Der Kapitalismus als monetäres Syndrom – Josef Hüwe
Zur Kritik an der Marxschen Kapitalanalyse – Besprechungsreferat des gleichnamigen Buches von Dieter Suhr
- – - Die bisherigen Wege zum Sozialismus sind gescheitert. Der ideelle Wert seines Hauptanliegens wird dadurch nicht gemindert. Eins der ursprünglichen Ziele ist durch Planwirtschaft und Staatsallmacht unterdrückt worden. Gleichheit und Freiheit waren Grundanliegen aller bedeutenden Sozialisten. Karl Marx hat seinen Epigonen jedoch durch eine fehlerhafte Kapitalanalyse den Weg zu diesem Doppelziel verbaut. Sie veranlasste die sozialistischen Regierungen, den verhängnisvollen Kurs der Zentralverwaltungswirtschaft einzuschlagen. Die Bedeutung des Marktes als reale produktive Grundlage aller ökonomischen Gleichheit und Freiheit wurde verkannt.
- – - Gleichheit und Freiheit sind auch Grundanliegen der Verfassung der BRD. Mit der kapitalistisch geprägten Marktwirtschaft konnte dieses Zielpaar ebenfalls nicht erreicht werden. Die „Soziale Marktwirtschaft“ sollte die kapitalistischen Ungleichheiten und Härten ausgleichen und mildern. Zwar wurde in einigen Ländern ein großzügiger Versorgungsstaat aufgebaut und für viele Menschen ein sehr hoher Lebensstandard erreicht. Aber dadurch wurde die Staatsmacht übermäßig gesteigert und das Wachsen der Kluft zwischen arm und reich national und international nicht verhindert. Zudem zerstört die kapitalistisch geprägte Marktwirtschaft mit ihrer Wachstumsmentalität die natürlichen Lebensgrundlagen. Der neue Slogan „Umweltschutz durch Wirtschaftswachstum“, der nur relative Berechtigung hat, sollte nicht darüber hinwegtäuschen.
- – - Bewahrung der Schöpfung findet neben Gleichheit und Freiheit der Menschen als dritte Zielvorstellung in unserem Bewusstsein ihren Platz. Eine entscheidende Sperre zum Verstehen eines entsprechenden Konzeptes ist immer noch die Marxsche Kapitalanalyse, auch in westlichen Ländern. Erst wenn man ihre Fehlerhaftigkeit erkannt hat, wird der Blick frei für eine naturerhaltende, gerechte und freiheitliche Wirtschaftsordnung.
- – - Zwar hatten sich bereits der libertäre Sozialist P. J. Proudhon (1809 – 1865) und der Sozialreformer Silvio Gesell (1862 – 1930) kritisch mit der Marxschen Theorie auseinandergesetzt und gegenteilige Auffassungen vertreten und wurde vor allem durch J. M. Keynes (1883 – 1946) eine andere Erklärung des Kapitalismus bekannt, bei der die Rolle des Geldes im Vordergrund steht. Neuere Geldtheorien ließen weitere Zweifel an der Richtigkeit der Marxschen Kapitalanalyse aufkommen. Aber dennoch beruht das landläufige Verständnis von Kapitalismus immer noch auf der Marxschen Sichtweise. Die Hauptrolle des traditionellen Geldes wird in dem Zusammenhang nicht gesehen.
- – - Karl Marx lehrte: Der Kapitalismus beruht auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln. Durch die Produktionsverhältnisse sind die Arbeiter von den Bedingungen für die Verwirklichung der Arbeit getrennt und können von den Kapitalisten ausgebeutet werden.
- – - Bei seiner Analyse kapitalistischer Ausbeutungs- und Machtzusammenhänge ging Marx von der historisch vorgegebenen Struktur der feudalen Gesellschaft aus. Diese habe erst Geld und Ware in Kapital verwandelt und die Arbeiter von den Arbeitsmitteln geschieden. Wolle man den Kapitalismus überwinden, müsse das Privateigentum an den Produktionsmitteln überwunden werden.
- – - Folgt man einer Kette bestimmter Gedanken, die sich Marx über das Geld gemacht hat, kommen an der Richtigkeit seiner gängigen These Zweifel auf. Dann erscheint Kapitalismus vielmehr als ein Syndrom, das seinen Herd in der Struktur des Geldes hat, in bestimmten Eigenschaften des Geldes. Dann ist Privateigentum an den Produktionsmitteln gar nicht der Grund und die Ursache für den Kapitalismus?
- – - Mit diesem Thema befasst sich Dieter Suhr (Professor an der Universität Augsburg) in seinem Buch „Der Kapitalismus als monetäres Syndrom“. Es trägt den Untertitel: Aufklärung eines Widerspruchs in der Marxschen Politischen Ökonomie“. (Campus Verlag Frankfurt 1988, Reihe Campus Forschung Band 581.)
