Digitale Bargeld-Anarchisten
Digitale Bargeld-Anarchisten
Andreas Bangemann
Ein digitales Währungsprojekt heizt Diskussionen im Internet an: Bitcoin.
Der Name ist Programm. Das Zahlungsmittel, “die Münze” (engl.: Coin), besteht aus Computerbits, digitalem Code. Dabei gibt ist bei dieser digitalen Version von Geld, im Gegensatz zu einer Münze, nichts was sich greifen ließe. Genau genommen gibt es das Bitcoin gar nicht, denn es existiert nur rein rechnerisch. Es handelt sich um die Summe eines Ursprungscodes und aller damit getätigten Transaktionen.
Das hört sich im ersten Moment komplizierter an, als es ist. Sieht man von der materiellen Stofflosigkeit ab, ist Bitcoin in seinen wesentlichen Merkmalen dem uns bekannten Bargeld sehr ähnlich.
Das Hauptaugenmerk der derzeitigen Protagonisten von Bitcoin liegt, wie vermutlich auch das seines Erfinders, dem Japaner Satoshi Nakamoto, auf der Anonymität dieser Währung und auf der dezentralen Struktur seiner Entstehung. Es gibt keine Zentrale, welche die Bitcoins schöpft, sondern sie entstehen nach mathematischen Mustern, die etwas mit modernsten Kryptografiemethoden zu tun haben. Diese mathematischen Muster sind im Grunde von jedem, jedoch mit enormem Rechenaufwand und einer sehr leistungsfähigen Hardware zu erzeugen. Das führt zu einer Art “Goldgräberstimmung”. Vielleicht wurde deshalb dieser Prozess auch “mining (schürfen)” genannt.
Man muss den Entstehungsakt der Bitcoins nicht im Detail kennen, um das Prinzipielle hinter diesem mittlerweile doch in ganz beachtlicher Zahl genutzten Projekt zu verstehen.
Als ein wichtiges Motiv hinter dem Projekt werden immer wieder die zentralisierten Strukturen und das Monopolistische des bestehenden Geldsystems genannt. Der wachsende Vertrauensverlust in das bestehende System rührt vor den erkennbaren sozialen Verwerfungen her und der offensichtlichen Tatsache, dass das herrschende System einigen Wenigen auf Kosten der großen Mehrheit immensen Reichtum beschert.
Ein tragfähiges Zukunftskonzept?
Bitcoin ist ein anarchistischer Gegenentwurf zu dem als zerstörerisch wahrgenommenen Geldsystem, das die Welt fest im Griff zu haben scheint. Die vermeintliche Unkontrollierbarkeit, die Anonymität der Transaktionen und das Gefühl den Reichen und Mächtigen zu zeigen, dass die Zeit reif für fundamentale Neuerungen auf wirtschaftlichem Gebiet ist, macht den Reiz für die wachsende Zahl von Mitwirkenden bei Bitcoin aus. Die Freude darüber, etwas gefunden zu haben, womit man der unüberwindbar erscheinenden Macht der Reichen und Mächtigen mitsamt ihren “Politik-Marionetten” eins auswischen kann, scheint dennoch den Blick für wesentliche Eigenschaften, die eine Währung haben sollte, zu verstellen.
Das System Bitcoin hat keinerlei Regeln, die darauf hindeuten, dass dem System nach gewisser Zeit nicht das gleiche Schicksal droht, das auch dem herkömmlichen innewohnt. Einer zu erwartenden Akkumulation von Bitcoins bei Einzelnen stehen keine Regeln entgegen. Schon jetzt gibt es einen “spekulativen” Handel mit Bitcoins, der sich in stark schwankenden Kursen zur “Umstiegswährung” dem US-Dollar niederschlägt. Am 9.6.2011 liegt der Kurs eines Bitcoin bei 30 US-Dollar, während der in der Woche davor noch bei 15 US-Dollars pendelte.
