„Anything goes“ – Politik als Popkultur

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„Anything goes“ – Poli­tik als Popkultur
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So rich­tig hat man es bis heute nicht reali­siert, dass mit dem poli­ti­schen Aufstieg Donald Trumps und der inzwi­schen erfolg­ten Konso­li­die­rung seines Einflus­ses auf das ameri­ka­ni­sche Wahl­volk ein funda­men­ta­ler Umschwung statt­ge­fun­den hat in Bezug auf das Selbst­ver­ständ­nis von und den Umgang mit Poli­tik. An die Stelle einer ratio­na­len, wenn auch oft hefti­gen Debat­te unter­schied­li­cher Posi­tio­nen, manch­mal auf der Suche nach einer gemein­sa­men Lösung, oft auch die eine Seite die andere über­wäl­ti­gend, aber immer noch in einer Art von Dialog, hat sich jetzt ein System etabliert von „facts and alter­na­ti­ve facts“, und es ist den Menschen über­las­sen, welche „facts“ ihnen zusagen.

Das ist Poli­tik als Popkul­tur: „anything goes“ – so lange es gefällt.

Mit meiner Einschät­zung ameri­ka­ni­scher Poli­tik im Zeit­al­ter von Trump als einer Form der Popkul­tur will ich zunächst einmal über­haupt kein Wert­ur­teil verbin­den. Ich stelle Popkul­tur keines­wegs – wie das viele Euro­pä­er und auch manche Ameri­ka­ner tun – auf eine nied­ri­ge und weni­ger achtens­wer­te Stufe inner­halb gesell­schaft­li­cher Errun­gen­schaf­ten. Popkul­tur ist nicht die arme Verwand­te der Hoch­kul­tur. Sie ist ein kultu­rel­les Phäno­men eige­ner Prägung, das seinen eige­nen Geset­zen folgt. Popkul­tur ist nicht nur völlig unab­hän­gig von der Hoch­kul­tur, sie ist, wie jeder Beob­ach­ter der moder­nen Gesell­schaft zuge­ben wird, ein kultu­rel­les Phäno­men, das alle Aspek­te des moder­nen Lebens durch­zieht und bestimmt: Kunst, Mode, Unter­hal­tung, Lebens­art. Und jetzt auch Politik?

Die Ausgangs­la­ge

Man muss sich, um diesem Gedan­ken nach­zu­ge­hen, erst einmal von dem scho­ckie­ren­den Gefühl frei machen, dass eine Ange­le­gen­heit, die so ernst und wich­tig für das Wohl­erge­hen der Gesell­schaft ist, asso­zi­iert sein könnte mit etwas so Unru­hi­gem, Unge­re­gel­tem, irgend­wie Unde­fi­nier­ba­rem, wie wir Popkul­tur in ihren bekann­ten Erschei­nungs­for­men erle­ben. Über diesen Eindruck muss man hinweg­kom­men, man muss sich frei­ma­chen von diesen Asso­zia­tio­nen und in das Wesen von Popkul­tur eintauchen.

Was ist Popkultur
und wie konnte sie jetzt auch in der Poli­tik zu einem bestim­men­den Faktor werden?

Um diese Frage zu beant­wor­ten, ist es nötig, zu der eben zitier­ten Phrase
„anything goes“ zurück­zu­keh­ren; denn diese Aussa­ge führt zum Wesens­kern der Popkul­tur: was sie ist und vor allem wie sie funk­tio­niert. Mancher mag bei diesem Ausdruck an das gleich­na­mi­ge Musi­cal von Cole Porter aus den Dreis­si­ger Jahren denken, und viel­leicht hat es den Mann ange­regt, der das
„anything goes“ zum Kern seiner Philo­so­phie gemacht hat. Sicher­lich wird er aber beein­flusst worden sein von der Erfah­rung mit den Studen­ten­un­ru­hen in den Sech­zi­gern an der Univer­si­tät Berke­ley, wo er damals lehrte. Das wich­tigs­te Buch des öster­rei­chi­schen Philo­so­phen Paul Feyer­abend „Against Method“ (deutsch: Wider den Metho­den­zwang) kreist um die These, dass es keine binden­den Regeln und Geset­ze gebe, die Wissen­schaft, Erfah­rung, Verhal­ten bestim­men – weder für das Indi­vi­du­um noch für die Gesell­schaft – sondern „anything goes“.