- – - Suhr hinterfragt die grundlegende Überzeugung marxistischen Denkens im Geiste der „Kritik der politischen Ökonomie“ (Marx). Die folgenden Ausführungen stellen im wesentlichen einen Auszug aus Suhrs Arbeit dar. (Sämtliche Zitate, soweit nicht anders angegeben, von Karl Marx laut Suhr a.a.O.)
- – - Marx hat uns in seiner Beurteilung des Geldes folgende Erblast hinterlassen. Einerseits betont er häufig, Geld sei ein Äquivalent der Waren, und es habe selbst keine kapitalistische Eigenschaft. (In gewissem Sinne blieb Marx der Ansicht der Klassiker der Nationalökonomie verhaftet, wonach Geld nur wie ein Schleier über der Wirtschaft liegt, ohne diese selbst zu beeinflussen.) Andererseits erklärt Marx mehrfach, inwiefern das Geld anderen Tauschobjekten überlegen ist – als „gesellschaftliche Macht in privater Hand“, als Ware von „größter Tauschkraft“ und „Schlagfertigkeit“. Diese zweite Beobachtung lässt vermuten, dass dem Geld in Wirklichkeit eine viel größere Bedeutung zukommt als ihm in der üblichen marxistischen und klassischen Denkweise zugestanden wird.
- – - Gehören zu den Verwirklichungsbedingungen der Arbeit nur sachliche Produktionsmittel? Gehört nicht vor allem ein allgemeines ökonomisches Kommunikationsmittel – das Geld – dazu, damit Eigentümer, Produzenten, Arbeiter und Konsumenten miteinander ins Geschäft kommen? Ohne Geld bewegt sich in der arbeitsteiligen Wirtschaft fast nichts. Ohne Geld können die Menschen ihre Bedürfnisse nicht als aktuelle Nachfrage geltend machen, ihre Produktion nicht vorfinanzieren, ihre Produkte nicht austauschen und bezahlen. „Das Bedürfnis des Austauschs und die Verwandlung des Produkts in reinen Tauschwert schreitet voran im selben Maß wie die Teilung der Arbeit, d.h. mit dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion. Aber in demselben Maß wie dieser wächst, wächst die Macht des Geldes.“
- – - Marx hat aufschlussreich beschrieben, warum Geld eine besondere Rolle spielt, warum es auch ein der Ware überlegenes Nicht‑Äquivalent ist. Der Unterschied zwischen Geld und Ware zeigt sich in der unterschiedlichen Brauchbarkeit im Tauschverkehr. Geld ist das bessere Tauschmittel. Mit seiner Leichtigkeit der realen Zirkulation erfüllt es die erste Bedingung für seine Funktion als Zirkulationsmittel. Die Ware hingegen ist „gegenüber dem Geld ein Tauschmittel von nur beschränkter Kraft“. „Geld kann immer andere Waren kaufen, während andere Waren nicht immer Geld kaufen können“, zitiert Marx zustimmend Thomas Tooke. Waren unterscheiden sich vom Geld auch durch größere „Vergänglichkeit“. „Das Geld ist die unvergängliche Ware.“ An anderer Stelle spricht Marx auch vom „Privilegium dieser besonderen Ware“ oder von der „Suprematie des Geldes“ gegenüber den „wirklichen Bedürfnissen der Produktion“. Die einzigartige Tauschbarkeit ist es also, die Geld vor den Waren auszeichnet. Moderne Geldtheoretiker sprechen von der „monetären Liquidität“; diese macht den Gebrauchsnutzen des Geldes selbst aus.
- – - Die Überlegenheit des Geldes bewirkt eine asymmetrische Struktur von Kauf und Verkauf. Der potentielle Käufer muss nicht unmittelbar kaufen, wenn er selbst gerade verkauft hat (wie es in der reinen Tauschwirtschaft der Fall ist); er kann warten, wenn er nicht dringende Bedürfnisse befriedigen muss.
- – - Von der Macht derer, die Geld übrig haben, ist von vornherein auch der Arbeiter als Verkäufer von Arbeit abhängig; er steht unter dem Druck, seine Arbeit anbieten zu müssen und ist somit erpressbar. Die Macht des Geldes ist sowohl die Macht des Käufers als auch die des Geldgebers, der mit dem Geld über die Macht verfügt, andere zu Käufern zu machen.
