Liebe zur Weisheit (Philosophie) – Gero Jenner

Die Philo­so­phie hat es schwer in unse­ren Tagen. Wie eine alte Dame von vorneh­mer Abkunft macht sie noch immer durch herr­schaft­li­ches Auftre­ten und ein gewal­ti­ges Selbst­be­wusst­sein von sich reden – gera­de­so, als wüsste sie nicht, dass man hinter ihrem Rücken längst über den Zombie spöt­telt. Gewiss, an fast allen Univer­si­tä­ten ist Philo­so­phie noch präsent, aber man braucht ihren hoch­tra­ben­den grie­chi­schen Namen nur ins Deut­sche zu über­set­zen, um ein herab­las­sen­des Lächeln zu provo­zie­ren. Was ist da von „Weis­heits­lie­be“ noch übrig? Geht es den Leuten um den Ernst des Lebens, beschäf­ti­gen sie sich mit Betriebs­wirt­schafts­leh­re, Logis­tik oder Physik. Wenn sie sich amüsie­ren wollen, haben sie mit Weis­heit schon gar nichts im Sinn.
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Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die Dame mit dem hippo­kra­ti­schen Gesicht in aller Stille das Zeit­li­che segnet. Das hängt wohl auch mit ihrer unbe­que­men Stel­lung zwischen zwei Stüh­len zusam­men, die beide von sehr ernst zu nehmen­den Okku­pan­ten besetzt sind: auf dem einen thront Reli­gi­on und verspricht ihren Anhän­gern Glück in dieser und das Heil in der ande­ren Welt, auf dem ande­ren macht sich die Wissen­schaft breit und protes­tiert mit Bewei­sen und Fakten gegen einen in ihren Augen armse­li­gen Glauben.
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Der Philo­soph als Außen­sei­ter – poli­tisch selten korrekt
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Die Reli­gi­on pocht für sich auf den Vorrang, dass ihre Wahr­hei­ten nicht sterb­li­chen Hirnen entstam­men, sondern von über­ir­di­schen Mäch­ten den Menschen geschenkt worden sind. Philo­so­phie, wie wir sie heute verste­hen, hat dage­gen früh­zei­tig aufbe­gehrt. Aufge­kom­men ist sie über­haupt erst in der von Karl Jaspers so bezeich­ne­ten Achsen­zeit, als einzel­ne Denker zum ersten Mal gegen das Kollek­tiv und seine angeb­lich gott­ver­bürg­ten Wahr­hei­ten protes­tier­ten. Diesem setz­ten sie ihren je eige­nen Stand­punkt entgegen.
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So gese­hen, bezeich­net Philo­so­phie eine geschicht­li­che Wende. Dem, was alle für rich­tig hiel­ten, weil ein Gott, die Götter oder eine bis in die ferns­te Vergan­gen­heit reichen­de Tradi­ti­on keine andere Welt­sicht neben sich dulde­ten, setzte der mündi­ge Einzel­ne sein „Ceter­um censeo“ entge­gen. Das waren toll­küh­ne Akte der poli­ti­schen Unkor­rekt­heit, die nicht allein Sokra­tes mit dem Leben bezah­len musste. Philo­so­phen traten als Quer­den­ker in Erschei­nung, als Aufrütt­ler, aber auch als Zerstö­rer alter Gewiss­hei­ten. Die Bali­ne­sen glaub­ten, die Welt würde auf dem Rücken einer Schild­krö­te ruhen, die Chris­ten, dass sie in sieben Tagen erschaf­fen wurde, die Azte­ken, dass die Sonne nur aufge­hen würde, wenn der Herr­scher sie unent­wegt mit Kriegs­ge­fan­ge­nen füttert. Jede noch so aben­teu­er­li­che Darstel­lung der Wirk­lich­keit haben Menschen frag­los hinge­nom­men, solan­ge sie als kollek­ti­ver Besitz – von Göttern beglau­bigt – in den Köpfen veran­kert war. Was man glaub­te, darüber brauch­te man nicht zu strei­ten. Der Glaube stell­te Einheit und Gewiss­hei­ten her; in einer unsi­che­ren Exis­tenz bot er ein schüt­zen­des Gehäuse.
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Philo­so­phie wurde in grie­chi­scher Zeit vor allem in oder nahe den großen Handels­me­tro­po­len gebo­ren, wo verschie­de­ne Glau­bens­leh­ren diame­tral aufein­an­der­prall­ten und einan­der auf diese Weise gegen­sei­tig rela­ti­vier­ten. Die bloße Tatsa­che solcher Verschie­den­heit führte den Gläu­bi­gen ja eindring­lich vor Augen, dass man diesel­ben zentra­len Fragen des Lebens eben auch ganz anders beur­tei­len konnte. Aus dieser Erschüt­te­rung der Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten ging und geht über­all Philo­so­phie als Infra­ge­stel­lung kollek­ti­ver Gewiss­hei­ten hervor.
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Wahr oder falsch – die Grund­be­grif­fe der wissen­schaft­li­chen Weltsicht
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Der Auffor­de­rung zur Nach­denk­lich­keit verdankt aber auch jenes ganz spezi­fi­sche Fragen nach seiner Entste­hung, das wir heute als „Wissen­schaft“ bezeich­nen. Ihre Erkun­dun­gen rich­tet diese an einem zentra­len Gesichts­punkt aus: Was ist wahr, was ist falsch – und zwar so, dass man diese Frage durch Bewei­se entschei­det, die jeder­mann einzu­se­hen vermag?
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Offen­sicht­lich ist wahr, dass Körper im freien Fall beschleu­nigt werden; es wäre falsch, eine gleich­mä­ßi­ge Geschwin­dig­keit anzu­neh­men. Es ist wahr, dass die Sonne tags­über nur auf einer Hälfte des Globus zu sehen ist; es wäre falsch, ihre dauern­de Sicht­bar­keit zu behaup­ten. Im glei­chen Sinne sind alle gelten­den Geset­ze wahr, welche die Wissen­schaf­ten von der Natur bisher zu finden vermoch­ten, während bloße Vermu­tun­gen über noch unbe­stä­tig­te Geset­ze entwe­der wahr oder falsch sein können. Geset­ze tref­fen Aussa­gen über unbe­grenzt viele Gescheh­nis­se, die in der äuße­ren Welt auftre­ten. Wahr sind sie für die Wissen­schaft ausschließ­lich dann, wenn sich die behaup­te­ten Ereig­nis­se tatsäch­lich nach­wei­sen lassen.
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