Die EZB und Silvio Gesell… – Felix Fuders / Dirk Löhr

Die EZB und Silvio Gesell – Eine neue Part­ner­schaft? Eine Einschät­zung zwei Jahre nach der bemer­kens­wer­ten Rede Benoît Cœurés von Felix Fuders und Dirk Löhr
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Einlei­tung: Die bemer­kens­wer­te Rede eines EZB-Direktoriumsmitgliedes
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Wirft man einen Blick auf die Rede „Life below zero: Lear­ning about nega­ti­ve inte­rest rates“, die von Benoît Cœuré, einem Mitglied des EZB Execu­ti­ve Boards, am 9. 9. 2014 in Frank­furt gehal­ten wurde, hat man fast den Eindruck, als ob die EZB nun die Lehren deutsch-argen­ti­ni­schen Kauf­manns Silvio Gesell anwen­den wollte. Wieder­holt bezog sich Cœuré in seiner Rede vor der Money Market Cont­act Group auf Gesell und sagte, dass die „Idee nega­ti­ver Zinsen zurück­gin­ge auf das späte 19. Jhd. zu Silvio Gesell“. Er kommen­tier­te damit die Entschei­dung der EZB, den Zins­satz für Einla­gen, die Geschäfts­ban­ken bei der Euro­päi­schen Zentral­bank halten (Depo­sit Faci­li­ty Rate), auf – inzwi­schen – minus 0,40 % zu setzen. Die EZB steht damit nicht allein. Erst­mals in der Geschich­te der Zentral­ban­ken hatte die schwe­di­sche Riks­bank bereits 2009 nega­ti­ve Einla­gen­zin­sen erho­ben. Es folgte die Däni­sche Natio­nal­bank und seit Dezem­ber 2014 erhebt nun auch die Schwei­ze­ri­sche Natio­nal­bank einen nega­ti­ven Einla­gen­satz, der seit Januar 2015 mit ‑0,75 %, der sogar deut­lich unter dem Einla­gen­satz der EZB liegt.
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Die Tatsa­che, dass sich ein Mitglied des EZB Direk­to­ri­ums bei der Kommen­tie­rung dieser histo­ri­schen Entschei­dung auf Silvio Gesell bezieht, ist viel­leicht noch bemer­kens­wer­ter als die Tatsa­che selbst, dass die EZB einen nega­ti­ven Zins­satz für Einla­gen verhängt hat. Dass nega­ti­ve Einla­ge­zin­sen mit dem inzwi­schen 100 Jahre alten Vorschlag Gesells, Geld mit einem Umlauf­si­che­rungs­im­puls zu verse­hen, vergleich­bar ist, hatten bereits Havard Profes­sor Grego­ry Mankiw und Willem Buiter, der damals an der London School of Econo­mics lehrte, heraus­ge­ar­bei­tet. Unab­hän­gig vonein­an­der stell­ten beide heraus, dass nega­ti­ve Leit­zin­sen der Idee Gesells nahe kämen. Tatsäch­lich stellt der Vorschlag Gesells eine Möglich­keit dar, nicht nur die regel­mä­ßig wieder­keh­ren­den Finanz- und Schul­den­kri­sen, sondern auch die stetig wach­sen­de Ungleich­ver­tei­lung sowie den Wachs­tums­zwang der Wirt­schaft (und die damit einher­ge­hen­de Umwelt­über­be­las­tung) zu verrin­gern. Der Vorschlag Gesells wird heute aber nur wenig beach­tet, obwohl er seiner­zeit von großen Ökono­men wie John Maynard Keynes oder Irving Fisher durch­aus wohl­wol­lend disku­tiert wurde.
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Nach­fol­gend wollen wir die Frage unter­su­chen, inwie­fern die EZB mit ihrer Entschei­dung, nega­ti­ve Zinsen auf Einla­gen der Geschäfts­ban­ken zu erhe­ben, tatsäch­lich eine Poli­tik im Sinne Silvio Gesells betreibt. Zu diesem Zwecke soll zunächst skiz­ziert werden, wie unser heuti­ges Geld­sys­tem funk­tio­niert, unter welchen Voraus­set­zun­gen Geld als Tausch­me­di­um im Wirt­schafts­kreis­lauf fließt und wieso Silvio Gesells Vorschlag nicht nur die regel­mä­ßig wieder­keh­ren­den Finanz­kri­sen, sondern auch viele andere dem so genann­ten Neoli­be­ra­lis­mus vorge­wor­fe­nen Proble­me abmil­dern könnte. Unsere Analy­se wird zu dem Schluss kommen, dass die bishe­ri­ge Poli­tik der EZB keine Umset­zung der Vorschlä­ge Silvio Gesells darstellt. Die Entschei­dung der EZB vom 3. 12. 2015, bis mindes­tens März 2017 öffent­li­che und priva­te Schuld­ver­schrei­bun­gen im Wert von 1,1 Billio­nen Euro aufzu­kau­fen, um Geld im Fluss zu halten und damit eine Defla­ti­on zu vermei­den, darf sogar als das Gegen­teil von dem betrach­tet werden, was Gesell vorge­schla­gen hatte.
