Einsturz eines Dogmengebäudes – Siegfried Wendt
Beitragsbild: © Karl-Heinz Laube / pixelio.de
1. Das wirtschaftswissenschaftliche Dogmengebäude
Dogmen sind Glaubenssätze oder autoritär festgelegte Lehrmeinungen, mit denen ein Realitätsanspruch verbunden ist. Man sollte sie nicht mit Axiomen verwechseln, also mit den formalen Postulaten, auf denen mathematische Theorien aufgebaut werden. Denn im Unterschied zu Dogmen sind Axiome formale Aussagen ohne Realitätsbezug, deren Wahrheit willkürlich angenommen werden darf. Eine mathematische Theorie kann als Gebäude betrachtet werden, das in Form von logischen Folgerungen auf einem axiomatischen Fundament errichtet wurde. Da Axiome formale Aussagen sind, können sie nicht im Widerspruch zur Realität stehen, und deshalb kann ein darauf errichtetes Gebäude auch nicht einstürzen. Es kann sich jedoch als unbrauchbar herausstellen. Anders liegt der Fall bei einem auf einem dogmatischen Fundament errichteten Gebäude. Sobald ein Dogma im Widerspruch zur Realität stehend erkannt wird, verliert es seine Tragfähigkeit. Insbesondere bei religiösen Dogmen ist es allerdings meist unmöglich, einen Widerspruch zur Realität zweifelsfrei festzustellen. Man denke hier beispielsweise an die beiden Dogmen der päpstlichen Unfehlbarkeit oder der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel.
Auch die Wirtschaftswissenschaft ist ein dogmatisch fundiertes Gebäude, denn in dieser Wissenschaft werden Folgerungen abgeleitet aus Behauptungen, die im Widerspruch zur Realität stehen können. Beispiele für wirtschaftswissenschaftliche Dogmen, die man in Lehrbüchern findet, sind die folgenden:
Wenn jeder Wirtschaftsteilnehmer die Freiheit hat, sich egoistisch zu verhalten, ergibt sich ein optimales Wirtschaftssystem.
Der Markt ist der einfachste und eindeutigste Mechanismus zur Bewertung von Gütern und Dienstleistungen.
Nur wirtschaftliches Wachstum garantiert ausreichende Beschäftigung.
Wettbewerb verbessert die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen.
Subventionen verschlechtern die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen.
Private Institutionen arbeiten effizienter als staatliche.
Kapitalgedeckte Altersversorgung ist solider als staatliche.
Getrennte Zuständigkeiten – sog. Profit Centers – führen zu besseren Ergebnissen.
Steuern und Personalaufwendungen sind Kosten, die es zu minimieren gilt.
Ähnlich wie in der Religion ist es auch hier fast unmöglich, einen von jedermann als korrekt anerkannten Nachweis zu führen, dass alle oder ein Teil dieser Dogmen im Widerspruch zur Realität stehen. Dies liegt daran, dass jedes dieser Dogmen wahlweise als Generalaussage der Form „Es gilt in jedem Falle, dass …“ oder als Möglichkeitsaussage der Form „Es gibt Fälle, wo …“ verstanden werden kann. Als Generalaussagen halte ich sie alle für falsch, und als Möglichkeitsaussagen sind sie trivial. Wenn nun aber auf diesen Dogmen ein Gebäude aus Folgerungen errichtet wird, die zur Grundlage der Gesetzgebung und des Regierungshandelns werden, dann werden die Dogmen implizit als Generalaussagen interpretiert. Diese Situation ist kennzeichnend für unsere heutige Globalwirtschaft.