- – - „Die Trennung von Verkauf und Kauf (…) macht eine Masse Scheintransaktionen vor dem definitiven Austausch (…) möglich und befähigt so eine Masse Parasiten, sich in den Produktionsprozess einzudrängen und die Scheidung auszubeuten.“ Dies muss Marx gespürt haben: Die Widersprüche des Kapitalismus tauchen eigentlich nicht mit der Trennung von Arbeit und Eigentum auf, sie haben ihren Grund in der Aufspaltung des unmittelbaren Austausches in Verkauf und Kauf durch das Geld. Dennoch versucht Marx, eine Neutralisierung der Asymmetrie zu konstruieren mit der Vorstellung des Rollentausches: dass der benachteiligte Verkäufer nach dem Tausch zum Käufer wird und umgekehrt. Doch vergeblich – denn Arbeiter und Kapitalisten bleiben grundsätzlich in ganz verschiedenen Ausgangssituationen: Die einen müssen ihre Arbeitskraft verkaufen und Waren kaufen um leben zu können. Die anderen haben lebensnotwendige Bedürfnisse längst befriedigt; es geht ihnen bei dem Geld, das sie übrighaben, nur um den Profit; sie können anderer Leute Arbeit kaufen, müssen es aber nicht. Der Geldkapitalist kann Arbeiter und vermögenslose Unternehmer warten lassen!
- – - Als fundamentale und umfassende Polarisation ergibt sich demnach: Auf der einen Seite die Geldkapitalisten, auf der anderen Seite Produzenten (tätige Unternehmer), Arbeiter, Konsumenten. Damit wird viel genauer unterschieden als mit der üblichen pauschalen Polarisation „Kapital und Arbeit“. Auch die vermögenslosen Unternehmer, die unternehmerische Arbeit leisten wollen, sind ja den Geldbesitzern ausgeliefert, wenn ihnen das Geld fehlt, sich Produktionsmittel und Rohstoffe zu kaufen und Löhne vorzufinanzieren. Marx unterscheidet durchaus zwischen dem tätigen Unternehmer (dem fungierenden industriellen Kapitalisten) und dem Geldkapitalisten. Er sieht den tätigen Unternehmer als einen vom Geldkapitalisten gekauften Arbeiter und Handlanger, der von dem, was er aus dem Kapital herausholt, den Zins als Mehrwert an den Geldkapitalisten abführen muss. (Beide Funktionen – Unternehmer und Kapitalgeber – liegen in einer, Person, wenn der Unternehmer mit eigenem Geldkapital arbeitet.)
- – - Wenn nun Geld ein der Ware überlegenes Nicht‑Äquivalent ist, wie ist dann die Paradoxie zu erklären, dass Geld ein Äquivalent der Ware ist? Geld ist ein Äquivalent der Ware im Augenblick eines Vertragsabschlusses. Hierbei dient Geld als ein Vergleichsmaßstab. Es wird ein Kaufpreis vereinbart, und die so bestimmte Summe wird bei Zahlung des Kaufpreises bezahlt. Es geht hier also um den Nennwert des Geldes im Sinne seines Tauschwertes (zum Beispiel 100 DM). Geld dient in diesem Fall als Wertmaß. (Heute spricht man von „Währungseinheit“.)
- – - Im wirtschaftlichen Verkehr aber ist Geld der Ware überlegen. Hier haben wir es zu tun mit dem Gebrauchsnutzen des Geldes, mit der nützlichen (kostensparenden) Überlegenheit des Geldes beim geschäftlichen Austausch, mit der monetären Liquidität.
- – - Man muss noch einen Schritt tiefer gehen und fragen, was denn letztlich den Gebrauchswert von Waren und Geld bestimmt. Nur „der Rock ist ein Gebrauchswert, der ein besonderes Bedürfnis befriedigt“, sagt Marx bezüglich einer Ware. Wenn sie nicht am Ende menschliche Bedürfnisse befriedigt, ist eine Ware wertlos. Es ist also das Bedürfnis, das den Gebrauchswert der Ware und die in ihr vergegenständlichte Arbeit bestimmt.
- – - Das Geld nun befriedigt das Bedürfnis der Produzenten und Konsumenten nach ökonomischer Kommunikation, nach Austausch der Produkte. Das Phänomen „menschliche Bedürfnisse“ ist die Basis, von der die Marxschen Gedankengänge in „Das Kapital“ ausgehen. Auf der ersten Seite von Band 1 taucht dieser Begriff gleich dreimal auf. „Nicht erst in der Arbeit, sondern schon im Bedürfnis gründet die Wertlehre und damit auch die Mehrwertlehre“, schreibt Suhr. Dennoch ist die marxistische Wert- und Mehrwertlehre fast ganz zu einer Arbeitswertlehre geworden. Marx und Engels blieben noch zu sehr befangen in der klassischen Arbeitswertlehre Ricardos.
