Langsam, Langsam, wir sind in Griechenland
Wie sympathisch klingt dieser Satz doch jedem Griechenland-Urlauber im Ohr, wenn ein Einheimischer einem lächelnd die Hektik des eigenen Handelns und Denkens in die gemächliche Schönheit Griechenlands überführt. „Ziga, Ziga“ oder „Avrio“ sind die Vokabeln, die dem gestressten Urlauber als erstes quasi „inflationär“ begegnen. „Langsam, Langsam“ und „morgen“.
Die Uhren gehen in Griechenland schon immer anders.
Auch die Strukturen griechischen Geschäftemachens haben eine ganz andere Tradition und unterliegen ganz anderen – vor allem ungeschriebenen – Gesetzen, als in den nördlicheren europäischen Ländern. Ein Netzwerk aus Beamten, kirchlichen Würdenträgern und Unternehmern, geschmiert durch einen eigenen Geldkreislauf bestimmt die regionale Politik und bestimmt auch den Grad an Abhängigkeit zu Athen.
Der Außenhandel Griechenlands spielt sich auf tausenden sonnenverwöhnter und idyllischer Inseln ab, die von Athen durch große Entfernungen und ein tiefblaues Mittelmeer auf eine Weise getrennt ist, wie wir „Festland-Europäer“ uns das gar nicht vorstellen können.
Was jedem, der ein paar Mal in Griechenland in Urlaub war, auffällt und worüber man sich auch keine negativen Gedanken gemacht hat, wird in einem durch den Euro vernetzten Europa jetzt zu einem massiven Problem.
Die griechischen Finanzprobleme heute waren absehbar.
Weder der Grad der Korruption in Griechenland, noch der eklatante Leistungsunterschied der griechischen Volkswirtschaft im Vergleich zu den anderen Ländern können als eine neuere Entwicklung hingestellt werden.
Wir haben kein Recht dazu, den Griechen unser System, geschweige denn unsere Mentalität und unser Leistungsdenken aufzuzwingen.
Der erste politische Fehler war also die blauäugige Übernahme von Griechenland in die europäische Währungsunion. Heute danach zu rufen, dass die Griechen sich gefälligst an die Gepflogenheiten der westlichen Länder anpassen sollen, ist dumme Politik. Die Griechen jetzt dazu zu zwingen, dass Sie drastische Sparmaßnahmen im eigenen Land durchführen ist zwar logische Folge dummer Politik, deshalb aber nicht klüger.
Konnte sich Griechenland zu Zeiten der Drachme durch Abwertung der Währung im internationalen Handel (der ja hinsichtlich des Exportes im Grunde nur aus Tourismus besteht) behaupten, so gibt es dieses Regulativ innerhalb des Euro nicht mehr. Dem Handelsbilanzdefizit Griechenlands lässt sich zwangsläufig nur durch immer größer werdende Verschuldung begegnen. Das wiederum findet sein natürliches Ende in der Zahlungsunfähigkeit.
Was also kann man tun?
Ganz sicher wertlos sind lebensverlängernde Maßnahmen, die nicht die Ursache der Probleme berücksichtigen. Das ist aber das Konzept der verantwortlichen Politiker. Muss man studiert haben, um zu wissen, dass Sparmaßnahmen nur zu einem sich selbst verstärkenden Teufelskreis in Griechenland führen und die Katastrophe am Ende nur noch größer wird?
Gewiss nicht.
Doch für andere Schritte braucht man die Kraft der Erkenntnis und den Mut, neue Wege zu gehen.
Wir sollten uns möglichst schnell daran gewöhnen, eines der wichtigsten Prinzipien des Kapitalismus auch auf der Ebene von großen Banken und ganzen Ländern Anwendung findet: Die Möglichkeit zahlungsunfähig zu werden und bankrott zu gehen. Was im Kleinen zählt muss auch im Großen möglich sein. Das mag schmerzen, aber solange wir nicht über Systeme nachdenken, die dermaßen schmerzhafte Schritte weitgehend unmöglich machen, solange müssen wir die zwangsläufigen Folgen unseres untauglichen Systems ertragen.
Auf dem Weg zu etwas Neuem muss man sowieso das Alte erst einmal beenden. Eine Insolvenz ist auch bei Großbanken und ganzen Staaten keine Katastrophe solange sie nur rechtzeitig angemeldet wird. Die Politik betreibt sowohl im Falle der Großbanken, als auch hinsichtlich der Länder wie Griechenland Insolvenzverschleppung. Mit fortdauernder Zeit wird die Katastrophe, die am Ende zu erwarten ist, immer größer. Noch gäbe es Wege, wie man handelnd die Dinge auf eine zukunftsfähige Bahn bringen könnte.
Ich heiße weder Korruption noch Faulheit oder Trägheit für gut, aber ich halte überhaupt nichts von einer Politik, die sich darauf konzentriert die Menschen zu Handlungen zwingt, die weder mit ihrer Tradition noch mit ihrem Selbstverständnis vereinbar sind. Die Folge kann nur Gegenwehr sein. Was wir brauchen ist eine Politik mit Rahmenbedingungen, innerhalb derer das der Gemeinschaft Förderliche belohnt und das Schädliche zu Nachteilen führt. Damit bringt man Menschen zu verändertem Handeln. Der Schlüssel dazu ist das Geldsystem.
