Demokratie – Sprengstoff für linke Politik – Karl-Martin Hentschel
Warum Trump und Co. gewählt werden
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Michael J. Sandel, geb. am 9. März 1953 in Minneapolis, ist ein US-amerikanischer Philosoph und Mitbegründer des Kommunitarismus. Er ist seit 1980 Professor für politische Philosophie an der Harvard University. Er wurde bekannt durch seine Kritik an John Rawls, in der er dessen abstrakten Freiheitsbegriff kritisiert, da eine Priorität für die Freiheit ohne soziale Werte und Tugenden nicht akzeptabel ist.
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Der Philosoph Michael J. Sandel hat ein Buch geschrieben, das politischen Denkstoff – oder sollte man sagen Sprengstoff? – beinhaltet. Es kritisiert eines der Lieblingsprojekte der politischen Linken: Chancengleichheit durch Bildung (er nennt es „Meritokratie“). Dieses Konzept trage nicht dazu bei, dass die Ungerechtigkeit geringer wird, sondern im Gegenteil dazu, dass die wachsende Ungleichheit gerechtfertigt wird. Es führt seines Erachtens dazu, dass die „smarten“ Hochschulabsolventen – die Bildungselite – arrogant auf die große Mehrheit der Bevölkerung, die nicht studiert hat, herabschauen. Darauf führt er als Gegenbewegung die Wahl von Trump, den Brexit in UK und die Wahl von rechten Parteien in vielen europäischen Staaten zurück.
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Kulturkampf
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Der Autor hält es für einen Fehler, in populistischen Protesten nur Engstirnigkeit oder Wut auf die wachsende Ungleichheit zu sehen. Die Klagen und Proteste der Menschen, die Donald Trump gewählt haben, sind nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch moralischer und kultureller Natur. Es geht ihnen nicht nur um Löhne und Arbeit, sondern auch um gesellschaftliche Wertschätzung. Die weißen Männer ohne Hochschulabschluss fragen sich, warum Frauen, Farbige und Behinderte gefördert werden, sie aber als „white trash“ diskriminiert und in Fernsehsendungen als „dumm“ und „ungebildet“ dargestellt werden.
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Daraus entsteht ein Hass, der sich nicht primär gegen die „Reichen“, sondern vor allem gegen die Bildungselite wendet.
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Ursache dafür ist der technokratische und meritokratische Ansatz, mit dem sowohl die konservativen wie die linken (liberalen) Parteien das Projekt der Globalisierung entworfen und ausgeführt haben. Insbesondere linke Politiker wie Bill Clinton, Toni Blair und Gerhard Schröder aber zuletzt auch Barack Obama haben mit ihrer starken Betonung von Bildung und Chancengleichheit entscheidend dazu beigetragen, dass nichtakademische Berufe entwertet werden und der „Arbeiter“ nichts mehr zählt. Infolgedessen haben die linken Parteien das Vertrauen der einfachen Menschen verloren und wurden zu Akademikerparteien. Heute werden linke Parteien in allen wohlhabenden Staaten weltweit um so mehr gewählt, je höher der Bildungsstand ist.
Diese Wandlung hatte zuvor schon der Ökonom Thomas Piketty beschrieben. Er führte die Wandlung der linken Parteien zu Akademikerparteien auf die Bildungsrevolution der 60er und 70er Jahre zurück. So stieg in Deutschland die Zahl der Studienanfänger von 5 Prozent im Jahre 1950 bis 2020 auf über 50 Prozent eines Jahrgangs, von denen aber mehr als ein Drittel keinen Abschluss schafft. In dieser Zeit strömten viele Menschen mit Hochschulbildung, die dadurch eine Chance bekommen hatten, begeistert in die linken Parteien und die Arbeiter gerieten in die Minderheit.
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Die Zunahme der Ungleichheit
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Die Betonung der Chancengleichheit erweckt den Eindruck, dass damit etwas gegen die Ungleichheit getan wird. Diese Forderung wirkte jedoch um so unglaubwürdiger, je mehr sie immer stärker in Kontrast mit der Wirklichkeit geriet:
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Tatsächlich landeten die Einkommenszuwächse nur bei den oberen Einkommen. Das Realeinkommen der ärmeren Hälfte der Bevölkerung ist in den USA in den letzten 40 Jahren sogar gesunken. Das Einkommen des reichsten ein Prozent ist mit über 20 Prozent höher als das der ärmeren 50 Prozent, die nur 12 Prozent des Gesamteinkommens bekommen.
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Auch in Deutschland hat die Ungleichheit dramatisch zugenommen. Der Anteil der unteren Hälfte der Bevölkerung am Gesamtvermögen fiel seit 1980 von fünf Prozent auf unter zwei Prozent. Dazu hat erheblich die Abschaffung der Vermögenssteuer und das Amputieren der Erbschaftssteuer beigetragen. Allerdings sind die Zahlen in Deutschland noch weit von denen in den USA entfernt: Das Einkommen des reichsten ein Prozent liegt hier bei 13 Prozent, das der ärmeren 50 Prozent dagegen noch über 20 Prozent.
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Keine Chancengleichheit durch die Bestenauslese
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Die Auslese der Besten erfolgt in den USA heute nicht mehr wie bis in die 70-er Jahre über diskriminierende Auswahlkriterien (keine Schwarzen und Farbigen, keine Juden, nur wer Geld hat), sondern über ein differenziertes Bewertungssystem. Dieses besteht einmal aus Schulnoten, dazu kommt eine Art Intelligenztest – der SAT (Standard Aptitude Test) sowie weiteren Kriterien wie sportliche Leistungen und ehrenamtliches Engagement.
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