Big Data, Big Business und wir – Christoph Rinneberg

Wir alle, die wir uns täglich der digi­ta­len Infor­ma­ti­ons- und Kommu­ni­ka­ti­ons­tech­nik bewusst oder unbe­wusst bedie­nen, schul­den Jaron Lanier großen Dank, einem Pionier in der Erar­bei­tung der prin­zi­pi­el­len Funk­ti­ons­wei­se des Inter­net und der Virtu­el­len Realität.

In seiner Rede anläss­lich der Verlei­hung des Frie­dens­prei­ses des Deut­schen Buch­han­dels (12. 10. 2014) skiz­ziert er die digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on in ihren posi­ti­ven und nega­ti­ven Auswir­kun­gen auf unsere Arbeit, auf unser indi­vi­du­el­les Leben, auf unsere Gesell­schaft und auf unsere Demo­kra­tie. Er tut das aus seiner Posi­ti­on eines kennt­nis­rei­chen, schöp­fe­ri­schen, hoch­an­ge­se­he­nen Exper­ten der Digi­ta­li­sie­rung und gleich­zei­tig eines Oppo­si­tio­nel­len, der bestens um die Gefah­ren der Digi­ta­li­sie­rung weiß und daher vor dem inhu­ma­nen Geist der tota­len Mach­bar­keit und Unfehl­bar­keit warnt. Weitest­ge­hend gleich­sin­nig findet man diese Wert­schät­zung der außer­ge­wöhn­li­chen Persön­lich­keit und Haltung dieses Menschen in den einschlä­gi­gen Verlaut­ba­run­gen während und über die Preisverleihung.

An dieses Zitat aus Bert Brechts Drei­gro­schen­oper wird man erin­nert, wenn man an Edward Snow­don denkt, den eins­ti­gen Spezia­lis­ten des US-ameri­ka­ni­schen Geheim­diens­tes NSA, den derzeit wohl bekann­tes­ten Whist­le­b­lower, der mit dersel­ben Tech­nik wohl ähnlich virtu­os wie Jaron Lanier umzu­ge­hen versteht. Cum grano salis hätte man Edward Snow­don wohl ähnli­che Eigen­schaf­ten wie Jaron Lanier zuzu­bil­li­gen, weil man ihm seinen Kennt­nis­reich­tum, seine Erfah­rung und seinen Mut zur Wahr­haf­tig­keit gewiss nicht abspre­chen kann. Wieso wird der eine hoch geehrt und der andere gemein verfolgt?

Ohne in Details der Digi­ta­li­sie­rung des Wahr­neh­mens, des Verste­hens und des Verän­derns der Wirk­lich­keit einge­hen zu müssen, ist es sinn­voll, einen Kern­be­griff unter die Lupe zu nehmen, nämlich den des Algorithmus:

Alle Tätig­kei­ten, die einem
(vermut­lich) fest­leg­ba­ren und
(tatsäch­lich) festgelegten
Ablauf­sche­ma folgen, können algo­rith­miert, also in Soft­ware über­setzt und auto­ma­ti­siert werden.

Der Zusatz „vermut­lich“ kann uns einen Schlüs­sel zum Verständ­nis liefern: Es genügt die erfah­rungs­ge­stütz­te Ahnung über innere oder äußere Gesetz­mä­ßig­kei­ten von Prozes­sen, um beispiels­wei­se wech­selnd bean­spruch­te Teile eines Motors ebenso herstel­len zu können wie das gewünsch­te oder erwart­ba­re Käufer­ver­hal­ten. Da, wo genaue tech­ni­sche oder sozia­le Kennt­nis­se (noch) nicht vorlie­gen, arbei­tet man mit entspre­chen­den Hypo­the­sen, die natür­lich durch eine Viel­zahl von Expe­ri­men­ten tech­no­lo­gisch und statis­tisch über­prüft werden müssen, ehe sie als Daten fixiert werden können. Damit ist dann die Grund­la­ge für einen tatsäch­lich fest­leg­ba­ren Algo­rith­mus gege­ben, die Grund­la­ge also für jedwe­de Umset­zung in auto­ma­ti­sier­te Prozesse. 

