Weitere Nachrufe zum Tod von Helmut Creutz – von Günther Moewes, Ralf Becker und Volker Freystedt

Ein erfolg­rei­cher Widerständler
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Nie hätte sich Helmut Creutz träu­men lassen, dass so viele seiner Forde­run­gen noch zu seinen Lebzei­ten erfüllt würden. Die beiden welt­größ­ten Zentral­ban­ken kamen seiner Forde­rung nach einem Null­zins nach. Die von ihm gefor­der­te Umlauf­si­che­rung oder Geld­hal­te­ge­bühr bedarf heute keiner umständ­li­chen Stem­pel­schei­ne mehr, sondern könnte per App mühe­los reali­siert werden. Und sein Plädoy­er für eine staat­lich gezü­gel­te Markt­wirt­schaft kann man inzwi­schen auch von Gregor Gysi und Sarah Wagen­knecht hören. Er war ein Wider­ständ­ler, seiner Zeit immer voraus. Doch im Kapi­ta­lis­mus glich Helmuts Kampf dem mit der Hydra: Für jeden abge­schla­ge­nen Kopf wach­sen zwei andere nach. Den Null­zins haben die Milli­ar­dä­re sehr schnell für sich instru­men­ta­li­siert: Mit den fast kosten­lo­sen Kredi­ten kaufen sie sich die Welt: kleine Konzer­ne kaufen große und der Akti­en­markt boomt mit den billi­gen Mega­kre­di­ten der Reichen, während die Ärme­ren um ihre Spar­zin­sen und ihre Alters­ver­sor­gung gebracht werden. Ein schwa­cher Staat lässt das Kapi­tal aus Kumpa­nei unge­straft hart an der Grenze zum Betrug agieren.
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Dass ändert nichts an Helmuts Bedeu­tung. Wie kein ande­rer vor und nach ihm hat er die destruk­ti­ven Mecha­nis­men unse­res Geld­sys­tems aufge­deckt. Bevor ich sein „Geld­syn­drom“ las, hatte ich etli­che andere Geld­bü­cher gele­sen und gedacht: die wissen ja selber nicht, was sie da schrei­ben. Nicht­wis­sen mit pseu­do­wis­sen­schaft­li­cher Atti­tu­de. Geld­la­tein. Da war Helmut das genaue Gegen­teil: Seine gesto­chen schar­fen Analy­sen waren stets für jeden verständ­lich. Seine Grafi­ken, um die ich ihn immer benei­det habe, mach­ten trocke­ne Sach­ver­hal­te gera­de­zu sinn­lich erfahrbar.
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Verwirr­te Linke haben biswei­len versucht, ihn in die rechte Ecke zu stel­len. Das hat ihn verletzt. Ich sagte ihm damals: „Ein Linker will Refor­men zuguns­ten der Schwa­chen und Benach­tei­lig­ten. Ein Rech­ter will Privi­le­gier­te begüns­ti­gen und das als „Reform“ ausge­ben. Er leug­net deshalb den Rechts-Links-Gegen­satz und glaubt, Geschich­te werde von großen Männern gemacht. Ein Linker weiß dage­gen, dass sie von Wirt­schafts­me­cha­nis­men bestimmt wird, derer sich Rechte nur skru­pel­los bedie­nen. Demnach bist Du ein unüber­biet­ba­rer Linker.“
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Und als ich ihm einmal unter­stellt hatte, von den drei leis­tungs­lo­sen Mehr­wert­ar­ten habe er zwar die aus Zins und Boden eindrucks­voll beschrie­ben, die aus Sach­ka­pi­tal aber weni­ger, schick­te er mir ein Zitat aus seinem Aufsatz „Kapi­ta­lis­mus – was ist das eigent­lich?“: „Kapi­tal ist alles Eigen­tum, das ohne eigene Arbeits­leis­tung Einkom­men abwirft, gleich­gül­tig, ob als Zins, Boden­ren­te oder Sach­ka­pi­tal-Rendi­te.“ Das könnte auch von Marx sein.
