„Wahnsinn“ und „megawichtig“ – Pat Christ
Theaterleute setzen sich gern mit Shakespeare auseinander. Sie loten Faust und das Gretchen aus und klopfen antike Tragödien auf ihren Wahrheitsgehalt für uns Heutige ab. Dass sich Schauspieler und Regisseure mit „Geld“ beschäftigen, erscheint fast abwegig. Zu trocken kommt das Thema daher. Wer möchte dafür einen Theaterabend opfern? Seit vier Jahren tun dies immer mehr Theaterfans. Denn es spricht sich herum, welches Erlebnis Inszenierungen von Ulf Schmidts Stück „Schuld und Schein. Ein Geldstück.“ sind.
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Der 1966 geborene „Postdramatiker“ Ulf Schmidt trat an, etwas Licht in das reichlich undurchsichtige Gebaren rund ums Geld zu bringen. Und das tat und tut er auf ungewöhnliche Weise. Sein Text steht seit der Fertigstellung komplett kostenlos als Download zur Verfügung. Die Rechte zur Uraufführung versteigerte der Autor im November 2012 über eBay. Am 4. Juli 2013 war das Stück im Münchner Metropoltheater erstmals zu sehen – und löste Begeisterungsstürme aus. „Super! Wahnsinn! Megawichtig! Das muss man gesehen haben!“, so nur eine Stimme einer Theaterkritikerin.
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Nun könnte es der bloße Text nicht schaffen, das Publikum, wie inzwischen an vielen Orten geschehen, im Handumdrehen zu erobern. Doch das, was die Theater daraus machen, reißt mit. Bei der Uraufführung in München nahm Regisseur Jochen Schölch Anleihen bei der „Sendung mit der Maus“, die Schauspieler sangen Geldlieder von ABBA, den Prinzen und Rapper Cro. Mackie Messer, der Londoner Straßenbandenchef aus Brechts „Dreigroschenoper“, wird zitiert mit dem berühmten Satz: „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“
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Der Münchner Mix aus Tatsache, Persiflage und Hits sorgte auch in Wasserburg, Darmstadt, Fulda und Augsburg für Jubel. In Bamberg brachte Regisseur Rainer Lewandowskian eine eigene Inszenierung heraus. Auch er integriert Hits wie „Money Makes The World Go Round“, ABBAs „Money Money“ sowie einen Song aus „Anatevka“ ins Stück. Gespielt wird vor einem mit Geldscheinen bedruckten Vorhang. Im Mai nun machte sich das Ensemble der Würzburger „Theaterwerkstatt“ an eine eigene Fassung – die ebenfalls für große Begeisterung sorgte.
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Schmidt diffamiert nicht
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Ulf Schmidts Text ist weder von einem explizit skandalisierenden noch von einem persönlich diffamierenden Impetus getragen. Er zeigt auf, wie unser heutiges Geldsystem entstand – so präzise das möglich ist in einem knapp zweistündigen Theaterstück. Dass er dabei auch heftig kritisiert, liegt in der Natur der Sache. Denn es ist ein absoluter Wahnsinn, was sich entwickelt hat und was heute passiert. Einen anderen Schluss lassen die reinen Fakten nicht zu.
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Jochen Schölch entschied sich, die Rollen der Banker, des Anlegers, des Sparers und des Herrn Kaiser mit vier männlichen Schauspielern zu besetzen. Passt ja auch, ist doch die Geld- und Bankenszene männlich dominiert. Namen wie Josef Ackermann, John Cryan (heutiger Chef der Deutschen Bank), Raimund Röseler (Chef der Bafin-Bankenaufsicht), Mario Draghi (Präsident der Europäischen Zentralbank) oder Martin Zielke (Chef der Commerzbank) fallen einem da ein. Die Würzburger Inszenierung von Thomas Lazarus lebt allerdings nicht zuletzt vom Einbezug zweier hervorragender Schauspielerinnen: Angelika Flagner und Christina Strobel.
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Überhaupt passen die Rollen der vier Hauptakteure jeweils wie auf den Leib geschneidert. Konstantin Wappler verkörpert als Anleger jenen Typus Mensch, der von jeder guten Idee, die ihm etwas Positives verheißt, sofort angetan ist. Und zwar völlig naiv. Geld bringt Zinsen? Ja großartig! Dann nichts wie die Moneten auf die Bank gebracht. Und dann die Aussicht, durch Aktien reich zu werden! Auch das klingt fantastisch! Wapplers Anleger hinterfragt nicht. Er lässt andere Wünsche in ihm wecken, die ihm bis dato völlig fremd waren. Er fällt auf jedes Versprechen herein. Unterschreibt jedes Dokument. Warum sollte es nicht auch ihm endlich einmal gutgehen?
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Wenn andere halt so naiv sind…
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Stephan Ladnars Banker B1 ist fähig, selbst zu denken. Er wittert Chancen, die ihm das Leben beschert, und greift zu. Dies geschieht erst auf geraden, und, als die ausgereizt sind, immer verschlungeneren Wegen. Die klassischen Zuschreibungen wie „Gier“ und „Egoismus“ vermeidet Ladnar in seiner Rollenausdeutung. Sein Banker ist nicht brutal. Dass andere derart dümmlich sind, dafür kann er nichts. Seinen Erfolg hat Banker B1 nicht zuletzt seinem Kollegen Banker B2 zu verdanken. Mit dem lässt sich toll brainstormen. Gehen dem einen die Ideen aus, kommt dem anderen sicher ein raffinierter Gedanke. In der Würzburger Inszenierung imponieren Stephan Ladnar und sein Pendant Benedict Friederich in der Rolle des windigen Banker B2 als kongeniales Duo. Zusammen haben sie das Zeug, die Welt aus den Angeln zu heben. Und das tun sie auch. Aus der kleinen Schuld am Anfang des Spiels resultiert ein gigantischer Crash. Die Straße hierzu führt über die Stationen „Wettbewerb“, „Aktien“, „Inflation“, „Ratenkauf“, „Geldflut“ und „Kredite“.
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Während die Banker, wie im echten Leben, männlich sind, tritt in Würzburg mit Christina Strobel eine „Frau Kaiser“ auf. Die imitiert, je weiter das Spiel in die Jetztzeit fortschreitet, ebenso wie in der Münchner Inszenierung, Angela Merkel, verzichtet allerdings im Gegensatz zu anderen Inszenierungen auf Anspielungen in Richtung Hitler. Auch Strobels Frau Kaiser ist nicht eigentlich bösartig. Okay, sie ist angetan vom Gedanken „Krieg“. Aber auch das nicht geifernd. Sie hat nun mal Schulden. Und will sie loswerden: „Ich gewinne den Krieg. Dann bezahlt der Gegner meinen Kredit ab.“
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