Die Rolle von Intelligenz, Bildung und Weisheit in der Politik – Siegfried Wendt

1. Zur Motivation

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Die aktu­el­le soge­nann­te Corona-Krise lässt offen­sicht­lich viele Mitbür­ger hoffen, der noch ausste­hen­de Über­gang zur soge­nann­ten „Norma­li­tät“ ließe sich dazu nutzen, unser Wirt­schafts­sys­tem zu refor­mie­ren mit dem Ziel, möglichst viele der inzwi­schen offen­kun­dig gewor­de­nen Miss­stän­de zu besei­ti­gen. Diese Hoff­nung kommt in vielen veröf­fent­lich­ten Texten deut­lich zum Ausdruck. Die folgen­de kleine Auswahl von Beispie­len soll dies belegen:

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Wenn es stimmt, dass in derlei tief­grei­fen­den Krisen und ihren Gefah­ren auch das Retten­de wächst, wie Hölder­lin es formu­lier­te, dann müss­ten wir jetzt mit Nach­druck über die grund­le­gen­den Neuge­stal­tun­gen unse­rer Syste­me disku­tie­ren. (Edito­ri­al in HUMANE WIRTSCHAFT 02/2020)
Gleich­zei­tig spüren wir, dass ein „Weiter­ma­chen wie bisher“ nicht funk­tio­nie­ren wird. (Maja Göpel: Unsere Welt neu denken. Seite 12) This is the moment to change the world. (TIME-Maga­zi­ne, May 18, 2020)
Dass es eine Rück­kehr in die Sorg­lo­sig­keit des “immer schnel­ler, höher und weiter” der Vor-Corona-Zeit nicht geben wird, erscheint ziem­lich gewiss. (Forschung und Lehre, Mai 2020).

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Damit die mit diesen Aussa­gen verbun­de­nen Hoff­nun­gen Wirk­lich­keit werden können, müssen zwei schwie­ri­ge Entschei­dun­gen gefällt werden: Zum einen muss aus der Menge der zum Teil wider­sprüch­li­chen vorge­schla­ge­nen Reform­zie­le die anzu­stre­ben­de Teil­men­ge ausge­wählt werden, und zum ande­ren muss der Weg geplant und reali­siert werden, der zu diesen dann ausge­wähl­ten Zielen führen soll. Da drängt sich auto­ma­tisch die Frage auf, wie es denn mit der Eignung unse­res poli­ti­schen Systems bezüg­lich des Fällens so schwie­ri­ger Entschei­dun­gen steht. Das bedeu­tet, dass sowohl nach der Eignung unse­rer Kandi­da­ten für poli­ti­sche Ämter gefragt werden muss als auch nach der Eignung der Bürger, die geeig­nets­ten Kandi­da­ten aus der Bewer­ber­men­ge auszuwählen.

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2. Die Krite­ri­en der Eignung

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Zur Fest­stel­lung der zu verlan­gen­den Eignung muss man meines Erach­tens fragen, wie es denn mit der Intel­li­genz, der Bildung und der Weis­heit der zu beur­tei­len­den Perso­nen steht. Wenn von einem Menschen gesagt wird, er sei unmu­si­ka­lisch oder unsport­lich, oder er könne nicht gut zeich­nen, dann ist dieser Mensch meis­tens gerne bereit, dies zuzu­ge­ben. Denn das Fehlen der jewei­li­gen Eigen­schaft wird nicht als pein­lich oder gar ehren­rüh­rig betrach­tet. Anders liegt der Fall, wenn von jeman­dem gesagt wird, er sei nicht intel­li­gent, nicht gebil­det oder nicht weise. Da wehrt sich der so Beur­teil­te gleich mit der provo­zie­ren­den Frage: „Sie wollen doch wohl nicht behaup­ten, ich sei dumm?“ Deshalb muss man, wenn es um das Fehlen von Intel­li­genz, Bildung und Weis­heit geht, immer rela­ti­vie­ren, indem man sagt: „Dieser Mensch ist für die betrach­te­te Aufga­be nicht intel­li­gent – oder gebil­det oder weise – genug.“

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3. Über­le­gun­gen zur Intelligenz

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Intel­li­genz unter­schei­det sich in zwei­er­lei Hinsicht grund­sätz­lich von Bildung und Weisheit:

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Intel­li­genz wird nicht im Laufe des Lebens erwor­ben, sondern ist eine zum sehr großen Teil durch die Gene bestimm­te Eigen­schaft. Das gilt für Bildung und Weis­heit nicht. Diese werden im Laufe des Lebens in mehr oder weni­ger großem Umfang erwor­ben, wobei aller­dings eine Abhän­gig­keit von der Intel­li­genz besteht.

