Gesell und die Lehrer – Christian Mayer
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Wer Perspektiven abseits des Mainstreams vertritt, dem bläst ein eisiger Wind entgegen. So ist man es gewohnt, so wird es auch von alternativen Denkern tradiert. Dementsprechend war ich auf eine verbale Konfrontation eingestellt, als ich am 26. September 2019 als Referent eineinhalb Stunden auf einer Lehrerfortbildung an der Landesakademie Esslingen zum Thema „Ein anderes Verständnis von wirtschaftlichen Zusammenhängen“ sprechen durfte. Doch es kam anders.
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Vor gut einem halben Jahr sprach mich ein Kollege an. Er war gerade mit der Organisation einer Lehrerfortbildung beschäftigt. In dieser sollte es um den neuen Bildungsplan für das Fach Wirtschaft an Wirtschaftsgymnasien und hier insbesondere um das Fach Volkswirtschaftslehre gehen. Da mein Kollege wusste, dass ich mich privat seit Langem mit alternativen Denkansätzen beschäftige, kam ihm die Idee zu einem Referat meinerseits. Nicht zuletzt, weil der Bildungsplan fordert, die Jugendlichen sollen in die Lage versetzt werden, „vorurteilsfrei zu denken, wertorientiert zu handeln und wirtschaftliches Handeln, das immer auch eine ethische Dimension aufweist, zu verantworten“.
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Das klang spannend. Gerade, weil Lehrer mit einem guten Unterricht den Grundstein dafür legen können, dass ihre Schüler breit, kritisch, kurz: mündig auf die Welt blicken. Nicht dogmatisch im Sinne eines Besser-und-Schlechter, als vielmehr freier. Auf dass die Jugendlichen sich selbst ein Bild machen können von der Vielfalt unterschiedlicher Wirtschaftsverständnisse. Doch hierfür braucht es eine Perspektivenvielfalt. Also gerade das Gegenteil zu dem, wie man an den meisten Hochschulen heute ausgebildet wird.
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Als ich am 26. September an der Landesakademie ankam, traf ich auf 19 Lehrerinnen und Lehrer. Auf meine Frage, wer schon einmal etwas von Silvio Gesell oder dem kleinen Städtchen Wörgl in Tirol gehört habe, meldete sich – wie erwartet – lediglich eine Person. Ich begann darüber zu referieren, wie mich meine unkritische, dogmatische und in vielen Teilen diskussionsfeindliche universitäre Ausbildung dazu gebracht hat, den Blick selbst einmal nach links und rechts zu werfen, auf der Suche nach alternativen Erklärungsansätzen. Immerhin weiß ich heute, dass rund 90 Prozent der Lehrerstühle für Wirtschaftswissenschaften mit Neoklassikern besetzt sind. Solch eine Situation kann nur zu einer Blickverengung führen. Ich erzählte also den Teilnehmern, dass ich mich durch Adams Smiths „Wohlstand der Nationen“ (1776) gearbeitet habe, habe von der Klasse dieses Werkes erzählt und davon, dass die meisten heute mit Smith nur noch die „unsichtbare Hand“, den Egoismus sowie den Eigennutz in Verbindung bringen. Als ich darauf aufmerksam machte, dass Smith heute unvollständig gelehrt werde, weil dieser von seinen Lesern verlangte, dass sie seine zuvor veröffentlichte Schrift „Theorie der moralischen Gefühle“ (1759) gelesen haben sollten, blickte ich in interessierte Gesichter. In dieser Schrift stellt der schottische Moralphilosoph nämlich fest, dass Menschen nicht immer egoistisch handeln. Sie stellen mitunter ihre eigenen Bedürfnisse hinten an, sollten sie mitbekommen, dass sie durch ihr Handeln das Wohlbefinden von Dritten schmälern. Nicht wenige Teilnehmer nickten. Der egoistische Nutzenmaximierer ist ja nicht erst seit Kurzem als falsches (unvollständiges) Menschenbild in der Kritik.