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Obwohl wir uns dank der Entfer­nung Dort­mund-Aachen in den 42 Jahren unse­rer Freund­schaft nicht allzu oft gese­hen haben, verdan­ke ich ihm viel. Davon zeugen zwei Ordner Brief- und Mail­wech­sel und unge­zähl­te Tele­fo­na­te. Dank­bar bin ich ihm auch dafür, dass er mich einlud, einen Vortrag auf seinem 90. Geburts­tag zu halten. Von Helmut Creutz wird man noch reden, wenn alle heuti­gen Main­stream-Ökono­men, Insti­tuts­di­rek­to­ren und vermeint­li­chen Wirt­schafts­wei­sen längst verges­sen sind.
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Günther Moewes
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Ein Aufklä­rer mit Mut und Charakter
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Helmut Creutz hat viel zur Entta­bui­sie­rung und Entzau­be­rung unse­res Geld- und Zins­sys­tems beigetra­gen. Als Archi­tekt fiel ihm in den 70er Jahren des letz­ten Jahr­hun­derts auf, dass die Finan­zie­rung ökolo­gi­schen Bauens regel­mä­ßig an den damals sehr hohen Zinsen schei­ter­te. Gründ­lich und kritisch wie er war, wollte Helmut Creutz wissen, wieso die Zinsen so hoch waren und weshalb niemand diese Tatsa­che in Frage stellte.
Helmut Creutz fand nicht nur heraus, wie unser Geld- und Zins­sys­tem funk­tio­niert, er veröf­fent­lich­te sein Wissen auch in zahl­rei­chen Grafi­ken und klärte durch seine Bücher und Vorträ­ge weite Teile unse­rer Zivil­ge­sell­schaft auf. Sein Buch „Das Geld­syn­drom“ kann als Grund­la­gen­werk zum Verständ­nis unse­res Geld- und Zins­sys­tems ange­se­hen werden.
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Dieses Buch inspi­rier­te u. a. Prof. Dr. Margrit Kenne­dy zu ihrem Best­sel­ler „Geld ohne Zinsen und Infla­ti­on“. Margrit Kenne­dy wieder­um inspi­rier­te im In- und Ausland hunder­te Bürger­initia­ti­ven, Verei­ne und Genos­sen­schaf­ten zur Heraus­ga­be komple­men­tä­rer Geld­sys­te­me – die als Lern­be­we­gung im deutsch­spra­chi­gen Raum in weiten Regio­nen zur Aufklä­rung der Zivil­ge­sell­schaft in Sachen Geld beitru­gen und ‑tragen.
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Als kriti­scher Ökonom habe ich sämt­li­che von Helmut Creutz in seinen Büchern darge­stell­ten Zahlen­quel­len und Zusam­men­hän­ge eigens geprüft – und bin durch die Bestä­ti­gung seiner Recher­chen und Veröf­fent­li­chung seiner Quel­len selbst zum Aufklä­rer hinsicht­lich unse­res Geld- und Zins­sys­tems geworden.

So hat Helmut in seinen Grafi­ken zwar stets grob die Quel­len wie „Bundes­bank-Monats­be­rich­te“ etc. ange­ge­ben, als Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler inter­es­sier­ten mich jedoch detail­lier­te­re Quel­len­an­ga­ben. Da ich wie Helmut in Aachen wohnte, gewähr­te er mir kurzer­hand in seiner Wohnung wieder­holt Einblick in die von ihm verwen­de­ten Quel­len, die ich dann syste­ma­tisch erfasst und veröf­fent­licht habe.
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Wie kein ande­rer verstand es Helmut Creutz, die komple­xen Zusam­men­hän­ge unse­res Geld- und Zins­sys­tems für jeder­mann und jede­frau verständ­lich darzu­stel­len. Und in Frage zu stel­len. Sein Buch „Die 29 Irrtü­mer rund ums Geld“ beleuch­tet zahl­rei­che blinde Flecken unse­res Geldsystems.
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Als Mitglied der Frei­wirt­schafts­be­we­gung propa­gier­te Helmut Creutz auch die Erdung unse­res Geld- und Zins­sys­tems durch die Einfüh­rung von Nega­tiv­zin­sen auf kurz­fris­ti­ge Geld­an­la­gen – wie sie inzwi­schen von der EZB sowie immer mehr Geschäfts­ban­ken prak­ti­ziert wird. Helmut Creutz erkann­te früh, dass die zuneh­men­den Blasen in den welt­wei­ten Geld- und Finanz­märk­ten mit der zuneh­men­den Loslö­sung des Geld- und Zins­sys­tems von der Real­wirt­schaft und ihren natür­li­chen Begren­zun­gen zu tun haben.