- – - Marx spricht also dem Gelde durchaus einen besonderen Gebrauchswert zu, will aber letztlich im Geld keine selbständige Mehrwertquelle sehen, da hinter dessen besonderen Eigenschaften – wie er einerseits behauptet – keine werteschaffende Arbeit stecke. Damit widerspricht Marx aber seinen eigenen Beobachtungen, die er an anderen Stellen wiedergibt: Geld komme aus der Zirkulation und sei „Produkt der Zirkulation„!
- – - Die Arbeit, die den Nutzen des Geldes hervorbringt, leisten nämlich die Wirtschaftsteilnehmer durch ihre „gesellschaftliche Tat“: indem sie das Geld als Tauschmittler akzeptieren, es ausgeben und annehmen, die Arbeit des Austauschens leisten, die Geld produziert und reproduziert. Die Voraussetzungen, die nach Marx erfüllt sein müssen, damit ein Gut selbständige Mehrwertquelle sein kann, sind also beim Geld durchaus gegeben. Der typische kapitalistische Mehrwert ist im Geld selbst angelegt. Geldkapital hat ja seinen Mehrwert immer schon erzeugt, auch in der vorindustriellen Zeit, bevor Arbeit und Produktionsmittel getrennt waren.
- – - Und folgende Gedanken hat Marx auch niedergeschrieben: Das Geldkapital ist ein „für den Verleiher in der Tat vom Prozeß des Kapitals unabhängiges Kapital“. In diesem Fall ist der Zins ein „von der kapitalistischen Produktion – der Erzeugung des Mehrwertes – als solcher unabhängiger fact“.
- – - Der Zins hat also nichts oder nur wenig und indirekt mit den produktiven Eigenschaften von Sachkapital (Produktionsmitteln) zu tun – wie Marx es sonst lehrt – ‚aber sehr viel mit der Eignung des Geldes zu Zwecken des Zahlens und Tauschens. Wenn Geld den beschriebenen speziellen ökonomischen Gebrauchswert hat, dann erscheint es eigentlich selbstverständlich, dass die Geldbesitzer diesen vermarkten und dafür einen Preis, den Zins, erzielen können. Sie können das gesellschaftlich-wirtschaftliche Kommunikationsbedürfnis der Menschen ausnutzen, sie sind in der Lage, den Austausch zwischen den Eigentümern der Sachkapitalien und den Arbeitern und den Konsumenten nach eigenen Gewinninteressen zu beeinflussen – oder gar zu verhindern, indem sie ihr Geld zurückhalten, wenn ihnen kein „angemessener“ Zins für den Geldverleih winkt.
- – - Die kapitalistische Eigenschaft des Geldes wird nun auf die Güterwelt übertragen. Nur mit Geld kommen ja die Unternehmer im allgemeinen an die Sachgüter heran. Also müssen auch Produktionsmittel Zinsen abwerfen – mindestens soviel wie Geld, wenn man es verleiht (bei Geldinstituten anlegt). An sich besitzt Realkapital keine zinserpressenden Eigenschaften. Es werden auch nur solche Realkapitalien hergestellt bzw. eingesetzt, die mindestens soviel Zinsgewinne erwarten lassen wie Geld, wenn man es verleiht. Der Geldzins setzt den Standard für die Vermehrung von Sachkapital und damit auch den Grad für die allgemeine Bedürfnisbefriedigung. Im Geldzins liegt der Ursprung des Profits, der Rendite. Der Kapitalismus ist eine Folge des Geldsystems.
- – - Pervers an dem „Geheimnis der Plusmacherei“ ist: Diejenigen, die durch ihre „gesellschaftliche Tat“ den Gebrauchsnutzen des Geldes produzieren, müssen für den Gebrauchsnutzen des Geldes einen Preis (Zinsen) zahlen an diejenigen, die die Produktion stören, indem sie ihr Geld zurückhalten, wenn kein angemessener Zinsgewinn winkt.
- – - Noch einmal zurück zu den Widersprüchen in der Marxschen Politischen Ökonomie. Warum zieht Marx aus der Beobachtung, dass Geld gegenüber Waren vorteilhafte Eigenschaften besitzt, keine Konsequenzen? Warum gesteht er dem Geld letztlich keine Mehrwerteigenschaften zu?
- – - Auf den nachhaltigen Einfluss der klassischen Arbeitswertlehre Ricardos wurde schon hingewiesen. Marx blieb anscheinend bei der Überzeugung, der Gebrauchswert des Geldes beruhe nicht auf gesellschaftlicher Arbeit, Geld selbst könne deshalb nicht eigenständige Quelle von Wert sein. Dabei hat Marx seine eigene Feststellung nicht berücksichtigt, dass Geld ein „notwendiges Produkt“ des gesellschaftlichen Austauschprozesses ist. So musste denn Marx den Geldzins aus dem Produktionsprozess zu erklären versuchen, als ein Resultat dieses Prozesses, als ein gleichsam vorweggenommenes Ergebnis, obwohl das Geldkapital historisch und ökonomisch das eigentliche Kapital darstellt.
