Der Sinn, die Technik… – Gero Jenner

… und warum die Zeit der „Führer“ zurückkommt – - – 

Im Zusam­men­le­ben der Natio­nen wird Stärke durch zwei Vorzü­ge bestimmt, die man – je nach­dem – auch als Waffen bezeich­nen kann: durch Tech­nik einer­seits, durch Sinn auf der ande­ren Seite, beide von glei­cher Wirkmächtigkeit. – - – 

Tech­nik – - – 

Einfach ist es, über Tech­nik zu spre­chen: Sie umfasst alle Vorgän­ge und Instru­men­te, mit denen der Mensch die Natur in Gegen­stän­de zu seinem Schutz und Wohl­erge­hen verwan­delt. Die Tech­nik, die eine Nation zu diesem Zweck inner­halb eines Jahres mobi­li­siert, lässt sich in Zahlen fassen: Sie wird im „Brutto-Inlands­pro­dukt“ quan­ti­fi­ziert. Die Gesamt­heit an tech­ni­scher Leis­tung, welche einen Staat über Jahr­zehn­te und Jahr­hun­der­te zu dem heran­wach­sen lässt, was er im Vergleich zu ande­ren reprä­sen­tiert, ist schwe­rer zu quan­ti­fi­zie­ren. Ihren für jeder­mann sicht­ba­ren physi­schen Ausdruck findet sie in der Summe aller priva­ten wie öffent­li­chen Bauwer­ke, Produk­ti­ons­stät­ten, Trans­port­we­ge und ‑mittel, welche das histo­ri­sche Erbe eines Staa­tes und die Grund­la­ge aller darauf statt­fin­den­den Akti­vi­tä­ten bilden. – - – 

Sinn – - – 

Demge­gen­über ist es weit­aus schwie­ri­ger, über den Sinn zu reden, obwohl es genau dieser ist, welcher allen tech­nik­be­zo­ge­nen Hand­lun­gen zugrun­de liegt, den kleins­ten wie den größ­ten. Ein Messer, ein Auto, eine Bombe stellt der Mensch allein deswe­gen her, weil er sein Leben mit solchen Hilfs­mit­teln entwe­der erleich­tern will oder schüt­zen. Immer ist zual­ler­erst ein solcher Sinn oder Zweck vorhan­den – wie abstrus er manch­mal auch erschei­nen mag. Auch Massen­ver­nich­tungs­waf­fen, mit denen die Mensch­heit ihr eige­nes Leben bedroht, sind zwei­fel­los sinn­ge­bo­ren. Jede Nation, die dieses mörde­ri­sche Poten­ti­al fort­ent­wi­ckelt, ist auf Anhieb in der Lage, das eigene Tun mit einem anschei­nend unwi­der­leg­li­chen Sinn zu recht­fer­ti­gen. Der Sinn nimmt in der Regel reli­giö­se oder ideo­lo­gi­sche Züge an, oft besteht er auch nur in der elemen­ta­ren Loya­li­tät zur eige­nen Gruppe oder Nation. Seit der indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on wird er in manchen Staa­ten vor allem darin gese­hen, aus einer mate­ri­ell wenig entwi­ckel­ten Posi­ti­on mit aller Kraft zur höchst entwi­ckel­ten aufzu­rü­cken. China und Indien haben die eigene Bevöl­ke­rung weit­ge­hend auf diesen eindi­men­sio­na­len Sinn eingeschworen. – - – 

Keine Nation wird allein durch Tech­nik groß, sondern wenigs­tens ebenso durch den Sinn, wobei es keines­falls einfach ist, die jewei­li­ge Rolle der beiden Sphä­ren klar gegen­ein­an­der abzu­gren­zen. Zwei­fel­los ist die mess­ba­re ökono­mi­sche und mili­tä­ri­sche Macht eines moder­nen Staa­tes durch Tech­nik bedingt. Wo diese fehlt, kann von solcher Macht keine Rede sein. Südko­rea gehört aus diesem Grund zu den star­ken Mäch­ten, während das zwan­zig Mal größe­re Alge­ri­en vergleichs­wei­se schwach ist. Es ist die durch Tech­nik geschaf­fe­ne mate­ri­el­le Basis, die im ersten Fall stark entwi­ckelt ist, im zwei­ten Fall dage­gen nur rudi­men­tär vorhanden. – - – 

