Die schwierige Suche nach der Wahrheit – Stefan Nold
29.7.2019: „Moskauer fordern die Macht heraus – Aus Empörung über Wahlmanipulation gehen Tausende Russen auf die Straßen / Staat reagiert mit Härte“. 30.7.2019: „Protestwelle Gefahr für Putin? Kreml lässt im Herzen Moskaus immer mehr Demonstranten niederknüppeln – die Empörung wächst“. 5.8.2019: „Hunderte Festnahmen in Moskau. Die Proteste gegen Willkür in Russland reißen nicht ab / Doch die Polizei greift wieder hart durch“. 9.8.2019: „Jubiläum zwischen Bränden und Protesten. Seit 20 Jahren ist Wladimir Putin der unumschränkte Herrscher im Kreml, doch zum Feiern ist in Russland kaum jemandem zumute.“ Das sind die Überschriften unserer Lokalzeitung, dem Darmstädter Echo zu den Protesten in Moskau am 27. und 2.8. diesen Jahres.
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Im gleichen Monat war in der Zeitschrift HUMANE WIRTSCHAFT mein Beitrag „Vom Herzen in die Hände“ erschienen. Darin hatte ich geschrieben: „Auch heute ist Russland nicht die Schweiz, aber es herrscht doch eine sehr weitreichende Meinungsfreiheit, was für einen Vielvölkerstaat mit vielen unterschiedlichen Glaubensrichtungen, ungünstigen wirtschaftlichen Startbedingungen und hohem Konfliktpotential nicht selbstverständlich ist.“ Mich beschlichen Zweifel. Hatte ich daneben gelegen? Ich dachte an eine Besprechung mit meinem Doktorvater, dem Regelungstechnik-Professor Rolf Isermann. Vor uns lag der erste Entwurf meiner Dissertation. Er riet mir: „Herr Nold, sie haben doch so viel. Aber schreiben sie lieber etwas weniger. Das was sie schreiben, muss hieb- und stichfest sein, sonst machen sie sich angreifbar.“ Es gibt Worte, die brennen sich ein in den Kopf. 30 Jahre sind seitdem vergangen. Sein Ratschlag war mir immer präsent, ob im Geschäftsleben beim Erstellen eines Angebots oder bei der Formulierung eines Flyers für eine Bürgerinitiative. Und jetzt dieser Lapsus, diese allgemeine Wertung ohne konkrete Quellenangabe. „Wie konntest du nur?“ ging es mir durch den Kopf.
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Woher stammte meine Einschätzung? Langsam erinnerte ich mich: Anlässlich der Fußballweltmeisterschaft im vergangenen Jahr brachte das ZDF am 14. 6. eine Reportage von Markus Lanz mit dem Thema „Russland! Gespräch mit ziemlich fremden Freunden“. Zum Glück ist der Bericht in der ZDF-Mediathek abrufbar. Lanz hatte eine ganze Reihe von Menschen quer durch die Gesellschaft interviewt. Einer von ihnen war Dmitri Trenin, Leiter des Moskau Instituts der Carnegie Endowment for International Peace. Trenin hat eine ganze Reihe von viel beachteten Büchern über Russland und seine Entwicklung geschrieben. Die Carnegie Endowment wurde von dem amerikanischen Milliardär Andrew Carnegie gegründet und ist mittlerweile ein 377 Mio. $ schweres Netzwerk mit Büros in Beirut, Brüssel, Moskau, Neu-Dehli, Peking, Washington mit einem Jahresbudget von 36 Mio. Dollar: „Unsere über einhundert Jahre alte Mission ist es, Frieden durch Analyse, frische politische Ideen und direktes Engagement und Zusammenarbeit von Regierung, der Geschäftswelt und der Zivilgesellschaft zu befördern. Die Zusammenarbeit unserer Zentren bringt bilateralen, regionalen und globalen Problemen den unschätzbaren Vorteil verschiedener nationaler Sichtweisen.“ So beschreibt die Carnegie-Endowment ihre Mission. Ich hörte mir das Interview noch einmal an. Hier ist die Mitschrift des Teiles, bei dem es um die Meinungsfreiheit in Russland geht.
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Markus Lanz: Würden Sie die russische Gesellschaft als frei bezeichnen?
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Dmitri Trenin: Das kommt darauf an, um was es geht. In Bezug auf persönliche Freiheit halte ich Russland für ein freies Land. Sie können reisen, Ihre Religion frei ausüben. Sie können Geld verdienen.
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Markus Lanz: Können Sie auch sagen, was immer sie möchten?
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Dmitri Trenin: Ja, Sie können sagen, was sie möchten. Ich erkläre das mal so: Auf den wichtigsten Fernsehkanälen in Russland gibt es Talkshows, in die Menschen mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen eingeladen werden. Aber die Gäste, die oppositionelle Ansichten vertreten, Meinungen im Kontrast zur Staatsführung, werden dort vorgeführt; sie werden genau danach gecastet. Sie müssen damit rechnen, niedergebrüllt zu werden. Ihre Aussagen werden von anderen Teilnehmern angegriffen und der Moderator ist voreingenommen. Es ist nicht so, dass man Dinge nicht äußern darf. Das ist nicht mehr die Sowjetunion. Aber in den Talkshows werden diese Leute zu Prügelknaben gemacht. Grundsätzlich haben wir das Recht der freien Rede und das ist wichtig zu wissen, wenn man die Art des politischen Regimes, das wir heute in Russland haben, verstehen will. Auf den Punkt gebracht: Sie können sich frei äußern. Was Sie nicht können und wo man Sie stark einschränken wird, was sie nicht tun dürfen ist, es umzusetzen. Die Grenzlinie verläuft genau zwischen Sagen und Tun. Sagen ist erlaubt, etwas umsetzen aber nicht.
