Die Sache mit der Elsterfeder – Pat Christ
Der kann sich umso stärker auflösen, je unnatürlicher und künstlicher das Milieu ist, in dem eine Art lebt. Die Federn domestizierter Krähen zum Beispiel weisen im Falle einer Pigmentstörung auch weiße Flecken auf. Das Weiß der Feder geht in diesem Fall allerdings verwaschen-fransig ins Schwarz über.
Warum dies so spannend ist? Nun dahinter steckt eine nachgerade revolutionäre Erkenntnis: Gesunde Entwicklungen, bei denen sich der innere Zusammenhang nicht auflöst, vollziehen sich ausschließlich in Milieus, die eine ungestörte Resonanz auf die Umwelt möglich machen, zeigte Michael Beleites bei der Jahresfeier 2014 der HUMANEN WIRTSCHAFT auf. In unnatürlichen, künstlichen Milieus kommt es hingegen zum Zerfall dieses inneren Zusammenhangs. Kommt es zu Verwaschungen. Genau das ist auch in unserer unnatürlichen Wirtschaftsordnung zu beobachten.
Michael Beleites erkannte noch mehr, was für HumanwirtschaftlerInnen faszinierend ist: Neue Weichen, etwa die Veränderung einer Pflanzenart hin zu mehr Trockenheitsresistenz, werden in der Natur weder durch Kampf noch durch Konkurrenz gestellt. Sie sind ausschließlich eine Antwort auf die aktuellen Umweltbedingungen – sofern es möglich ist, ungestört auf die Umwelt zu reagieren. Wer das erkannt hat, darf die Wettbewerbsmär vom „survival oft he fittest“ getrost ad acta legen.
Es war damit kein Ökonom und kein Finanzfachmann, der heuer bei der Jahresfeier zum Thema „In Fluss bringen“ für den größten Aha-Effekt sorgte: Michael Beleites ist Landwirt und Gärtner. Wenn er nicht gärtnert, geht er den Geheimnissen der Natur auf den Grund. Daraus resultierte jüngst ein dickes Buch mit dem Titel „Umweltresonanz“. Dieses Buch kann als revolutionär angesehen werden. Entzieht es doch der ideologischen Unterfütterung des wirtschaftlichen Wettbewerbsstrebens das Fundament. Beleites: „Das dauernde Wettrennen lässt sich nicht länger mit biologischen Argumenten begründen.“
Darwin hat ausgedient
Darwin ist ein mehr als untaugliches Instrument, um zu erklären, wie wir Menschen ticken. Sein Selektionsmodell ist schlichtweg falsch. Die Natur, daran gibt es für Michael Beleites keinen Zweifel mehr, entwickelt sich ausschließlich in Resonanz auf die Umwelt weiter. Wie dies im Detail geschieht, weiß niemand. „Auch ich kenne die meisten Mechanismen nicht, die in der Natur entscheiden sind“, sagt er. Das ist auch nicht schlimm. Ganz im Gegenteil. Sind es doch die offenen Fragen, die noch ungelösten Probleme, die uns in Fluss bringen.
Beleites faszinierte bei der Jahresfeier nicht zuletzt als jemand, der bereits zu DDR-Zeiten als Ökoaktivist engagiert war. Schon damals machte er sich etwas zur Devise, was auch die HUMANE WIRTSCHAFT geistig durchzieht: „Wir müssen das System selbst zur Debatte stellen. Es bringt nichts, Menschen zu kritisieren.“
Natürlich ist dieser Satz nicht immer leicht zu beherzigen. Denn unsere Zeitgenossen verhalten sich mitunter in einer Weise – da bleibt Menschen, die sich für das Soziale engagieren, schon mal die Luft weg. Es gibt sie nun einmal, die Zeitgenossen, deren Gier grenzenlos ist. Es gibt durchtriebene Menschen. Es gibt Gemeinheit, Infamie und Niedertracht.
Wo liegen die Wurzeln?
Doch bringt es etwas, sich damit aufzuhalten, Menschen anzuprangern, die sich infam verhalten? Klare Antwort: Nein. Wichtig ist hingegen, die Ursache zu entlarven. Die jeweils individuelle – was Aufgabe der Psychologie ist. Und die gesellschaftlich bedingte. Und da sind wir flugs beim Thema „Geld“. Das herrschende Geldsystem mit seinen Symptomen Konkurrenz, Hierarchie und Machtkampf fördert ein Verhalten, das sich gegen all das wendet, was als „gutes Leben“ bezeichnet werden kann.
