Beteilen – Dag Schulze

Möglich­keits­raum fürs gemein­schaft­li­che Wirtschaften
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Fürs Wirt­schaf­ten haben die Menschen verschie­de­ne sozia­le Prak­ti­ken entwi­ckelt, die ihrer Struk­tur nach den vier Sozi­al­tech­ni­ken Tauschen, Kaufen, Schen­ken und Betei­len zuge­ord­net werden können (siehe Abbil­dung). Betei­len, kurz für Betei­li­gen und Teilen, ist dabei die einzi­ge Sozi­al­tech­nik mit einer gemein­schaft­li­chen Struk­tur. Die ande­ren Sozi­al­tech­ni­ken zum Wirt­schaf­ten sind struk­tu­rell zwei­sei­tig, d. h. es können struk­tu­rell jeweils zwei Partei­en unter­schie­den werden. So gibt es beim Tauschen zwei Tausch­par­tei­en, beim Kaufen Verkau­fen­de und Kaufen­de und beim Schen­ken Verschen­ken­de und Beschenk­te. Mit dieser Zwei­sei­tig­keit ist das Indi­vi­du­al­ei­gen­tum stark verbun­den, da die wirt­schaft­li­chen Tätig­kei­ten inner­halb dieser Sozi­al­tech­ni­ken im Wesent­li­chen aus Eigen­tums­über­gän­gen bestehen.
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In diesem Text wird das Betei­len genau­er betrach­tet. Im Gegen­satz zu den ande­ren Sozi­al­tech­ni­ken des Wirt­schaf­tens gibt es beim Betei­len nur eine Partei oder Gruppe. Diese Gruppe baut durchs Betei­li­gen einen Vorrat auf, der durch Teilen inner­halb dieser Gruppe anschlie­ßend verteilt wird. Dabei kann, muss aber nicht, die Vertei­lung an die Betei­li­gung auf verschie­de­ne Arten gekop­pelt werden. Für jedes Projekt, in dem gemein­schaft­lich gewirt­schaf­tet werden soll, kann eine spezi­el­le Beteil­öko­no­mie gestal­tet werden. Dieser Text skiz­ziert verschie­de­ne Möglich­kei­ten des Betei­lens und möchte zur Gestal­tung einer passen­den Beteil­öko­no­mie fürs eigene Projekt anregen.
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Betei­li­gen
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Die Betei­li­gung am Aufbau des gemein­sa­men Vorra­tes kann auf unter­schied­li­che Arten erfol­gen, beispiels­wei­se nach
– - – Macht
– - – indi­vi­du­el­lem Ermessen
– - – Kompetenz
– - – gleich großer Beteiligung
– - – gemein­schaft­li­cher Verabredung

Patri­ar­cha­li­sche Beteil­for­men wurden in unse­rer Kultur noch bis in die jünge­re Vergan­gen­heit insbe­son­de­re in länd­li­chen Gebie­ten prak­ti­ziert. Dieser Text fokus­siert sich auf herr­schafts­freie Beteilformen.
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(Ver-)Teilen
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Auch die Vertei­lung des gemein­sa­men Vorra­tes kann unter­schied­lich umge­setzt werden, beispiels­wei­se durch (Ver-)Teilen nach
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- – - Macht
– - – indi­vi­du­el­lem Bedarf
– - – Köpfen (Gleich­ver­tei­lung)
– - – gemein­schaft­li­cher Verabredung
– - – Verlosung 

Auch Misch­for­men aus diesen Vertei­lungs­ar­ten sind möglich.