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Ich glaube, diese Zustimmung brach in mir das Eis. Mir wurde klar, dass ich hier nicht vor Menschen spreche, die „nur“ wissen wollten, was neu ist im kommenden Bildungsplan, sondern dass ich hier Menschen vor mir hatte, die sich ebenfalls für das interessieren, was mir so wichtig ist: Ein breites und ehrliches Verständnis von wirtschaftlichen Zusammenhängen.
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Den Schwerpunkt meines Vortrags legte ich auf unser Geldsystem und damit – ganz nach freiwirtschaftlicher Manier – auf den Zins und mit ihm den Zinseszins. Anstatt kritischer Einwände war auch hier das eine oder andere Mal ein zustimmendes Nicken zu sehen. Besonders bei der Visualisierung des Zinseszinseffektes und der Tatsache, dass die USA – laut Schätzungen der New York Times – im Jahre 2028 knapp eine Billion US-Dollar an Zinszahlungen wird leisten müssen. Quellen aus den Büchern von Helmut Creutz, Steffen Henke und Artikel der Humanen Wirtschaft standen hierfür Pate und unterstützten meinen Vortrag mit Zitaten und Grafiken. Besonders die angeführten Feldversuche und Lösungsansätze schienen auf Interesse zu stoßen. So kamen gerade beim Thema „Chiemgauer“ Nachfragen über seine Konstruiertheit und allgemein dem Funktionieren eines komplementären Währungssystems. Ebenso wie bei den später angesprochenen Solidarischen Landwirtschaften. Für mich war deutlich spürbar, dass es ein Bedürfnis gibt nach weiteren Erklärungs- und Lösungsansätzen. Das zeigte sich insbesondere auch durch zwei Begebenheiten: Nach meinem eineinhalbstündigen Vortrag suchten ein paar Teilnehmer das Gespräch, um noch detailliertere Informationen zu erhalten und ein paar Tage nach der Fortbildung kam der Fortbildungsleiter auf mich zu und meinte, dass jene Teilnehmer, die auf Grund der Nähe der Veranstaltung zu ihren Wohnorten zuhause übernachteten, am nächsten Morgen „ihre“ Bücher mitbrachten, die sie bereits über eine Kritik am herrschenden System gelesen hatte. Offenbar scheint mein Referat hier einen Raum geöffnet zu haben, der die Möglichkeit bot, sich auch zu „outen“. Das mag mit der eingangs angesprochenen Situation zusammenhängen, dass man „Abtrünnigen“ nicht unbedingt mit Wohlgefallen gegenübertritt und man mit einer fundamentalen Kritik lieber bei sich bleibt. Gerade deshalb ist es auch wichtig zu zeigen, dass sich die Masse kritischer Denkerinnen und Denker nicht an einer Hand abzählen lässt, sondern eine beständig wachsende Anhängerschaft besitzt.
Ich hoffe, mit meinem Referat Impulse gesetzt zu haben für andere Blickwinkel, anregende Unterrichtsgespräche und eine nachhaltige Entwicklung, hin zu mehr Perspektivenpluralität. Immerhin bietet unser Geldsystem genügend Anknüpfungspunkte, um vertieft in ethische Fragestellungen einzutauchen. Wohl wissend, dass das enge Zeitkorsett im Unterricht wenig Raum bietet für Exkurse. Doch – so wurde der Vorschlag unterbreitet –, ließen sich solche Themen gut im Zuge einer GFS oder des Seminarkurses angehen. Denn dass und wie Silvio Gesell eine Rolle im Wirtschaftslehreunterricht spielen kann, zeigte ich den Teilnehmern anhand einer Unterrichtseinheit, die ich 2016 selbst gehalten habe.
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Wer weiß, vielleicht ging es dem einen oder anderen Teilnehmer wie damals mir, als ich mit dem Thema Freiwirtschaftslehre in Verbindung kam. Ich war auf einem Vortrag von Steffen Henke in der Stadthalle Biberach. Sein Vortrag weckte mein Interesse und auf seine Frage, wer denn Lust habe ein Buch von Helmut Creutz zu lesen und dieses in die Höhe hielt, war ich wohl einer der Ersten der streckte. Obwohl ich in einer der hintersten Reihen saß, kam Steffen Henke zu mir und schenkte mir das Buch. Als ich am nächsten Tag darin zu lesen begann, war es um mich geschehen…
Wer Perspektiven abseits des Mainstreams vertritt, dem bläst ein eisiger Wind entgegen. So ist man es gewohnt, so wird es auch von alternativen Denkern tradiert. Dementsprechend war ich auf eine verbale Konfrontation eingestellt, als ich am 26. September 2019 als Referent eineinhalb Stunden auf einer Lehrerfortbildung an der Landesakademie Esslingen zum Thema „Ein anderes Verständnis von wirtschaftlichen Zusammenhängen“ sprechen durfte. Doch es kam anders.