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Für die Intel­li­genz gibt es ein Zahlen­maß in Form des Intel­li­genz­quo­ti­en­ten, der durch sog. Intel­li­genz­tests ermit­telt werden kann. Dage­gen gibt es kein Zahlen­maß für den Umfang von Bildung und Weisheit.

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Zur Erblich­keit von Intel­li­genz hat sich schon Arthur Scho­pen­hau­er recht dras­tisch geäu­ßert: „Daher man keine Ilia­den schrei­ben wird, wenn man zur Mutter eine Gans und zum Vater eine Schlaf­müt­ze gehabt hat.“

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IQ-Tests sind so konstru­iert, dass die Ergeb­nis­se für eine hinrei­chend große Bevöl­ke­rungs­stich­pro­be in der betrach­te­ten Alters­grup­pe annä­hernd normal­ver­teilt sind. Dann entspre­chen die Ergeb­nis­se für die jeweils betrach­te­te Stich­pro­be den in Abbil­dung 1 darge­stell­ten Verteilungskurven.
Die spie­gel­sym­me­tri­sche rote Glocken­kur­ve stellt die von dem deut­schen Mathe­ma­ti­ker Carl Fried­rich Gauss (1777–1855) gefun­de­ne Normal­ver­tei­lung dar. Es handelt sich um eine Wahr­schein­lich­keits­dich­te­ver­tei­lung, der man die Wahr­schein­lich­keit dafür entneh­men kann, dass das Test­ergeb­nis eines Proban­den in der Stich­pro­be inner­halb eines vorge­ge­be­nen Inter­valls liegt. Als Beispiel wird in Abbil­dung 1 das Inter­vall 90 ≤ IQ ≤ 120 betrach­tet. Die gesuch­te Wahr­schein­lich­keit ergibt sich als Anteil der rosa Fläche über dem Inter­vall bezo­gen auf die gesam­te Fläche unter der Glocken­kur­ve. Die grüne Kurve gibt an, wie die Fläche unter der Glocken­kur­ve von links nach rechts zunimmt. Sie verläuft also von 0 % nach 100 %. Wegen der Spie­gel­sym­me­trie der Glocken­kur­ve ist die grüne Kurve punkt­sym­me­trisch um den Wert 50 %. Der Wert der rosa Fläche über dem betrach­te­ten Inter­vall ergibt sich als Diffe­renz der beiden Werte der grünen Kurve am linken und rech­ten Rand der rosa Fläche. Diese Diffe­renz ist 62 %, und das bedeu­tet, dass ein Test­teil­neh­mer mit 62-prozen­ti­ger Wahr­schein­lich­keit ein Ergeb­nis im Inter­vall zwischen 90 und 120 errei­chen wird.

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Mit den Aufga­ben, die in Intel­li­genz­tests gestellt werden, wird geprüft, wie gut die Proban­den abstra­hie­ren, formal logisch schlie­ßen und einen Problem­kom­plex in seine Teil­pro­ble­me zerle­gen können. Dabei werden keiner­lei Kennt­nis­se in fort­ge­schrit­te­nen Schul- oder Studi­en­fä­chern voraus­ge­setzt, insbe­son­de­re auch nicht in Mathe­ma­tik. Als Beispiel sei der Test „Figure Reaso­ning“ betrach­tet, der 45 Aufga­ben umfasst, die in 30 Minu­ten zu bear­bei­ten sind. Dabei wächst der Schwie­rig­keits­grad der Aufga­ben von sehr einfach bis extrem schwer.

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Jede der 45 Aufga­ben besteht aus neun Feldern, die in drei Zeilen zu je drei Feldern ange­ord­net sind. Das Feld in der rech­ten unte­ren Ecke enthält ein Frage­zei­chen, die rest­li­chen acht Felder sind mit Figu­ren belegt. Die Aufga­be besteht darin, aus einer zusätz­lich gege­be­nen Menge von sechs Figu­ren dieje­ni­ge auszu­wäh­len, die in das Frage­zei­chen­feld passt. Dazu muss man die beiden Entwick­lungs­ge­set­ze finden, die den Zusam­men­hang der Figu­ren pro Zeile bzw. pro Spalte bestim­men. In manchen, aber nicht in allen Aufga­ben gilt für den hori­zon­ta­len und den verti­ka­len Zusam­men­hang das glei­che Gesetz.

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Als Beispiel wird die in Abbil­dung 2 darge­stell­te Aufga­be betrach­tet. Hier gilt von links nach rechts wie von oben nach unten jeweils die glei­che Gesetz­mä­ßig­keit: Wenn man jeweils von der ersten Figur die schwar­ze Teil­flä­che der zwei­ten Figur entfernt, erhält man die dritte Figur.

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