Das Erfor­der­li­che zur Rou­ti­ne machen – Eine Buch­re­zen­si­on von Andre­as Bangemann

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Micha­el Kopatz: „Ökorou­ti­ne“ – Damit wir tun, was wir für rich­tig halten. oekom verlag München, Juli 2016, 416 Seiten, € 24,95 ISBN 978–3‑86581–806‑5
– https://www.oekom.de/nc/buecher/gesamtprogramm/buch/oekoroutine.html
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Die mensch­li­che Frei­heits­lie­be wehrt sich sofort, wenn von außen Zwang einwirkt, der einge­spiel­te Verhal­tens­wei­sen einschrän­ken oder gar been­den soll. Die ewig unbe­frie­di­gend zu beant­wor­ten­de Frage, ob man Menschen zu ihrem Glück zwin­gen kann oder es sogar tun muss steht im Raum. Es ist uner­quick­lich, sich mit ihr zu befas­sen. Denn im 21. Jahr­hun­dert will niemand in einem „Zwangs­re­gime“ leben.
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Die Kehr­sei­te der Medail­le: Unbe­küm­mert haben sich die Aller­meis­ten in der west­li­chen, reichen Hemi­sphä­re Gewohn­hei­ten ange­eig­net, die nicht nur sie selbst in Gefahr brin­gen, sondern den komplet­ten Rest der Welt mit. Die ökolo­gi­schen Schä­den jener Frei­heit, die wir uns gedan­ken­los tagein tagaus nehmen, sind mitt­ler­wei­le unver­kenn­bar. Wir sind dabei, das Grab der Mensch­heit zu schau­feln, weil wir den einen Plane­ten, auf dem das Wunder des Lebens auf so einzig­ar­ti­ge Weise möglich ist, eigen­hän­dig in ein tödli­ches Ungleich­ge­wicht stürzen.
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Es ist fata­ler­wei­se so, dass nahezu jeder Einzel­ne weiß, dass einige der persön­li­chen Verhal­tens­wei­sen sich und seine Umwelt schä­di­gen. Das Bewusst­sein ist da, aber aus im dunk­len liegen­den Ursa­chen bleibt das „Fleisch schwach“.
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Micha­el Kopatz ist diesem Wider­spruch auf den Grund gegan­gen und analy­siert anhand der Fragen „Warum geschieht nicht, was gesche­hen muss?“ und „Warum tun wir nicht, was wir für rich­tig halten?“ die erkenn­ba­ren Muster unse­rer Handlungsweisen.
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Dabei geht er auf alle mensch­li­chen Bedürf­nis­se ein. Essen, Wohnen, Ener­gie, Konsum, Reisen und Arbei­ten. Kapi­tel­wei­se arbei­tet sich der Autor durch die „Routi­nen“ des Alltags und zeigt an unzäh­li­gen Beispie­len auf, wie Ange­wohn­hei­ten sowohl in die eine (sinn­vol­le) als auch in die andere (umwelt- und gemein­schafts­schäd­li­che) Rich­tung ausschla­gen können.
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Sein Rezept ist streit­bar, denn „Ökorou­ti­ne“ plädiert unmiss­ver­ständ­lich für eine stär­ke­re Einfluss­nah­me des Staa­tes, um jene Routi­nen im Einzel­nen frei­zu­le­gen, die jetzt offen­sicht­lich vonnö­ten sind, wenn wir nicht immer tiefer in die Kata­stro­phe rutschen wollen. Seine Argu­men­te für »mehr Staat« sind stichhaltig.
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Die jahre­lan­gen Erfah­run­gen auf dem Gebiet der Nach­hal­tig­keits­for­schung als wissen­schaft­li­cher Projekt­lei­ter am renom­mier­ten Wupper­tal-Insti­tut haben dem Autor gelehrt: Das Wissen um die ange­mes­se­nen, aktu­ell drin­gend einzu­schla­gen­den Verän­de­run­gen führt trotz einleuch­ten­der Logik und posi­ti­ver Reso­nanz aus allen Berei­chen der Gesell­schaft nicht zu Taten. Etwas ist wirkungs­rei­cher als jede noch so auf der Hand liegen­de Kraft hin zum Guten. Micha­el Kopatz iden­ti­fi­ziert die Wirt­schaft und den ihr inne­woh­nen­den Wachs­tums­zwang als schwer­wie­gen­den Hemm­schuh. In „Ökorou­ti­ne“ legt er den Finger in diese Wunde und erwähnt, wie das Geld­sys­tem über den Zwang zur stän­di­gen Verzin­sung des einge­setz­ten Kapi­tals zu einer hohen Hürde auf dem Weg zu mehr Nach­hal­tig­keit wird. Als Lösung im Klei­nen setzt er auf die posi­ti­ven Wirkun­gen von zins­lo­sen Regio­gel­dern. Das so erfolg­rei­che „Wunder von Wörgl“ führt er beispiel­haft für gemein­schaft­li­ches Tätig­wer­den in die wünschens­wer­te Rich­tung an. Den Gedan­ken von Regio­wäh­run­gen als Syste­me, die dem Geld die den Menschen dienen­de Funk­ti­on des Tausch­mit­tels zuweist, bettet der Autor auch in konkre­te Hand­lungs­vor­schlä­ge für Städte und Gemein­den ein, welchen er mit seiner Projekt­stu­die „Wirt­schafts­för­de­rung 4.0“, die in dem Buch ausführ­lich behan­delt wird, an die Hand reicht.
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„Ökorou­ti­ne steht für einen allmäh­li­chen System­wech­sel“. Die Klar­heit dieser Aussa­ge würde man sich viel öfter von einfluss­rei­chen Wissen­schaft­lern und Eliten wünschen. Hier wagt sie einer, dem man vertrau­en kann, dass er es ernst­lich meint. Micha­el Kopatz lebt selbst mit Freude all das, was er für ange­mes­sen und für jeder­mann als erfor­der­lich erkannt hat. Er enga­giert sich für Carsha­ring-Model­le, Repa­ra­tur-Cafés, Tausch­bör­sen, Regio­gel­der und zieht bei Vorträ­gen schon mal die Schuhe aus, um eindrucks­voll zu bewei­sen: Es gibt noch nach­hal­tig produ­zie­ren­de Schuh­her­stel­ler in Europa, die nicht nur über­le­ben können, sondern sich wach­sen­den Zuspruchs erfreu­en. (Die soge­nann­ten „Wald­viert­ler“ aus Österreich).
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„Ökorou­ti­ne“ steht auf eine beson­de­re Weise für eine verträg­li­che Mischung aus „Zwang zum Glück“ und „Freude am Anders­ma­chen“. Mit dem vorlie­gen­den Buch gelingt es Micha­el Kopatz einen Meilen­stein zu setzen, für die so zentra­le Aufga­be, einen grund­le­gen­den System­wech­sel herbei­zu­füh­ren. Man kann seinem Buch und ihm persön­lich, der er sich tagtäg­lich für das, was er schreibt aktiv einsetzt nur allen erdenk­li­chen Erfolg wünschen.
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„Ökorou­ti­ne – Damit wir tun, was wir für rich­tig halten“ gehört in jede Biblio­thek und in die Köpfe von Menschen, die ernst­haft wollen, dass die Welt von morgen für unsere Nach­kom­men noch lebens­wert ist. 

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