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- – - Die bisherigen Wege zum Sozialismus sind gescheitert. Der ideelle Wert seines Hauptanliegens wird dadurch nicht gemindert. Eins der ursprünglichen Ziele ist durch Planwirtschaft und Staatsallmacht unterdrückt worden. Gleichheit und Freiheit waren Grundanliegen aller bedeutenden Sozialisten. Karl Marx hat seinen Epigonen jedoch durch eine fehlerhafte Kapitalanalyse den Weg zu diesem Doppelziel verbaut. Sie veranlasste die sozialistischen Regierungen, den verhängnisvollen Kurs der Zentralverwaltungswirtschaft einzuschlagen. Die Bedeutung des Marktes als reale produktive Grundlage aller ökonomischen Gleichheit und Freiheit wurde verkannt.
- – - Gleichheit und Freiheit sind auch Grundanliegen der Verfassung der BRD. Mit der kapitalistisch geprägten Marktwirtschaft konnte dieses Zielpaar ebenfalls nicht erreicht werden. Die „Soziale Marktwirtschaft“ sollte die kapitalistischen Ungleichheiten und Härten ausgleichen und mildern. Zwar wurde in einigen Ländern ein großzügiger Versorgungsstaat aufgebaut und für viele Menschen ein sehr hoher Lebensstandard erreicht. Aber dadurch wurde die Staatsmacht übermäßig gesteigert und das Wachsen der Kluft zwischen arm und reich national und international nicht verhindert. Zudem zerstört die kapitalistisch geprägte Marktwirtschaft mit ihrer Wachstumsmentalität die natürlichen Lebensgrundlagen. Der neue Slogan „Umweltschutz durch Wirtschaftswachstum“, der nur relative Berechtigung hat, sollte nicht darüber hinwegtäuschen.
- – - Bewahrung der Schöpfung findet neben Gleichheit und Freiheit der Menschen als dritte Zielvorstellung in unserem Bewusstsein ihren Platz. Eine entscheidende Sperre zum Verstehen eines entsprechenden Konzeptes ist immer noch die Marxsche Kapitalanalyse, auch in westlichen Ländern. Erst wenn man ihre Fehlerhaftigkeit erkannt hat, wird der Blick frei für eine naturerhaltende, gerechte und freiheitliche Wirtschaftsordnung.
- – - Zwar hatten sich bereits der libertäre Sozialist P. J. Proudhon (1809 – 1865) und der Sozialreformer Silvio Gesell (1862 – 1930) kritisch mit der Marxschen Theorie auseinandergesetzt und gegenteilige Auffassungen vertreten und wurde vor allem durch J. M. Keynes (1883 – 1946) eine andere Erklärung des Kapitalismus bekannt, bei der die Rolle des Geldes im Vordergrund steht. Neuere Geldtheorien ließen weitere Zweifel an der Richtigkeit der Marxschen Kapitalanalyse aufkommen. Aber dennoch beruht das landläufige Verständnis von Kapitalismus immer noch auf der Marxschen Sichtweise. Die Hauptrolle des traditionellen Geldes wird in dem Zusammenhang nicht gesehen.
- – - Karl Marx lehrte: Der Kapitalismus beruht auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln. Durch die Produktionsverhältnisse sind die Arbeiter von den Bedingungen für die Verwirklichung der Arbeit getrennt und können von den Kapitalisten ausgebeutet werden.
- – - Bei seiner Analyse kapitalistischer Ausbeutungs- und Machtzusammenhänge ging Marx von der historisch vorgegebenen Struktur der feudalen Gesellschaft aus. Diese habe erst Geld und Ware in Kapital verwandelt und die Arbeiter von den Arbeitsmitteln geschieden. Wolle man den Kapitalismus überwinden, müsse das Privateigentum an den Produktionsmitteln überwunden werden.
- – - Folgt man einer Kette bestimmter Gedanken, die sich Marx über das Geld gemacht hat, kommen an der Richtigkeit seiner gängigen These Zweifel auf. Dann erscheint Kapitalismus vielmehr als ein Syndrom, das seinen Herd in der Struktur des Geldes hat, in bestimmten Eigenschaften des Geldes. Dann ist Privateigentum an den Produktionsmitteln gar nicht der Grund und die Ursache für den Kapitalismus?
- – - Mit diesem Thema befasst sich Dieter Suhr (Professor an der Universität Augsburg) in seinem Buch „Der Kapitalismus als monetäres Syndrom“. Es trägt den Untertitel: Aufklärung eines Widerspruchs in der Marxschen Politischen Ökonomie“. (Campus Verlag Frankfurt 1988, Reihe Campus Forschung Band 581.)
