Ein Lied zum Weltuntergang – Franz Hohler

„Der Welt­un­ter­gang, meine Damen und Herren, wird nach dem, was man heute so weiß, etwa folgen­der­ma­ßen vor sich gehn:
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Am Anfang wird auf einer ziem­lich klei­nen Insel im südli­chen Pazi­fik ein Käfer verschwin­den, ein unan­ge­neh­mer, und alle werden sagen:
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Gott sei Dank ist dieser Käfer endlich weg, dieses wider­li­che Jucken, das er brach­te, und er war immer voller Dreck.
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Wenig später werden die Bewoh­ner dieser Insel merken, dass am Morgen früh, wenn die Vögel singen, eine Stimme fehlt, eine hohe, eher schril­le – wie das Zirpen einer Grille; die Stimme jenes Vogels, dessen Nahrung, es ist klar, der kleine, drecki­ge Käfer war.
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Wenig später werden die Fischer dieser Insel bemer­ken, dass in ihren Netzen eine Sorte fehlt, jene kleine, aber ganz beson­ders zarte, die – hier muss ich unter­bre­chen und erwäh­nen, dass der Vogel mit der eher schril­len Stimme die Gewohn­heit hat oder gehabt haben wird, in einer langen Schlau­fe auf das Meer hinaus zu kehren und während dieses Fluges seinen Kot zu entlee­ren – und für die kleine, aber ganz beson­ders zarte Sorte Fisch war dieser Kot das tägli­che Brot.
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Wenig später werden die Bewoh­ner des Konti­nents, in dessen Nähe die ziem­lich kleine Insel im Pazi­fik liegt, bemer­ken, dass sich über­all an den Bäumen, auf den Gräsern, an den Klin­ken ihrer Türen, auf dem Essen, an den Klei­dern, auf der Haut und in den Haaren winzi­ge schwar­ze Insek­ten versam­meln, die sie niemals gese­hen, und sie werden’s nicht verste­hen, denn sie können ja nicht wissen, dass die kleine, aber ganz beson­ders zarte Sorte Fisch die Nahrung eines größer’n, gar nicht zarten Fisches war, welcher seiner­seits nun einfach eine andre Sorte jagte, einen klei­nen, gelben Stich­ling vom selben Maß, der vor allem diese schwar­zen Insek­ten fraß.
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Wenig später werden die Bewoh­ner Euro­pas, also wir, merken, dass die Eier­prei­se stei­gen und zwar gewal­tig, und die Hühner­farm­be­sit­zer werden sagen, dass der Mais, aus dem ein Groß­teil des Futters für die Hühner besteht, vom Konti­nent, in dessen Nähe die ziem­lich kleine Insel im Pazi­fik liegt, plötz­lich nicht mehr zu krie­gen sei wegen irgend­ei­ner Plage von Insek­ten, die man mit Giften erfolg­reich abge­fan­gen, nur leider sei dabei auch der Mais draufgegangen.
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Wenig später – jetzt geht es immer schnel­ler – kommt über­haupt kein Huhn mehr auf den Teller. Auf der Suche nach Ersatz für den Mais im Hühner­fut­ter hat man den Anteil an Fisch­mehl verdop­pelt, doch jeder Fisch hat heut­zu­ta­ge halt seinen ganz bestimm­ten Queck­sil­ber­ge­halt. Bis jetzt war er tief genug, um niemand zu verder­ben, doch nun geht’s an ein welt­wei­tes Hühnersterben.
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Wenig später werden die Bewoh­ner jener ziem­lich klei­nen Insel im südli­chen Pazi­fik erschreckt vom Ufer in die Häuser rennen, weil sie das, was sie gese­hen haben, abso­lut nicht kennen. Die Flut hat heute, und dazu muss man bemer­ken, der Himmel war blau und Wind gab es keinen und der Wellen­gang war nied­rig wie stets bei schö­nem Wetter, und trotz­dem lagen heute Nach­mit­tag die Ufer der Insel unter Wasser, und natür­lich wusste niemand, dass am selben Tag auf der ganzen Welt die Leute von den Ufern in die Häuser rann­ten und die Stei­gung des Meeres beim Namen nannten.
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Wenig später werden die Bewoh­ner jener ziem­lich klei­nen Insel im südli­chen Pazi­fik von den Dächern ihrer Häuser in die Fischer­boo­te stei­gen, um in Rich­tung jenes Konti­nents zu fahren, wo seiner­zeit die Sache mit dem Mais passier­te. Doch auch dort ist das Meer schon meter­hoch gestie­gen und die Städte an der Küste und die Häfen, die liegen schon tief unter Wasser, denn die Sache ist die, man musste das gesam­te Feder­vieh, also sechs Milli­ar­den Stück, vergif­tet wie es war, verbren­nen und der Kohlen­staub, der davon entstand, gab der Atmo­sphä­re durch Wärme und Verbren­nung – schon bis dahin stra­pa­ziert – den Rest. Sie ließ das Sonnen­licht wie bisher herein, aber nicht mehr hinaus. Wodurch sich die Luft derma­ßen erwärm­te, dass das Eis an den Polen zu schmel­zen begann, die Kälte kam zum Erlie­gen und die Meere stiegen.
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Wenig später werden die Leute, die mitt­ler­wei­le in die Berge flohen, hinter den Gipfeln, weit am Hori­zont, ein selt­sam fahles Licht erbli­cken und sie wissen nicht, was sie denken sollen, denn man hört dazu ein leises Grol­len, und wenn einer der Älter’n jetzt vermu­tet, dass nun der Kampf der Großen beginnt, um den letz­ten verblei­ben­den Raum für ihre Völker, da fragt ein andrer voller Bitter­keit, wie um Himmels willen kam es soweit.
Tja, meine Damen und Herren, – - – 