Auch dies ist eine bis heute nicht abschließend beantwortete Frage, die schon viel Denken in Fluss brachte: Was ist eigentlich ein gutes, erfüllendes, glückliches Leben? Heutzutage treibt diese Frage die Menschen wieder massiv um. Bücher zum Thema „Glück“ boomen. „Willst du normal sein oder glücklich?“, lautet einer von Dutzenden Titeln. Andere Ratgeber gehen mit Wortneuschöpfungen wie „Das Love Principle“ auf Leserfang. Auch „Simply your Life“ hat inzwischen meterweise die Wohnzimmerregale erobert.
Auch Markus Pühringer dachte darüber nach, was ein Leben glücklich macht. Die Antworten, die er fand, sind nicht neu: Glücklich sind Menschen, die in gutem Kontakt mit sich selbst sind, aus ihrem emotionalen Reichtum schöpfen und authentische Beziehungen mit anderen Menschen aufbauen können. Um an Michael Beleites und seine Erkenntnisse zum Thema „Kohärenz“ anzuknüpfen, lässt sich an dieser Stelle die Salutogenese von Aaron Antonovsky anführen. Demnach ist ein Mensch glücklich und seelisch gesund, wenn er das Gefühl hat, die inneren Zusammenhänge, die sein Leben ausmachen, zu verstehen. Er fühlt sich eingebettet in den Zusammenhang des Lebens. Sein Leben erscheint ihm durch und durch sinnvoll.
Ursache seelischer Leiden
Menschen, denen dieses Kohärenzgefühl abgeht, die in einem Zustand seelischer Inkohärenz leben – und das sind etliche – leiden an Schizophrenie, Manien, Psychosen, wahnhaften Störungen oder befinden sich in äußerst kritischer Verworrenheit. Das herrschende Geldsystem trägt laut Geldkritiker Pühringer dazu bei, dass Menschen ihre Kohärenz verlieren. Dass sie falschen Glücksversprechen nachlaufen. Zur geldbedingt verursachten Ökokatastrophe, zur Tatsache, dass das soziale Leiden aufgrund immer höherer Mieten und immer harscherer Arbeitszwängen zunimmt, kommt also eine seelische Not immensen Ausmaßes.
Für Pühringer muss die „Reichtumsprämie“, wie er es nennt, aus all diesen Gründen unbedingt abgeschafft, werden. Sein Konzept lautet „Geldsteuer“. Damit ist der Österreicher, auch wenn er sich dezidiert nicht als Freiwirtschaftler versteht, ganz nah bei Silvio Gesell.
Felix Fuders machte, anders als Pühringer, aus seiner vollen Sympathie für den Begründer der Freiwirtschaftslehre keinen Hehl: „Silvio Gesell ist die Lösung.“ Die Stoßrichtung auch seiner Gedanken und Forschungen ist eine zutiefst humane – die aber ökologische Fragestellungen und Friedensfragen selbstverständlich mitdenkt. „Alle Menschen sollen genau das machen dürfen, was sie am besten können“, wünscht sich der Professor, der in Chile lehrt und forscht. Zu ihrem eigenen Glück. Und zum Wohle ihrer Mitmenschen.
Was keine Lösung darstellt
Fuders’ Vortrag zeichnete sich dadurch aus, dass er ein breites Bündel von Vorschlägen jenseits eines durch Rückhaltekosten fließbar gemachten Geldes zur Lösung der systembedingten Krisen unter die Lupe nahm – und verwarf. Das gute, sinnvolle, als kohärent empfundene Leben, nach dem sich alle sehnen, kann weder durch Mikrokredite noch durch ethische Geldanlagen, weder durch Zeitkonten (es sei denn, sie seien umlaufgesichert) noch durch ein an reale Werte gekoppeltes Geld erreicht werden. Menschen werden auch nicht durch Goldstandards und Rettungsschirme, nicht durch Bankenregulierungen à la Basel III, nicht durch Finanztransaktionssteuern oder eine hundertprozentige Mindestreserve von dem Zwang befreit, ihre Lebenszeit auf Arbeitsplätzen, die in keinen Zusammenhängen mit ihrem Innersten stehen, zu verbringen, um unter immer harscheren Bedingungen das Geld zu verdienen, das sie brauchen, um sich und ihren Kindern die Existenz zu sichern.
Solange keine Reform im großen Stil geschieht, plädiert Fuders für die Unterstützung etablierter Regionalwährungen und die Neugründung komplementärer Gelder an möglichst vielen Orten dieser Welt. Was sich diesbezüglich schon alles getan hat, zeigte Leander Bindewald in seinem Vortrag auf. Der Mitarbeiter der „new economy foundation“ in London leitet das Projekt „community Currencies in action“ (ccia).
