Der Techniker und der Poet – Gero Jenner

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wüten­des Streit­ge­spräch, halb­her­zi­ge Versöhnung

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Der Tech­ni­ker denkt, der Poet lässt auch die Gefüh­le spre­chen, oft sind es frei­lich nur die Gefüh­le, ohne dass ihm das Denken dabei in die Quere kommt. Der Tech­ni­ker drängt dem Poeten recht scho­nungs­los seine Meinung auf: Dessen Ansich­ten würden in unse­rer Zeit wenig zählen – zwei­fel­los werde der Ernst des Lebens von Wissen­schaft und Tech­nik bestimmt. Sie hätten die Welt vermes­sen und es über­haupt erst ermög­licht, dass demnächst zehn Milli­ar­den Menschen statt wie noch vor zwei Jahr­hun­der­ten nur eine einzi­ge den Plane­ten bevöl­kern werden. Ihr seid nur Zuschau­er, während man uns, die Tech­ni­ker, dafür bezahlt, dass wir die Maschi­ne­rie der Daseins­er­hal­tung für die wach­sen­de Menschen­flut planen und am Laufen halten.

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Der Poet 

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(worun­ter wir uns die Kunst insge­samt vorstel­len soll­ten) fasst seine Aufga­be ganz anders auf. Er versucht dem mensch­li­chen Leben einen Sinn zu geben, wenn er nicht umge­kehrt dessen fehlen­den Sinn beklagt. In der Regel begeg­nen sich Tech­ni­ker und Poet mit größ­tem gegen­sei­ti­gen Unver­ständ­nis. Sie reprä­sen­tie­ren die „Zwei Kultu­ren“, von deren gegen­sei­ti­ger Entfrem­dung schon C. P. Snow gegen Ende der fünf­zi­ger Jahre geschrie­ben hatte.

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Die Macht­er­grei­fung der Tech­no­kra­ten – denn so muss man ihren Aufstieg eigent­lich beschrei­ben – ist eine histo­ri­sche Neuheit. Grob gespro­chen, datiert sie von Aufklä­rung und Indus­tri­el­ler Revo­lu­ti­on, ist also keine drei­hun­dert Jahre alt. Atem­be­rau­bend ist aller­dings ihr Erfolg. Inzwi­schen haben die Wissen­schaft und ihre mate­ri­el­len Erzeug­nis­se wach­sen­den Teilen der Welt­be­völ­ke­rung einen Lebens­stan­dard beschert, wie er schlecht­hin einzig­ar­tig in der Geschich­te ist. Kein Wunder, dass die tech­ni­schen Welt­ver­mes­ser und Welt­ver­bes­se­rer mitt­ler­wei­le über­all auf dem Plane­ten den Ton ange­ben, während der Poet – und mit ihm die Kunst insge­samt – bei vielen nur noch als Zugabe gilt: als bloßes Frei­zeit­ver­gnü­gen, das für den Ernst des Lebens doch eher entbehr­lich sei.

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Die wissen­schaft­li­chen Vertre­ter des Optimismus, 

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zu dessen Front­kämp­fern zwei­fel­los der US-ameri­ka­ni­sche Kogni­ti­ons­wis­sen­schaft­ler Steven Pinker gehört, bestehen darauf, dass es der heuti­gen Mensch­heit um vieles besser gehe als ihren sämt­li­chen Vorfah­ren bis hin zu Jägern und Samm­lern. Lebens­er­war­tung, Gesund­heit, Ernäh­rung, ja selbst Verbre­chens­ra­te und kriegs­be­ding­te Morta­li­tät hätten sich eindeu­tig zum Besse­ren gewandelt.