- – - Suhr hinterfragt die grundlegende Überzeugung marxistischen Denkens im Geiste der „Kritik der politischen Ökonomie“ (Marx). Die folgenden Ausführungen stellen im wesentlichen einen Auszug aus Suhrs Arbeit dar. (Sämtliche Zitate, soweit nicht anders angegeben, von Karl Marx laut Suhr a.a.O.)
- – - Marx hat uns in seiner Beurteilung des Geldes folgende Erblast hinterlassen. Einerseits betont er häufig, Geld sei ein Äquivalent der Waren, und es habe selbst keine kapitalistische Eigenschaft. (In gewissem Sinne blieb Marx der Ansicht der Klassiker der Nationalökonomie verhaftet, wonach Geld nur wie ein Schleier über der Wirtschaft liegt, ohne diese selbst zu beeinflussen.) Andererseits erklärt Marx mehrfach, inwiefern das Geld anderen Tauschobjekten überlegen ist – als „gesellschaftliche Macht in privater Hand“, als Ware von „größter Tauschkraft“ und „Schlagfertigkeit“. Diese zweite Beobachtung lässt vermuten, dass dem Geld in Wirklichkeit eine viel größere Bedeutung zukommt als ihm in der üblichen marxistischen und klassischen Denkweise zugestanden wird.
- – - Gehören zu den Verwirklichungsbedingungen der Arbeit nur sachliche Produktionsmittel? Gehört nicht vor allem ein allgemeines ökonomisches Kommunikationsmittel – das Geld – dazu, damit Eigentümer, Produzenten, Arbeiter und Konsumenten miteinander ins Geschäft kommen? Ohne Geld bewegt sich in der arbeitsteiligen Wirtschaft fast nichts. Ohne Geld können die Menschen ihre Bedürfnisse nicht als aktuelle Nachfrage geltend machen, ihre Produktion nicht vorfinanzieren, ihre Produkte nicht austauschen und bezahlen. „Das Bedürfnis des Austauschs und die Verwandlung des Produkts in reinen Tauschwert schreitet voran im selben Maß wie die Teilung der Arbeit, d.h. mit dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion. Aber in demselben Maß wie dieser wächst, wächst die Macht des Geldes.“
- – - Marx hat aufschlussreich beschrieben, warum Geld eine besondere Rolle spielt, warum es auch ein der Ware überlegenes Nicht‑Äquivalent ist. Der Unterschied zwischen Geld und Ware zeigt sich in der unterschiedlichen Brauchbarkeit im Tauschverkehr. Geld ist das bessere Tauschmittel. Mit seiner Leichtigkeit der realen Zirkulation erfüllt es die erste Bedingung für seine Funktion als Zirkulationsmittel. Die Ware hingegen ist „gegenüber dem Geld ein Tauschmittel von nur beschränkter Kraft“. „Geld kann immer andere Waren kaufen, während andere Waren nicht immer Geld kaufen können“, zitiert Marx zustimmend Thomas Tooke. Waren unterscheiden sich vom Geld auch durch größere „Vergänglichkeit“. „Das Geld ist die unvergängliche Ware.“ An anderer Stelle spricht Marx auch vom „Privilegium dieser besonderen Ware“ oder von der „Suprematie des Geldes“ gegenüber den „wirklichen Bedürfnissen der Produktion“. Die einzigartige Tauschbarkeit ist es also, die Geld vor den Waren auszeichnet. Moderne Geldtheoretiker sprechen von der „monetären Liquidität“; diese macht den Gebrauchsnutzen des Geldes selbst aus.
- – - Die Überlegenheit des Geldes bewirkt eine asymmetrische Struktur von Kauf und Verkauf. Der potentielle Käufer muss nicht unmittelbar kaufen, wenn er selbst gerade verkauft hat (wie es in der reinen Tauschwirtschaft der Fall ist); er kann warten, wenn er nicht dringende Bedürfnisse befriedigen muss.
- – - Von der Macht derer, die Geld übrig haben, ist von vornherein auch der Arbeiter als Verkäufer von Arbeit abhängig; er steht unter dem Druck, seine Arbeit anbieten zu müssen und ist somit erpressbar. Die Macht des Geldes ist sowohl die Macht des Käufers als auch die des Geldgebers, der mit dem Geld über die Macht verfügt, andere zu Käufern zu machen.