Für mich sind die Erfolg versprechenden Schritte:
1. Griechenland in eine geordnete Insolvenz führen, bei der es sein Gesicht wahren und seine Chancen für einen Neuanfang in der Staatengemeinschaft aufgezeigt werden.
2. Über eine „regionale“ Währung für Griechenland nachdenken, die den Besonderheiten der Griechen Rechnung trägt.
3. Über eine „Ausgleichswährung“ nachdenken, die im internationalen Wirtschaftsverkehr für den Ausgleich zwischen den verschieden leistungsfähigen Volkswirtschaften sorgt. Vorbild kann dabei der „Bancor“ von John Maynard Keynes und die IVA (Internationale Valuta Assoziation) von Silvio Gesell sein.
4. Eine Geldordnung konzipieren, die Mensch und Natur in den Mittelpunkt stellt, die Selbstvermehrung von Geldvermögen und damit die zerstörerische Spekulation unterbindet.
Noch können wir eingreifen und neu gestalten. Doch allzu lange bleibt dieses Zeitfenster nicht geöffnet. In Fragen der Ordnungspolitik braucht es jetzt die Mentalität der Deutschen, mit ihrer Tatkraft und der Uhr im Auge.
Andreas Bangemann, 7.3.2010
Folgenden Aufruf von Paul Jorion habe ich auf deutsch übersetzt:
Meine Damen und Herren, ich richte mich an Sie : Es brennt in Europa !
Sie werden Griechenland nicht retten indem Sie es auffordern, die Beamtengehälter zu senken. Sie werden Griechnland nicht retten indem Sie es ermutigen, den Steuerbetrug zu bekämpfen. Sie werden es auch nicht retten, indem Sie eine … Sammelbüchse schaffen (man fällt da ins Lächerliche) Es ist dafür viel zu spät. Und jedenfalls liegt das Problem nicht hier.
Am 3. Februar nahm ich an der Fernsehsendung « Le Débat / The Debate » auf France 24 teil. Wenn Sie englisch sprechen, hören Sie bitte, was ich sagte als die Diskussion sich darüber festfrass, ob die Wirtschaftsstatistiken Griechenlands gefälscht wurden oder nicht, oder, wenn Sie nicht englisch sprechen, lesen Sie, wie ich meine Intervention zusammenfasse :
Ich sage, es gibt ein neues Spiel mit den CDS (Credit-Default Swaps). Dieses Mal geht es nicht um 1) Beat Stearns, 2) Lehman Brothers, 3) Meryll Lynch, sondern um 1) Griechenland, 2) Portugal, 3) Spanien. Was die Finanzmärkte jetzt tun erinnert an die Operation von George Soros, der das britische Pfund 1992 schwächte (wenn man dann bedenkt, dass die Erneurung der Wirtschafts“wissenschaft“ in seinen Händen liegt!)
Ihre so mühselig vereinte Sammelbüchse für Griechenland wird in wenigen Stunden vom Sturme weggefegt, und Sie werden dann sofort vier weitere brauchen: eine für Portugal, eine für Zypern und eine für Irland und eine viel grössere als die vier zusammengenommen für Spanien,.
Sie werden dann eine Atempause von ein paar Tagen bekommen, weil dans folgende Opfer nicht zur Eurozone gehört, es geht um das Verinigte Königreich..
Es geht nicht um zu hohe Gehälter : Es handelt sich um Dominos, und so wie Lehman Brothers an dem Tag in den Himmel geschrieben wurde, an dem Bear Stearns fiel, so wird sich der Name Portugals am selben Tag im Firmament eintragen, an dem Griechenland seine Schulden nicht zahlen wird.
Also, was tun ? Die Projektoren auf die Ursache richten. Auf die todbringende Kombination der Notationen der öffentlichen Schuld der Staaten und die nackten Positionen der Credit-Default Swaps, diese Wetten, die von Leuten gemacht werden, die kein Risiko eingehen, die aber das systemische Risiko schaufelweise schaffen, mit einem einzigen Ziel: enorme persönliche Gewinne.
Es ist Zeit, meine Damen und Herren, das Verbot der Wetten über Preisschwankungen zu erwägen.
Entgegnen Sie mir nicht, das sei kompliziert: das ist es nicht, und das steht schon kleingedruckt in der amerikanischen Buchhaltungsnorm FASB 133.
Sagen Sie mir nicht, das würde « die Liquidität beeinträchtigen » darauf antworte ich gewöhnlich, dass die Wetter Liquidität nur für andere Wetter schaffen, und das hat somit keine Wichtigkeit, aber heute antworte ich etwas Anderes : « In diesem Stadium der wahrscheinlichen Desintegration der Eurozone : die Liquidität kann uns gleichgültig sein! »