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Doch das beginnt sich seit Ende des vergan­ge­nen Jahr­hun­derts zu ändern. Etwa seit dieser Zeit haben die Tech­ni­ker eine neue Aufga­be zu bewäl­ti­gen, die ihr Anse­hen durch­aus nicht erhöht, sondern es auf Dauer stark zu beschä­di­gen droht. Hatte der Sozio­lo­ge Ulrich Beck in den acht­zi­ger Jahren noch von der moder­nen Risi­ko­ge­sell­schaft gespro­chen, so sind die Risi­ken inzwi­schen längst Reali­tät gewor­den. Heute sind Wissen­schaft und Tech­nik in zuneh­men­dem Maße damit beschäf­tigt, die kata­stro­pha­len, weit­ge­hend unvor­her­ge­se­he­nen Folgen der Tech­nik in den Griff zu bekom­men. Spätes­tens seit der Klima­kri­se leben wir alle in einer „Repa­ra­tur­ge­sell­schaft“: Was der Fort­schritt verdor­ben hat, soll der Fort­schritt nun reparieren.

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Es ist frag­lich, ob das gelin­gen wird. Von vielen wird der Klima­wan­del bereits als unab­wend­ba­res Faktum still­schwei­gend hinge­nom­men, zumal solan­ge er „nur“ die Staa­ten des Südens schä­digt. Aber der Klima­wan­del bezeich­net nur eine der auf die Mensch­heit zukom­men­den Repa­ra­tu­ren; eine andere ist der rasan­te Ressour­cen­ver­brauch, der schon in den „Gren­zen des Wachs­tums“ als Mene­te­kel gedeu­tet wurde. Er hat das ökono­misch-mili­tä­ri­sche Wett­ren­nen der Natio­nen beschleu­nigt, das uns direkt in den Abgrund zu führen droht. Als wäre das nicht schon genug, müssen wir der Verseu­chung der Meere mit Plas­tik ein Ende machen; der zuneh­men­den Degra­die­rung der Böden durch die indus­tri­el­le Land­wirt­schaft; der welt­wei­ten Zerstö­rung der Wälder, der rasan­ten Vernich­tung der Arten und dem globa­len Wach­sen der Müll­de­po­nien – wir alle kennen das bis zum Über­druss! All das sind die Mani­fes­ta­tio­nen eines „Fort­schritts“, den die Zauber­lehr­lin­ge der Tech­nik entfes­selt haben, aber immer weni­ger zu beherr­schen imstan­de sind.

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Da ist es nicht erstaun­lich, wenn die Frage nach dem Sinn – dem Sinn von Tech­nik und Fort­schritt – jetzt wieder in heraus­for­dern­der Weise gestellt wird. Auf einmal ist es der totge­glaub­te Poet, auf den wir in solchen Momen­ten von Neuem hören.

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Der Poet:
Ihr, die Tech­ni­ker, seid im Begriff, den Plane­ten – die einzi­ge Wohn­stät­te, die wir haben – auszu­schlach­ten und unbe­wohn­bar zu machen, denn ihr habt euch zu Skla­ven einer Sucht gemacht, die inzwi­schen die ganze Mensch­heit erfasst: eine Sucht, die schon Mahat­ma Gandhi auf eine einfa­che Formel brach­te. „Die Welt hat genug,“ sagte er, „für jeder­manns Bedürf­nis­se, aber nicht für jeder­manns Gier“. Diese Gier habt ihr von Europa aus auf den gesam­ten Globus getra­gen. Heute wollen alle ein eige­nes Wasser­klo­sett besit­zen, natür­lich über ein eige­nes Auto verfü­gen und sich möglichst noch einen Flug ins nächst­ge­le­ge­ne Urlaubs­pa­ra­dies leis­ten. Alle – unab­hän­gig ob sie poli­tisch rechts oder links einge­stellt sind – stre­ben nach dem jeweils höchs­ten Lebens­stan­dard, den sie bei ihren Nach­barn bewun­dern. Längst strei­ten sie nicht mehr über luxus­be­ding­ten Ressour­cen­ver­schleiß an sich, sondern nur darüber wie er gerecht verteilt wird, damit ihn jeder auch noch in Grön­land und Neugui­nea genie­ßen kann. Noch konzen­trie­ren sich Reich­tum und die dazu nötige Ausbeu­tung des Plane­ten zwar auf die Staa­ten des Westens, aber schon in zwei, drei Jahr­zehn­ten könnte der Ferne Osten die Vorhut bilden. Haben dann endlich ganz Asien und der gesam­te afri­ka­ni­sche Konti­nent das von allen erstreb­te Ziel erreicht, wird die Mensch­heit nicht weni­ger als fünf bis zehn Globen verbrauchen.