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Kopp­lung der Vertei­lung an die Beteiligung
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Neben den im vorhe­ri­gen Abschnitt genann­ten entkop­pel­ten Vertei­lungs­ar­ten, kann die Vertei­lung auch an die Betei­li­gung gekop­pelt werden. Dies scheint insbe­son­de­re dann sinn­voll zu sein, wenn eine Beteil­öko­no­mie als paral­le­les Wirt­schafts­sys­tem betrie­ben wird. Denn ohne Kopp­lung könnte eine Beteil­öko­no­mie durch ein paral­le­les Wirt­schafts­sys­tem ausge­beu­tet werden, indem Menschen zwar von der Vertei­lung der Beteil­öko­no­mie profi­tie­ren, sich aber nicht an ihr betei­li­gen und sich nur in paral­le­len Wirt­schafts­sys­te­men aktiv einbringen.
Die Kopp­lung kann quali­ta­tiv, quan­ti­ta­tiv oder eine Misch­form sein. Ein Beispiel für eine quali­ta­ti­ve Kopp­lung ist eine Betei­li­gungs­be­din­gung, etwa in der Form, dass eine Berück­sich­ti­gung bei der Vertei­lung nur erfolgt, wenn sich der betref­fen­de Mensch in der Vergan­gen­heit oder inner­halb eines bestimm­ten Zeit­raums in der Vergan­gen­heit am Füllen des gemein­sa­men Vorrats betei­ligt hat.
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Quan­ti­ta­ti­ve Kopp­lun­gen der Vertei­lung an die Betei­li­gung können auf verschie­de­ne Arten erfol­gen. Möglich sind insbe­son­de­re anteils­lo­gi­sche Kopp­lun­gen, wie beispiels­wei­se Verteilungen
– - – propor­tio­nal zum Betei­li­gungs­an­teil nach Zeit
– - – propor­tio­nal zum Betei­li­gungs­an­teil nach Arbeitszeit
– - – propor­tio­nal zum Betei­li­gungs­an­teil nach Leistung

Diese Kopp­lun­gen haben Ähnlich­keit zur Kopp­lung von Geben und Nehmen beim Äqui­va­lenz­tausch und beim Kaufen. Sie könn­ten sich daher als Trans­for­ma­ti­ons­pfad vom Kaufen zum Betei­len beson­ders eignen. Unter­schied­lich ist, dass beim Betei­len kein indi­vi­du­el­ler Erwi­de­rungs­zwang und keine objek­ti­vier­te Bewer­tungs­er­for­der­nis besteht.
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Betei­len in der Praxis
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Das Betei­len wird in der Praxis in vielen Projek­ten ange­wen­det. Als Beispie­le werden hier die Soli­da­ri­schen Land­wirt­schaf­ten (Sola­wis) und die WiRschaft Usin­ger Land dargestellt.
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In Sola­wis erfolgt die Betei­li­gung haupt­säch­lich über Geld­zah­lun­gen für ein Jahr und auch über direk­te Mitar­beit, die in manchen Sola­wis erwar­tet wird, in ande­ren hinge­gen frei­wil­lig ist. In manchen Sola­wis gibt es feste Preise für verschie­de­ne Ernte­an­teils­grö­ßen, während andere Sola­wis Biete­run­den durch­füh­ren, in denen die Ernte­tei­len­den einen indi­vi­du­el­len Geld­be­trag bieten können, der ihren Einkom­mens­ver­hält­nis­sen gerecht wird. In diesen Sola­wis wird also doppel­te Soli­da­ri­tät prak­ti­ziert: Die Ernte­tei­len­den sind mit den land­wirt­schaf­ten­den Menschen soli­da­risch, da sie die Kosten des Betrie­bes für ein Jahr unab­hän­gig vom Ernte­er­geb­nis decken, und unter­ein­an­der soli­da­risch, da Menschen entspre­chend ihres mone­tä­ren Einkom­mens mehr oder weni­ger bezahlen.