Update: Am 11.6.2011 fiel der Kurs der Bitcoins an einem Tag wieder auf 18 US-Dollar zurück. Am 1.7.2011 lag er bei etwas über 16 US-Dollar
Dadurch schwanken auch die nach wie vor nach marktwirtschaftlichen Prinzipien ablaufenden Preisbildungsprozesse sehr stark.
In Verkennung der Gefährlichkeit einer “Deflation” wird in Nutzerkreisen der Bitcoins der Preisverfall bei den Produkten und Dienstleistungen in Kauf genommen, weil der Kurs zum US-Dollar Spekulationsgewinne beschert. Die Spekulation im Zusammenhang mit den möglichen „Ausstiegswährungen“ ist demnach ein wichtiges Argument für viele Nutzer der Bitcoins.
Auch scheint es kein erkennbares Konzept zu geben, wie Bitcoins weiter existieren können, wenn beispielsweise der Dollar kollabiert, was ja allenthalben erwartet wird.
Die Entstehung von Bitcoins (Schöpfung wäre dafür ein unzutreffender Begriff) hat nichts mit den Leistungen zu tun, die mit dieser Währung transferiert werden (Man traut sich in diesem Zusammenhang gar nicht das Wort “tauschen” zu verwenden). Es ist ein Prozess, der alleine auf mathematischen Gesetzen beruht und ein sicheres Ende haben wird. Die Fachwelt spricht davon, dass es aus rein mathematischen Gründen niemals mehr als 21 Millionen Bitcoins geben wird. Heute sind 6 Millionen im Umlauf.
Diese völlige Zusammenhangslosigkeit zu dem eigentlichen Grund für das Vorhandenseins von etwas, das wir Geld nennen, der Basis für den wirtschaftlichen Austausch von Produkten und Leistungen nämlich, muss skeptisch machen, wenn man ein langfristig tragfähiges Währungsmodell vor Augen hat, das die Menschheit in ein neues, nachkapitalistisches Zeitalter führen soll.
In der Vielfalt den Überblick behalten
Der wichtigste Vorteil der Bitcoins ist auf einer Ebene angesiedelt, über die in “Bitcoin-Fachkreisen” praktisch kein Austausch stattfindet: Einmal mehr, wie schon bei den mittlerweile unzähligen, kleinräumigen Währungsprojekten weltweit, wird uns allen ins Bewusstsein gerufen, dass Währungen und das Geldsystem als Ganzes von Menschen gestaltbar sind. Es liegt an jedem Einzelnen, wie er sich in diesen Prozess einbringt. Warum sollte es nicht denkbar sein, dass wir neben einem hoffentlich neu und besser als heute gestalteten, international anerkannten Währungssystem, viele weitere, ganz auf die individuellen Bedürfnisse von kleinen und mittleren Menschengruppen oder Gemeinschaften abgestimmten Systemen haben dürfen? Es gibt schon heute sehr viele Menschen, die eine ganze Kladde an unterschiedlichen Karten für alle möglichen Bezahl- und Bonussysteme mit sich herumtragen und organisatorisch im Griff haben müssen. Diese Karten dienen in aller Regel mehr dem Vorteil der herausgebenden Unternehmen, als dem der Nutzer.
Da ist doch eine Welt mit dem Menschen dienenden Währungssystemen und den dazugehörigen organisatorischen Überlegungen weitaus spannender und erfreulicher als heute, selbst wenn es dazu ganz unterschiedlicher “Geldbörsen” bedarf. Nahezu alle heute bestehenden Bezahlsysteme, wie Bonus- und Kreditkarten tragen dazu bei, dass einige wenige sehr reich werden und die Mehrzahl der Nutzer verarmen.
Und das nicht aufgrund unterschiedlicher Leistungsfähigkeit der Einzelnen, sondern ausschließlich wegen struktureller Unzulänglichkeiten des wirkenden Systems.