2. Das implizite Dogma von der Unerschöpflichkeit der Rohstoffe
Im Jahre 1972 veröffentlichte der sog. Club of Rome einen Bericht mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ und 1975 erschien das Buch „Ein Planet wird geplündert“ von Herbert Gruhl. In beiden Schriften geht es um die gleiche Problematik, deren Kern in der Feststellung besteht, dass sämtliche Rohstoffreserven, auf denen die moderne Weltwirtschaft beruht, in den kommenden 150 Jahren aufgebraucht sein werden, falls der Verbrauch nicht drastisch reduziert wird. Dabei ist es müßig, darüber zu debattieren, ob beispielsweise das Eisenerz noch 100 oder 200 Jahre reichen wird, denn selbst wenn es noch 300 Jahre reichen würde, dürfen wir heute nicht so tun, als wären die Vorräte unbegrenzt. Vor einigen Monaten wurde diese gravierende Erkenntnis von der Wochenzeitung DIE ZEIT wieder aufgegriffen und aktualisiert (siehe Abb. 1).
Dennoch blenden unsere Politiker und Wirtschaftsbosse die Begrenztheit der Ressourcen aus ihrem Reden und Handeln immer noch völlig aus, als glaubten sie an ein implizites Dogma, das zwar nirgendwo explizit hingeschrieben wurde, aber das lautet „Die Rohstoffreserven sind unerschöpflich.“ Möglicherweise lassen sie sich von „wissenschaftlichen Beratern“ beruhigen, die ihnen weismachen, dass alles nicht so schlimm kommen werde, weil man durch entsprechende technologische Innovationen die Probleme entschärfen könne. So schreibt beispielsweise der Volkswirt Bernd Meyer in seinem im Jahre 2008 erschienenen Buch „Wie muss die Wirtschaft umgebaut werden?“ die folgenden Sätze:
„Die pro erzeugter Gütereinheit eingesetzten Rohstoffmengen müssen drastisch vermindert werden, um so das Wirtschaftswachstum und den Ressourcenverbrauch zu entkoppeln.“
„Wir müssen nicht weniger Güter nachfragen, sondern andere als bisher.“
„Wir haben im letzten Kapitel die These vertreten, dass eine nachhaltige Entwicklung auch bei anhaltendem Wirtschaftswachstum möglich sein muss.“
Diese Aussagen sind für mich so unsinnig, wie wenn jemand sagen würde, man müsse die logischen Regeln so verändern, dass zwei plus zwei fünf werde.
Trotz solcher unsinnigen Beschwichtigungsversuche wird aber längerfristig der Widerspruch zwischen dem Dogma von der Unbegrenztheit der Rohstoffreserven und der Realität von niemandem mehr zu leugnen sein. Und dann werden auch viele der anderen in den Lehrbüchern verbreiteten Dogmen nicht mehr zu halten sein.
Wer trotz aller Fortschrittspredigten, mit denen er täglich belästigt wird, den Blick für die Realitäten noch nicht verloren hat, dem drängt sich unvermeidlich die Frage auf, ob die Menschen in der Zukunft, wenn die Ressourcen gar nicht mehr oder nur noch in äußerst reduziertem Umfang zur Verfügung stehen, überhaupt noch ein zufriedenes Leben führen können, und falls ja, was wir jetzt schon tun können, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Meine Enkel werden vermutlich von dem auf die Menschheit unvermeidlich zukommenden Mangel noch nicht sehr betroffen sein, aber deren Enkel werden mit Sicherheit die Konsequenzen stark zu spüren bekommen.
Es wäre vermessen, jetzt schon im Detail angeben zu wollen, welche konkreten Schritte unternommen werden müssen, damit unsere Nachkommen trotz der dann völlig anderen Bedingungen immer noch die Chance haben, ihr Leben so zu gestalten, dass sie damit zufrieden sein können. Es erscheint mir aber sinnvoll, jetzt schon einige Fragen zu stellen, die früher oder später beantwortet werden sollten:
Gibt es Schritte, über deren Notwendigkeit heute schon Gewissheit besteht, und falls ja, welche sind das?
Welche „Errungenschaften“ unserer Zeit sollten unbedingt erhalten bleiben?
Welche heutigen „Selbstverständlichkeiten“ sind für unsere Lebenszufriedenheit so wenig relevant, dass wir leicht darauf verzichten können?
