Produkte.
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Die hochgradige Arbeitsteilung brachte die Entstehung einer speziellen Berufsgruppe mit sich, deren Aufgabe es ist, das Zusammenwirken sehr vieler – oft über tausend – Fachleute unterschiedlichster Kompetenzen zu organisieren, von denen die meisten sich nie begegnen. Die Mitglieder dieser Berufsgruppe erhielten die Bezeichnung „Ingenieur“. Sie müssen dafür sorgen, dass über ein wohldefiniertes Netz von Kanälen in genormter Form die Informationen über die jeweiligen Teilaufgaben und Arbeitsergebnisse fließen, ohne dass dies die Informationslieferanten und ‑empfänger zeitlich unnötig belastet.
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Der Zwang zum Geld
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Schon zur Zeit von Kain und Abel war es so, dass nicht jeder Mensch alle Produkte selbst produzierte, die er für Nahrung, Kleidung und Wohnung brauchte. Die Vielfalt der Produkte war anfangs aber immer noch so beschränkt, dass sich die Menschen im gegenseitigen Tausch (wie oben in Abbildung 2 gezeigt) mit allem versorgen konnten, was sie zum Leben brauchten – Wolle gegen Kartoffeln, Äpfel gegen Fleisch, Butter gegen Fische, usw. Durch das Aufkommen immer komplexerer Kompositionsprodukte war es aber bald unmöglich, dass jeder Anbieter A immer einen Tauschpartner B finden konnte, der die angebotenen Produkte brauchen konnte und dafür selbst das liefern konnte, was von A gesucht wurde. Die Lösung des Problems ist im unteren Teil der Abbildung 2 dargestellt:
Jeder Tauschpartner tritt nun nacheinander sowohl in der Rolle eines Käufers als auch in der Rolle eines Verkäufers auf. Der ursprüngliche Tausch wird also in zwei Aktionen aufgeteilt, in das Kaufen und das Verkaufen. Diese Aufteilung wurde durch die Einführung des Geldes ermöglicht. Die Aufteilung des ursprünglich einschrittigen Tauschvorgangs in zwei Schritte brachte für die Tauschpartner aber auch einen Nachteil mit sich, denn statt nur einer müssen sie nun zwei Wertentscheidungen fällen. Ursprünglich musste jeder nur entscheiden, ob das, was er bekommt, mindestens gleichwertig ist mit dem, was er dafür abgibt. Nun aber muss sowohl entschieden werden, ob das Geld, welches für das zu verkaufende Ding angeboten wird, nicht zu wenig ist, und es muss auch entschieden werden, ob der Preis für das zu kaufende Ding nicht zu hoch ist.
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Anfänglich glaubte man noch, das Geld müsse gegenständlichen Wert haben. Deshalb wurden Münzen aus den Edelmetallen Gold und Silber geprägt. Später kam dann die Erkenntnis, dass es genügt, wenn der Staat das Monopol zur Herstellung des Geldes hat und das Nachmachen einerseits erschwert und andererseits bestraft.
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Was man lange Zeit nicht erkannte, war der Zusammenhang zwischen Wirtschaftskrisen und der Hortung von Geld zum Zweck der langzeitigen Wertaufbewahrung. Umgangssprachlich wurde dieses Horten beschrieben als „das Geld unter die Matratze legen“. Im Grunde müsste man den Bürgern schon in der Grundschule beibringen, dass das Geld Eigentum des Staates ist und nicht als Privateigentum betrachtet werden darf. Man kann dabei auf die Analogie verweisen, dass die Einkaufswagen den Supermärkten gehören und den Käufern nur so lange zur Nutzung zur Verfügung gestellt werden, bis sie ihre eingekauften Waren anderweitig untergebracht haben.
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„Nicht horten dürfen“ darf allerdings nicht gleichgesetzt werden mit „nicht sparen dürfen“. Wer ein regelmäßiges monatliches Einkommen hat, weiß, wie lange er sparen muss, bis er sich eine geplante größere Anschaffung leisten kann. Da er die Sparbeträge nicht unter die Matratze legen darf, muss es eine andere Möglichkeit geben, den erforderlichen Geldbetrag anzusparen. Diese andere Möglichkeit besteht darin, das anzusparende Geld zu einer Bank zu bringen. Die Banken horten das ihnen übergebene Geld nicht, sondern geben es in Form von Krediten weiter. Falls die Banken mehr Geld erhalten, als sie verleihen oder investieren können, halten sie einen Teil davon als Zentralbankgeld oder Bargeld, das von der Zentralbank geschaffen wird.
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Zurzeit gibt es allerdings noch nirgends auf der Welt Mechanismen, welche den Bürgern Strafen auferlegen, falls sie das Geldhortungsverbot missachten.
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Die Entpersönlichung des Tausches
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Im vorherigen Abschnitt wird ein Tausch als Aktion zwischen einzelnen Personen betrachtet, die als Käufer und Verkäufer agieren. Diese Vorstellung trifft aber schon länger auf den größten Teil der Werteflüsse nicht mehr zu. Man denke an die folgenden Beispiele:
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Durch meine Vorlesungen brachte ich meine Leistung zu den Studenten im Hörsaal. Ich bekam mein Gehalt aber nicht von den Studenten. – - –
Heute bin ich Pensionär und leiste gar nichts mehr. Meine monatliche Pension bekomme ich aber trotzdem, und zwar von der Finanzkasse des Landes Brandenburg.
Die Arbeiter einer Straßenbaufirma erstellen ein Stück Autobahn. Sie erhalten ihren Lohn aber nicht von den Autofahrern.
Der Arbeiter, der an einer bestimmten Stelle des Fertigungsbandes einer Autofabrik immer nur Windschutzscheiben einsetzt, erhält seinen Lohn von der Lohnabteilung des Unternehmens und nicht von den Käufern der Autos.
Der Käufer am Fahrkartenschalter des Bahnhofs erhält von der bei der Bahngesellschaft angestellten Person gegen einen bestimmten Geldbetrag eine Fahrkarte, die ihn zu einer bestimmten Bahnfahrt berechtigt. Der Lokführer, der für diese Fahrt gebraucht wird, kommt bei diesem Kauf nicht vor.
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Diese Beispiele zeigen, dass es heute nur noch ganz wenige Situationen gibt, bei denen ein Kauf tatsächlich von zwei Menschen abgewickelt wird, wobei der eine als Verkäufer eine bestimmte Leistung abgibt und der andere als Käufer dafür bezahlt – so wie es auf dem Wochenmarkt der Fall ist, wo man Gemüse oder Obst kaufen kann. Aber in den oben angeführten Beispielen sind die Leistungserbringer oder die Leistungsempfänger oder beide keine einzelnen Menschen mehr, sondern „Institutionen“. In diesen Institutionen gibt es Menschen, die stellvertretend entweder als Käufer oder als Verkäufer agieren.
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In Abbildung 3 sind als Beispiele zwei Institutionen gezeigt, nämlich eine Straßenbaufirma und die Staatsverwaltung. Die Straßenbaufirma stellt einen Autobahnabschnitt her, der von allen Autofahrern genutzt werden kann. Alle steuerzahlenden Staatsbürger sorgen für Steuereinnahmen, die dazu dienen, sowohl die Rechnungen der Straßenbaufirma als auch die Gehälter der Angestellten in der Staatsverwaltung zu bezahlen. – - –
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