Was aber ist die Bezie­hung zwischen dieser philo­so­phi­schen Theo­rie und dem Phäno­men Popkul­tur, und wie erklärt sich der Einbruch der Popkul­tur in die Poli­tik? Popkul­tur ist eine Abkür­zung für Popu­lä­re Kultur, und das heißt nichts ande­res als Kultur, die ihre Wurzeln im Volk hat und ihre Ener­gie aus dem Volk erhält. Auf den ersten Blick schei­nen sich Kultur und Volk nicht so rich­tig zu vertra­gen. Ist nicht Kultur etwas Abge­ho­be­nes, Edles, Verfei­ner­tes, irgend­wie Perfek­tio­nier­tes, womit es sich abhebt vom Alltags­le­ben und bana­lem Verhal­ten? Das ist in der Tat der ursprüng­li­che Charak­ter von Kultur, etwas das – wie das Wort sagt – „kulti­viert“ wird, aus einem Rohzu­stand in Form gebracht wird nach bestimm­ten fest­ge­setz­ten Regeln. In diesem Sinne, als Hoch­kul­tur, bezieht sie sich auf viele Berei­che der Kunst und des Geschmacks.

Aber neben dieser Art von Kultur, und unab­hän­gig von ihr, hat sich der Begriff Kultur ausge­brei­tet in viele Berei­che mensch­li­cher Akti­vi­tä­ten. Man spricht von Esskul­tur, Baukul­tur, Stadt­kul­tur, Rede­kul­tur, Wohn­kul­tur, und vielem mehr. Kultur ist „demo­kra­ti­siert“ worden, sie ist nahezu allge­gen­wär­tig in der moder­nen Gesell­schaft. All diese Formen von „-kultur“ tragen aber diesen Namen zu Recht, weil sie mit der Hoch­kul­tur den einen wich­ti­gen Aspekt gemein­sam haben, die Krea­ti­vi­tät. Sie geben einem Aspekt alltäg­li­cher Akti­vi­tät eine gewis­se Form, die von der Gesell­schaft allge­mein akzep­tiert wird und sich damit sozu­sa­gen als Stan­dard etabliert. Der entschei­den­de Unter­schied zur Hoch­kul­tur besteht darin, dass popkul­tu­rel­le Stan­dards nicht stabil und dauer­haft sind, weil sie nicht auf festen Regeln und Geset­zen von außer­halb beru­hen, sondern ihre Wurzeln in Geschmack und Wünschen des Volkes haben. Sie sind in stän­di­ger Bewe­gung und dem Wech­sel des Geschmacks unter­wor­fen, wie man an den Strö­mun­gen der Mode, des Lebens­stils, der Unter­hal­tung, der Kunst beob­ach­ten kann, weil Popkul­tur keinen festen Regeln folgt, sondern nur ein Gesetz kennt: es muss dem Volk gefal­len, aus dem heraus es sich entwickelt.

„Anything goes“

Aus diesem Exkurs zum Charak­ter von Popkul­tur wird deut­lich, dass Paul Feyer­abends „anything goes“, ohne direkt dieses Phäno­men anzu­spre­chen, die perfek­te Erklä­rung für die Omni­prä­senz von Popkul­tur in unse­rer Gesell­schaft ist. Es gibt keine Regeln, keine Geset­ze, keine Gren­zen, nach denen entschie­den wird, was rich­tig und was falsch ist, was akzep­ta­bel und was nicht, was wert­voll ist und was einfach nur Schrott, es gibt nur einen Faktor, der darüber entschei­det, ob etwas sich durch­setzt bei dem Bemü­hen, den Ton (zumin­dest für eine Weile) anzu­ge­ben für einen bestimm­ten Bereich der Gesell­schaft: es muss eine ausrei­chend große Menge von Gefolgs­leu­ten anzie­hen. „Anything goes“, solan­ge es einer ausrei­chend großen Gruppe von Leuten gefällt, ihm zu folgen: „Mach was Du willst“. Solan­ge Leute es gut finden, hast Du eine Chance, Erfolg zu haben und Deinen Geschmack, Deine Sicht der Welt, Dein Werte­sys­tem zur allge­mei­nen Norm zu machen.