Wahrscheinlich war keinem der Tagungsteilnehmer bewusst gewesen, wie viel sich weltweit bereits getan hat in Sache Regionalwährungen. Die Idee zog in den vergangenen Jahren immer weitere Kreise – was zur Folge hat, dass jene, die sich für eine lokale Alternativwährung einsetzen, heute kaum noch als Spinner abgetan oder milde belächelt werden. Bindewald: „Immer mehr Menschen erkennen, dass es grundsätzliche Probleme mit unserem Finanzsystem gibt.“
Sehr viel ist im Fluss
Enttäuscht wurden alle, die eine genau Zahl erwartet hatten: Wie viele Komplementärwährungen gibt es denn nun? Deutschland- und weltweit? Die Frage muss, wie so viele andere Fragen auch, deshalb spannungsvoll offen bleiben, weil es keine unumstößliche Definition gibt, wo „Komplementärwährung“ anfängt und wo sie endet. Außerdem ist gerade hier eine Menge im Fluss, so Bindewald: „Einige Komplementärwährungen sind mit viel Herzblut entstanden und mit viel Leid wieder verschwunden.“ Gleiches gilt für Tauschringe. Welche sind noch aktiv? Welche am Einschlafen? Wo wurde schon wieder ein neuer Tauschring gegründet? Kein Mensch vermag den Überblick zu bewahren.
Aber das ist ja auch nicht so wichtig. Alle, die sich für Komplementärwährungen einsetzen, dürfen sich auf jeden Fall im weltweiten Zusammenhang einer Bewegung sehen, die sich den Ideen Silvio Gesells verschrieben hat. Besonders vorbildlich realisiert sind diese Ideen in der Regionalwährung Chiemgauer.
Mit Marc Berghaus lernten die Teilnehmer der Jahresfeier einen Chiemgauer-Geburtshelfer kennen, der sich jahrelang dafür einsetzte, dass diese Regionalwährung in Fluss kommt. Von 2003 bis 2011 arbeitete Berghaus fest beim Chiemgauer. Er organisierte zwei größere Kongresse, gestaltete die Gutscheine, war Schatzmeister des Vereins und zum Schluss Beauftragter für das Regiogeldnetzwerk. Seit drei Jahren lebt der Silvio Gesell-Fan in Solingen. Hier half er mit, die Deilbachblüten einzuführen. Verdienste erwarb sich Berghaus in jüngster Zeit mit einer Grafik, in der er das komplexe Geflecht dessen, was regionales Wirtschaften ausmacht, anschaulich darstellt.
Ein neuer Lernort
Versiert vermittelte Marc Berghaus die alles andere als leichte Materie der miteinander verwobenen Themen „Regionalgeld“ und „Regionales Wirtschaften“. „Regionalgeld kann ja viel mehr, als ich erwartet hatte“, begeisterte sich ein Teilnehmer. Für ihn war besonders beeindruckend, dass Berghaus beweisen konnte: Ein Chiemgauer läuft dreimal so schnell um wie der Euro. Für die Einführung von Regionalgeld spricht für ihn nicht zuletzt auch, dass dadurch zahlreiche – heute meist unterfinanzierte – Sozial- und Umweltprojekte am Leben gehalten werden können. Inzwischen finanziert der Chiemgauer 255 Projekte mit.
Es braucht Menschen wie Marc Berghaus, die noch unbeleckten Zeitgenossen verständlich und praxisnah Vorteile eines alternativen Lebens und Wirtschaftens nahe bringen können. Marc Berghaus wäre mit seinen diesbezüglichen Talenten ein idealer Kandidat für das Projekt „Lernort“, das in Wuppertal realisiert werden soll. Was es mit diesem Projekt auf sich hat, erfuhren die Teilnehmer in Holger Krefts Workshop. Der Lernort, den Krefts derzeit zusammen mit Andreas Bangemann vorbereitet, soll eine Art alternativer Akademie werden – klein und überschaubar, intelligent strukturiert, jedoch ohne starres Konzept, bedürfnisorientiert und, was die Themen anbelangt, innovativ.
Dinge, von denen man noch nie zuvor gehört hat, aber auch Fragen, die in dieser Tiefe und unter diesen ganz bestimmten Aspekten noch nie behandelt wurden, sollen im Lernort Raum erhalten. So wird es, steht jetzt schon fest, einen Kurs zur Methode des „Dragon Dreaming“ geben. Diese Methode kennen zu lernen, ist hilfreich für alle Menschen, die von dem Wunsch beseelt sind, endlich etwas zu verändern. Vor Ort. Im Kleinen. Und in der Hoffnung, dass dieses Kleine Kreise ziehen wird.