Welche heutigen Missstände sollten beim Übergang in die neue Zeit nach Möglichkeit verschwinden?
Dogmen sind Glaubenssätze oder autoritär festgelegte Lehrmeinungen, mit denen ein Realitätsanspruch verbunden ist. Man sollte sie nicht mit Axiomen verwechseln, also mit den formalen Postulaten, auf denen mathematische Theorien aufgebaut werden. Denn im Unterschied zu Dogmen sind Axiome formale Aussagen ohne Realitätsbezug, deren Wahrheit willkürlich angenommen werden darf. Eine mathematische Theorie kann als Gebäude betrachtet werden, das in Form von logischen Folgerungen auf einem axiomatischen Fundament errichtet wurde. Da Axiome formale Aussagen sind, können sie nicht im Widerspruch zur Realität stehen, und deshalb kann ein darauf errichtetes Gebäude auch nicht einstürzen. Es kann sich jedoch als unbrauchbar herausstellen. Anders liegt der Fall bei einem auf einem dogmatischen Fundament errichteten Gebäude. Sobald ein Dogma im Widerspruch zur Realität stehend erkannt wird, verliert es seine Tragfähigkeit. Insbesondere bei religiösen Dogmen ist es allerdings meist unmöglich, einen Widerspruch zur Realität zweifelsfrei festzustellen. Man denke hier beispielsweise an die beiden Dogmen der päpstlichen Unfehlbarkeit oder der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel.
Auch die Wirtschaftswissenschaft ist ein dogmatisch fundiertes Gebäude, denn in dieser Wissenschaft werden Folgerungen abgeleitet aus Behauptungen, die im Widerspruch zur Realität stehen können. Beispiele für wirtschaftswissenschaftliche Dogmen, die man in Lehrbüchern findet, sind die folgenden:
Wenn jeder Wirtschaftsteilnehmer die Freiheit hat, sich egoistisch zu verhalten, ergibt sich ein optimales Wirtschaftssystem.
Der Markt ist der einfachste und eindeutigste Mechanismus zur Bewertung von Gütern und Dienstleistungen.
Nur wirtschaftliches Wachstum garantiert ausreichende Beschäftigung.
Wettbewerb verbessert die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen.
Subventionen verschlechtern die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen.
Private Institutionen arbeiten effizienter als staatliche.
Kapitalgedeckte Altersversorgung ist solider als staatliche.
Getrennte Zuständigkeiten – sog. Profit Centers – führen zu besseren Ergebnissen.
Steuern und Personalaufwendungen sind Kosten, die es zu minimieren gilt.
Ähnlich wie in der Religion ist es auch hier fast unmöglich, einen von jedermann als korrekt anerkannten Nachweis zu führen, dass alle oder ein Teil dieser Dogmen im Widerspruch zur Realität stehen. Dies liegt daran, dass jedes dieser Dogmen wahlweise als Generalaussage der Form „Es gilt in jedem Falle, dass …“ oder als Möglichkeitsaussage der Form „Es gibt Fälle, wo …“ verstanden werden kann. Als Generalaussagen halte ich sie alle für falsch, und als Möglichkeitsaussagen sind sie trivial. Wenn nun aber auf diesen Dogmen ein Gebäude aus Folgerungen errichtet wird, die zur Grundlage der Gesetzgebung und des Regierungshandelns werden, dann werden die Dogmen implizit als Generalaussagen interpretiert. Diese Situation ist kennzeichnend für unsere heutige Globalwirtschaft.