Und nun Trump! Hatte er einen Plan, Popkul­tur in die Poli­tik einzu­füh­ren oder die Poli­tik den Regeln der Popkul­tur zu unter­wer­fen? Natür­lich nicht. Aber indem er nach den Regeln der Popkul­tur agier­te, gelang es ihm, diese in die Poli­tik einzu­füh­ren und einige der grund­le­gen­den Elemen­te des poli­ti­schen Lebens auszu­he­beln: Erfah­rung, Ratio­na­li­tät, Zurück­hal­tung, Verant­wor­tungs­be­wusst­sein, Inte­gri­tät, Verläss­lich­keit. Dabei verfolg­te er keinen fins­te­ren Plan. Er schaff­te das einfach, indem er nur er selbst war. Donald Trump ist die Verkör­pe­rung von Popkul­tur. Sein ganzes Erwach­se­nen­le­ben hat er an einem Bild von sich gear­bei­tet, sich zu einer Person von öffent­li­chem Inter­es­se und Bewun­de­rung stili­siert, indem er sich all der Mittel bedien­te, die Popkul­tur zur Verfü­gung stellt. Er wollte ein „Star“ werden, und er wurde einer, indem er die Medien unun­ter­bro­chen mit demsel­ben Futter bedien­te, das die Popstars nutzen, um das Inter­es­se ihrer Gefolg­schaft wach zu halten: das Prah­len mit seinem Reich­tum und seinem Luxus­le­ben, die Jagd nach Frauen als Trophä­en, sein Enga­ge­ment für prole­ta­ri­sche, aber popu­lä­re Sport­ar­ten wie Show-Ringen („Wrest­ling“), seine gele­gent­li­chen empö­ren­den poli­ti­schen Kommen­ta­re und ganz beson­ders seine Karrie­re als Mittel­punkt einer reali­ty-Fern­seh-Show. Er erschuf sich selbst als „The Donald“, indem er alle etablier­ten Regeln brach, keine Grenze der Scham akzep­tier­te, prahl­te und angab mit seiner Fähig­keit, alle Proble­me lösen zu können, dabei immer unbe­re­chen­bar und stän­dig von einer Posi­ti­on zur entge­gen­ge­setz­ten schwen­kend. Sein über­stei­ger­ter Stil in den Reden und Botschaf­ten, der von Super­la­ti­ven, oft mit dem Gebrauch von Groß­buch­sta­ben verstärkt wird, ist die Spra­che der Werbung, die selbst ein Geschöpf der Popkul­tur ist: „the worst trade deals ever made by any coun­try on earth ever in histo­ry“. Dazu passend seine nichts­sa­gen­den, abge­nutz­ten Kommen­ta­re: „SAD“, „No good“.

Als er sich schließ­lich ernst­haft in die poli­ti­sche Arena begab, über­rasch­te er alle damit, dass er seinem Stil und Auftre­ten treu blieb, das ihn bekannt und berühmt gemacht hatte, aber auch gering geschätzt und verlacht als den Auftritt eines groß­mäu­li­gen Immo­bi­li­en­mak­lers aus New York. Wie war es möglich, dass er nicht dahin­welk­te und unter­ging unter dem Gewicht seiner Uner­fah­ren­heit und Inkom­pe­tenz als Poli­ti­ker? Ganz einfach: er änder­te die Regeln. Besser gesagt, er akzep­tier­te die etablier­ten Regeln nicht, sondern führte seine eige­nen ein, die er sich nicht von einer äuße­ren Auto­ri­tät herlei­te­te, sondern die er in sich selbst fand. Ganz nach Paul Feyer­abends Grundsatz
„anything goes“, etablier­te er seine eigene Wahr­heit, und statt sie in einem ernst­haf­ten Diskurs zu erklä­ren, sende­te er sie aus in klei­nen Schnip­seln via Twit­ter und wieder­hol­te sie uner­müd­lich, bis sie sich bei einer empfäng­nis­be­rei­ten Gefolg­schaft fest­setz­te. Er belei­dig­te seine Mitbe­wer­ber persön­lich und öffent­lich in einer Weise, die selbst in Wahl­kämp­fen uner­hört war. Er brach alle unge­schrie­be­nen Geset­ze und Regeln wie z. B. die Verpflich­tung, als Kandi­dat für das Präsi­den­ten­amt seine Steu­er­erklä­rung offen zu legen, oder er erklär­te dreist, dass er das Ergeb­nis der Wahl (wenn es gegen ihn ausfie­le) nicht aner­ken­nen werde.