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Die Vertei­lung der Ernte erfolgt in Sola­wis meist durch Gleich­ver­tei­lung oder propor­tio­nal zum erwor­be­nen Ernte­an­teil, wenn es unter­schied­li­che Ernte­an­teils­grö­ßen gibt. Einige Sola­wis expe­ri­men­tie­ren mit einer bedarfs­ge­rech­ten Vertei­lung oder mit ernte­an­teils­pro­por­tio­na­len Anrech­ten inner­halb einer Auswahl­ver­tei­lung, damit alle nur das bekom­men, was sie auch essen möchten.
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Die WiRschaft Usin­ger Land ist eine soli­da­ri­sche Grund­ver­sor­gungs­ge­mein­schaft im Taunus, nahe Frank­furt am Main. Die betei­lig­ten Menschen möch­ten ihre Grund­ver­sor­gung mitein­an­der Schritt für Schritt durchs Betei­len erwirt­schaf­ten und dadurch immer unab­hän­gi­ger vom Geld werden. Die Betei­li­gung erfolgt in der WiRschaft durch Tätig­keit nach indi­vi­du­el­lem Ermes­sen. Für diese Tätig­kei­ten kann der gefühl­te Zeit­auf­wand, die soge­nann­ten Beteil­stun­den, aufge­schrie­ben werden. Die Vertei­lung der Tätig­keits­er­geb­nis­se erfolgt zur Hälfte propor­tio­nal zum indi­vi­du­el­len Anteil an den Beteil­stun­den und zur ande­ren Hälfte in Gleich­ver­tei­lung. Dabei werden die Güter nicht direkt verteilt, sondern jeder betei­lig­te Mensch bekommt eine entspre­chen­de Anzahl von Anrech­ten auf die Güter­por­tio­nen, die dann Porti­on für Porti­on nach Bedarf gegen jeweils ein Anrecht aus dem gemein­sa­men Vorrat entnom­men werden können.
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Betei­len zur Verbin­dung und Potenzialentfaltung
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Betei­len ermög­licht ein Wirt­schaf­ten in Verbin­dung, da es die einzi­ge Sozi­al­tech­nik zum gemein­schaft­li­chen Wirt­schaf­ten ist. Die ande­ren Sozi­al­tech­ni­ken, die zum Wirt­schaf­ten ange­wen­det werden, sind struk­tu­rell tren­nend, da sie die handeln­den Menschen immer in zwei Partei­en aufspal­ten. Koope­ra­ti­on ist dadurch immer nur inner­halb einer Partei oder zwischen Partei­en auf dersel­ben Seite aber nicht gesamt­ge­sell­schaft­lich möglich.
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Eine Beteil­öko­no­mie, die auf frei­wil­li­gen Beiträ­gen basiert, fördert die Poten­zi­al­ent­fal­tung der Menschen. Denn dann werden sich die einzel­nen Menschen nur betei­li­gen, wenn sie eine innere Moti­va­ti­on dazu verspü­ren. Nur Tätig­kei­ten, die in Reso­nanz mit den eige­nen Bedürf­nis­sen, Fähig­kei­ten und Talen­ten gehen, werden noch ausge­führt. Ein Tätig­keits­zwang auf Grund des Druckes, Geld verdie­nen zu müssen, besteht dann nicht mehr.
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Trans­for­ma­ti­ons­pfa­de zum herr­schafts­frei­en Beteilen
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Vermut­lich wird herr­schafts­frei­es Betei­len nicht durch einen oder mehre­re poli­ti­sche Beschlüs­se zur domi­nan­ten Wirt­schafts­prak­tik. Viel­mehr wird es die Verbrei­tung des entspre­chen­den Bewusst­seins inner­halb der Mensch­heit sein, die zu einer allmäh­li­chen Trans­for­ma­ti­on führt. Inso­fern ist jedes noch so kleine Projekt, in dem Betei­len prak­ti­ziert wird und das paral­lel zur domi­nan­ten Kauf­wirt­schaft exis­tiert, ein wich­ti­ger Schritt in Rich­tung einer Wirt­schaft, in der die Menschen ihre Poten­zia­le entfal­ten können und in Verbun­den­heit agieren.
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