Im Gleichschritt, Marsch! – Pat Christ

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Mit erschre­cken­der Aggres­si­vi­tät werden „Andere“ mal wieder ins Aus katapultiert

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Sie müssen den glei­chen Tritt haben. Exakt so gehen, wie derje­ni­ge rechts von ihnen. Wie derje­ni­ge links von ihnen. Wie der vor ihnen. Wie der hinter ihnen. “Links, zwo, drei, vier – links, zwo, drei vier…!“ Wie sähe das auch sonst aus, wenn da ein wilder Haufen daher­kä­me! Wobei das Marschie­ren im glei­chen Takt US-Forschern zufol­ge neben der „Ordent­lich­keit“ noch einen ande­ren Effekt hat: Menschen, die im Gleich­schritt marschie­ren, fanden sie heraus, haben weni­ger Angst vor dem Gegner.

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Im Gleich­schritt zu gehen, heißt aber auch zwangs­läu­fig, Scheu­klap­pen zu tragen. Man sieht den Vorder­mann. Aber man blickt nicht nach links. Blickt nicht nach rechts. Sondern stur gera­de­aus. Zur Seite blicken ist verbo­ten. Was links und rechts geschieht, hat nicht zu inter­es­sie­ren. „Augen gera­de­aus!“ Und links, zwo, drei, vier – links, zwo, drei vier…. Was soll das auch brin­gen, nach rechts zu gucken? Nach links zu sehen? Was soll das brin­gen, zu erken­nen: Der da rechts neben mir, der ist ja todmü­de! Dem links von mir, dem steht ja der Schweiß auf dem Gesicht! Warum das sehen? Man kann ja doch nichts machen. Darf nicht trös­ten. Ermun­tern. Links, zwo, drei, vier…

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Bei mir über­springt schon ein mini­ma­ler Zwang zur Konfor­mi­tät die Grenze des Erträg­li­chen. Ich kann mich noch gut an die Zeit Ende der 80er Jahre erin­nern. Die ersten aus meiner Clique muss­ten sich entschei­den: Gehen sie zum „Bund“ oder leis­ten sie Zivil­dienst? Ich habe damals oft darüber nach­ge­dacht, wie das wohl für mich wäre, gezwun­gen zu sein, in eine Kaser­ne einzu­zie­hen. Im Gleich­schritt zu marschie­ren. Unun­ter­bro­chen Befeh­len zu gehor­chen. Es war für mich ein schlim­mer Gedan­ke. Allein, eine Uniform anzu­zie­hen, wäre für mich schreck­lich gewe­sen. Im Englisch­un­ter­richt fand ich es immer furcht­bar, von den Schul­uni­for­men in Groß­bri­tan­ni­en zu hören.

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Schlimm war für mich auch, zu erfah­ren, dass es reli­giö­se Grup­pen gibt, in denen die Menschen einem rigi­den Zwang unter­wor­fen werden. Oder anders ausge­drückt: In denen sich Menschen einem rigi­den Zwang unter­zie­hen. Frei­wil­lig. In diesen Grup­pen gibt es stren­ge Regeln in Bezug auf das Essen. In Bezug auf die Sexua­li­tät. In Bezug auf das Arbei­ten. In Bezug auf die Gestal­tung des Tages­ab­laufs. Erst allmäh­lich habe ich begrif­fen, dass es Menschen gibt, die genau dies brau­chen. Die es brau­chen, dass von außen jemand sagt: So ist es. Dies tust du. Dies unter­lässt du. Dies ist gut. Das ist schlecht. Der ist gut. Die ist böse. Basta.

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Ob sich die Befehls­ge­ber womög­lich völlig falsche Vorstel­lun­gen machen von der Welt, von der Reali­tät, von dem, was gut ist – diese Frage will man sich gar nicht stel­len. Sie könnte erschre­cken­der­wei­se dazu führen, dass man plötz­lich in Oppo­si­ti­on steht. Dies wieder­um könnte bedeu­ten, dass man in Konflikt gerät. Der könnte am Ende derma­ßen gravie­rend sein, dass man als nicht mehr trag­bar ange­se­hen wird. Und weiß man denn, ob man selbst Recht hat? Viel­leicht trügen ja die eige­nen Ahnun­gen? Und: Wenn es jemand geschafft hat, Befehls­ge­ber zu werden, muss der nicht viel mehr Ahnung haben als ich? Muss der nicht viel mehr wissen?

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Ein skep­ti­scher Schotte 

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Im 18. Jahr­hun­dert hatte David Hume für einen Quan­ten­sprung in der Philo­so­phie gesorgt. Für den Schot­ten war der Verstand nicht mehr die einzi­ge Quelle, aus der Erkennt­nis entspringt. Er lehrte, dass der Mensch auch mit einer soge­nann­ten „Ethi­schen Intel­li­genz“ ausge­stat­tet ist. Die befin­det sich nach seiner Philo­so­phie irgend­wo zwischen Verstand und Gefühl. Man könnte sie auch „Sympa­thie“ nennen. Noch besser: Empa­thie. Für David Hume war ethi­sche Intel­li­genz die Grund­vor­aus­set­zung dafür, dass eine Gemein­schaft zusam­men­hält. Hume war im Übri­gen Skep­ti­ker. Und als solcher über­zeugt, dass es kein siche­res Wissen über die Welt gibt. Sondern nur Erfahrungen.
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