Aber statt dass er wegen eines solch uner­hör­ten Auftre­tens abge­straft wurde und unter­ging, versag­ten die etablier­ten Regeln und Umgangs­for­men der Poli­tik und erwie­sen sich als wirkungs­los gegen diesen neuen poli­ti­schen Stil. Den Sieg Trumps in den repu­bli­ka­ni­schen Vorwah­len und schließ­lich bei der Präsi­dent­schafts­wahl verdankt er der Tatsa­che, dass die alte poli­ti­sche Ordnung ganz schwach und insta­bil gewor­den war, weil ein brei­tes Segment der Bevöl­ke­rung das poli­ti­sche Estab­lish­ment als korrupt empfand und als weder willens noch fähig, sich für die bren­nen­den Proble­me der Gesell­schaft einzu­set­zen. Die Menschen waren enttäuscht von dem übli­chen Trott der Poli­tik, es bedurf­te tatsäch­lich nur einer Person, die frech und von sich über­zeugt genug war, um seine eige­nen Regeln, seine eigene Ordnung dem poli­ti­schen Geschäft aufzu­drän­gen und abzu­war­ten, ob es den Leuten nicht gefal­len würde.

„Fake News“ und Twitter

So wurde Trump, wenn auch nicht mit Mehr­heit, so doch auf der Basis seiner eige­nen Persön­lich­keit zum Präsi­den­ten gewählt. Dann kam die nächs­te Über­ra­schung für viele, die ihn gewählt und erwar­tet hatten, dass er sein Verhal­ten aus dem Wahl­kampf nun able­gen würde und sich im Amt gerie­ren würde, wie man es vom Präsi­den­ten des mäch­tigs­ten Landes der Erde erwar­tet. Das geschah nicht, und im Rück­blick muss man sich fragen, warum hätte es passie­ren sollen? Donald Trump verdankt seinen Sieg der Tatsa­che, dass er sich über alle konven­tio­nel­len Wahr­hei­ten hinweg­ge­setz­te und die etablier­te poli­ti­sche Ordnung zertrüm­mert hat. Warum sollte er das jetzt aufge­ben? Es war erfolg­reich, indem es ihm eine Anhän­ger­schaft von loya­len, gera­de­zu glühen­den Gefolgs­leu­ten verschafft hat, die Tag für Tag von Trumps Twit­ter-Nach­rich­ten ange­feu­ert werden und Nacht für Nacht von seinen Syko­phan­ten bei Fox News bestärkt werden. Die Etablie­rung seiner eige­nen Wahr­heit hat bemer­kens­wert gut funk­tio­niert, bis zu dem Punkt, dass wir es in der Welt der Poli­tik inzwi­schen mit Fakten und alter­na­ti­ven Fakten zu tun haben. Alles, was der „Wahr­heit“ von Trump wider­spricht, wird als „Fake News“ denun­ziert, und diese Sicht der Welt wird unab­läs­sig wieder­holt, bis die Menschen es müde sind, dage­gen zu argumentieren.

