Zins ist nichts als schlichte Gier – Pat Christ

15 Jahre forsch­te Karl-Heinz Brod­beck für sein Buch „Die Herr­schaft des Geldes – Geschich­te und Systematik “ – - – 

Nur ein Ausdruck passt nach Ansicht von Karl-Heinz Brod­beck für den Begriff „Zins“: Wucher. Warum, das begrün­det der Volks­wirt­schafts­pro­fes­sor ausführ­lich in seiner neuen Abhand­lung „Die Herr­schaft des Geldes“. Insge­samt 15 Jahre arbei­te­te Brod­beck an diesem Werk und dabei entstan­den tausend Manuskriptseiten.
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Es ist der Zins, vor allem in Form der Rendi­te, die Brod­becks fundier­ten Analy­sen zufol­ge die Moral im Wirt­schafts­sys­tem in den vergan­ge­nen Jahren massiv ausge­dünnt hat. Warum Max Weber den Zins als die „höchs­te Form mensch­li­cher Ratio­na­li­tät“ bezeich­nen konnte, will dem 1948 im baye­ri­schen Wert­in­gen gebo­re­nen Profes­sor für Volk­wirt­schafts­leh­re nicht in den Kopf. Zins zu nehmen, das steht für ihn im Gegen­satz zu einer Jahr­hun­der­te lang tradier­ten Moral. Mittel­al­ter­li­che Theo­lo­gen waren zum Beispiel gegen den Zins. Denn dadurch würde quasi „Zeit vergol­det“. Aber da die Zeit Gott gehört, darf sie der Mensch nach Auffas­sung der Scho­las­ti­ker nicht vergolden.
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Bereits im 15. Jahr­hun­dert began­nen die Meinun­gen über den Zins ausein­an­der­zu­drif­ten. Martin Luther war noch ein erklär­ter Gegner des Wuchers. In mehre­ren Schrif­ten geißel­te er Zins­ge­schäf­te. Was er jedoch erlaub­te, war das „Notwü­cher­lein“ der armen Witwe, wenn diese einzig damit ihren Lebens­un­ter­halt bestrei­ten konnte. Calvin hinge­gen hat den Zins expli­zit erlaubt. Lange kämpf­te die katho­li­sche Kirche gegen die protes­tan­ti­sche Zins­le­gi­ti­ma­ti­on an. Erst im 19. Jahr­hun­dert kam der Umbruch. Es war Oswald von Nell-Breu­ning, der 1928 in seinem Buch „Grund­zü­ge der Börsen­mo­ral“ die Börse legi­ti­mier­te, nach dessen Auffas­sung die kapi­ta­lis­ti­sche Wirt­schafts­ord­nung „nicht im Wesen wider­sitt­lich“ war. Die Kirche selbst, so der katho­li­sche Sozi­al­leh­rer, „nimmt Zins und gibt Zins“.
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Die weni­gen Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler, die heute gegen den Zins sind, müssen sich mit der seit hundert Jahren herr­schen­den, kapi­ta­lis­ti­schen Logik ausein­an­der­set­zen, der zufol­ge es ohne Zins angeb­lich keinen Anreiz für Inves­ti­tio­nen gibt. Die Zins­lo­gik trimmt die Menschen auf „Markt­ge­hor­sam“, so der Neoli­be­ra­lis­mus-Kriti­ker Brod­beck. Preise und Rendi­ten steu­ern das mensch­li­che Verhal­ten in einem nie bekann­ten Ausmaß. Es geht nicht mehr nur um Gewin­ne. Es geht um Gewin­ne im Verhält­nis zu den Kosten. Gewin­ne lassen sich schließ­lich nicht unbe­grenzt stei­gern. Doch durch die immer raffi­nier­te­re Ausbeu­tung der mensch­li­chen Arbeits­kraft und der Natur, durch Ratio­na­li­sie­rung und Umstruk­tu­rie­rung werden die Kosten gesenkt, auf dass die Rendi­te wächst.