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Vor gut einem halben Jahr sprach mich ein Kollege an. Er war gerade mit der Organisation einer Lehrerfortbildung beschäftigt. In dieser sollte es um den neuen Bildungsplan für das Fach Wirtschaft an Wirtschaftsgymnasien und hier insbesondere um das Fach Volkswirtschaftslehre gehen. Da mein Kollege wusste, dass ich mich privat seit Langem mit alternativen Denkansätzen beschäftige, kam ihm die Idee zu einem Referat meinerseits. Nicht zuletzt, weil der Bildungsplan fordert, die Jugendlichen sollen in die Lage versetzt werden, „vorurteilsfrei zu denken, wertorientiert zu handeln und wirtschaftliches Handeln, das immer auch eine ethische Dimension aufweist, zu verantworten“.
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Das klang spannend. Gerade, weil Lehrer mit einem guten Unterricht den Grundstein dafür legen können, dass ihre Schüler breit, kritisch, kurz: mündig auf die Welt blicken. Nicht dogmatisch im Sinne eines Besser-und-Schlechter, als vielmehr freier. Auf dass die Jugendlichen sich selbst ein Bild machen können von der Vielfalt unterschiedlicher Wirtschaftsverständnisse. Doch hierfür braucht es eine Perspektivenvielfalt. Also gerade das Gegenteil zu dem, wie man an den meisten Hochschulen heute ausgebildet wird.
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Als ich am 26. September an der Landesakademie ankam, traf ich auf 19 Lehrerinnen und Lehrer. Auf meine Frage, wer schon einmal etwas von Silvio Gesell oder dem kleinen Städtchen Wörgl in Tirol gehört habe, meldete sich – wie erwartet – lediglich eine Person. Ich begann darüber zu referieren, wie mich meine unkritische, dogmatische und in vielen Teilen diskussionsfeindliche universitäre Ausbildung dazu gebracht hat, den Blick selbst einmal nach links und rechts zu werfen, auf der Suche nach alternativen Erklärungsansätzen. Immerhin weiß ich heute, dass rund 90 Prozent der Lehrerstühle für Wirtschaftswissenschaften mit Neoklassikern besetzt sind. Solch eine Situation kann nur zu einer Blickverengung führen. Ich erzählte also den Teilnehmern, dass ich mich durch Adams Smiths „Wohlstand der Nationen“ (1776) gearbeitet habe, habe von der Klasse dieses Werkes erzählt und davon, dass die meisten heute mit Smith nur noch die „unsichtbare Hand“, den Egoismus sowie den Eigennutz in Verbindung bringen. Als ich darauf aufmerksam machte, dass Smith heute unvollständig gelehrt werde, weil dieser von seinen Lesern verlangte, dass sie seine zuvor veröffentlichte Schrift „Theorie der moralischen Gefühle“ (1759) gelesen haben sollten, blickte ich in interessierte Gesichter. In dieser Schrift stellt der schottische Moralphilosoph nämlich fest, dass Menschen nicht immer egoistisch handeln. Sie stellen mitunter ihre eigenen Bedürfnisse hinten an, sollten sie mitbekommen, dass sie durch ihr Handeln das Wohlbefinden von Dritten schmälern. Nicht wenige Teilnehmer nickten. Der egoistische Nutzenmaximierer ist ja nicht erst seit Kurzem als falsches (unvollständiges) Menschenbild in der Kritik.
