Wahre Verlogenheit – Editorial
Wurde der Anschlag von linken Extremisten durchgeführt? War es eine Provokation der extremen Rechten oder ein sinnloser Terrorakt radikaler Islamisten? Inszenierten es einflussreiche Stellen in Politik und Wirtschaft, um ihre Macht zu festigen und Eroberungsfeldzüge zu rechtfertigen? Soll ein Polizeistaat aufgebaut werden, der unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung Bürgerrechte einschränkt? Was wäre, wenn alles wahr ist? Was wäre, wenn nichts davon wahr wäre? Es bleibt die Tatsache, dass bei dem Anschlag viele Menschen getötet oder verletzt wurden. Nein, ich denke nicht an einen speziellen Terrorakt, sondern an einen beliebigen. Es geht mir um die eine Wahrheit und dass es sie nicht geben kann. Sämtliche Interpretationen sind wahr, denn ihre Wahrheit besteht darin, zu den Modellen zu passen, die verschiedene Leute mit unterschiedlichen Interessen daraus konstruieren.
In der Annahme, dass die Machthabenden lügen und die Medien sie unterstützen, bildete sich im Internet eine »Truther-Szene«. Auf der Suche nach Wahrheit wird zur Lüge, was der Seite dient, die man zum Feind auserkoren hat. Die Geschichten von der skrupellosen Machtelite sind unterhaltsame Krimis mit Wirklichkeitsanspruch. Nach dem tieferen Sinn dieser Form der Wahrheitsfindung wird nicht gefragt. Der angebliche Kampf für eine unauffindbare Wahrheit ist eher einer gegen die Macht. Die in den Massenmedien gefilterten Ereignisse spiegeln wieder, was die Konsumenten zuvor präferierten. Einschaltquoten sprechen für sich. Man nutzt die für verlogen gehaltenen Medien, um sie der Lüge zu überführen und befördert dadurch deren Erfolg. Die »gute alte Tagesschau« verschwände innerhalb kürzester Zeit aus dem Fernsehen, wenn sie niemand mehr einschalten würde. Wir haben die multinationalen Burgerbratereien, die unsere Essenskultur verdient, genau wie die niveaulosen Fernsehformate, in denen es keine Grenzen zur Geschmacklosigkeit gibt. Und »Germanys next (Polit)-Topmodels«, die den Laufsteg der Macht bevölkern, wählten wir ebenfalls dorthin. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, viele wollen von Politikern nicht vertreten werden, sondern lediglich einer Repräsentation beiwohnen. Das Spektakel ist das, was reizt. Das Internet mit seinen sozialen Netzwerken bietet den Raum, die Darbietung beliebig auszuweiten und näher an sich heranzuholen. Angesichts eines Parteienspektrums, das programmatisch kaum Unterschiede aufweist, liegt der Verdacht nahe, dass politische Macht eine Illusion ist. Stattdessen regiert ein Flechtwerk, in dem mehr verwoben ist, als der oberflächliche Blick preisgibt.
»Das Kapital«, versteckt in den undurchdringbaren Datenleitungen eines Finanzmarktes, ist seit 2008 zum Bösewicht gestempelt worden. Da man diesem Gespinst nur habhaft wird, wenn man es personifiziert, wurden Superreiche, Spekulanten, Banker, Hedge-Fonds-Manager usw. zu den Feindbildern, denen man jedwede Schlechtigkeit unterstellen kann. Medial ergötzt sich das Publikum, nicht ohne Neid, an Bildern aus dem Zuhause harmloser Neureicher. Die reichen Mächtigen scheuen dagegen die Öffentlichkeit und bieten so Anlass für Spekulationen und Verschwörungstheorien in jeder Schattierung.
Ungestellt bleibt die Frage: Unter welchen Bedingungen ist all das möglich? Wie wirken die Systeme, die den Reichtum schamlos Bahn brechen lassen und die Armut verschämt zum darbenden, neidischen Zuschauer degradieren?
