Die Freiwirtschaft und die Keimzellen der Zukunft – Markus Henning

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„Nach­hal­tig­keit“ (Schrif­ten­rei­he der Freien Akade­mie; Band 41) Rezen­si­on von Markus Henning
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Seit Beginn der Indus­tria­li­sie­rung, also seit knapp 200 Jahren, basiert unsere Wirt­schafts- und Lebens­wei­se auf der Verbren­nung fossi­ler Ener­gie­trä­ger. Neben allem sons­ti­gen Raub­bau an Menschen, Natur und Biodi­ver­si­tät haben die damit einher­ge­hen­den CO2-Emis­sio­nen den plane­ta­ren Kohlen­stoff­kreis­lauf in einem bis heute anwach­sen­den Maß aus seinem dyna­mi­schen Gleich­ge­wicht gebracht. Das CO2 als wich­tigs­tes Treib­haus­gas, seine emis­si­ons­be­ding­te und irrever­si­ble Konzen­tra­ti­ons­er­hö­hung in der Erdat­mo­sphä­re sowie der hier­aus resul­tie­ren­de Klima­wan­del gehö­ren zu denje­ni­gen Forschungs­ge­bie­ten, welche am regel­mä­ßigs­ten von inter­na­tio­na­ler wissen­schaft­li­cher Seite im Auftrag der UN doku­men­tiert und bewer­tet werden. Die im Mittel immer rascher zuneh­men­de globa­le Erwär­mung drängt das hoch­ver­netz­te System unse­rer Umwelt schon jetzt an den Rand tief­grei­fen­der Kipp-Punkte und sich selbst verstär­ken­der Kaska­den des Zusam­men­bruchs. Bei unge­bro­che­ner Fort­schrei­bung dieser Entwick­lung ist ein Total­kol­laps der Biosphä­re abseh­bar, der die Exis­tenz­be­din­gun­gen der Mensch­heit insge­samt infra­ge stellt.
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Die natio­nal­staat­li­chen Herr­schafts­sys­te­me sind offen­sicht­lich nicht in der Lage, eine Selbst­kor­rek­tur und ein wirk­sa­mes Umsteu­ern in die Wege zu leiten. Zu sehr funk­tio­nie­ren ihre Insti­tu­tio­nen nach struk­tu­rel­len Regeln, die selbst Wurzeln des Problems sind. Die Zeit drängt. Wir brau­chen umge­hend einen selbst­or­ga­ni­sier­ten Beginn des Wandels. Wir brau­chen sozial-ökolo­gi­sche Gegen­kul­tu­ren, deren Welt­ver­brauch verträg­lich ist mit der Rege­ne­ra­ti­ons­fä­hig­keit unse­rer natür­li­chen Ressour­cen. Und wir brau­chen konzep­tio­nel­le Diskur­se und inter­dis­zi­pli­nä­ren Austausch.
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Die Freie Akade­mie e. V. hat diese Heraus­for­de­rung ange­nom­men und ihre wissen­schaft­li­che Jahres­ta­gung 2022 unter ein Motto gestellt, das aktu­el­ler nicht hätte sein können: Nach­hal­tig­keit – Wie kann sie gelingen?
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Vertreter:innen unter­schied­li­cher Fach- und Wissens­ge­bie­te waren einge­la­den, ihre Sicht­wei­sen aus Sozi­al­psy­cho­lo­gie, Pädago­gik, Klima­for­schung, Ökono­mie, Verfah­rens­tech­nik und Syste­mi­schem Denken einzu­brin­gen. In dem von Ute Urban (geb. 1969) heraus­ge­ge­be­nen Band 41 der Schrif­ten­rei­he der Freien Akade­mie liegen die Vorträ­ge und Diskus­si­ons­er­geb­nis­se jetzt gesam­melt vor.
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Die Lektü­re nimmt uns mit auf eine gedank­li­che Such­be­we­gung, die program­ma­ti­sche Engfüh­run­gen hinter sich lässt. Durch das Spek­trum der Perspek­ti­ven weitet sich der Blick für Größe und Komple­xi­tät der Aufga­ben. Inter­es­san­ter­wei­se scheint gerade dadurch in der analy­ti­schen Viel­falt ein hand­lungs­theo­re­ti­scher Konsens auf: Wenn es weder einen mono­kau­sa­len Hebel noch histo­ri­sche Vorbil­der oder eine sonst wie gear­te­te Blau­pau­se gibt, dann lässt sich der zu bewäl­ti­gen­de Epochen­wech­sel sinn­voll nur projek­tie­ren als dezen­tra­ler Prozess expe­ri­men­tel­len Voran­schrei­tens. Er setzt auf kommu­na­le und zivil­ge­sell­schaft­li­che Initia­ti­ven, die als sozia­le Inno­va­ti­ons­ak­teu­re Räume für koope­ra­ti­ves Enga­ge­ment öffnen. In ihnen können Menschen erfah­ren, was es heißt, leben­di­ger und selbst­wirk­sa­mer Teil von Gesell­schaft und natür­li­cher Mitwelt zu sein (vgl. den Beitrag von Janina Taigel [geb. 1989] über Konzep­te einer „Bildung für nach­hal­ti­ge Entwick­lung“, S. 55 – 73).
Durch ein derge­stalt eman­zi­pa­to­ri­sches Verän­de­rungs­ler­nen kann die indi­vi­du­el­le Daseins­ge­stal­tung – also die Neuaus­rich­tung von Hand­lungs­rou­ti­nen, von Rollen‑, Tätig­keits- und Konsum­mus­tern – selbst zum eigen­dy­na­mi­schen Träger von Trans­for­ma­ti­on werden. Seine Poten­tia­le model­liert Thea Stäu­del (geb. 1954) mit dem Instru­men­ta­ri­um der Netz­werk­ana­ly­se: „Was hier vorliegt, ist eine posi­ti­ve Rück­kopp­lung: je mehr Menschen sich enga­gie­ren, desto eher machen andere mit, aus Begeis­te­rung oder aufgrund von sozia­lem Druck oder aus Neugier oder … Und irgend­wann ist eine kriti­sche Masse bzw. ein Kipp­punkt erreicht und das Denken der Minder­heit wird das Denken der Mehr­heit, es wird eine sozia­le Norm […]. Es entsteht eine neue, klima­be­wuss­te Denk- und Verhal­tens­kul­tur, die verhal­tens­lei­tend sein kann – sofern die Rahmen­be­din­gun­gen stim­men“ (vgl. den Vortrag von Thea Stäu­del, S. 75 – 103; hier: S. 96. Hervor­he­bun­gen im Original).
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