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Geld wird in unse­rem Finanz­sys­tem durch den Zins im Fluss gehalten
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Um Gesells Vorschlag zu verste­hen, muss man sich verge­gen­wär­ti­gen, dass Geld in unse­rem heuti­gen Finanz­sys­tem zwei sich wider­spre­chen­de Funk­tio­nen erfül­len soll. Einer­seits ist Geld ein Tausch­mit­tel, es soll den Austausch von Gütern erleich­tern (so bereits Aris­to­te­les). Ande­rer­seits lesen wir in Lehr­bü­chern, dass Geld auch die Funk­ti­on eines Wertauf­be­wah­rungs­mit­tels erfüllt. Silvio Gesell erkann­te, dass aus diesem Wider­spruch die regel­mä­ßig wieder­keh­ren­den Finanz­kri­sen entste­hen. Wenn nämlich Menschen ihr Geld unter dem Kopf­kis­sen horten, so kann es nicht gleich­zei­tig als Tausch­mit­tel fungie­ren. Wenn viele Menschen ihr Geld zu Hause aufbe­wah­ren, so fehlt dieses im Wirt­schafts­kreis­lauf, die Nach­fra­ge sinkt, Preise sinken, es entsteht Defla­ti­on. Wenn Preise sinken, ist der Anreiz, das Geld lieber später als heute auszu­ge­ben, noch größer, was die Tendenz zum Horten noch stärkt. Selbst gesun­de Unter­neh­men müssen die Produk­ti­on dros­seln oder ganz still­le­gen, weil kaum noch etwas gekauft wird. Die Arbeits­lo­sig­keit steigt. Eine Abwärts­spi­ra­le mit entsetz­li­chen Folgen kommt in den Gang.
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Bisher horte­ten wir deshalb nicht das Geld zu Hause, sondern brach­ten es zur Bank, weil diese uns einen Anreiz versprach, es dort­hin zu brin­gen. Diesen Anreiz, Geld zu verlei­hen, nennen wir Zins. Keynes beschrieb den Zins daher tref­fend als eine „Prämie für den Verzicht auf Liqui­di­tät“. Dass wir gerne horten, ist kaum zu verhin­dern. Der Drang, sich etwas für schlech­te­re Zeiten zurück zu legen, steckt in der Natur des Menschen (und im Übri­gen auch in der Natur vieler Tiere, die eben­falls gerne „hams­tern“). Keynes bezeich­ne­te diesen Trieb als „die Vorlie­be für Liqui­di­tät“. In einer geld­lo­sen Wirt­schaft, wo nur reale Güter gehor­tet werden können, wie z. B. Lebens­mit­tel, ist das Horten aller­dings nur begrenzt möglich. Der natür­li­che Verfall verhin­dert das Horten zu großer Mengen an Gütern. Geld ist aber anders als Güter leicht und vor allem unbe­grenzt aufbe­wahr­bar. Deshalb versu­chen viele Menschen, möglichst viel davon zurück zu legen. Das würde den Fluss des Geldes aller­dings wie beschrie­ben unter­bin­den. Geld wäre, weil es über­wie­gend als Hortungs­mit­tel verwen­det würde, kaum noch als Tauch­mit­tel dien­lich. Unser Geld fließt und erleich­tert den Tausch von Gütern (noch), weil der Zins als Liqui­di­täts- oder Nicht­hor­tungs­prä­mie uns dazu bewegt, das Geld auszu­lei­hen, es nämlich zur Bank zu brin­gen, die es eben­falls wieder auslei­hen wird, wodurch das Geld im Fluss bleibt.
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Wenn das Finanz­sys­tem zusam­men­bricht oder die Menschen diesem nicht mehr vertrau­en, fließt das Geld nicht mehr, es entsteht eine Defla­ti­on. In der indus­tria­li­sier­ten Welt war dies in größe­rem Umfang zuletzt in der Wirt­schafts­kri­se der 1930er Jahre der Fall. Damals waren viele Banken bank­rott, die Menschen vertrau­ten dem Finanz­sek­tor nicht mehr ihr Geld an und behiel­ten es zu Hause. Der Zins hält das Geld also im Fluss und verhin­dert das Horten unter dem Kopf­kis­sen und damit eine Defla­ti­on. Ande­rer­seits bringt der (posi­ti­ve) Zins aber schwer­wie­gen­de Proble­me mit sich, die von den Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten bisher wenig erkannt wurden. — mehr hinter dem Link… 

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