Ich schätze die Arbeit der vielen Menschen guten Willens, die sich um Aufklärung von Verbrechen kümmern. Ebenfalls solche, die sich helfend den Notständen widmen, seien es menschliche, soziale oder umweltbezogene, und dabei mutig Hand anlegen. Häufig handeln sie selbstlos und auf sich alleine gestellt. Mich treibt eher die Darstellung großer Zusammenhänge an. Ich möchte auf die Notwendigkeit hinweisen, neben der »Brandhilfe« zu Erneuerungen zu kommen, die die Umstände verändern, unter denen die Katastrophen geschehen können. Diesbezüglich muss man sich mit unserer Art des Wirtschaftens befassen, sowie die Strukturen der monetären Tauschsysteme durchleuchten. Eine Aufgabe, der wir uns auf der »Insel« HUMANE WIRTSCHAFT in vielfältiger Form widmen. Die verstreuten Inseln des gemeinnützigen bürgerlichen Engagements könnten schon bald zu einem bewusst vereinten Archipel werden. Das hätte ein unwiderstehliches Potential an politischer Durchschlagskraft.
Es ist in diesem Universum bekanntlich alles mit allem verbunden.
Stürzen Sie sich mit dieser Ausgabe in eine Welt von Wahrheit, Lügen und so manchem, was besticht, weil es einfach nur real ist und Ihre Nachdenklichkeit – und gegebenenfalls Ihre Zuwendung provoziert.
Wir sind nicht die Guten und nicht die Bösen,
nicht die Lügner und auch nicht die Besitzer der Wahrheit.
Wir sind nicht weiß und nicht schwarz.
Und erst recht maßen wir uns nicht an, zu wissen, was richtig oder falsch ist.
Wir sind nur da.
Für alle, für die das von Bedeutung ist.
Bleiben Sie uns gewogen.
Herzlich grüßt Ihr Andreas Bangemann
Einnander zugeordnete Begriffe wie Richtig/Falsch beschreiben Extremwerte zur Charakterisierung von Zuständen in einem System.
Wenn ich Interesse an einem funktionierendem vielseitigem System habe, muß es klare Ja/Nein Entscheidungen geben. Das ist in jedem Regelkreis zwangsläufig und geschieht dann nur nicht mehr per Hand. Auch bei Regelung per Hand müssen dauernd Ja Nein Entscheidungen getroffen werden. (Regeltoleranzen inbegriffen).
Im so geliebten Neoliberalismus werden Regelkreise weggenommen, nämlich solche die die Kapitalinteressen begrenzen. Damit ist dann der Kreativität des vollkommenen Blödsinns und der Gewinnmaximierung kein Riegel mehr vorgeschoben (Neil Postman-Wir amüsieren uns zu Tode). Ganz alltagstauglich: Wir versaufen unser Oma Ihr klein Häuschen, das geht auch mit dem Staat.
Ein gut funktionierendes Unternehmen benötigt ein betriebswirtschaftliches Optimum (optimaler Ertrag) und nicht ein Maximum (maximaler Ertrag). Ein Maximum ist ein Verbrechen an Mensch und Unternehmen, da es Ressourcen und Menschen unwiederbringlich verbraucht und ein Unternehmen dem Ausschlachten preisgibt.
Haben wir alles beäugt, staunend betrachtet, angefangen zu rechnen und Fragen zu stellen. Die Nutznießer dieser systematisierten Kapital- und Entropieakkumulation (Entropie = Unordung, Biologie schafft mit Energie Ordnung) und deren Protagonisten werden nicht freiwillig aufhören, diesen Weg fortzuschreiten; die Wirkung von Macht, Kokain und Wiederholung als Wahrheitsbeweis aufs Hirn ist mächtig.
Meine Sicht: Wenn nicht eine organisierte Macht an Menschen Nein sagt und konsequent dagegenhält (und das bedarf einer klaren alltagstauglichen Strategie > was bewirkt was?) wird das nix. Es gibt da für mich schon eine Position weiß oder schwarz. Schachspiel eben.
Allerdings ändert sich das im Orwellschen Sinn, wenn wir Schwarz und Weiss wechselseitig als gleich definieren. Alles Easy, oder was.