Der Geldfälscher Farinet – Willi Wottreng
Er hat Münzen geprägt wie ein Kleinindustrieller nur tat er es nächtens und ohne Bewilligung. Seinen Markt fand er dennoch, dem Geld sieht man nicht an, woher es stammt. Für manche Walliser war er ein Widerstandskämpfer gegen die Staatsbürokratie. Ein heimlicher Schweizer Nationalheld. Besser als Wilhelm Tell. Fast ein Heiliger.
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Sein Tod, dessen Umstände nie vollständig geklärt wurden, hat zu seiner Verklärung beigetragen: Tac, tac, tac. Wochenlang sind aus einer Gerberei in Martigny-Bourg im Unterwallis nächtens solche Töne zu vernehmen. Doch hört sie nur, wer hören will. Die meisten Nachbarn zeigen wenig Lust, ihre Wahrnehmungen weiterzugeben. Ein Kaminfeger, der vorübergehend in der Gerberei logiert hat, berichtet der Polizei indes von den Schlägen, die erst vor Morgengrauen aufhörten. Eine andere Zeugin hat jeweils morgens um 5 Uhr aus einem Rohr, das zu einem Fenster hinausragte, Rauch aufsteigen sehen.
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Geboren wurde Joseph-Samuel Farinet am 17. Juni 1845 im Aosta-Tal, nahe an der Schweizer Grenze, in einem Weiler namens Laval. Wer vom Rhonetal zum Grossen St. Bernhard fährt und die Passroute wählt, kommt jenseits der Grenze an der Gemeinde Saint-Rhémy-en-Bosses vorbei. Da steht Farinets Geburtshaus: der spätere Walliser Lokalheld war ein Italiener. Das Milieu, aus dem er stammte, war handwerklich geprägt, der Vater ein eher wohlhabender Schmied mit einem eigenen Betrieb. Darin lernte der junge Joseph-Samuel, Holz und Metall zu bearbeiten; er konnte Musikinstrumente herstellen, aber auch Patronen drehen.
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Kaum zwanzigjährig, wusste er, wie eine Gefängniszelle von innen aussah. Wiederholt wurde er belangt wegen Falschmünzerei, weshalb er eines Tages die Gegend verließ, die sein Talent so schlecht honorierte. Mit Berufswerkzeugen auf dem Rücken überschritt er den Sankt Bernhard und tauchte im benachbarten Unterwallis auf; der schlechte Ruf war dem jungen Mann vorausgeeilt.
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Die einzig überlieferte Foto Farinets – wahrscheinlich ist darauf gar nicht der Vermutete abgebildet – zeigt einen Mann in frontaler Pose, ausgesprochen elegant gekleidet, der Vorstellung eines Mafioso mehr verwandt als einem Bergbauern. Der Farinet des Alltags trat nach Zeugenaussagen im Krempenhut auf, trug rote oder blaue Hemden, darüber ein Gilet und Hosen aus Barchent. Seine Lederstiefel reichten bis unter die Knie. Er besaß kastanienbraune kurze Haare, eine breite Stirn, graublaue Augen und eine kleine, feingeschnittene Nase. Nur die untere Lippe war etwas hängend. Dazu gehörten ein roter Schnauz und ein bürstenartig geschnittener Bart.
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In der Gegend um Martigny mit ihren verzweigten Tälern nimmt der italienische Emigrant sein Handwerk wieder auf. Bereitwillig werden seine Produkte von der Bevölkerung angenommen, auch wenn die Metallstücke an ihrer zu hellen Färbung klar als Fälschungen zu erkennen sind. Was tut’s, die Leute nehmen sie für bare Münze. Und selbst die Banken sind geneigt, die Farinet-Währung als Zahlungsmittel zu akzeptieren. Mehr als zehn Jahre lang wird ein Teil der Walliser Bevölkerung auf den Märkten Farinets Geld verwenden.
Über die Vergehen des historischen Joseph-Samuel Farinet geben die erhalten gebliebenen umfangreichen Prozessakten recht klaren Aufschluss.
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Farinet hat nicht in einer Höhle nach Gold gegraben, wie es die literarische Darstellung von Charles Ferdinand Ramuz glauben macht: er kaufte sein Rohmaterial bei Uhrenateliers und Maschinenfabriken in Turin, Basel oder Vevey ein. Aus den Metallplatten stanzte er Rohlinge und prägte Schrift und die helvetischen Insignien ein; anschließend kamen die Stücke in eine Maschine, die einem Butterfass glich, wo sie mit Sand vermischt rotierten und künstlich gealtert wurden; geräuschlos kann das nicht zugegangen sein.
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Er produzierte hauptsächlich Zwanzigrappenstücke des Jahrgangs 1850, die weit verbreitet und wegen ihrer großen Härte leichter abzukupfern waren. Waren 20 Centimes damals auch kein Vermögen, konnte man damit doch vier bis fünf Kilogramm Kartoffeln kaufen oder zweimal eine Sitzung beim Barbier berappen. Angeblich konnten Soldaten für diesen Betrag einen ganzen Nachmittag lang Rotwein saufen.
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Gewisse Schwierigkeiten hatte der Techniker zu überwinden, um die geeigneten Prägemaschinen zu beschaffen. Gerichtsnotorisch ist, wie einer seiner Emissäre in den Uhrenateliers Dentin in Vevey eine Maschine bestellte und den rund 200 Kilogramm schweren Klotz im Simplon-Express ins Wallis transportierte, unter den wachen Augen der Polizei, der die Beute im letzten Moment dennoch entging, weil die ausschwärmenden Gendarmen wegen der Kantonsgrenzen und der Amtskreiseinteilung nicht schnell genug einschreiten konnte. Diese Prägemaschine ist verschollen, erhalten geblieben sind die Prägematrizen mit den eingravierten Münznegativen.
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Für rund 50 000 Franken soll Farinet Münzen geprägt haben, in Zwanzigrappenstücken nahezu eine Viertelmillion Münzen, die er in Umlauf gebracht haben muss. Eine wahre Grossproduktion. Solches konnte einer nicht allein bewältigen; es gab ein Netz von Komplizen, die Rohmaterial einkauften, Falschgeld auf den Märkten verbreiteten und Informationen über die Bewegungen der Polizei lieferten.
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Das Geld wurde nicht bloß am Wirtshaustisch unter die Leute gebracht, sondern auch bei Großeinkäufen auf den Marktplätzen: Die Farinet-Bande schaffte an, wessen sie käuflich habhaft werden konnte, vom Möbel bis zum Vieh, und zahlte dafür mit Metallchips. Das Spielkasino im nahen Saxon meldete eines Tages, ein Unbekannter habe versucht, Zwanzigrappenstücke gegen zwei Noten von tausend Franken einzuwechseln. Rechne! Bei einer Razzia in den Läden von Martigny-Bourg stellte die Polizei fest, dass mehr als ein Drittel des Umlaufs an Münzen Farinet-Medaillen seien.
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