Mit den Drachen träumen
Wer beginnt, Träume zu verwirklichen, stößt schnell auf eine Menge Hindernisse. Einige dieser Hindernisse können durch „Dragon Dreaming“ vorhergesehen, angegangen und bewältigt werden. „Dragon Dreaming“ ist von der Erkenntnis getragen, dass am Anfang eines jeden neuen Projekts Träume stehen müssen. Die nützen jedoch wenig, wenn aus diesen Träumen keine konkreten Pläne erwachsen. Die wiederum finden nie ihren Weg aus der Schublade, wenn es nicht Menschen gibt, die verstehen, sie umzusetzen.
So weit, so klar. Die „Dragon Drea-ming“-Erkenntnis geht jedoch noch weiter. Sie macht darauf aufmerksam, dass nicht jeder Mensch zugleich ein Träumer oder eine Visionärin, ein Planer oder eine Konzepterstellerin, ein Macher oder eine Realisiererin ist. Jeder Teilnehmer eines Projekts muss sich selbst klar werden, was er konkret beitragen kann: Verrückte, Impulse gebende Träume? Raffinierte Planungen? Oder jene Beherztheit, die nötig ist, um Pläne umzusetzen?
Ein Kurs zur Methode „Dragon Drea-ming“ wird sicher viele Lernwillige anziehen. Auf Interesse dürften aber auch Lernangebote zum Thema „Gesunde Ernährung“ stoßen – ebenfalls ein Feld, das durch und durch von der Geldproblematik durchdrungen ist. Welche Lebensmittel echte „Lebens-Mittel“ sind und was alles, das sich auf dem Speiseplan tummelt, nur den Rang eines „Nahrungsmittels“ hat, zeigte Ernährungsberaterin Monika Kirsch auf.
Was ein Lebens-Mittel ist
Wer sich gesund ernähren möchte, sollte Kirsch zufolge möglichst viel Natürliches und Unverändertes zu sich nehmen: Nüsse, Gemüse, Würzkräuter, Honig, Natur-Quellwasser. Es ist aber selbstverständlich auch okay, Lebensmittel mechanisch zu verändern. Also Nüsse zu reiben, aus Ölfrüchten naturbelassene, kaltgepresste Öle herzustellen, Getreide zu Vollkornschrot zu mahlen oder aus rohem Obst oder Gemüse naturtrübe Säfte zu pressen. Erhitzte Speisen haben hingegen nicht mehr den vollen „Lebensmittel-Wert“. Gesundheitlich bedenklich kann es werden, kommen zu viele konservierte oder präparierte Produkte auf den Teller.
Wie sehr das Thema „Ernährung“ gerade auch HumanwirtschaftlerInnen bewegt, wurde beim Workshop des Husumer Psychotherapeuten Peter Berner deutlich. Berner bot zum Abschluss der Jahresfeier eine offene Runde in freier Natur an. Auf dem von der Herbstsonne beschienenen Holztisch lag ein Stein. Den durfte nehmen, wer immer den anderen etwas mitteilen wollte. Wer erzählen wollte, was bei ihm durch die vorangegangenen zwei Tage alles in Fluss gekommen ist. Worüber er noch nachzudenken, woran er noch zu knabbern hat. Die spannende Gedankenreise erstreckte sich von der Quantenphysik bis hin zur Frage, wie jeder persönlich bei sich selbst Veränderungen bewirken kann. Alle, die schon einmal versuchten, eine Gewohnheit abzulegen – etwa das Fleischessen, das Rauchen, den täglichen Fernsehkonsum – wissen, wie ungeheuer mühselig das ist.
Dass die Jahresfeier wieder durch und durch lebendig war, dass sie vieles zum Fließen brachte, ohne dass die Gedanken auseinandergeflossen wären, war nicht zuletzt den künstlerischen Parts zu verdanken. So zeigte Hang Zhao, wie der eigene Körper, wie aber auch der „Körper“ einer aus zwei, drei oder vier Personen bestehenden Gruppe gemeinsam in Fluss gebracht werden kann.
Für Begeisterung sorgte Dette Glashouwer aus Amsterdam mit ihrem neuen Programm „To Sardinia with Love“. Die quirlige Schauspielerin versteht es nicht nur auf einmalige Weise, das Thema „Geld“ pfiffig und interessant ans Publikum zu bringen. Faszinierend war nicht zuletzt, dass sie ihr neues Soloprogramm bei der Wuppertaler Aufführung erstmalig komplett auf Deutsch absolvierte. Eine unglaubliche, inspirierende Lernleistung!
Sehr geehrte Damen und Herren,
da ich inzwischen das Buch von M.Beleites „Umweltresonanz“ durchgelesen habe und mit seinen Ausführungen zu 100 % d’accord bin möchte ich Sie bitten, mir seine E‑Mail, wenn möglich zukommen zu lassen. Leider habe ich sonst nirgends diese finden können.
Viele Dank und viele Grüße
Günter Fritz
Sägewerk-Holzhandlung
Bibersfeld