Leider ist diesbezüglich auch Bitcoin keine Ausnahme. Womöglich können wir Menschen den Drang zu möglichst leistungslosem materiellen Gewinn noch lange nicht unterdrücken, weil er – fast möchte man meinen genetisch – durch ein Jahrhunderte lang laufendes System quasi fest einprogrammiert ist. Doch die jüngsten Entwicklungen zeigen, dass wir auf dem Gebiet des Wirtschaftens, insbesondere den Überlegungen zum Geldsystem am Beginn einer Wendezeit stehen, die wahrlich tief an die Wurzeln der überlieferten und tradierten Strukturen geht.
Würden die Verfechter der “neuen Zeit” nur etwas öfter die Langsamkeit solcher Entwicklungen anerkennen und weniger fatalistisch, stattdessen mit mehr Optimismus, an den Veränderungen mitwirken, dann würde nicht nur ihre eigene Lebensfreude zunehmen, sie würden auch nach außen wesentlich attraktiver wirken.
Zeitgenossen, die sich als Geldreformer sehen haben nur auf den ersten Blick gleiche Ziele.
In Wahrheit liegen zwischen ihren Motiven und vor allem ihren Absichten oft Welten.
Man kann zwischen Geldreformern unterscheiden, die ihr Hauptaugenmerk auf Machtverschiebungen setzen und solchen, deren Wirken dem System selbst gilt.
Erstere heben sagenhafte Verschwörungstheorien in den Stand von Realitäten, um ihre Reformvorstellungen als notwendig und richtig darzustellen. Ihr Augenmerk gilt den Agierenden. Sie stellen Menschen an den Pranger. Sie wollen entmachten, um … – ja wozu eigentlich?
Mit viel leiseren Tönen agieren Menschen, denen im Grunde der einzelne Mensch und dessen Beweggründe für wirtschaftliches Handeln in diesem Zusammenhang gleichgültig zu sein scheinen. Für sie gibt es nur gute und schlechte Systeme. Der Mensch ist, wie er ist. Das System muss die Grenzen für gesellschaftsschädliches Handeln setzen.
Bitcoin ist im Grunde eine Spielwiese für netzaktive Anarchisten. Leider aber eine, deren Vorbildcharakter sich bestenfalls hinsichtlich der Überwindung eines um sich greifenden Überwachungseifers seitens verantwortlicher Politiker zeigt. Für “Systementwickler des Geldes” möge unter diesem Aspekt eine Vernetzung sinnvoll sein, auf dem Weg zu einem nachhaltigen Geldsystem aber kann “Bitcoin” nicht mehr sein, als eine Zwischenstation zur Sammlung von Erfahrungen.
die Kursentwicklung der Bitcoins kann unter einer Webadresse verfolgt werden: http://bitcoincharts.com/charts/mtgoxUSD#rg10zvztgSzm1g10zm2g25
Aaron Koenig beschreibt am 8.6.2011, dass es bereits über 2.000 Produkte und Dienstleistungen gibt, die mit Bitcoins bezahlt werden können, darunter neben IT- und Web-Dienstleistungen auch hochwertige Textilien, Luxusuhren, Gitarren und Digitale Kunst.
http://www.antibuerokratieteam.net/2011/06/08/bitcoins-hype-oder-hoffnung/
Sehr schön ist die Machtfrage der einen „Geldreformer“ und der Wille zur SystemBesserung der anderen „Geldreformer“ aufgezeigt.
Zitat: „Der Mensch ist, wie er ist. Das System muss die Grenzen für gesellschaftsschädliches Handeln setzen.“
Hier formuliere ich: Der Rahmen begrenzt den Inhalt, die Regeln formen den Menschen.
Alle seine Eigenarten, gute und schlechte, Güte und Gier, werden immer erhalten bleiben. Welche Eigenschaft gedeiht oder verkümmert, das entscheiden die Regeln die wir unserem Zusammenleben geben. Es ist Unsinn auf eine Veränderung der menschlichen Qualitäten zu warten, den immer wieder geforderten „besseren Menschen“ wird es nicht geben, aber wir können bessere Rahmen und Regeln haben um selbst darin zu wachsen.