Maßnahmen gegen den Klimawandel müssen sich rechnen – Editorial 06⁄19
Maßnahmen gegen den Klimawandel müssen sich rechnen
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In einer Geldwirtschaft entsteht zu jedem frei wählbaren Zeitpunkt ein Saldo, der aus Einnahmen und Ausgaben errechnet wird. Man zieht Bilanz. Sei es, weil man es muss, zum Beispiel für das Finanzamt, oder weil man es will, um Entscheidungsgrundlagen für zukünftiges Vorgehen zu haben. Akteure können der Weltkonzern oder Einzelpersonen sein. Über‑, bzw. Unterschüsse errechnen sich aus den geldwerten Zahlungs- und Leistungsströmen. Wann immer man einen Kassensturz macht, bekommt man ein Ergebnis in Zahlen, die rot (im Falle eines Minus) oder schwarz sein können. Blendet man die Bildung von Rücklagen für in überschaubarer Zukunft auftretende Ausgaben aus, entwickeln im Kapitalismus darüber hinausgehende Überschüsse ein Eigenleben. Man hortet sie, um liquide zu bleiben, oder steckt sie in eine Geldanlage, die man nicht zum Zweck des eigenen Konsums kauft, sondern um zu investieren. Dabei gibt man die Kassendifferenz hin, in der Erwartung, den Betrag zu einem festgelegten Zeitpunkt mit einem Zuschlag zurückzubekommen. Das wiederum führt in aller Regel zu einer Vergrößerung des Überschusses auf Seiten des Anlegers und der Zinseszinseffekt nimmt für ihn von nun an seinen Lauf. Verzinsung bezieht man aus einer Vielfalt von „Kapitalmarktprodukten“.
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Ein „Experte“ brachte es dieser Tage so auf den Punkt: „Kapitalismus ohne Rendite und Zinsen, ist wie Oktoberfest ohne Bier.“ Kein grundsätzlich hinkender Vergleich, wenn man die unappetitlichen Randerscheinungen des Volksfestes oder gar die sozialen Langzeitwirkungen übermäßigen Alkoholkonsums vor Augen hat. Das zentralste Merkmal des Kapitalismus wird ebenfalls benannt. Dadurch wird eine Unterscheidung zur Marktwirtschaft unmittelbar einleuchtend. Diese braucht keine Zinsgewinne. Der Kapitalismus ist der Wurmfortsatz der Marktwirtschaft. Über seine Funktion lässt sich trefflich streiten.
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Während der Rausch des Bieres endet, entwickelt sich die Wirkung der Zinsen exponentiell weiter. Der menschliche Körper „vernichtet“ den Alkohol, dem Festtag folgt der nüchterne Alltag. Dem Wirtschaftskörper hingegen werden die Zinsen dauerhaft hinzugefügt und lassen das Fest nie enden. Das Getränk wird „verzehrt“, seine Wirkung verfliegt, wie bei allem im Kreislauf des Lebens. Das Geld jedoch, das wir beim Tausch für einen Krug Gerstensaft üppigst fortgeben, verschwindet nicht, denn mit jeder Zahlung für eine Leistung entstehen wiederum die eingangs benannten Salden.
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Der Ewigkeitsanspruch verzinsten Geldes sickert in die Wirtschaft ein und wirkt dort wie der Drang des Alkoholikers zum nächsten Glas. Das immerwährende „Fest des Kapitalismus“ wird in aller Regel nicht thematisiert, wenn man angesichts der Vielzahl an Folgen, die es bewirkt zu neuen Lösungen kommen will. Im Gegenteil. Zur Bekämpfung der Auswirkungen des Klimawandels ruft man nach innovativen Technologien, einem raschen Vorantreiben der Digitalisierung, Kompensationsinvestitionen zum Ausgleich schädlichen Verhaltens, dem Handel mit Verschmutzungszertifikaten usw.. Vergleichbares gilt für soziale Schäden mit der Vielzahl an Folgen, den Militarismus oder jeglichen Eingriffen in die Natur. Egal, was wir umsetzen: Es muss sich rechnen, sprich das Volksfest Kapitalismus darf nicht enden.
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Neuerungen werden unter den Vorbehalt der ökonomischen Erfolgsrechnung gestellt. Fatal ist, dass sich der Niedergang rechnet. Die Wirtschaft verbraucht mehr nicht-erneuerbare Ressourcen denn je und addiert die Reparaturmaßnahmen, die sich aus Umwelt- und Klimaschäden ergeben als Leistungssteigerung dem Sozialprodukt hinzu. Darüber hinaus fördert man Kompensationsprojekte oder heißt sie zumindest willkommen. Dabei werden schädliche Aktivitäten nicht etwa unterlassen, sondern eine vermeintlich ausgleichende hinzugefügt. Was wiederum als wachstumsfördernd neu entsteht, ist wegen der damit verbundenen Komplexität in seinen Folgen nicht vorhersagbar. Die Bäume, die man wiedergutmachend für die belastende Flugreise pflanzt, sind wie Öl im Kapitalismusfeuer oder der zum Bier gereichte Schnaps, um im Bild zu bleiben. Technologischer Fortschritt und Digitalisierung werden ihrer wünschenswerten Zukunftsmöglichkeiten beraubt, weil man sie wie alle anderen Maßnahmen unter das Wachstumskalkül stellt. Der Ruf nach Klimaschäden reparierenden Neuerungen muss dem renditesuchenden Kapital dienlich sein. Wachstum darf nicht infrage gestellt werden. Wir sehen die beweisbar erfolglose Leier von gestern, mögen hinter Technisierung, Digitalisierung, Green Economy und ideenreichen Erfindungen auch noch so viel hoffnungsvolle Modernität erscheinen. Es bleibt ein zum Scheitern verurteilter Versuch, die entstandenen Probleme mit den immer gleichen Mitteln zu lösen. Ein Kniefall vor dem Wachstumsdenken. Ohne zu erforschen, welche noch unentdeckten Triebkräfte hinter unserer Art zu wirtschaften stecken, werden wir auf keinen „grünen Zweig“ kommen. Verfall und Zerstörung gehen mit zunehmender Geschwindigkeit weiter, weil der Brandherd der Destruktivität ausgeblendet bleibt. Der steckt maßgeblich im Geldwesen, das weiterhin unendliches Wachstum verheißt, zumal das Volksfest nicht enden darf.
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Die Lösung ist unkompliziert, doch in unerreichbar erscheinender Ferne zugleich. Man muss dem zirkulierenden Geld in der Wirtschaft einzig die Ewigkeit fortnehmen und sie dem Prozess in seiner Totalität schenken, gleichbedeutend mit der Hingabe an den endlosen, universalen Kreislauf aus Werden und Vergehen.
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Herzlich grüßt Ihr Andreas Bangemann
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