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Brod­becks Kritik am herr­schen­den Geld- und Wirt­schafts­sys­tem basiert auf einer jahr­zehn­te­lan­gen Ausein­an­der­set­zung mit den in seinen Augen „naiven“ Glau­bens­sät­zen der Neoli­be­ra­len. Die besa­gen zum Beispiel, dass die Indi­vi­du­en, die am Markt­ge­sche­hen teil­neh­men, dadurch für Moral sorg­ten, dass sie sich in ihrem egois­ti­schen Wett­be­werb gegen­sei­tig begren­zen. Diese Theo­rie ist für Brod­beck mit Blick auf das krisen­ge­schüt­tel­te Welt­wirt­schafts­sys­tem unhalt­bar. Fakt sei: „Der Egoist steht nicht im Wett­be­werb, sondern über ihm.“ Gelenkt würden die einzel­nen Egois­ten auch keines­wegs von Ratio. Eine irra­tio­na­le Leiden­schaft beherrscht sie: „Die Geld­gier.“ Was im Zins zu beob­ach­ten sei, sei eben dies: Die schlich­te Gier nach Geld. Die sämt­li­che Moral­re­geln aushebelt.
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Die wach­sen­de Gier der „Geld­erwerbs­künst­ler“ droht das System ausein­an­der­zu­spren­gen. Schließ­lich genügt heute eine Rendi­te von 5, 10 oder 15 % nicht mehr. Weil irgend­wo auf der Welt einer immer noch geld­gie­ri­ger ist als man selbst, wach­sen die Rendi­te­an­sprü­che. 25 % müssen es mindes­tens sein. Koste es, was es wolle. Koste es das eigene System. Und so ist derzeit zu erle­ben, dass sich der Kapi­ta­lis­mus, der von jeher Menschen und Natur rück­sichts­los ausbeu­te­te, sich selbst atta­ckiert. Konzer­ne treten zum Vernich­tungs­kampf gegen­ein­an­der an. Brod­beck: „Das System frisst sich selbst auf.“ Unauf­halt­sam fährt es, mit immer höhe­rem Tempo, gegen die selbst gezim­mer­te Wand aus Ideo­lo­gie, Gier und Irra­tio­na­li­tät. Brod­becks Analy­se der Markt­pro­zes­se fällt bedenk­lich aus. Was inzwi­schen an den Finanz­märk­ten passie­re, sei „jenseits von Gut und Böse“. Bald wird das auf Wachs­tum program­mier­te System den „Point of no return“ erreicht haben. Denn, nach­dem selbst Gene kapi­ta­lis­tisch ausge­schlach­tet sind, gibt es in abseh­ba­rer Zeit nichts mehr zu verwer­ten. Wobei der Ökonom und Philo­soph die Hoff­nung nicht aufgibt. Zum einen bietet jede Krise für ihn die Chance, dass es danach wieder – und besser – aufwärts geht. Zum ande­ren wäre es theo­re­tisch noch möglich, das System zum Still­stand zu brin­gen. Dadurch, dass die Menschen ihren Markt­ge­hor­sam aufkün­dig­ten. Dadurch, dass sie sich vom Zwang nach Wachs­tum als der „insti­tu­tio­na­li­sier­ten Gier“ verabschiedeten.
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Es gilt, Möglich­kei­ten ausfin­dig zu machen, alter­na­tiv zu leben. Eine Möglich­keit sind für den buddhis­ti­schen Wirt­schafts­phi­lo­so­phen Regio­nal­wäh­run­gen nach den Ideen von Bernard Lietaer und Margrit Kenne­dy. Eine weite­re wich­ti­ge Inspi­ra­ti­ons­quel­le ist für Brod­beck auch Silvio Gesell.
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Brod­beck selbst bemüht sich als Vorsit­zen­der des Kura­to­ri­ums der Frank­fur­ter Fair­ness-Stif­tung gegen­zu­steu­ern. Die Orga­ni­sa­ti­on versucht, Fair­ness-Bewusst­sein in Wirt­schaft, Gesell­schaft, Poli­tik, Kultur, Sport und Medien zu brin­gen sowie unfai­res Verhal­ten, sozia­le und perso­na­le Risi­ken zu iden­ti­fi­zie­ren, sie zu bewäl­ti­gen und ihnen vorzu­beu­gen. In Fair­ness-Asso­cia­ti­ons und Fair­ness-Exper­ten-Netz­wer­ken werden an Fair­ness orien­tier­te Persön­lich­kei­ten und Profis mitein­an­der vernetzt.
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