das Meer ist gestiegen,
– weil die Luft sich erwärmte. – - – 

Die Luft hat sich erwärmt,
– weil die Hühner verbrannten. – - – 

Die Hühner verbrannten,
– weil sie Queck­sil­ber hatten. – - – 

Queck­sil­ber hatten sie,
– weil Fisch gefüt­tert wurde. – - – 

Fisch hat man gefüttert,
– weil der Mais nicht mehr kam. – - – 

Der Mais kam nicht mehr,
– weil man Gift benutzte. – - – 

Das Gift musste her,
– weil die Insek­ten kamen. – - – 

Die Insek­ten kamen,
– weil ein Fisch sie nicht mehr fraß. – - – 

Der Fisch fraß sie nicht,
– weil er gefres­sen wurde. – - – 

Gefres­sen wurde er,
– weil ein ande­rer krepierte. – - – 

Der andere krepierte,
– weil ein Vogel nicht mehr flog. – - – 

Der Vogel flog nicht mehr,
– weil ein Käfer verschwand. – - – 

Dieser drecki­ge Käfer, der am Anfang stand. – - – 

Bleibt die Frage – stel­len Sie sie unum­wun­den – warum ist denn dieser Käfer verschwunden? – - – 

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Das, meine Damen und Herren, ist leider noch nicht rich­tig geklärt. Ich glaube aber fast, er hat sich falsch ernährt.
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Statt Gräser zu fres­sen, fraß er Gräser mit Öl, statt Blät­ter zu fres­sen, fraß er Blät­ter mit Ruß, statt Wasser zu trin­ken, trank er Wasser mit Schwe­fel, so treibt man auf die Dauer an sich selber eben Frevel.
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Bliebe noch die Frage, ich stell’ mich schon drauf ein, wann wird das sein? Da krat­zen sich die Wissen­schaft­ler meis­tens in den Haaren. Sie sagen in zehn, in zwan­zig Jahren, in fünf­zig viel­leicht oder auch erst in hundert.
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Ich selber habe mich anders beson­nen, ich bin sicher, der Welt­un­ter­gang, meine Damen und Herren, hat schon begonnen.“ 

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