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Im gleichen Monat war in der Zeitschrift HUMANE WIRTSCHAFT mein Beitrag „Vom Herzen in die Hände“ erschienen. Darin hatte ich geschrieben: „Auch heute ist Russland nicht die Schweiz, aber es herrscht doch eine sehr weitreichende Meinungsfreiheit, was für einen Vielvölkerstaat mit vielen unterschiedlichen Glaubensrichtungen, ungünstigen wirtschaftlichen Startbedingungen und hohem Konfliktpotential nicht selbstverständlich ist.“ Mich beschlichen Zweifel. Hatte ich daneben gelegen? Ich dachte an eine Besprechung mit meinem Doktorvater, dem Regelungstechnik-Professor Rolf Isermann. Vor uns lag der erste Entwurf meiner Dissertation. Er riet mir: „Herr Nold, sie haben doch so viel. Aber schreiben sie lieber etwas weniger. Das was sie schreiben, muss hieb- und stichfest sein, sonst machen sie sich angreifbar.“ Es gibt Worte, die brennen sich ein in den Kopf. 30 Jahre sind seitdem vergangen. Sein Ratschlag war mir immer präsent, ob im Geschäftsleben beim Erstellen eines Angebots oder bei der Formulierung eines Flyers für eine Bürgerinitiative. Und jetzt dieser Lapsus, diese allgemeine Wertung ohne konkrete Quellenangabe. „Wie konntest du nur?“ ging es mir durch den Kopf.
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Woher stammte meine Einschätzung? Langsam erinnerte ich mich: Anlässlich der Fußballweltmeisterschaft im vergangenen Jahr brachte das ZDF am 14. 6. eine Reportage von Markus Lanz mit dem Thema „Russland! Gespräch mit ziemlich fremden Freunden“. Zum Glück ist der Bericht in der ZDF-Mediathek abrufbar. Lanz hatte eine ganze Reihe von Menschen quer durch die Gesellschaft interviewt. Einer von ihnen war Dmitri Trenin, Leiter des Moskau Instituts der Carnegie Endowment for International Peace. Trenin hat eine ganze Reihe von viel beachteten Büchern über Russland und seine Entwicklung geschrieben. Die Carnegie Endowment wurde von dem amerikanischen Milliardär Andrew Carnegie gegründet und ist mittlerweile ein 377 Mio. $ schweres Netzwerk mit Büros in Beirut, Brüssel, Moskau, Neu-Dehli, Peking, Washington mit einem Jahresbudget von 36 Mio. Dollar: „Unsere über einhundert Jahre alte Mission ist es, Frieden durch Analyse, frische politische Ideen und direktes Engagement und Zusammenarbeit von Regierung, der Geschäftswelt und der Zivilgesellschaft zu befördern. Die Zusammenarbeit unserer Zentren bringt bilateralen, regionalen und globalen Problemen den unschätzbaren Vorteil verschiedener nationaler Sichtweisen.“ So beschreibt die Carnegie-Endowment ihre Mission. Ich hörte mir das Interview noch einmal an. Hier ist die Mitschrift des Teiles, bei dem es um die Meinungsfreiheit in Russland geht.
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Markus Lanz: Würden Sie die russische Gesellschaft als frei bezeichnen?
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Dmitri Trenin: Das kommt darauf an, um was es geht. In Bezug auf persönliche Freiheit halte ich Russland für ein freies Land. Sie können reisen, Ihre Religion frei ausüben. Sie können Geld verdienen.
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Markus Lanz: Können Sie auch sagen, was immer sie möchten?
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Dmitri Trenin: Ja, Sie können sagen, was sie möchten. Ich erkläre das mal so: Auf den wichtigsten Fernsehkanälen in Russland gibt es Talkshows, in die Menschen mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen eingeladen werden. Aber die Gäste, die oppositionelle Ansichten vertreten, Meinungen im Kontrast zur Staatsführung, werden dort vorgeführt; sie werden genau danach gecastet. Sie müssen damit rechnen, niedergebrüllt zu werden. Ihre Aussagen werden von anderen Teilnehmern angegriffen und der Moderator ist voreingenommen. Es ist nicht so, dass man Dinge nicht äußern darf. Das ist nicht mehr die Sowjetunion. Aber in den Talkshows werden diese Leute zu Prügelknaben gemacht. Grundsätzlich haben wir das Recht der freien Rede und das ist wichtig zu wissen, wenn man die Art des politischen Regimes, das wir heute in Russland haben, verstehen will. Auf den Punkt gebracht: Sie können sich frei äußern. Was Sie nicht können und wo man Sie stark einschränken wird, was sie nicht tun dürfen ist, es umzusetzen. Die Grenzlinie verläuft genau zwischen Sagen und Tun. Sagen ist erlaubt, etwas umsetzen aber nicht.
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