Soweit scheint die Ausgangs­la­ge über­sicht­lich zu sein. Sie ist es aber weit weni­ger, sobald man einen Blick in die Geschich­te wirft. Denn diese beweist mit einer Fülle von Beispie­len, dass auch die stärks­te mate­ri­el­le Basis keine Garan­tie für blei­ben­de Stärke ist. Sie ist es genau deswe­gen nicht, weil der Sinn im Leben der Natio­nen eine so beherr­schen­de Rolle spielt.

Sinn­ver­fall im römi­schen Weltreich – - – 

Das römi­sche Reich war in tech­nisch-mate­ri­el­ler Hinsicht eines der stärks­ten poli­ti­schen Gebil­de, welche die Welt jemals entste­hen sah. Der Zusam­men­bruch des Reichs im fünf­ten Jahr­hun­dert, der schließ­lich auch den Verfall der mate­ri­el­len Basis bewirk­te, wurde zwar äußer­lich durch den Einfall der „Barba­ren“ bewirkt, aber dass das Reich aus einer erobern­den zu einer erober­ten Macht werden konnte, beruh­te auf einem inne­ren Sinn­ver­lust: Große Bevöl­ke­rungs­tei­le unter­halb der führen­den Élite fühl­ten sich dem Staat nicht mehr zuge­hö­rig. Man suchte Zuflucht in einem priva­ten Sinn; verschie­de­ne Reli­gio­nen strit­ten sich zunächst um den Vorrang, bis dieser Kampf mit dem Sieg des Chris­ten­tums schließ­lich entschie­den wurde. All diesen Gegen­ent­wür­fen war das eine gemein­sam, dass die Menschen ihren Lebens­mit­tel­punkt nicht mehr in der Res Publi­ca und ihren Verhei­ßun­gen auf Macht und Größe der öffent­li­chen Sphäre erblick­ten, sondern in einem priva­ten Glau­ben und welt­fer­nen Jenseits. Die Rebel­li­on kam von unten: Wäre es nach den Eliten gegan­gen, dann gäbe es das römi­sche Reich auch heute noch – es waren die rebel­lie­ren­den Massen, welche das Gebäu­de zum Einsturz brachten. – - – 

Sinn­ver­fall im Habs­bur­ger Vielvölkerstaat – - – 

Auch der Habs­bur­ger Viel­völ­ker­staat, bis zum Beginn des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts eines der mate­ri­ell fort­schritt­lichs­ten Macht­ge­bil­de, zerbrach an der Auflö­sung eines öffent­li­chen Sinn­be­zugs. Die Loya­li­tät gegen­über dem durch den Kaiser symbo­li­sier­ten Reichs­mit­tel­punkt wurde mehr und mehr abge­löst durch die Loya­li­tät zur jeweils eige­nen natio­na­len Gruppe und deren Spra­che und Tradi­ti­on. Zentri­fu­ga­le Tenden­zen dräng­ten die lange Zeit vorherr­schen­den zentri­pe­ta­len Kräfte in den Hinter­grund. Man kann auch sagen: Der staats­er­hal­ten­de Sinn­be­zug, welcher die verschie­de­nen Völker des Reichs bis dahin zusam­men­fass­te, wich einer Viel­zahl von parti­ku­la­ris­ti­schen Sinn­be­zü­gen. Der Wider­stand kam von unten. Wäre es nach den Eliten gegan­gen, so würde das Reich der Habs­bur­ger auch heute noch exis­tie­ren – es waren die rebel­lie­ren­den Massen, welche das Gebäu­de zum Einsturz brach­ten. – - –
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