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Ich glaube, diese Zustimmung brach in mir das Eis. Mir wurde klar, dass ich hier nicht vor Menschen spreche, die „nur“ wissen wollten, was neu ist im kommenden Bildungsplan, sondern dass ich hier Menschen vor mir hatte, die sich ebenfalls für das interessieren, was mir so wichtig ist: Ein breites und ehrliches Verständnis von wirtschaftlichen Zusammenhängen.
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Den Schwerpunkt meines Vortrags legte ich auf unser Geldsystem und damit – ganz nach freiwirtschaftlicher Manier – auf den Zins und mit ihm den Zinseszins. Anstatt kritischer Einwände war auch hier das eine oder andere Mal ein zustimmendes Nicken zu sehen. Besonders bei der Visualisierung des Zinseszinseffektes und der Tatsache, dass die USA – laut Schätzungen der New York Times – im Jahre 2028 knapp eine Billion US-Dollar an Zinszahlungen wird leisten müssen. Quellen aus den Büchern von Helmut Creutz, Steffen Henke und Artikel der Humanen Wirtschaft standen hierfür Pate und unterstützten meinen Vortrag mit Zitaten und Grafiken. Besonders die angeführten Feldversuche und Lösungsansätze schienen auf Interesse zu stoßen. So kamen gerade beim Thema „Chiemgauer“ Nachfragen über seine Konstruiertheit und allgemein dem Funktionieren eines komplementären Währungssystems. Ebenso wie bei den später angesprochenen Solidarischen Landwirtschaften. Für mich war deutlich spürbar, dass es ein Bedürfnis gibt nach weiteren Erklärungs- und Lösungsansätzen. Das zeigte sich insbesondere auch durch zwei Begebenheiten: Nach meinem eineinhalbstündigen Vortrag suchten ein paar Teilnehmer das Gespräch, um noch detailliertere Informationen zu erhalten und ein paar Tage nach der Fortbildung kam der Fortbildungsleiter auf mich zu und meinte, dass jene Teilnehmer, die auf Grund der Nähe der Veranstaltung zu ihren Wohnorten zuhause übernachteten, am nächsten Morgen „ihre“ Bücher mitbrachten, die sie bereits über eine Kritik am herrschenden System gelesen hatte. Offenbar scheint mein Referat hier einen Raum geöffnet zu haben, der die Möglichkeit bot, sich auch zu „outen“. Das mag mit der eingangs angesprochenen Situation zusammenhängen, dass man „Abtrünnigen“ nicht unbedingt mit Wohlgefallen gegenübertritt und man mit einer fundamentalen Kritik lieber bei sich bleibt. Gerade deshalb ist es auch wichtig zu zeigen, dass sich die Masse kritischer Denkerinnen und Denker nicht an einer Hand abzählen lässt, sondern eine beständig wachsende Anhängerschaft besitzt.
Ich hoffe, mit meinem Referat Impulse gesetzt zu haben für andere Blickwinkel, anregende Unterrichtsgespräche und eine nachhaltige Entwicklung, hin zu mehr Perspektivenpluralität. Immerhin bietet unser Geldsystem genügend Anknüpfungspunkte, um vertieft in ethische Fragestellungen einzutauchen. Wohl wissend, dass das enge Zeitkorsett im Unterricht wenig Raum bietet für Exkurse. Doch – so wurde der Vorschlag unterbreitet –, ließen sich solche Themen gut im Zuge einer GFS oder des Seminarkurses angehen. Denn dass und wie Silvio Gesell eine Rolle im Wirtschaftslehreunterricht spielen kann, zeigte ich den Teilnehmern anhand einer Unterrichtseinheit, die ich 2016 selbst gehalten habe.
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Wer weiß, vielleicht ging es dem einen oder anderen Teilnehmer wie damals mir, als ich mit dem Thema Freiwirtschaftslehre in Verbindung kam. Ich war auf einem Vortrag von Steffen Henke in der Stadthalle Biberach. Sein Vortrag weckte mein Interesse und auf seine Frage, wer denn Lust habe ein Buch von Helmut Creutz zu lesen und dieses in die Höhe hielt, war ich wohl einer der Ersten der streckte. Obwohl ich in einer der hintersten Reihen saß, kam Steffen Henke zu mir und schenkte mir das Buch. Als ich am nächsten Tag darin zu lesen begann, war es um mich geschehen…
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