2. Das implizite Dogma von der Unerschöpflichkeit der Rohstoffe
Im Jahre 1972 veröffentlichte der sog. Club of Rome einen Bericht mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ und 1975 erschien das Buch „Ein Planet wird geplündert“ von Herbert Gruhl. In beiden Schriften geht es um die gleiche Problematik, deren Kern in der Feststellung besteht, dass sämtliche Rohstoffreserven, auf denen die moderne Weltwirtschaft beruht, in den kommenden 150 Jahren aufgebraucht sein werden, falls der Verbrauch nicht drastisch reduziert wird. Dabei ist es müßig, darüber zu debattieren, ob beispielsweise das Eisenerz noch 100 oder 200 Jahre reichen wird, denn selbst wenn es noch 300 Jahre reichen würde, dürfen wir heute nicht so tun, als wären die Vorräte unbegrenzt. Vor einigen Monaten wurde diese gravierende Erkenntnis von der Wochenzeitung DIE ZEIT wieder aufgegriffen und aktualisiert (siehe Abb. 1).
Dennoch blenden unsere Politiker und Wirtschaftsbosse die Begrenztheit der Ressourcen aus ihrem Reden und Handeln immer noch völlig aus, als glaubten sie an ein implizites Dogma, das zwar nirgendwo explizit hingeschrieben wurde, aber das lautet „Die Rohstoffreserven sind unerschöpflich.“ Möglicherweise lassen sie sich von „wissenschaftlichen Beratern“ beruhigen, die ihnen weismachen, dass alles nicht so schlimm kommen werde, weil man durch entsprechende technologische Innovationen die Probleme entschärfen könne. So schreibt beispielsweise der Volkswirt Bernd Meyer in seinem im Jahre 2008 erschienenen Buch „Wie muss die Wirtschaft umgebaut werden?“ die folgenden Sätze:
„Die pro erzeugter Gütereinheit eingesetzten Rohstoffmengen müssen drastisch vermindert werden, um so das Wirtschaftswachstum und den Ressourcenverbrauch zu entkoppeln.“
„Wir müssen nicht weniger Güter nachfragen, sondern andere als bisher.“
„Wir haben im letzten Kapitel die These vertreten, dass eine nachhaltige Entwicklung auch bei anhaltendem Wirtschaftswachstum möglich sein muss.“
Diese Aussagen sind für mich so unsinnig, wie wenn jemand sagen würde, man müsse die logischen Regeln so verändern, dass zwei plus zwei fünf werde.
Trotz solcher unsinnigen Beschwichtigungsversuche wird aber längerfristig der Widerspruch zwischen dem Dogma von der Unbegrenztheit der Rohstoffreserven und der Realität von niemandem mehr zu leugnen sein. Und dann werden auch viele der anderen in den Lehrbüchern verbreiteten Dogmen nicht mehr zu halten sein.
Wer trotz aller Fortschrittspredigten, mit denen er täglich belästigt wird, den Blick für die Realitäten noch nicht verloren hat, dem drängt sich unvermeidlich die Frage auf, ob die Menschen in der Zukunft, wenn die Ressourcen gar nicht mehr oder nur noch in äußerst reduziertem Umfang zur Verfügung stehen, überhaupt noch ein zufriedenes Leben führen können, und falls ja, was wir jetzt schon tun können, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Meine Enkel werden vermutlich von dem auf die Menschheit unvermeidlich zukommenden Mangel noch nicht sehr betroffen sein, aber deren Enkel werden mit Sicherheit die Konsequenzen stark zu spüren bekommen.
Es wäre vermessen, jetzt schon im Detail angeben zu wollen, welche konkreten Schritte unternommen werden müssen, damit unsere Nachkommen trotz der dann völlig anderen Bedingungen immer noch die Chance haben, ihr Leben so zu gestalten, dass sie damit zufrieden sein können. Es erscheint mir aber sinnvoll, jetzt schon einige Fragen zu stellen, die früher oder später beantwortet werden sollten:
Gibt es Schritte, über deren Notwendigkeit heute schon Gewissheit besteht, und falls ja, welche sind das?
Welche „Errungenschaften“ unserer Zeit sollten unbedingt erhalten bleiben?
Welche heutigen „Selbstverständlichkeiten“ sind für unsere Lebenszufriedenheit so wenig relevant, dass wir leicht darauf verzichten können?
Welche heutigen Missstände sollten beim Übergang in die neue Zeit nach Möglichkeit verschwinden?
Aktuelle Kommentare