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Ihr Tech­ni­ker wisst aber, was das bedeu­tet, denn das Rech­nen ist ja eure einzi­ge Leiden­schaft. Das ganze Fort­schritts­ge­bäu­de wird wie ein Karten­haus kolla­bie­ren, weil wir eben leider nur über einen einzi­gen Globus verfü­gen. Was bleibt den Staa­ten dann ande­res übrig, als in Raub­krie­gen um die letz­ten Ressour­cen einan­der zu über­fal­len? Der „Ameri­can Way of Life“ ist, wie wir wissen, durch­aus „nicht verhan­del­bar“ – und das gilt natür­lich ganz genau­so für den japa­ni­schen, den chine­si­schen, den euro­päi­schen und so weiter. Niemand – am wenigs­ten Prof. Pinker, der Opti­mist aus Prin­zip – regt sich darüber auf, dass der Globus mitt­ler­wei­le wie eine Zitro­ne ausge­quetscht wird, damit wir uns weiter­hin am tägli­chen Zivi­li­sa­ti­ons­lu­xus erfreu­en. Doch wehe dem, der es wagt, uns diesen Luxus wegzu­neh­men oder ihn auch nur zu schmä­lern! Wenn das geschieht, erhe­ben alle ein mörde­ri­sches Geschrei, dann gehen die Menschen auf die Barri­ka­den und sind bereit, Kriege für den weite­ren „Fort­schritt“ und gegen die Terro­ris­ten zu führen, die ihn bedro­hen. Dann werdet ihr darauf bestehen, „Europa auch am Hindu­kusch zu verteidigen“.

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Der Techniker:
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Lieber Dich­ter und Roman­ti­ker, auf derar­ti­ge Vorwür­fe brau­che ich wohl kaum einzu­ge­hen – mit uns, den Tech­ni­kern, haben sie doch über­haupt nichts zu tun. Wir führen nur aus, was die Poli­tik von uns verlangt – und die Poli­tik rich­tet sich ihrer­seits nach den Menschen, andern­falls hält sie sich nicht lang an der Macht. Die demo­kra­ti­sche Mehr­heit ist der wirk­li­che König – und dieser König ist zugleich Opfer und Prot­ago­nist der Gier. Oder hast du nicht begrif­fen, dass der durch­schnitt­li­che Konsu­ment süch­tig nach den jeweils neues­ten Model­len und Produk­ten in den großen Kauf­märk­ten ist? Er ist es doch, der kauft und wieder kauft. Und er ist es auch, der den ganzen Firle­fanz nach ein- oder zwei­ma­li­gem Gebrauch beden­ken­los auf den Müll expe­diert, kaum dass ihn eine größe­re Neuheit lockt.

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Ja, ja, ich weiß schon, dass eine gewal­ti­ge Rekla­m­e­indus­trie ihrer­seits dazu beiträgt, diese Sucht anzu­hei­zen, aber da geht es doch allein um den Gewinn konkur­rie­ren­der Konzer­ne! Für die Wunder­wer­ke unse­rer Tech­nik braucht man den Durch­schnitts­kon­su­men­ten nicht zu begeis­tern. Vor den Konsum­tem­peln steht er Schlan­ge, um den Produ­zen­ten die neues­ten Handys und Compu­ter aus der Hand zu reißen. Und Billig­flü­ge in den Süden braucht man ihm auch nicht aufzu­schwat­zen – der Touris­mus ist zu einer Massen­in­dus­trie gewor­den, weil die Leute sich in ihrer Frei­zeit amüsie­ren wollen. Das Auto aber hat als feti­schis­ti­sches Symbol längst die Götzen und das golde­ne Kalb frühe­rer Zeiten abge­löst. Die Leute sind doch alle darauf verses­sen, selbst wenn sie Stun­den im tägli­chen Stau zubringen.


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