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Entspre­chend der Geschich­te von Goethes Zauber­lehr­ling haben wir uns mit dem Zins­sys­tem ohne Nega­tiv­zin­sen ein sich selbst beschleu­ni­gen­des System geschaf­fen, dass seit den Welt­krie­gen einer­seits ein wich­ti­ges Instru­ment zur Unter­stüt­zung großer Wirt­schafts­wun­der und wach­sen­den mate­ri­el­len Wohl­stands war und ist, ande­rer­seits system­im­ma­nent unaus­weich­lich zu immer größe­ren Wirt­schafts- und Währungs­kri­sen sowie zur Über­schrei­tung ökolo­gi­scher und sozia­ler Gren­zen führt.
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Helmut Creutz hat diese Zusam­men­hän­ge erkannt und trans­pa­rent und über­sicht­lich darge­stellt und vermit­telt – und so sicher­lich einen guten Anteil daran, dass Nega­tiv­zin­sen inzwi­schen nicht mehr tabui­siert sind, sondern fast schon zum norma­len Instru­men­ten­kas­ten unse­rer Zentral- und Geschäfts­ban­ken gehö­ren. Und erst diese Nega­tiv­zin­sen ermög­li­chen ein neues Gleich­ge­wicht zwischen Finanz- und Real­wirt­schaft, zwischen Ökolo­gie und Ökonomie.
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Helmut Creutz haben wir auch das Wissen zu verdan­ken, wie unser bishe­ri­ges Zins­sys­tem syste­ma­tisch zur Vergrö­ße­rung gesell­schaft­li­cher Ungleich­heit beiträgt, indem es jähr­lich zur Umver­tei­lung enor­mer gesell­schaft­li­cher Vermö­gen von 80 % der weni­ger bis gar nicht wohl­ha­ben­den Bevöl­ke­rung zu den 10 % finan­zi­ell sehr Vermö­gen­den führt.
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Ein beson­de­res Anlie­gen von Helmut Creutz war zudem, auf die Zusam­men­hän­ge zwischen unse­rem Zins­sys­tem sowie Krieg und Frie­den hinzu­wei­sen. Das Geld­sys­tem stabi­li­sie­ren­de lang­fris­ti­ge reale Zins­sät­ze von über 3 % lassen sich nämlich dauer­haft nur durch die stän­di­ge Auswei­tung von Märk­ten erzie­len (Kolo­ni­sie­rung und Globa­li­sie­rung) – oder durch Kriege, deren Zerstö­run­gen das ganze Spiel wieder von vorn begin­nen lassen. Erst die Einfüh­rung von Nega­tiv­zin­sen entkop­pelt diesen syste­mi­schen Zusammenhang.
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Durch meine inten­si­ven Recher­chen zu den statis­ti­schen Grund­la­gen der von Helmut Creutz verwen­de­ten Zahlen und Fakten konnte ich auch die liebe­vol­le Gast­freund­schaft von Helmut und seiner Frau Barba­ra erle­ben. Ich habe ihn als einen Menschen von vorbild­li­chem Charak­ter kennen­ge­lernt, der bei aller Sicher­heit, was seine Forschun­gen und sein Aufklä­rungs­in­ter­es­se betraf, ange­nehm beschei­den blieb.
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Sensi­bel war Helmut Creutz, wenn seine über Jahr­zehn­te mühsam erar­bei­te­ten Grafi­ken ohne Quel­len­an­ga­be verwandt wurden, die er groß­zü­gig schon früh im Inter­net zur Verfü­gung gestellt hatte. Wer weiß, welch enorme Arbeit und Diszi­plin hinter der Zusam­men­stel­lung seines Zahlen- und Fakten­wer­kes steckt, wird auch in Zukunft gern und voller Aner­ken­nung auf Helmut Creutz als Wissens- und Inspi­ra­ti­ons­quel­le verweisen.
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Ralf Becker
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weite­re Details online… 

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