Falls man ange­nom­men hatte, dass Donald Trump, der niemals ein poli­ti­sches Amt inne­ge­habt hatte und völlig uner­fah­ren war in der Leitung einer großen Behör­de, sich bei den Regie­rungs­ge­schäf­ten auf den Rat erfah­re­ner Fach­leu­te und Verwal­ter verlas­sen würde, so hatte man das Phäno­men Trump und den radi­ka­len Umschwung, den sein popkul­tu­rel­ler Stil in die Poli­tik gebracht hatte, immer noch nicht rich­tig begrif­fen. Donald Trump ist mit Recht davon über­zeugt, dass er seinen Sieg der Tatsa­che verdankt, dass er seinen Instink­ten gefolgt ist und sich nicht hat beir­ren lassen in seinen unge­zü­gel­ten Angrif­fen gegen Mexi­ka­ner, Einwan­de­rer, Minder­hei­ten (vermut­lich gegen wohl­mei­nen­de Ratge­ber in seiner Wahl­kampf-Orga­ni­sa­ti­on). Warum sollte er also dieses fast über­mensch­li­che Talent aufge­ben und nun Exper­ten­wis­sen zur Grund­la­ge seiner Poli­tik machen? Donald Trump hält sich selbst für ein Genie. Er ist stolz darauf, kein norma­ler Poli­ti­ker zu sein, der an bestimm­te Regeln und Üblich­kei­ten gebun­den ist, seine Vorstel­lung von Regie­ren hat ihr Zentrum und ihre herr­schen­den Prin­zi­pi­en in der Person Donald Trump. Zwei­fel­los gibt es im Weißen Haus Diskus­sio­nen mit den Bera­tern, es werden weiter­hin poli­ti­sche Exper­ti­sen verfasst und ihm vorge­legt, aber am Ende entschei­det Trump nach seinem Instinkt. Er braucht keinen Rat, wie er mit dem nord­ko­rea­ni­schen Dikta­tor zu verhan­deln hat, vom ersten Moment der Begeg­nung weiß er, wie er mit ihm umge­hen muss. Mit Vladi­mir Putin dassel­be. Seine persön­li­chen Eins-zu Eins-Begeg­nun­gen mit den Großen der Welt werden dafür sorgen, dass sich die meis­ten Proble­me der Mensch­heit in Luft auflö­sen. Donald Trump hat es bis zur Spitze gebracht, indem er es auf seine Art gemacht hat. Warum sollte jetzt er an seinen Talen­ten zwei­feln? Er wird es weiter so machen, das Land führen wie ein Popstar „doing it my way“.

Was bedeu­tet das für die zukünf­ti­ge Politik?

Diese Frage ist nach zwei Aspek­ten zu diffe­ren­zie­ren. Zum einen: wie geht man um mit einem Präsi­den­ten, der popkul­tu­rel­les Verhal­ten zum Marken­zei­chen seiner Poli­tik macht? Die andere, weit gewich­ti­ge­re Frage ist: wird Popkul­tur sich fest­set­zen als Teil der poli­ti­schen Kultur, oder ist sie nur eine tempo­rä­re Verir­rung, die einer solch unge­wöhn­li­chen Person wie Donald Trump anhängt und mit seinem Abtritt von der poli­ti­schen Bühne eben­falls wieder verschwindet?

Bevor wir uns der ersten Frage zuwen­den, sollte noch einmal deut­lich gemacht werden, was Popkul­tur in und für die Poli­tik bedeu­tet. Man sollte sich nicht einfan­gen lassen von dem so unschul­dig klin­gen­den Wort Popkul­tur. Popkul­tur in der Poli­tik stellt einen funda­men­ta­len Umsturz alles dessen dar, was das Werte­sys­tem und das insti­tu­tio­nel­le Gerüst der Demo­kra­tie ausmacht. Und Trump, die Verkör­pe­rung von Popkul­tur, zeigt diese Umkehr in seinem Verhal­ten, seinen Äuße­run­gen, seinen Hand­lun­gen: er prak­ti­ziert Poli­tik in einer irra­tio­na­len, ichbe­zo­ge­nen, narziss­ti­schen Weise und erklärt seine unbe­re­chen­ba­re und sprung­haf­te Führung der Staats­ge­schäf­te zum neuen Wahr­zei­chen einer Poli­tik der Stärke und der Staatskunst.

Seine Auftrit­te und Reden dienen nicht der Infor­ma­ti­on oder gar Aufklä­rung der Bürger, sondern der Unter­hal­tung eines Publi­kums (Poli­tik als enter­tain­ment). Statt eines ratio­na­len Austauschs von Meinun­gen dämo­ni­siert er seine poli­ti­schen Gegner und hetzt seine Gefolgs­leu­te gegen sie auf („sperrt sie ein“, der Schlacht­ruf im Wahl­kampf gegen Hilla­ry Clinton).

