Die kommunalen Auswirkungen von TTIP und TiSA – Wilhelm Neurohr
Hunderttausende Kommunen mit ihren Dienstleistungen und öffentlichen Unternehmen wecken kommerzielle Begehrlichkeiten
Was macht unsere (verarmten) Städte so begehrlich für die internationalen Dienstleistungskonzerne? Hunderttausende Städte und Gemeinden in ganz Europa und fast 13.000 Städte, Kreise und Gemeinden in Deutschland bieten sich mit ihren vielen Dienstleistungen und kommunalen Unternehmen für einen „kommerziellen Beutezug“ geradezu an. (Die amerikanischen Städte und Countys haben bereits fast alle Dienstleistungen bis auf die Wasserversorgung kommerzialisiert). Denn der EU-Binnenmarkt ist bereits zu 60 bis 70 % ein Dienstleistungsmarkt. Allein die Kommunen in Deutschland vergeben jährlich Aufträge im Wert von 200 Mrd. €, Bund und Länder für weitere 200 Mrd. €. Die privaten Dienstleistungskonzerne betrachten die insgesamt 14.000 kommunalen Unternehmen mit 300 Mrd. € Umsatz und jährlich 10 Mrd. € Gewinn in Deutschland (sowie Hunderttausende öffentliche Unternehmen in ganz Europa) als auszuschaltende Konkurrenz. Deshalb ist das öffentliche und kommunale Vergabe- und Beschaffungswesen Bestandteil des geplanten TTIP-Abkommens.
An den internationalen Finanzmärkten spekuliert man durch Privatisierung des Wassermarktes auf eine Billion US-Dollar Profite, des Gesundheitswesens auf 3,5 Bio. US-Dollar und auf dem „Bildungsmarkt“ auf 2,5 Bio US-Dollar – das sind die drei größten Wachstumsmärkte. Auch Bertelsmann als Europas größter Medienkonzern und einflussreichster TTIP-Lobbyist – der schon vorbereitend über seine Stiftung sämtliche Kommunen in Deutschland auf das New-Public-Management eingeschworen hat – kündigte im Februar dieses Jahres an, z. B. mit dem internationalen Bildungshandel 20 Milliarden Euro an Gewinnen anzustreben. Der verstorbene Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn hatte zuletzt in einem Interview die Finanzprobleme der kommunalen Haushalte als einen „Segen“ bezeichnet, weil nunmehr der Privatisierung kommunaler Dienste und Einrichtungen nichts mehr im Wege stehe. (Bekanntlich hatte die Bertelsmann-Tochter Arvato sogar versucht, ganze Kommunalverwaltungen z. B. in Yorkshire/England und in Würzburg/Bayern mitsamt den hoheitlichen Aufgaben komplett zu übernehmen, ist aber vorläufig damit gescheitert).
Mit der Gründung der ÖPP-Deutschland AG unter Beteiligung privater Firmen hatte der damalige Bundesfinanzminister Steinmeier versucht, die Finanzierung öffentlicher und kommunaler Infrastruktur statt aus Steuern aus kommerziellen Geldquellen zugunsten von PPP-Modellen umzusteuern – wie es auch zur Bedingung und Voraussetzung für EU-Fördermittel an die Kommunen werden sollte. Für die überschuldeten (teilweise eigentlich insolventen) Städte und Gemeinden, die ihre Gehaltszahlungen an die Rathaus-Bediensteten oft über Dispo-Kredite (Kassenkredite) abwickeln, gehören als Gläubiger faktisch den Banken. In dieser prekären Situation erhoffen sich die Betreiber des TTIP- und TiSA-Abkommens für den Handel mit Dienstleistungen gerade auf kommunaler Ebene ein „leichtes Spiel“.
Bei TTIP und TiSA geht es um den Handel mit Dienstleistungen und noch viel mehr
In dem geplanten Freihandelsabkommen (für die größte und dominanteste Freihandelszone der Welt) geht es nicht nur um Warenhandel, sondern – wie im letzten Rundbrief ausführlich dargestellt – vor allem auch um Handel mit Dienstleistungen und um Teilhabe an der öffentlichen Auftragsvergabe. Ferner umfasst es den Handel mit Finanzprodukten, es geht um Patente und Urheberrechte, um die Nutzung von Land und Rohstoffen, aber auch um das Bildungs- und Gesundheitswesen, um kulturelle Dienstleistungen etc. Angestrebt wird die Veränderung von Sozialstandards, von Verbraucher- und Umweltstandards, die Marktöffnung für Abfallentsorgung, Energie und Transportwesen, Wasser- und Abwasserwirtshaft sowie Verkehr und öffentlichen Nahverkehr.
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