Als Beispiel für die zuneh­men­de Kennt­nis des in uns und um uns herum Gesche­hen­den mag das fahrer­lo­se Auto gelten. Was bisher nur der mensch­li­chen Erfah­rung und Intui­ti­on zuge­traut wurde, kann inzwi­schen im Grunde tech­nisch als prak­tisch gelöst betrach­tet werden. Die Viel­zahl der beim Fahren in Echt­zeit möglichst verzö­ge­rungs­frei durch Soft- und Hard­ware zu tref­fen­den Aktio­nen ist tech­nisch nur möglich, weil eine fast unvor­stell­bar große Menge digi­tal erfass­ter Daten mit der Compu­tern mögli­chen Geschwin­dig­keit digi­tal verar­bei­tet wird. Auf dieser tech­no­lo­gi­schen Grund­la­ge schrei­tet die „Digi­ta­li­sie­rung der Welt“ fort, besser gesagt, wird ihre Trans­for­ma­ti­on nicht nur tech­no­lo­gisch und sozial sondern v.a. auch ökono­misch weiter be- oder gar getrie­ben. So bestimmt die intel­li­gen­te Verla­ge­rung einfa­cher Routi­ne­tä­tig­kei­ten und komple­xer Prozes­se auf Maschi­nen die damit den Menschen verblei­ben­de Arbeit quali­ta­tiv und quantitativ.

Schau­en wir mal in die Werk­statt der digi­tal betrie­be­nen Trans­for­ma­ti­on. Weil durch neue tech­ni­sche und ökono­mi­sche Effi­zi­enz – wahr­nehm­bar z. B. beim Online-Banking – die Nutzer neuer Tech­no­lo­gien, Verfah­ren, Appa­ra­te und Geräte (bis zu Spiel­zeu­gen, „gadgets“) sich bekann­ter­ma­ßen verfüh­ren lassen, scheint es für die Entwick­ler unwi­der­steh­lich zu sein, mit Inno­va­tio­nen möglichst als erste auf den Markt zu kommen und Gewinn­mar­gen zu erzie­len, die nur in der frühen, noch weit­ge­hend konkur­renz­frei­en Phase erreich­bar sind. Sind z. B. neue, hoch­kom­ple­xe Compu­ter-Betriebs­sys­te­me bei den Käufern ange­kom­men, zeitigt die konkre­te Anwen­dung einen gewis­sen Wartungs- und Korrek­tur­be­darf, wodurch bereits die ersten Daten für die Schaf­fung des nächs­ten Systems gene­riert werden. Die Fülle all dieser durch Compu­ter-Nutzung erzeug­ten Daten lässt sich wieder­um nur durch Compu­ter, und zwar durch erheb­lich größe­re Compu­ter bewältigen. 

Big Data – ein „natür­lich“ engli­scher Begriff um die Samm­lung, Verwal­tung und Auswer­tung riesi­ger Daten­men­gen – lässt sich daher nur in Big Compa­nies hand­ha­ben. Diese lassen sich aufgrund des nach wie vor erwart­ba­ren tech­no­lo­gi­schen Wandels nur als Big Busi­ness betrei­ben, der seiner­seits – von Kapi­tal­ein­satz und Rendi­te­er­war­tung bestimmt – eine Algo­rith­mi­sie­rung des Reich­tums auslöst. Dieser fällt frei­lich nicht vom Himmel. Er ist viel­mehr auf eine Viel­zahl der Kunden als Daten­lie­fe­ran­ten ange­wie­sen. Weil er als Kehr­sei­te des Reich­tums gera­de­zu mecha­nisch irgend­wo zur Verar­mung führt, bietet die – wieder­um menschen­ba­sier­te – Kommu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft längst das Instru­men­ta­ri­um für die Krea­ti­on von Euphe­mis­men, also von wohl­klin­gen­den Namen für Maßnah­men, deren bedenk­li­che Seiten lieber im Dunkeln gelas­sen werden. Ein Beispiel hier­für sind die soge­nann­ten Cloud-Services, die von Big Data betrei­ben­den Konzer­nen unter­hal­ten werden. „Wolken“ von Daten sollen eine faktisch welt­wei­te Zugäng­lich­keit signa­li­sie­ren, natür­lich gegen Bezahlung.

Die mit obigem Beispiel der Betriebs­sys­te­me beschrie­be­ne eigen- oder/und fremd­be­stimm­te Dyna­mik lässt sich ohne weite­res auf unser Verhal­ten als Käufer der unter­schied­lichs­ten Produk­te und Dienst­leis­tun­gen über­tra­gen. Der Handel kennt prak­tisch zu jeder Zeit die tatsäch­li­chen Verkaufs­zah­len seiner Produk­te – und bei elek­tro­ni­scher Bezah­lung zuneh­mend mehr über die Kaufs- und Verbrauchs­ge­wohn­hei­ten seiner Kunden. In Licht­ge­schwin­dig­keit gelan­gen all diese Daten zu den Herstel­ler­be­trie­ben, die darauf­hin ggf. ihre Produk­ti­on oder/und ihr Marke­ting ändern – und zu den Kredit­kar­ten-Betrie­ben und zu den Banken. 

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