Mit seinen halt­lo­sen Angrif­fen auf die Presse und die Justiz unter­gräbt er das Vertrau­en des ameri­ka­ni­schen Volkes in diese Säulen der Demokratie.

Mit den Partei­gän­gern der Repu­bli­ka­ner als seinen unbe­irr­ba­ren Gefolgs­leu­ten ist er dabei, sich zu einem auto­ri­tä­ren Führer aufzu­schwin­gen, der das gera­de­zu gehei­lig­te System der „checks und balan­ces“ und das Prin­zip der begrenz­ten Macht aushebelt.

Indem er sein eige­nen Tatsa­chen und Wahr­hei­ten etabliert, schafft er eine sepa­ra­te Welt, die immun ist gegen­über Argu­men­ten von außen. In einer Rede vor den „Veterans of Foreign Wars“ rief er aus (indem er gleich­zei­tig die Pres­se­ver­tre­ter im Raum als „Fake Press“ bezeich­net hatte): „Was Ihr seht und was Ihr hört, ist nicht das, was passiert“. Ein Kommen­ta­tor fühlte sich an einen Satz aus George Orwells 1984 erin­nert: „Die Partei hat Euch aufge­for­dert, das Zeug­nis Eurer Augen und Ohren zurückzuweisen.“

Diese Liste von Abwei­chun­gen von jeder poli­ti­schen Norm dürfte deut­lich machen, dass Popkul­tur in der Poli­tik kein harm­lo­ses Spiel ist, sondern eine äußerst gefähr­li­che Entwick­lung für das Wohl­erge­hen einer Gesell­schaft. Aber sie kann nicht aufge­hal­ten oder gar zurück­ge­dreht werden mit konven­tio­nel­len Mitteln. Man kann gegen Trump nicht mit den Waffen der Vergan­gen­heit ange­hen: ratio­na­le Ausein­an­der­set­zung, Bestrei­tung der Fakten, Demas­kie­rung der Unwahr­hei­ten, Aufklärung.

Das Beste wäre, ihm so wenig Aufmerk­sam­keit schen­ken wie möglich, einfach so viel wie möglich von dem, was er sagt und tut, einfach igno­rie­ren, in der Hoff­nung, dass das einzi­ge Gesetz der Popkul­tur – nämlich dass es dem Volk gefällt – irgend­wann sich gegen ihn wendet, weil die Leute endlich von seinen Sprü­chen die Nase voll haben. Statt wie der Sender CNN Nacht für Nacht mit einer Reihe promi­nen­ter Fach­leu­te jede Äuße­rung von ihm zu disku­tie­ren, sollte sich die noch gesun­de Hälfte der ameri­ka­ni­schen Bevöl­ke­rung darauf konzen­trie­ren, auf die zahl­rei­chen erns­ten Proble­me des Landes hinzu­wei­sen, die jahre­lang von der Poli­tik vernach­läs­sigt worden sind und in der Trump-Regie­rung nur noch weiter verschärft werden.

Die Kongress­wah­len haben eine zarte Hoff­nung aufblü­hen lassen, dass zumin­dest der Weg zu einem auto­ri­tär geführ­ten Staat blockiert wurde, indem sie Präsi­dent Trump seine Mehr­heit in beiden Häusern des Kongres­ses beschnit­ten haben. Es bleibt abzu­war­ten, wie weit damit die bereits weit fort­ge­schrit­te­ne Erosi­on des demo­kra­ti­schen Prozes­ses aufge­hal­ten wird.

Das bringt uns zu der zwei­ten Frage: Wird Popkul­tur als Poli­tik mit Trump verschwin­den? Wie gesagt, ist der Erfolg Trumps im Umsturz der poli­ti­schen Ordnung nicht dem gran­dio­sen Einsatz eines Revo­lu­tio­närs zu verdan­ken. Er passier­te eher zufäl­lig. Trump atta­ckier­te die gelten­de Ordnung mit seinem popkul­tu­rel­len Verhal­ten und, mögli­cher­wei­se zu seinem eige­nen Erstau­nen, sie gab nach, sie brach ein, weil sie inner­lich ausge­höhlt war. Popkul­tur hat nun eine Basis in der Poli­tik gefun­den, und es ist inzwi­schen offen­sicht­lich, dass Trump eine Menge Gefolgs­leu­te gefun­den hat, die nicht nur poli­tisch mit ihm über­ein­stim­men (wie nahezu alle Repu­bli­ka­ner im Kongress), sondern auch seinen Stil über­nom­men haben:

Nur ein paar Beispiele:
Der Ausdruck „fake news“, den Trump geprägt hat, ist inzwi­schen zu einem Allge­mein­be­griff gewor­den und wird nach Belie­ben als Argu­ment (oder besser: statt eines Argu­ments) verwen­det, wenn man nicht über­ein­stimmt mit der Ansicht eines anderen.
Trump hat es fertig­ge­bracht, Twit­ter als ein gülti­ges Kommu­ni­ka­ti­ons­in­stru­ment in einer Demo­kra­tie zu etablie­ren – indem er die gesun­ke­ne Aufmerk­sam­keits­span­ne von Menschen bedient, die in einer popkul­tu­rel­len Atmo­sphä­re aufge­wach­sen sind.
Seine vulgä­re und bruta­le Spra­che, von der man sich anfangs abge­sto­ßen fühlte und die als Gossen­spra­che nicht geeig­net schien für die Ausein­an­der­set­zung auf poli­ti­schem Niveau, beginnt lang­sam, aber unauf­halt­sam Akzep­tanz zu finden als neuer poli­ti­scher Stil.
Seine erfolg­rei­che Usur­pa­ti­on der repu­bli­ka­ni­schen Partei, die er sich gefü­gig gemacht hat, indem er ihr das liefer­te, was ihre poli­ti­schen Herzens­an­lie­gen waren, hat ihm eine nahezu unbe­grenz­te Macht­fül­le gege­ben, wie sie im kras­sen Gegen­satz zu Geist und Text der Verfas­sung steht.

Dies sind keine Abwei­chun­gen von norma­len poli­ti­schen Proze­du­ren, das ist ein forma­ler Bruch mit der Vergan­gen­heit. Die Art und Weise, wie Poli­tik jetzt betrie­ben und erfah­ren wird, hat eine völlig andere Dimen­si­on. Da die Popkul­tur beson­ders in den USA ein so fest einge­wur­zel­ter Aspekt des moder­nen Lebens ist, der nahezu alle Teile der Gesell­schaft durch­zieht, warum sollte sie jetzt verschwin­den aus der Poli­tik, wo sie eine Basis hier gefun­den hat und die akzep­tier­te Form der Poli­tik des Präsi­den­ten gewor­den ist? Die einzi­ge Hoff­nung, dass die Popkul­tur trump´scher Prägung nicht die Poli­tik der USA auf Dauer domi­nie­ren wird, besteht darin, dass in der nahen Zukunft eine popkul­tu­rel­le Bewe­gung auf der Linken entsteht.

Sie müsste sich befrei­en – so wie Trump es machte „his way“ – von Hemmun­gen und Befürch­tun­gen, dass ihre radi­ka­len Posi­tio­nen zu libe­ra­len Werten, zu einem Wohl­fahrt­staat, zur Besteue­rung großer Vermö­gen, zur Sorge für die Umwelt und vielen ande­ren poli­ti­schen Themen, eini­gen Segmen­ten ihrer Anhän­ger zu progres­siv erschei­nen könn­ten, und sich klar und deut­lich zu ihren Prin­zi­pi­en für eine gerech­te und offene Gesell­schaft mit glei­chen Chan­cen für jeder­mann beken­nen. Das würde in der Tat eine wirk­lich popu­lä­re Poli­tik sein, orien­tiert an den Bedürf­nis­sen und ausge­rich­tet auf die Nöte und Wünsche des Volkes.
Ich sehe das tatsäch­lich schon im Entste­hen in der Bewe­gung der Demo­kra­ten, die sich abge­wandt haben vom bishe­ri­gen demo­kra­ti­schen Estab­lish­ment und als „Demo­cra­tic socia­lists“ sich aktiv und mit viel Ener­gie einset­zen für eine neue Form und einen neuen Inhalt von Poli­tik – aus dem Volk heraus, durch das Volk und für das Volk – die einzig wahre poli­ti­sche Popkultur.
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