- – - „Die Trennung von Verkauf und Kauf (…) macht eine Masse Scheintransaktionen vor dem definitiven Austausch (…) möglich und befähigt so eine Masse Parasiten, sich in den Produktionsprozess einzudrängen und die Scheidung auszubeuten.“ Dies muss Marx gespürt haben: Die Widersprüche des Kapitalismus tauchen eigentlich nicht mit der Trennung von Arbeit und Eigentum auf, sie haben ihren Grund in der Aufspaltung des unmittelbaren Austausches in Verkauf und Kauf durch das Geld. Dennoch versucht Marx, eine Neutralisierung der Asymmetrie zu konstruieren mit der Vorstellung des Rollentausches: dass der benachteiligte Verkäufer nach dem Tausch zum Käufer wird und umgekehrt. Doch vergeblich – denn Arbeiter und Kapitalisten bleiben grundsätzlich in ganz verschiedenen Ausgangssituationen: Die einen müssen ihre Arbeitskraft verkaufen und Waren kaufen um leben zu können. Die anderen haben lebensnotwendige Bedürfnisse längst befriedigt; es geht ihnen bei dem Geld, das sie übrighaben, nur um den Profit; sie können anderer Leute Arbeit kaufen, müssen es aber nicht. Der Geldkapitalist kann Arbeiter und vermögenslose Unternehmer warten lassen!
- – - Als fundamentale und umfassende Polarisation ergibt sich demnach: Auf der einen Seite die Geldkapitalisten, auf der anderen Seite Produzenten (tätige Unternehmer), Arbeiter, Konsumenten. Damit wird viel genauer unterschieden als mit der üblichen pauschalen Polarisation „Kapital und Arbeit“. Auch die vermögenslosen Unternehmer, die unternehmerische Arbeit leisten wollen, sind ja den Geldbesitzern ausgeliefert, wenn ihnen das Geld fehlt, sich Produktionsmittel und Rohstoffe zu kaufen und Löhne vorzufinanzieren. Marx unterscheidet durchaus zwischen dem tätigen Unternehmer (dem fungierenden industriellen Kapitalisten) und dem Geldkapitalisten. Er sieht den tätigen Unternehmer als einen vom Geldkapitalisten gekauften Arbeiter und Handlanger, der von dem, was er aus dem Kapital herausholt, den Zins als Mehrwert an den Geldkapitalisten abführen muss. (Beide Funktionen – Unternehmer und Kapitalgeber – liegen in einer, Person, wenn der Unternehmer mit eigenem Geldkapital arbeitet.)
- – - Wenn nun Geld ein der Ware überlegenes Nicht‑Äquivalent ist, wie ist dann die Paradoxie zu erklären, dass Geld ein Äquivalent der Ware ist? Geld ist ein Äquivalent der Ware im Augenblick eines Vertragsabschlusses. Hierbei dient Geld als ein Vergleichsmaßstab. Es wird ein Kaufpreis vereinbart, und die so bestimmte Summe wird bei Zahlung des Kaufpreises bezahlt. Es geht hier also um den Nennwert des Geldes im Sinne seines Tauschwertes (zum Beispiel 100 DM). Geld dient in diesem Fall als Wertmaß. (Heute spricht man von „Währungseinheit“.)
- – - Im wirtschaftlichen Verkehr aber ist Geld der Ware überlegen. Hier haben wir es zu tun mit dem Gebrauchsnutzen des Geldes, mit der nützlichen (kostensparenden) Überlegenheit des Geldes beim geschäftlichen Austausch, mit der monetären Liquidität.
- – - Man muss noch einen Schritt tiefer gehen und fragen, was denn letztlich den Gebrauchswert von Waren und Geld bestimmt. Nur „der Rock ist ein Gebrauchswert, der ein besonderes Bedürfnis befriedigt“, sagt Marx bezüglich einer Ware. Wenn sie nicht am Ende menschliche Bedürfnisse befriedigt, ist eine Ware wertlos. Es ist also das Bedürfnis, das den Gebrauchswert der Ware und die in ihr vergegenständlichte Arbeit bestimmt.
- – - Das Geld nun befriedigt das Bedürfnis der Produzenten und Konsumenten nach ökonomischer Kommunikation, nach Austausch der Produkte. Das Phänomen „menschliche Bedürfnisse“ ist die Basis, von der die Marxschen Gedankengänge in „Das Kapital“ ausgehen. Auf der ersten Seite von Band 1 taucht dieser Begriff gleich dreimal auf. „Nicht erst in der Arbeit, sondern schon im Bedürfnis gründet die Wertlehre und damit auch die Mehrwertlehre“, schreibt Suhr. Dennoch ist die marxistische Wert- und Mehrwertlehre fast ganz zu einer Arbeitswertlehre geworden. Marx und Engels blieben noch zu sehr befangen in der klassischen Arbeitswertlehre Ricardos.
- – - Marx spricht also dem Gelde durchaus einen besonderen Gebrauchswert zu, will aber letztlich im Geld keine selbständige Mehrwertquelle sehen, da hinter dessen besonderen Eigenschaften – wie er einerseits behauptet – keine werteschaffende Arbeit stecke. Damit widerspricht Marx aber seinen eigenen Beobachtungen, die er an anderen Stellen wiedergibt: Geld komme aus der Zirkulation und sei „Produkt der Zirkulation„!
- – - Die Arbeit, die den Nutzen des Geldes hervorbringt, leisten nämlich die Wirtschaftsteilnehmer durch ihre „gesellschaftliche Tat“: indem sie das Geld als Tauschmittler akzeptieren, es ausgeben und annehmen, die Arbeit des Austauschens leisten, die Geld produziert und reproduziert. Die Voraussetzungen, die nach Marx erfüllt sein müssen, damit ein Gut selbständige Mehrwertquelle sein kann, sind also beim Geld durchaus gegeben. Der typische kapitalistische Mehrwert ist im Geld selbst angelegt. Geldkapital hat ja seinen Mehrwert immer schon erzeugt, auch in der vorindustriellen Zeit, bevor Arbeit und Produktionsmittel getrennt waren.
- – - Und folgende Gedanken hat Marx auch niedergeschrieben: Das Geldkapital ist ein „für den Verleiher in der Tat vom Prozeß des Kapitals unabhängiges Kapital“. In diesem Fall ist der Zins ein „von der kapitalistischen Produktion – der Erzeugung des Mehrwertes – als solcher unabhängiger fact“.
- – - Der Zins hat also nichts oder nur wenig und indirekt mit den produktiven Eigenschaften von Sachkapital (Produktionsmitteln) zu tun – wie Marx es sonst lehrt – ‚aber sehr viel mit der Eignung des Geldes zu Zwecken des Zahlens und Tauschens. Wenn Geld den beschriebenen speziellen ökonomischen Gebrauchswert hat, dann erscheint es eigentlich selbstverständlich, dass die Geldbesitzer diesen vermarkten und dafür einen Preis, den Zins, erzielen können. Sie können das gesellschaftlich-wirtschaftliche Kommunikationsbedürfnis der Menschen ausnutzen, sie sind in der Lage, den Austausch zwischen den Eigentümern der Sachkapitalien und den Arbeitern und den Konsumenten nach eigenen Gewinninteressen zu beeinflussen – oder gar zu verhindern, indem sie ihr Geld zurückhalten, wenn ihnen kein „angemessener“ Zins für den Geldverleih winkt.
- – - Die kapitalistische Eigenschaft des Geldes wird nun auf die Güterwelt übertragen. Nur mit Geld kommen ja die Unternehmer im allgemeinen an die Sachgüter heran. Also müssen auch Produktionsmittel Zinsen abwerfen – mindestens soviel wie Geld, wenn man es verleiht (bei Geldinstituten anlegt). An sich besitzt Realkapital keine zinserpressenden Eigenschaften. Es werden auch nur solche Realkapitalien hergestellt bzw. eingesetzt, die mindestens soviel Zinsgewinne erwarten lassen wie Geld, wenn man es verleiht. Der Geldzins setzt den Standard für die Vermehrung von Sachkapital und damit auch den Grad für die allgemeine Bedürfnisbefriedigung. Im Geldzins liegt der Ursprung des Profits, der Rendite. Der Kapitalismus ist eine Folge des Geldsystems.
- – - Pervers an dem „Geheimnis der Plusmacherei“ ist: Diejenigen, die durch ihre „gesellschaftliche Tat“ den Gebrauchsnutzen des Geldes produzieren, müssen für den Gebrauchsnutzen des Geldes einen Preis (Zinsen) zahlen an diejenigen, die die Produktion stören, indem sie ihr Geld zurückhalten, wenn kein angemessener Zinsgewinn winkt.
- – - Noch einmal zurück zu den Widersprüchen in der Marxschen Politischen Ökonomie. Warum zieht Marx aus der Beobachtung, dass Geld gegenüber Waren vorteilhafte Eigenschaften besitzt, keine Konsequenzen? Warum gesteht er dem Geld letztlich keine Mehrwerteigenschaften zu?
- – - Auf den nachhaltigen Einfluss der klassischen Arbeitswertlehre Ricardos wurde schon hingewiesen. Marx blieb anscheinend bei der Überzeugung, der Gebrauchswert des Geldes beruhe nicht auf gesellschaftlicher Arbeit, Geld selbst könne deshalb nicht eigenständige Quelle von Wert sein. Dabei hat Marx seine eigene Feststellung nicht berücksichtigt, dass Geld ein „notwendiges Produkt“ des gesellschaftlichen Austauschprozesses ist. So musste denn Marx den Geldzins aus dem Produktionsprozess zu erklären versuchen, als ein Resultat dieses Prozesses, als ein gleichsam vorweggenommenes Ergebnis, obwohl das Geldkapital historisch und ökonomisch das eigentliche Kapital darstellt.
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